4a O 47/19 – Leuchtdiodenchip

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3069

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 13. Oktober 2020, Az. 4a O 47/19

  1. I.
    Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1.
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Direktoren der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  3. Leuchtdiodenchips
  4. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen, umfassend:
  5. ein Substrat, eine Leuchtstruktur, die auf einem oberen Abschnitt des Substrats positioniert ist und eine aktive Schicht umfasst, die zwischen einer Halbleiterschicht eines ersten Leitfähigkeitstyps und einer Halbleiterschicht eines zweiten Leitfähigkeitstyps angeordnet ist; und einen verteilten Bragg-Reflektor, der Licht reflektiert, das von der Leuchtstruktur ausgesendet wurde, wobei der verteilte Bragg-Reflektor ein Reflexionsvermögen von 90 % oder mehr für Licht einer ersten Wellenlänge in einem blauen Wellenlängenbereich, Licht einer zweiten Wellenlänge in einem grünen Wellenlängenbereich und Licht einer dritten Wellenlänge in einem roten Wellenlängenbereich hat, wobei der verteilte Bragg-Reflektor einen ersten verteilten Bragg-Reflektor und einen zweiten verteilten Bragg-Reflektor umfasst; wobei der erste verteilte Bragg-Reflektor ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des grünen oder roten Wellenlängenbereichs besitzt als für Licht des blauen Wellenlängenbereichs und der zweite verteilte Bragg-Reflektor ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des blauen Wellenlängenbereichs besitzt als für Licht des roten Wellenlängenbereichs, und der verteilte Bragg-Reflektor an dem unteren Abschnitt des Substrats positioniert ist, und dadurch gekennzeichnet, dass der erste verteilte Bragg-Reflektor näher bei dem Substrat positioniert ist als der zweite verteilte Bragg-Reflektor;
  6. 2.
    der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 8. März 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe:
  7. a)
    der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  8. b)
    der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  9. c)
    der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  10. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  11. 3.
    der Klägerin in einem geordneten, nach Kalenderjahren sortierten und jeweils Zusammenfassungen enthaltenden Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 8. April 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
  12. a)
    der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
  13. b)
    der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  14. c)
    der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, sowie bei Internetwerbung des Schaltungszeitraums, der Internetadressen sowie der Suchmaschinen, bei denen die jeweiligen Seiten direkt oder über ein Gesamtangebot angemeldet waren,
  15. d)
    der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
  16. wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten und ihrer nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden und dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Empfänger eines Angebotes in der Auskunft enthalten ist;
  17. 4.
    die unter Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 8. März 2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  18. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der A bis zum 27. Mai 2019 und der Klägerin ab dem 28. Mai 2019 durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 8. April 2017 begangenen Handlungen entstanden ist und der Klägerin noch entstehen wird.
  19. III.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  20. IV.
    Die Kosten des Rechtstreits werden der Beklagten auferlegt. Die Kosten der Nebenintervention werden der Streithelferin auferlegt.
  21. V.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00.
  22. Darüber hinaus werden folgende Teilsicherheiten festgesetzt:
    Die Ansprüche auf Unterlassung und Rückruf (Ziff. I.1 und I.4 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 170.000,00. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I.2 und I.3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 25.000,00. Die Kostengrundentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
  23. Tatbestand
  24. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 362 XXX B1 (Anlage LL 3, LL 3a; nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  25. Das Klagepatent, dessen alleinige Inhaberin die B (nachfolgend: B) ist, wurde am 16. September 2010 angemeldet und nimmt die Prioritäten der Schriften KR XXX vom 13. November 2009 und KR 2XXX vom 12. Februar 2010 in Anspruch. Die Anmeldung wurde am 31. August 2011 veröffentlicht. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 8. März 2017 bekannt gemacht.
  26. Das Klagepatent steht in Kraft und betrifft einen lichtemittierenden Diodenchip mit verteiltem Bragg-Reflektor und ein lichtemittierendes Diodenpaket mit verteiltem Bragg-Reflektor.
  27. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
  28. „Leuchtiodenchip (20), umfassend:
  29. ein Substrat (21),
  30. eine Leuchtstruktur (30), die auf einem oberen Abschnitt des Substrats positioniert ist und eine aktive Schicht (27) umfasst, die zwischen einer Halbleiterschicht eines ersten Leitfähigkeitstyps (25) und einer Halbleiterschicht eines zweiten Leitfähigkeitstyps (29) angeordnet ist; und
    einen verteilten Bragg-Reflektor (45), der Licht reflektiert, das von der Leuchtstruktur ausgesendet wurde,
  31. wobei der verteilte Bragg-Reflektor ein Reflexionsvermögen von 90 % oder mehr für Licht einer ersten Wellenlänge in einem blauen Wellenlängenbereich, Licht einer zweiten Wellenlänge in einem grünen Wellenlängenbereich und Licht einer dritten Wellenlänge in einem roten Wellenlängenbereich hat,
  32. wobei der verteilte Bragg-Reflektor einen ersten verteilten Bragg-Reflektor (40) und einen zweiten verteilten Bragg-Reflektor (50) umfasst;
  33. wobei der erste verteilte Bragg-Reflektor (40) ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des grünen oder roten Wellenlängenbereichs besitzt als für Licht des blauen Wellenlängenbereichs und der zweite verteilte Bragg- Reflektor (50) ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des blauen Wellenlängenbereichs besitzt als für Licht des roten Wellenlängenbereichs,
  34. und
  35. der verteilte Bragg-Reflektor an dem unteren Abschnitt des Substrats positioniert ist, und
  36. dadurch gekennzeichnet, dass
  37. der erste verteilte Bragg-Reflektor (40) näher bei dem Substrat positioniert ist als der zweite verteilte Bragg-Reflektor (50).“
  38. Die Klägerin ist exklusive Lizenznehmerin der B (Anlage LL 5). Die Beklagte ist ein Handelsunternehmen für Elektronikprodukte und betreibt einen Online-Shop unter der Internetadresse XXX. Unter anderem bot sie an und vertrieb das Mobiltelefon „E“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform), dessen Bildschirm über eine Hintergrundbeleuchtung verfügt, die durch einen LED-Chip erzeugt wird.
  39. Die Streithelferin ist die Zuliefererin der Beklagten, von der sie die angegriffene Ausführungsform erwarb. Die Streithelferin kaufte die angegriffene Ausführungsform wiederum von der F, welche sie von der Firma G, nunmehr firmierend unter G, erwarb. Nach einer Liefervereinbarung zwischen der F und G hat erstere einen Freistellungsanspruch gegen die G, den sie an die Streithelferin abgetreten hat. Die Streithelferin hat mit Schriftsatz vom 8. November 2011 sowie Schriftsatz vom 7. Januar 2020 der G den Streit verkündet.
  40. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verletze die klagepatentgemäße Lehre.
  41. Der Beklagten sei ein Bestreiten mit Nichtwissen verwehrt. Auch als Elektronikhändlerin treffe die Beklagte Erkundigungspflichten im Hinblick auf die chemisch-physikalische Zusammensetzung von Leuchtstoffen in LED-Produkten. Die Beklagten seien in der Lage bei einer Untersuchung die Umstände der Verletzung aus eigener Wahrnehmung zu beurteilen und seien gehalten, die angegriffene Ausführungsform selbst zu untersuchen und sich auf dem Markt oder bei ihren Zulieferern zu beschaffen. Insoweit habe die Klägerin der Beklagten angeboten, ihr zur Untersuchungszwecken die aus dem Testkauf vom 21. März 2018 sowie eine im Dezember 2019 am Markt erworbene angegriffene Ausführungsform zur Verfügung zu stellen.
  42. Die Einwände der Beklagten gegen die klägerischen Untersuchungen verfingen nicht.
  43. Die Klägerin bestreitet mit Nichtwissen, dass die Beklagte über keine Exemplare der Verletzungsform mehr verfüge, dass sie bereits bei Klageerhebung über kein Exemplar mehr verfügt habe und die Beklagte versucht habe, Informationen bei der Streithelferin einzuholen.
  44. Die Beklagte treffe als Fachhändler auch ein Verschulden, wenn sie vor Aufnahme der Benutzung die Schutzlage nicht geprüft habe. Insoweit sei auch nicht ersichtlich, dass der Händler sich einer sorgfältigen und sachkundigen Prüfung der Streithelferin vergewissert habe.
  45. Der Rückrufanspruch bestehe, da ausweislich der Webseite sich das Angebot sowohl an Privat- als auch an Geschäftskunden richte.
  46. Die Klägerin beantragt,
  47. I. die Beklagte zu verurteilen,
  48. 1.
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Direktoren der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  49. Leuchtdiodenchips in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen, umfassend:
  50. ein Substrat,
  51. eine Leuchtstruktur, die auf einem oberen Abschnitt des Substrats positioniert ist und eine aktive Schicht umfasst, die zwischen einer Halbleiterschicht eines ersten Leitfähigkeitstyps und einer Halbleiterschicht eines zweiten Leitfähigkeitstyps angeordnet ist; und einen verteilten Bragg-Reflektor, der Licht reflektiert, das von der Leuchtstruktur ausgesendet wurde,
  52. wobei der verteilte Bragg-Reflektor ein Reflexionsvermögen von 90 % oder mehr für Licht einer ersten Wellenlänge in einem blauen Wellenlängenbereich, Licht einer zweiten Wellenlänge in einem grünen Wellenlängenbereich und Licht einer dritten Wellenlänge in einem roten Wellenlängenbereich hat,
  53. wobei der verteilte Bragg-Reflektor einen ersten verteilten Bragg-Reflektor und einen zweiten verteilten Bragg-Reflektor umfasst;
  54. wobei der erste verteilte Bragg-Reflektor ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des grünen oder roten Wellenlängenbereichs besitzt als für Licht des blauen Wellenlängenbereichs und der zweite verteilte Bragg- Reflektor ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des blauen Wellenlängenbereichs besitzt als für Licht des roten Wellenlängenbereichs,
  55. und
  56. der verteilte Bragg-Reflektor an dem unteren Abschnitt des Substrats positioniert ist, und dadurch gekennzeichnet, dass
  57. der erste verteilte Bragg-Reflektor näher bei dem Substrat positioniert ist als der zweite verteilte Bragg-Reflektor;
  58. insbesondere, wenn:
    a)
    bei den in Ziffer 1. bezeichneten Leuchtdiodenchips der verteilte Bragg- Reflektor an einem unteren Abschnitt des Substrats positioniert ist und der verteilte Bragg-Reflektor die Unterseite des Substrats berührt;
    b)
    bei den in Ziffer 1. bezeichneten Leuchtdiodenchips die Oberseite des Substrats eine zuvor festgelegte Struktur aufweist;
  59. 2.
    der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 8. März 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe:
  60. a)
    der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  61. b)
    der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  62. c)
    der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  63. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  64. 3.
    der Klägerin in einem geordneten, nach Kalenderjahren sortierten und jeweils Zusammenfassungen enthaltenden Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer 1.1. bezeichneten Handlungen seit dem 8. April 2017 begangen hat, und zwar unter Angabe
  65. a)
    der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
  66. b)
    der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  67. c)
    der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, sowie bei Internetwerbung des Schaltungszeitraums, der Internetadressen sowie der Suchmaschinen, bei denen die jeweiligen Seiten direkt oder über ein Gesamtangebot angemeldet waren,
  68. d)
    der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
  69. wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten und ihrer nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden und dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Empfänger eines Angebotes in der Auskunft enthalten ist;
  70. 4.
    die unter Ziffer 1.1. bezeichneten und seit dem 8. März 2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
  71. 5.
    die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer 1.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.
  72. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der A bis zum 27. Mai 2019 entstanden ist und der Klägerin ab dem 28. Mai 2019 durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 8. April 2017 begangenen Handlungen entstanden ist und der Klägerin noch entstehen wird.
  73. Die Beklagte beantragt,
  74. die Klage abzuweisen.
  75. Die Streithelferin schließt sich dem Antrag der Beklagten an und beantragt,
  76. die Kosten der Nebenintervention der Klägerin aufzuerlegen.
  77. Die Beklagte erklärt sich zu dem gesamten Patentverletzungsvorwurf mit Nichtwissen.
  78. Des Weiteren habe die Klägerin den Vorwurf der Patentverletzung nicht hinreichend dargelegt. Ein vollständiger Untersuchungsbericht fehle.
  79. Die Abbildung in Rn. 78 der Klageschrift zeige unterschiedliche Schichtdicken der beiden Halbleiterschichten des ersten und zweiten Leitfähigkeitstyps, die in keinerlei Verhältnis stünden zu den erfindungsgemäßen Halbleiterschichten in Figur 3 des Klagepatents. Die Ausbeulungen an der Grenzfläche zum Substrat seien nicht in beiden Abbildungen gleich gezeigt. Die hügelige Oberflächenstruktur würde beim epitaktischen Aufwachsen in der Abscheidungsschicht beibehalten. Dies sei gerade nicht festzustellen. Die angebliche Drehung der Bilder sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht erkennbar, wie der Aufbau des Substrats zu der Anordnung des Bragg-Reflektors (DBR) passe. Der in den Rn. 79 und 87 der Klageschrift eingezeichnete rot markierte Bereich sei manuell eingefügt worden, woraus resultiere, das sich die in der jeweiligen rechten Darstellungen befindlichen Messpunkte irgendwo befunden haben könnten. Der in Rn. 87 gezeigte Ausschnitt lasse sich nirgendwo zuordnen. Es ergebe sich des Weiteren aus den Grafiken in Rn. 88 nicht, warum es sich bei den gezeigten Peaks um „Ti“ bzw. „0“ bzw. „Si“ bzw. „O“ handele. In der linken Grafik seien zudem zwei unterschiedliche Peaks „Ti“ gezeigt. Dies sei ohne Erläuterung und Zuordnung zu tatsächlichen Ergebnissen nicht nachvollziehbar. Außerdem sei auf Grundlage der Untersuchungen nicht festzustellen, dass die Schichten aus reinem Material bestünden, sondern sie könnten auch aus weiteren Materialien bestehen. In welchem Umfang Titandioxid und Siliziumdioxid vorhanden sei, sei weder untersucht noch dargelegt. Der Begriff der „hohen Konzentration“ sei für sich genommen nicht aussagekräftig. Im Übrigen habe die Klägerin selbst festgestellt, dass sich in den Schichten auch Konzentrationen von Kupfer befänden.
  80. Die Klägerin erläutere nicht, wie die Software genau verfahre, um zu den präsentierten Ergebnissen zu gelangen. Annäherungswerte seien nicht belastbar, wobei auch mit Nichtwissen bestritten werde, dass es sich um ein gängiges Mittel zur Bestimmung der Reflektivität handele. Es bedürfe vielmehr einer Messung. Eine Auflösung nur auf unter 2nm sei nicht präzise.
  81. Falsch sei es, bei Titanoxid einen einheitlichen Brechungsindex von etwa 2,5 zugrunde zu legen und bei Siliziumoxid von etwa 1,5, wobei der Wert tatsächlich bei einer Wellenlänge von 400 nm 1,47 und bei einer Wellenlänge von 800 nm 1,45 betrage. Die zusätzlichen Untersuchungen der Klägerin, die ausschließlich natürliche Modifikationen des Titanoxids betreffen, seien angesichts des Umstandes, dass für den Bragg-Reflektor künstlich hergestelltes Material verwendet werde, irrelevant.
  82. Die konkrete Ermittlung der Schichtdicken sei nicht nachvollziehbar. Angaben zu den jeweiligen Materialien der Schichten würden fehlen. Die Angabe des Werts n = 1,76 als Brechungsindex für Saphir zeige, dass die Angaben unvollständig seien, zumal der Brechungsindex bei einer Wellenlänge von 400 nm 1,78 betrage, während er bei einer Wellenlänge von 800 nm 1,76 betrage. Die Ermittlung der Schichtdicke für die Simulation sei fehlerhaft erfolgt und die Ergebnisse somit nicht belastbar.
  83. Des Weiteren sei es nicht richtig, die Schicht SiO2 mit einer Dicke von 171 nm unberücksichtigt zu lassen. Nach dem Klagepatent sei das nicht möglich, da es auf ein periodisches Aufbringen der SiO2 und TiO2 verweise. Es entstehe an jeder Grenzfläche der Schichten eine Reflexion. Erschwerend trete hinzu, dass eine Schutzschicht laut dem Klagepatent aus einer Metallschicht bestehen könne, wobei ein Metalloxid gerade nicht genannt sei. Die angegriffene Ausführungsform weise hingegen eine Metallschicht auf. Eine Schutzschicht müsse sich auf der Außenseite der LED befinden, dies lasse sich anhand der Ausführungen der Klägerin nicht feststellen.
  84. Die von der Klägerin gezeigten Grafiken zur Reflektivität seien falsch beziffert und zeigten in Wahrheit keine Reflektivität über 90%. Weiter sei nicht definiert, welche Lichtmenge tatsächlich einfalle. Die klägerischen Grafiken auf Seite 19 der Replik zeigten Reflektivitätswerte bei dem zweiten DBR oberhalb des Wertes 1.0 auf der Y-Achse, so dass 100% Reflektivität in der Grafik bei dem Wert 1.2 anzusetzen sei. Auf Grundlage des Sachvortrags der Klägerin sei daher nicht das Merkmal verwirklicht, wonach der DBR ein Reflexionsvermögen von 90% oder mehr in den blauen, grünen und roten Wellenlängenbereichen habe. Dargelegt sei nur ein Reflexionsvermögen von 83%. Auch die zusätzlichen Simulationen der Klägerin für den zweiten DBR lieferten keine zuverlässigen Ergebnisse, weil das Streulicht, das aus der Lichtquelle abgegeben werde, ebenfalls zu berücksichtigen sei und beide DBRs mit der gleichen Messmethode simuliert werden müssten.
  85. Die Aufteilung der SiO2 und TiO2-Paare in einen ersten und zweiten Bragg-Reflektor sei willkürlich. Indem die Festlegung der beiden Bragg-Reflektoren willkürlich erfolge, könne auch eine nähere Positionierung am Substrat nicht nachvollziehbar belegt werden. Die weitere Schicht mit der Dicke von 171 nm sei aufgrund ihrer Dicke zum ersten Bragg-Reflektor zuzuordnen und Bestandteil des Bragg-Reflektors.
  86. Ferner sei die Oberflächenrauigkeit des Substrats entscheidend für das Reflexionsvermögen des DBR, die die Klägerin überhaupt nicht berücksichtigt habe und so zu viel besseren Werten gelange.
  87. Des Weiteren treffe die Beklagte kein Verschulden, da es sich bei ihr um einen Sortimenter handele, der aufgrund der Größe seine Warensortiments nicht in der Lage sei, sämtliche Bauteile eines Mobiltelefons auf tausende Patente hin zu untersuchen.
  88. Der Vernichtungsanspruch scheide aus, weil die Beklagte keinen Besitz mehr an der angegriffenen Ausführungsform habe. Die letzten Mobiltelefone seien im Januar 2019 vertrieben worden. Aus diesem Grund und weil direkt an private Endkunden und höchstens vereinzelt über konzernangehörige Gesellschaften an diese vertrieben worden sei, scheide auch der Rückrufanspruch aus. Dass sich der Vertrieb auf der Webseite der Beklagten auch an gewerbliche Endkunden richte, sage über den Vertrieb des Mobiltelefons nichts aus. Bei der Anzahl von nur 322 vertriebenen Mobiltelefonen vor anderthalb Jahren sei ausgeschlossen, dass sich das Produkt noch in den Vertriebswegen befände.
  89. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. September 2020 Bezug genommen.
  90. Entscheidungsgründe
  91. Die Klage ist zulässig und – mit Ausnahme des Vernichtungsanspruchs – auch begründet.
  92. Die Klägerin hat aufgrund der patentverletzenden Handlungen der Beklagten im dargestellten Umfang die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB. Der Vernichtungsanspruch war mangels Vorliegen seiner Voraussetzungen hingegen nicht zuzusprechen.
  93. I.
    Das Klagepatent betrifft insbesondere einen lichtemittierenden Diodenchip mit verteiltem BRAGG-Reflektor.
  94. Das Klagepatent führt einleitend zum Stand der Technik aus, dass vorbekannte Leuchtdiodenchips auf Galliumnitridbasis für verschiedene Anwendungen eingesetzt werden, wobei verschiedene Arten von Leuchtiodenpaketen, die Mischfarbenlicht aussenden, für Hintergrundbeleuchtungseinheiten, Allgemeinbeleuchtung oder dergleichen benötigt werde. Da die Lichtausbeute des Leuchtiodenpakets im Wesentlichen von der Lichtausbeute der Leuchtiodenchips abhängt, wurde laut dem Klagepatent kontinuierlich an der Verbesserung der Lichtausbeute des Leuchtiodenchips gearbeitet und versucht, die Effizienz der Lichtextraktion des Leuchtiodenchips zu verbessern. Dies wurde im Stand der Technik bereits durch den Einsatz einer Technologie zur Bildung eines Metallreflektors oder eines verteilten Bragg-Reflektors auf der Unterseite eines transparenten Substrats wie z.B. Saphir versucht. Bekannt gewesen ist, dass bei Saphirsubstrat, auf dem die Aluminiumschicht gebildet ist, ein Reflexionsvermögen von ca. 80% über eine Wellenlänge eines sichtbaren Bereichs gebildet wird. Wenn anstelle der Aluminiumschicht der verteilte Bragg-Reflektor (DBR) verwendet wird, um Licht mit einer Spitzenwellenlänge von 460 nm vom Leuchtiodenchip zu reflektieren, erreicht das Reflexionsvermögen – so das Klagepatent – in einem blauen Wellenlängenbereich, z.B. von 400 bis 500 nm etwa 100%. Das Klagepatent konstatiert, dass der DBR nur für einen Teil des sichtbaren Bereichs des Lichts das Reflexionsvermögen erhöht und es für andere Bereiche erheblich geringer ist oder plötzlich reduziert wird, so z.B. für eine Wellenlänge von 520 nm. Bei Weißlicht zeigt der Leuchtiodenchip unter Verwendung des DBR ein hohes Reflexionsvermögen für Licht des blauen Wellenlängenbereichs, aber keine effizienten Reflexionseigenschaften für Licht des grünen und/oder roten Wellenlängebereichs. Das Klagepatent kritisiert, dass es bislang eine Grenze bei der Verbesserung der Lichteffizienz in dem Leuchtiodenpaket gibt.
  95. Sodann verweist das Klagepatent auf ein Paper mit dem Titel „F“ von H (Journal of Electronic materials, Vol. 32, No. 12, 2003), welches die Bildung eines verteilten Bragg-Reflektors auf der Rückseite des Saphirsubstrats eines LED-Chips offenbart, um eine breitbandige, verlustarme Lichtreflexion für normales und geneigtes einfallendes Licht zu erreichen. Ähnliche LED-Chips sind laut dem Klagepatent auch in den Dokumenten US 2009/XXX und US 2005/XXX offenbart. Das Klagepatent nennt ferner das Handbuch „Design of optical interference coatings“ von A. Thelen (1989), welches die Bildung von breitbandigen verteilten Bragg-Reflektoren lehrt. Durchgeführte Versuche, den DBR auf die reflektierende Oberfläche des Leuchtiodenpakets aufzubringen, waren aufgrund einer Beschränkung der DBR-Abscheidungstechnologie, z.B. durch ein Problem bei einer Abscheidungstemperatur, einer Plasmatemperatur oder dergleichen, nicht erfolgreich. Schließlich offenbart das EP XXX eine Bildung eines verteilten Bragg-Reflektors auf der reflektierenden Oberfläche eines LED-Gehäuses (LED Pakets).
  96. Das Klagepatent formuliert nicht explizit eine Aufgabe, möchte aber einen Leuchtiodenchip bereitstellen, der in der Lage ist, die Lichtausbeute bzw. Lichteffizienz eines Leuchtiodenpakets, das ein Mischfarblicht, wie z.B. Weißlicht, implementiert, zu erhöhen und zu verbessern (vgl. Absätze [0014], [0019] der Klagepatentschrift; nachfolgend sind Absätze ohne Quellenangabe solche des Klagepatents).
  97. Hierzu sieht das Klagepatent einen Leuchtiodenchip nach Anspruch 1 mit folgenden Merkmalen vor:
  98. 1.
    Leuchtiodenchip, der umfasst:
  99. 1.1.
    ein Substrat,
  100. 1.2.
    eine Leuchtstruktur, die auf einem oberen Abschnitt des Substrats positioniert ist und eine aktive Schicht umfasst, die zwischen einer Halbleiterschicht eines ersten Leitfähigkeitstyps und einer Halbleiterschicht eines zweiten Leitfähigkeitstyps angeordnet ist; und
  101. 1.3.
    einen verteilten Bragg-Reflektor, der Licht reflektiert, das von der Leuchtstruktur ausgesendet wurde.
  102. 1.3.1
    Der verteilte Bragg-Reflektor hat ein Reflexionsvermögen von 90 % oder mehr für Licht einer ersten Wellenlänge in einem blauen Wellenlängenbereich, Licht einer zweiten Wellenlänge in einem grünen Wellenlängenbereich und Licht einer dritten Wellenlänge in einem roten Wellenlängenbereich.
  103. 1.3.2
    Der verteilte Bragg-Reflektor umfasst einen ersten verteilten Bragg-Reflektor und einen zweiten verteilten Bragg-Reflektor.
  104. 1.3.2.1
    Der erste verteilte Bragg-Reflektor besitzt ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des grünen oder roten Wellenlängenbereichs als für Licht des blauen Wellenlängenbereichs.
  105. 1.3.2.2
    Der zweite verteilte Bragg- Reflektor besitzt ein höheres Reflexionsvermögen für Licht des blauen Wellenlängenbereichs als für Licht des roten Wellenlängenbereichs.
  106. 1.3.3
    Der verteilte Bragg-Reflektor ist an dem unteren Abschnitt des Substrats positioniert ist.
  107. 1.3.4
    Der erste verteilte Bragg-Reflektor ist näher bei dem Substrat positioniert als der zweite verteilte Bragg-Reflektor.
  108. II.
    Die Beklagte hat in der Bundesrepublik Deutschland die angegriffene Ausführungsform, welche mit den streitgegenständlichen LEDs ausgerüstet sind, angeboten und in den Verkehr gebracht. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Lehre des Klagepatents. Die Klägerin hat die Verletzung schlüssig und nachvollziehbar dargetan. Ein Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO), auf das sich die Beklagte zurückzieht, kommt vorliegend nicht in Betracht.
  109. 1)
    Die Klägerin hat bei dem LED-Chip der angegriffenen Ausführungsform eine TEM-EDS-Messung (Kombination aus Energie-dispersiver Röntgenspektroskopie (EDS) und Transmissions-Elektronenmikroskopie (TEM)) durch die B durchführen lassen, bei der ein Elektronenstrahl an einer Stelle durch eine Probe geleitet wird. Der Elektronenstrahl wird analysiert und in ein TEM-Bild umgewandelt, wobei der Bildkontrast Informationen über Struktur, Textur, Form und Größe der Probe gibt. Es wird das emittierte Röntgenspektrum gemessen, wodurch eine chemische Analyse der Stelle möglich ist. Mittels der Simulationssoftware J (Version XXX) des Herstellers J. hat die Klägerin das Reflexionsvermögen des in dem streitgegenständlichen Chip verbauten DBR mittels der Finite-Difference- Time-Domain-Methode (FDTD-Methode) untersucht, wobei das elektromagnetische Feld der sich ausbreitenden Lichtstrahlung in der Struktur des DBR Schritt für Schritt auf Rasterpunkten, den Materialparametern zugeordnet sind, berechnet wird.
  110. Sie hat anhand dieser Untersuchungsergebnisse schlüssig dargelegt, dass der in der angegriffenen Ausführungsform verbaute Leuchtiodenchip (LED-Chip; Merkmal 1) alle Merkmale des Klagepatentanspruchs 1 verwirklicht.
  111. a)
    Der Leuchtiodenchip weist ein Substrat nach Merkmal 1.1 auf. Anspruch 1 stellt keine besonderen Anforderungen an die Oberflächenstruktur des Substrats.
  112. Die Klägerin hat den LED-Chip in eine dünne Scheibe geschnitten, wobei die Querschnittsansicht auf dem linken Bild in Rn. 78 der Klageschrift an seinem unteren Rand die Oberseite des Substrats zeigt. Die linke Abbildung in Rn. 79 der Klageschrift zeigt die Unterseite des Substrats.
  113. Die EDS-Analyse der im Substrat durchgeführten Probe (Abbildung Rn. 80 der Klageschrift) zeigt eine hohe Konzentration von Aluminium (Al) und Sauerstoff (O), die wiederum die Verwendung von Saphir (Al2O3) belegt. Bei der vorgenommenen EDS-Analyse lässt die Energie der gemessenen Röntgenlinie, was gleichbedeutend mit der Lage der gezeigten Peaks im Röntgenspektrum ist (vgl. Abbildung Rn. 80 in der Klageschrift), Rückschlüsse auf das Element zu. Unter Verwendung der Software TIA, Version 4.0 SP1 hat die Klägerin die Peaks als charakteristisch für die Elemente Sauerstoff (O) und Aluminium (Al) identifiziert. Bei dem Material bestehend aus den beiden Elementen handelt es sich um Saphir (Al2O3), dessen Materialeigenschaften (Kristallstruktur, Farblosigkeit) für die Substratschicht eines LED-Chips typisch sind.
  114. b)
    Die angegriffene Ausführungsform verfügt weiter über eine Leuchtstruktur auf einem oberen Abschnitt des Substrats im Sinne des Merkmals 1.2 bestehend aus einer aktiven Schicht zwischen einer Halbleiterschicht eines ersten Leitfähigkeitstyps (n-Typ) und einer Halbleiterschicht eines zweiten Leitfähigkeitstyps (p-Typ). Dieser Aufbau ist bei einem LED-Chip bauartbedingt der Fall, damit es zu der spezifizierten Lichtemission in Form der Rekombination, also der freigesetzten Photonen, kommt.
  115. c)
    Die angegriffene Ausführungsform weist einen verteilten Bragg-Reflektor auf, der das von der Leuchtstruktur emittierte Licht reflektiert (Merkmal 1.3).
  116. So hat die Klägerin anhand zwei weiterer Proben der EDS-Analyse gezeigt, dass der untersuchte LED-Chip aus zwei Schichten besteht, wobei die erste Schicht aus Titandioxid (TiO2) mit einem Brechungsindex von ca. 2,5 besteht und die zweite Schicht aus Siliziumdioxid (SiO2) mit einem Brechungsindex von ca. 1,5. Beide Stoffe nennt das Klagepatent als Beispiele für das Schichtenpaar des Bragg-Filters (vgl. Absatz [0060]), wobei der Bragg-Reflektor durch eine Wiederholung einer Vielzahl von Paaren einer ersten und zweiten Materialschicht gebildet wird (vgl. Absatz [0059]). Diese Schichten treten alternierend auch bei der angegriffenen Ausführungsform auf.
  117. Die Analyse hat hohe Konzentrationen beider Stoffe ergeben, wobei mehrere auftretende Peaks bei Messungen mittels einer EDS-Analyse nicht ungewöhnlich sind und die Klägerin ebenfalls erläutert hat, dass auch das Auftreten von Kupfer ein regelmäßig auftretendes Phänomen bei diesen Messungen darstellt, die vom Einsatz der Kupferträger herrühren, auf den die geschnittene Scheibe des LED-Chip bei der Messung abgelegt wird.
  118. d)
    Die Reflexivität im Sinne des Merkmal 1.3.1 hat die Klägerin mittels der FDTD-Methode bei der angegriffenen Ausführungsform substantiiert dargelegt.
  119. Zunächst wurde mittels der TEM-Analyse die Dicke der Schichten des DBR ermittelt Die Software des TEM-Messgerätes vermisst bzw. berechnet den Abstand zwischen den zuvor markierten Grenzflächen der Schichten in den Abbildungen auf Basis einer Vergrößerung.
  120. Auf Grundlage der Schichtdicke hat die Klägerin sodann die FDTD-Simulation mittels der Software J durchgeführt. Diese hat ergeben, dass der DBR über 90% des Lichts in einem Wellenlängenbereich zwischen 400 nm bis 700 nm reflektiert.
  121. Die genannte Software wird auch bei der Entwicklung von Bragg-Reflektoren verwendet und ist in der Praxis ein gängiges Mittel zur Bestimmung der Reflektivität eines DBR. Entgegen der Ansicht der Beklagten verlangt das Klagepatent keine bestimmte Art der Messmethode. So ist in Absatz [0079] nur allgemein von dem Messen des Reflexionsvermögens die Rede, ohne sich auf eine bestimmte Methodik festzulegen. Zudem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch vorgetragen, dass ein DBR lediglich im Stadium der Herstellung tatsächlich (optisch) vermessen werden kann, später jedoch nicht mehr. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Fachmann gängige Analysemethoden bei seinem Verständnis des Begriff „Messens“, wie er in dem allgemeinen Kontext von Absatz [0079] verwendet wird, ausblendet. Dem ist auch die Beklagte nicht mehr mit anders lautendem Vortrag entgegen getreten. Ihr Bestreiten mit Nichtwissen ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, da die Auslegung von klagepatentgemäßen Begriffen aus Sicht des Durchschnittsfachmanns eine Rechtsansicht darstellt.
  122. Die von der Klägerin bei der Simulation eingesetzten Werte beruhen auf ihren Messungen der Schichtdicke und der Angabe von Brechungsindices, die für die ermittelten Stoffe Titandioxid und Siliziumdioxid dem Fachmann als repräsentativ bekannt sind und die auch das Klagepatent in Absatz [0060] nennt. Für Titandioxid hat die Klägerin weitere Simulationen gefahren, wobei sie nach Anlage B2 sowohl den höchsten (Anatas no) als auch den niedrigsten (Brookit n3) Brechungsindex, eingesetzt und damit die gesamte Bandbreite der Brechungsindeces abgedeckt hat. Bei keinem der Indeces sank die Lichtreflexion in den anspruchsgemäßen Wellenlängenbereichen unter 90 % (vgl. Grafiken Rn. 40 der Replik). So zeigen auch die Grafiken in Rn. 46 der Replik bei den anspruchsgemäßen Wellenlängen Kurvenverläufe für den ersten und zweiten DBR, die an den Wert 1.0 und insofern an 100% heranreichen. Im Hinblick auf den zweiten DBR, bei dem der Wert von 1.0 zunächst überschritten wurde, hat die Klägerin nach Rücksprache mit dem Hersteller der Software J. erneute Simulationen mit einem veränderten Versuchsaufbau gefahren. Bei der ersten Simulation wurde der Monitor hinter der Reflexionsquelle platziert, was nach Aussage des Herstellers dazu führen kann, dass der Monitor etwas gestreutes Licht wahrnimmt, wodurch die Reflektivität höher erscheint. Bei der erneuten Simulation wurde der Monitor näher an den DBR platziert als die Lichtquelle, mit der Folge, dass der Wert 1.0 (100%) nicht mehr überschritten wird und die Kurvenverläufe annähernd das gleiche Ergebnis zeigen, nämlich eine sehr hohe Reflektivität nahe 100% im Wellenlängenbereich zwischen 400 bis 600 nm (vgl. Grafiken, Rn. 17 der Triplik). Da auch ohne Streulicht bereits die anspruchsgemäßen Werte erreicht werden, sind bei eine Simulation unter dessen Berücksichtigung jedenfalls keine niedrigeren Reflektionswerte zu erwarten.
  123. e)
    Die Klägerin konnte zwei Schichtdicken bei der angegriffenen Ausführungsform nachweisen, woraus sich der Rückschluss auf zwei verteilte Bragg-Reflektoren ziehen lässt (Merkmal 1.3.2).
  124. Nach dem Klagepatent unterscheiden sich beide verteilte Bragg-Reflektoren anhand ihres Reflexionsvermögens. Der erste Bragg-Reflektor soll relativ gesehen effektiver Licht des grünen Wellenlängenbereichs (500-600 nm) und des roten Wellenlängenbereichs (600-700 nm) reflektieren (Merkmal 1.3.2.1) und der zweite Bragg-Reflektor besonders effektiv Licht des blauen Wellenlängenbereichs (400-500 nm; Merkmal 1.3.2.2). Das Klagepatent nimmt diese Unterteilung nach der optischen Schichtdicke vor (vgl. Absatz [0059]), wobei die optische Dicke durch das Steuern des Brechungsindex und/oder der tatsächlichen Dicke jeder Materialschicht gesteuert werden kann (Absatz [0062]). Die optische Dicke stellt dabei das Produkt aus der geometrischen Dicke und des Brechungsindex des Materials dar.
  125. Daran gemessen hat die Klägerin das Vorliegen der Merkmsalsgruppe 1.3.2 schlüssig dargetan. Sie hat die geometrischen Dicken mittels der Brechungsindeces in optische Dicken umgewandelt, wobei sie erkannt hat, dass ab dem Schichtpaar 11 insbesondere die SiO2-Schicht deutlich geringer ist. So bilden die Schichtpaare 1 bis 10 den ersten verteilten Bragg-Reflektor (Merkmal 1.3.2.1) und die Schichtpaare 11 bis 17 den zweiten verteilten Bragg-Reflektor (Merkmal 1.3.2.2).
  126. Die für beide Schichtdicken getrennt durchgeführte FDTD-Simulation zeigt, dass der erste DBR im roten Wellenlängenbereich ein Reflexionsvermögen von fast 100% hat, im blauen Wellenlängenbereich jedoch nur über ein deutlich niedrigeres Reflexionsvermögen verfügt (Merkmal 1.3.2.1). Ein Vergleich zwischen dem blauen und des roten Wellenlängenbereich für den zweiten DBR ergibt, dass das Reflexionsvermögen für Licht des ersteren höher ist als für Licht des zweiten (Merkmal 1.3.2.2; vgl. Grafiken, Rn. 46 der Replik und Rn. 17 der Triplik).
  127. Dass die Klägerin die SiO2-Schicht von 171 nm unter dem verteilten Bragg-Reflektor nicht berücksichtigt hat, erläutert sie damit, dass es sich hierbei um eine Schutzschicht handelt, die ausweislich Absatz [0063] zum Schutz vor äußeren Einflüssen oder Verschmutzung aufgebracht wird und zum Beispiel aus den Metallen, Ti, Cr, Ni, Pt, Ta und Au oder einer Legierung bestehen kann. Da auch eine Legierung genannt ist, ist SiO2 von der im Übrigen nur beispielhaften Aufzählung des Klagepatents sogar ausdrücklich erfasst. Bei der weiteren schwarzen Schicht handelt es sich nicht um die Metallschicht im Sinne des Absatzes [0063], sondern um die Montageschicht für den LED-Chip.
  128. Der DBR-Reflektor liegt schließlich bei der angegriffenen Ausführungsform direkt unterhalb des Substrats, was sich ebenfalls aus der TEM-Messung ergibt (Merkmal 1.3.3., Abbildung in Rn. 112 der Klageschrift). Der erste verteilte Bragg-Reflektor umfassend die dielektrischen Paare 1 bis 10 ist unmittelbar unterhalb des Substrats angeordnet, der zweite Bragg-Reflektor (11 bis 17) ist unterhalb des ersten Bragg-Reflektors angeordnet, so dass der erste Bragg-Reflektor näher am Substrat des zweiten Reflektors angeordnet und Merkmal 1.3.4. verwirklicht ist.
  129. 2)
    Die Beklagte hat den schlüssigen Sachvortrag der Klägerin lediglich mit Nichtwissen bestritten und sich ansonsten darauf beschränkt, die Untersuchungen der Klägerin zu bemängeln ohne dem klägerischen Sachvortrag erheblich entgegen zu treten. Dies trifft insbesondere auch auf das Merkmal 1.3.1 zu. Auf ein Bestreiten mit Nichtwissen kann sich die Beklagte jedoch nicht mit Erfolg zurückziehen.
  130. a)
    Die Beklagte hat gerade nicht erklärt, dass ein bestimmtes Anspruchsmerkmal von der angegriffenen Ausführungsform aus einem bestimmten Grund nicht verwirklicht wird und hat es darüber hinaus unterlassen, nachdem die Klägerin ihre Untersuchungsergebnisse vorgetragen hat, eigene Untersuchungsberichte oder ein Privatgutachten vorzulegen.(vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 102028, Rn. 92; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Juni 2020, Az. I-15 U 79/19 ).
  131. (1)
    In diesem Zusammenhang ist es nicht ausreichend, dass die Beklagte den klägerischen Vortrag nur dadurch in Frage stellt, indem sie lediglich Kritik an den von der Klägerin dargelegten Untersuchungen und ihren Ergebnissen übt (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 102028, Rn. 92; Urteil v. 8. Dezember 2016, Az. I-2 U 6/13).
  132. Die Beklagte hat zusammengefasst bemängelt, die gezeigten Abbildungen oder Untersuchungsergebnisse seien im Einzelnen nicht verständlich, es fehle an Erläuterungen zu bestimmten Grafiken, die Prüfung insbesondere der Konzentration von Titandioxid und Siliziumoxid sei unzureichend und gehe von falschen Aussagen zum Brechungsindex aus, die Ergebnisse zum Reflexionsvermögen seien in keiner Weise nachvollziehbar, die verwendete Simulationssoftware sei ungeeignet, die ermittelten Schichtdicken des DBR seien nicht zuverlässig überprüfbar und eine Schicht des SiO2 zu Unrecht unberücksichtigt geblieben und die Aufteilung der Schichtpaare in einen ersten und zweiten Bragg-Reflektor sei willkürlich erfolgt. Zur bloßen Kritik an den von der Klägerin dargelegten Untersuchungen zählt auch der in der mündlichen Verhandlung gebrachte Verweis auf die Oberflächenrauigkeit des Substrats, die für das Reflexionsvermögen entscheidend und von der Klägerin nicht berücksichtigt worden sei.
  133. Ihr Vortrag erschöpft sich damit in der unzureichenden Aussage, dass die Untersuchungen der Klägerin nicht aussagekräftig seien, ohne jedoch konkret darzutun, aus welchem Grund eine bestimmtes Merkmal des Anspruchs 1 nicht verwirklicht sein soll und wo die signifikanten Unterschiede bei der angegriffenen Ausführungsform liegen, die bei ihrer Untersuchung zwingend zu anderen abweichenden Ergebnisse führen. Erforderlich sind in diesem Zusammenhang konkrete Aussagen zur tatsächlichen Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen, wobei bloße Mutmaßungen, welche Ergebnisse zu erwarten sein werden, nicht ausreichend sind.
  134. (2)
    Sofern die Beklagte in der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf Seite 22 der Klageerwiderung und Seiten 21 und 22 der Duplik vorgetragen hat, sie habe das Merkmals 1.3.1. konkret bestritten, trifft dies nicht zu.
  135. So ergibt sich aus ihrem Vortrag lediglich, dass sie auf „auf Grundlage des Sachvortrags der Klägerin“ behauptet, dass Merkmal 1.3.1 nicht verwirklicht und auf Grundlage dieser Ausführungen nur ein Reflexionsvermögen von maximal 83% dargelegt sei. Gleiches hat sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, wenn sie ausführt, die Simulationen legen dar, dass der Wert von 83% nicht überschritten wird. Auch das „Bestreiten“ der klägerischen Aussage, dass die Ungenauigkeiten der Simulation sich nur auf den kleinen Bereich vor 300 nm bezögen, sowie der Vortrag, auf Seite 19 der Replik liege die Kurve auch in den Wellenlängenbereichen 400 bis 500 und 500 bis 580 über 1.0, steht ausschließlich im Zusammenhang mit den klägerischen Untersuchungen.
  136. Dieser Vortrag stellt kein Bestreiten dar. Vielmehr zweifelt die Beklagte die Verwirklichung des Merkmals lediglich auf Grundlage des Sachvortrags der Klägerin an, wobei sie wiederum nur um einen vermeintlichen Mangel des klägerischen Vortrags aufzeigt. Die Beklagte hat sich weder den klägerischen Vortrag zu Eigen gemacht, um aufgrund des sodann unstreitigen Vorbringens zu erörtern, warum dieses nicht ausreicht, um die Merkmalsverwirklichung darzutun, noch hat sie den Vortrag der Klägerin in der Sache bestritten, in dem sie eine konkrete Aussage zu der von ihr selbst oder durch einen beauftragten Dritten festgestellten Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform getroffen hat. Nachdem die Klägerin auf die Kritik der Beklagten reagiert, die Simulation wiederholt und erneut ein Reflexionsvermögen von 90% dargelegt hat, hat die Beklagte gerade keinen eigenen Wert genannt. In dem Bestreiten des Vortrags der Klägerin, dass der Aufwand für den Verbau eines DBR-Reflektors erheblich höher sei als die Verwendung einer Aluminiumschicht, liegt schließlich auch keine konkrete Aussage der Beklagten, wonach der in der angegriffenen Ausführungsform eingesetzte DBR tatsächlich nur über ein Reflexionsvermögen von 83% verfügt.
  137. Ein solches Bestreiten ist der Beklagten in Anbetracht der ihr obliegenden, prozessualen Wahrheitspflicht gem. § 138 Abs. 1 ZPO auch verwehrt, weil sie an anderer Stelle selbst ausführt, dass sie keine Informationen über die Ausgestaltung und den Aufbau des streitgegenständlichen LED-Chips hat.
  138. b)
    Im Übrigen bestreitet die Beklagte die Klagepatentverletzung mit Nichtwissen. Diese Art von Bestreiten ist im vorliegenden Fall jedoch unzulässig.
  139. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist es einer Elektrofachhändlerin – wie die Beklagte sie darstellt – verwehrt, sich auf ein Bestreiten mit Nichtwissen gem. § 138 Abs. 4 ZPO zurückzuziehen. Die von ihr angebotene und vertriebene angegriffene Ausführungsform befand sich in ihren Händen und war damit Gegenstand ihrer Wahrnehmung. Die Beklagte traf insoweit eine Erkundigungs- und Informationspflichten hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung des Leuchtstoffes, der in dem Mobiltelefon verarbeitet war.
  140. Entschieden wurde dies bereits für Fälle, in denen der Händler in Besitz der angegriffenen Ausführungsform war, und ihm zugemutet wird, die im zur Verfügung stehenden Mittel zur Kenntnisnahme der relevanten Tatsachen zu nutzen. Dies beinhaltet für eine Partei, die über keine erforderliche, fachliche Ausstattung und/oder den erforderlichen Sachverstand zu einer eigenen Untersuchung und chemisch/physikalischen Analyse verfügt, auch grundsätzlich die Pflicht, Untersuchungen durch einen fachkundigen Dritten vornehmen zu lassen (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 102028, Rn. 94; Urteil v. 8. Dezember 2016, Az. I-2 U 6/13, Rn. 148; BeckRS 2014, 5732). Nur besondere Umstände des Einzelfalles wie z.B. eine mangende finanzielle Mittel zur Beauftragung eines Dritten können eine solche Pflicht entfallen lassen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Für letzteres bestehen im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte.
  141. Hier verhält es sich auch nicht deshalb anders, weil die Beklagte vorgetragen hat, dass sie seit Januar 2019 nicht mehr über die angegriffene Ausführungsform im Sortiment verfügt. Denn es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Beklagte keine Gelegenheit hatte, die angegriffene Ausführungsform nicht mehr von der Streithelferin für eine Untersuchung zu erhalten oder anderweitig am Markt zu beschaffen (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 5732). Selbst wenn die Streithelferin ihr kein Exemplar zur Verfügung hätte stellen können, standen der Beklagten konkret andere Möglichkeiten offen. Die Klägerin hat dargelegt, dass die angegriffene Ausführungsform noch am Markt erhältlich war (vgl. Anlage LL 13). Daneben hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass sie die angegriffene Ausführungsform über K oder L hätte erwerben können. Erschwerend tritt hinzu, dass ihr seitens der Klägerin bereits vor der Replik die Möglichkeit eröffnet worden ist, Untersuchungen an der angegriffenen Ausführungsform vorzunehmen und ihr zu diesem Zweck entnommene LEDs zu überlassen. Davon hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die patentgemäße Lehre im ersten Zugriff eine Technik betrifft, die abseits von den klassischen Standardfunktionen eines Mobiltelefons liegt. Abgesehen davon, dass es sich bei der Beklagten um eine Elektronikfachhändlerin handelt, der generell bewusst ist, dass Produkte gerade in diesem technischen Bereich eine hohe Patentdichte aufweisen, ist ihr jedenfalls seit Beginn dieses Rechtsstreits der Verletzungsvorwurf bekannt und sie hat dennoch davon abgesehen, eigene Untersuchungen und Analysen der angegrifffenen Ausführungsform vorzunehmen. Schließlich verfängt auch der Einwand nicht, dass im Hinblick auf die Vertriebskette die Beklagte die Abnehmerin mit der maximal möglichen Entfernung zur Patentverletzung darstellt. Dem Patentinhaber steht es frei, welchen Abnehmer er in Anspruch nimmt. Im zur Entscheidung stehenden Fall ist erschwerend zu berücksichtigen, dass die Klägerin das von der Beklagten angeführte Informationsgefälle mit dem Angebot der Analyse der angegriffenen Ausführungsform sogar ausgeglichen und ihr die Verteidigung in diesem Punkt erleichtert hat, die Beklagte aber dennoch auf diese Möglichkeit verzichtet hat.
  142. III.
  143. Aufgrund der Patentverletzung ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.
  144. 1.
    Gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG ist die Beklagte der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet.
  145. Die Beklagte zu 1) verletzt durch das Anbieten und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland das Klagepatent, § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Mangels Abgabe einer Unterlassungserklärung besteht weiterhin eine Wiederholungsgefahr.
  146. 2.
    Des Weiteren hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG).
  147. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.
  148. Im Grundsatz hat sich jeder Gewerbetreibende vor Aufnahme einer Benutzungshandlung etwaiger entgegenstehender gewerblicher Schutzrechte zu vergewissern, so dass aus dem Vorliegen einer rechtswidrigen Benutzung des Patents in aller Regel auf Verschulden im Sinne von fahrlässigen Verhalten geschlossen werden kann. Dies wird auch von einem reinen Handelsunternehmen verlangt, das auf technische Gegenstände einer bestimmten Art und Gattung spezialisiert ist (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 102028, Rn. 127; Urteil v. 8. Dezember 2016, Az.: I-2 U 6/13, Rn. 148). Es kann dahinstehen, ob die Beklagte als Sortimenter gilt, zu deren Vertriebsprogramm eine große Vielzahl unterschiedlichster Produkte gehört, wenn es sich bei dem technischen Gegenstand aufdrängen muss, dass technische Schutzrechte betroffen sind. Sofern die Warengattung die Möglichkeit eines Patentschutzes nahelegt, hat sich das Unternehmen jedenfalls bei seinem Lieferanten oder Hersteller danach zu erkundigen, ob die Schutzrechtslage für das Vertriebsgebiet fachkundig geprüft worden ist, wobei eine pauschale Bezugnahme in AGBs nicht genügt, sondern eine konkrete Zusicherung auf Nachfrage erforderlich ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 8. Dezember 2016, I-2 U 6/13, Rn. 179).
  149. Ein Mobiltelefon stellt ein solches technisches Erzeugnis dar, bei dem mittlerweile schon fast allgemein bekannt ist, dass eine im Vergleich zu anderen Produkten erheblich größere Anzahl von Patenten auf ihm lastet. Sofern sich die Beklagte darauf beruft, dass die Verwendung einer geschützten LED-Technologie eher ein entfernteres Patent darstellt und es aufgrund der Vielzahl von Patenten für die Beklagte unmöglich sei, eine Prüfung durchzuführen, spricht dies erst recht dafür, dass sie sich von ihren Lieferanten konkret zusichern lassen muss, dass diese ihrerseits eine entsprechende Prüfung vorgenommen haben. Um ihrer deliktischen Verantwortung im Außenverhältnis zu entgehen, genügt jedoch nicht ihre Exkulpation im Innenverhältnis zu ihrem Lieferanten. Nichts anderes ergibt sich aber nur aus den Anlagen B3 und B4, wo es in der Klausel „Schutzrechte“ heißt:
  150. „Der Lieferant steht dafür ein, dass durch den Vertrieb und das Inverkehrbringen der Lieferung/Leistung keine Rechte Dritter, insbesondere keine gewerblichen Schutzrechte, Patente, Markenrechte, Gebrauchsmuster, selektive Vertriebsbedingungen etc. verletzt oder beeinträchtigt werden.
  151. Der Lieferant wird uns von allen Ansprüchen Dritter, die Rechtsverletzungen der zuvor erwähnten Art rügen, auf erstes schriftliches Anfordern freistellen.[…]“
  152. Aus diesem Passus ergibt sich nicht, dass die Beklagte ihre Lieferanten dazu aufgefordert hat, die entsprechenden Prüfungen vorzunehmen und dies ausdrücklich zu bestätigen. Die pauschale Behauptung der Beklagten, die Streithelferin hätte dies getan und entsprechend bestätigt, genügt insoweit nicht. Vielmehr liegt hier eine im normalen Geschäftsleben übliche gewählte Regresskonstruktion vor, die durch die Freistellung letztlich das Haftungsrisiko an den Beginn der Vertriebskette zurückverlagert. Eine solche allgemeine Haftungsfreistellungsklausel reicht hingegen für den Nachweis einer ernsthaften, sorgfältigen und sachkundigen Prüfung nicht aus (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2017, 102028, Rn. 127). Dass die in der angegriffenen Ausführungsform verbauten LED von einem namhaften Hersteller stammten – wobei die Beklagte nicht exakt ausführt um welches Unternehmen es sich konkret handelt -, ist im vorliegenden Fall irrelevant. So hat die Beklagte das angegriffene Mobiltelefon ja gerade nicht von einem LED-Hersteller erworben, sondern vielmehr über mehrere Zwischenhändler. Die Anforderungen an die eigene Prüfungspflicht ist in einer solchen Situation nicht gesenkt, sondern aufgrund der Vielzahl und Unübersichtlichkeit der Schutzrechtslage – wie sie die Beklagte zuvor selbst angeführt hat – gerade erhöht.
  153. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
  154. 3.
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 3 PatG.
  155. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren festgestellten Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rechnungslegung im begehrten Umfang aus §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  156. 4.
    Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückruf der schutzrechtsverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 3 PatG.
  157. Zum einen hat die Klägerin vorgetragen, dass die Beklagte ihr Sortiment gezielt auch gewerblichen Endkunden anbietet, indem auf ihrer Homepage die Variante „geschäftlich“ gewählt werden kann und die Beklagte dort an anderer Stelle auf mehr als vier Millionen Geschäftskunden verweist. Zum anderen hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass einzelne Lieferungen von der Beklagten an Konzerngesellschaften erfolgt sind, wobei dies ohne Ausnahme in direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Auslieferung an den Endkunden geschehen ist. Ob der Endkunde privat oder gewerblich war, lässt sich der Aussage hingegen nicht entnehmen, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass sich noch Telefone in den Vertriebswegen befinden. Warum das bei XXX vertriebenen Mobiltelefonen zwingend der Fall sein soll, erläutert die Beklagte nicht. Dass Mobiltelefone ausschließlich privat genutzt werden, ist keine allgemeingültige Aussage und wird bereits dadurch widerlegt, dass zahlreiche Unternehmen für bestimmte Abteilungen oder auch Kanzleien für ihre Anwälte Geschäftstelefone anschaffen.
  158. Der Anspruch ist ferner nicht nach § 140a Abs. 4 PatG ausgeschlossen, da eine Unverhältnismäßigkeit weder vorgetragen noch ersichtlich ist. Gerade der Umstand, dass nur XXX Mobiltelefone vertrieben worden sind, spricht gegen eine Unverhältnismäßigkeit des Rückrufs.
  159. 5.
    Indes hat die Klägerin keinen Anspruch auf Vernichtung der streitgegenständlichen Erzeugnisse aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 1 PatG gegen die Beklagte.
  160. Die Beklagte hat substantiiert dargelegt, dass sie am Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr über Besitz und Eigentum der angegriffenen Ausführungsform verfügt. So führt sie seit Januar 2019 die angegriffene Ausführungsform nicht mehr in ihrem Sortiment. Die XXX bezogenen Mobiltelefone hat sie allesamt vertrieben. Sofern die Beklagte zunächst XXX Telefone angegeben hat, hat sie ihren Vortrag entsprechend korrigiert. Angesichts des erheblichen Vortrags der Beklagten, ist es nunmehr Aufgabe der Klägerin konkrete Tatsachen darzutun, die den Vortrag der Beklagten erschüttern (vgl. LG Düsseldorf, InstGE 13, 1 – Escitalopram-Besitz). Dem ist die Klägerin nicht nachgekommen. Angesichts des Umstandes, dass sie selbst im Dezember 2019 nur noch ein gebrauchtes Exemplar der angegriffenen Ausführungsform am Markt und nicht mehr – auch nicht durch einen Dritten – bei der Beklagten erwerben konnte, bestehen vielmehr keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte entgegen ihrer eigenen Aussage – die wiederum dem § 138 Abs. 1 ZPO genügen muss – derzeit noch entsprechende Telefone im Besitz oder Eigentum hat.
  161. IV.
    Der Beklagten war kein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz vom 7. September 2020 zu gewähren, § 283 ZPO. Nach Hinweis des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung, dass bislang keine Erklärung der Beklagten im Verfahren vorliege, dass ein bestimmtes Anspruchsmerkmal von der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht sei, hat die Beklagte ihre Auffassung erläutert, wonach sie die Verwirklichung des Merkmals 1.3.1 bestritten habe, und hat umfangreich hierzu vorgetragen. Die Beklagte hat rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung erhalten und war in der Lage sich ausführlich zu dem Vorbringen des Gegners aus dem Schriftsatz vom 7. September 2020 auch und gerade im Hinblick auf die Simulationen zum Reflexionsvermögen zu äußern.
  162. V.
    Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO, wobei auf Antrag Teilsicherheiten auszusprechen waren (vgl. § 108 ZPO)

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