4b O 15/19 – Steuervorrichtung für Motorfahrzeuge

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3073

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 22. Oktober 2020, Az. 4b O 15/19

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin macht gegen die Beklagten als im Patentregister eingetragene Inhaberin (vgl. Registerauszug vom 08.02.2019, Anlage HE-A 2) auf die Verletzung des deutschen Teils (601 05 XXX.2) des europäischen Patents 1 XXX 791 (im Folgenden: Klagepatent) gestützte Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend.
  6. Das am 30.05.2001 in englischer Verfahrenssprache angemeldete Klagepatent nimmt eine schwedische Priorität (SE 0002XXX-1) vom 30.05.2000 in Anspruch. Die Offenlegung der Anmeldung des Klagepatents datiert vom 06.12.2001, die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung vom 08.09.2004.
  7. Das Klagepatent hat eine „Steuerungsanordnung eines Motorfahrzeugs und Schaltgetriebes“ zum Gegenstand. Der englische Originalwortlaut des hier maßgeblich interessierenden Klagepatentanspruchs 1 lautet wie folgt:
  8. „ Control device, of a motor vehicle having an automated multi-stage gearbox coupled between an engine and wheels of the motor vehicle,
  9. – said multi-stage gearbox comprising:
  10. – an input shaft (7) coupled to said engine and an output shaft (34) coupled to said wheels and mounted rotatably in a casing (8),
  11. – at least one intermediate shaft (11) which is mounted in the casing and has at least one gear wheel (16) in engagement with a gear wheel (12) on the input shaft,
  12. – a main shaft (10), mounted in the casing, with gear wheels (15, 21, 22, 23) which engage with gear wheels (17, 18, 19, 20) on the intermediate shaft,
  13. – at least one gear wheel in each pair of mutually engaging gear wheels on the intermediate shaft and the main shaft being mounted rotatably on its shaft and being lockable on its shaft by engaging means (13, 24, 25),
  14. – said control device comprising:
  15. – operating means (40) which interact with said engaging means
  16. – a control unit (45) to control said operating means (40) depending on signals fed into the control unit representing various engine data and vehicle data which comprise at least engine speed, vehicle speed and throttle pedal position,
  17. characterized in that
  18. – said control unit (45) is arranged so as, in the event of input signals representing zero throttle, to give an output signal to said operating means (40) to put a currently engaged synchronized gears in the neutral position so as to realise a freewheel function when torque transmission takes place from the wheels to the engine, and so as, when the throttle is subsequently opened, to give the operation means (40) a signal to re-engage said synchronized gear into its previous engagement position when the engine has reached a speed suitable for the synchronizing procedure.“
  19. Klagepatentanspruch 1 kann wie folgt übersetzt werden (die Übersetzung orientiert sich an der in der Originalpatentschrift nach Anlage HE-A 1 enthaltenen Übersetzung, soweit die Parteien jedoch einheitlich eine abweichende Übersetzung vornehmen, wird diese zugrunde gelegt):
  20. „Steuervorrichtung eines Motorfahrzeugs, das ein automatisches Mehrstufengetriebe besitzt, welches zwischen einem Motor und Rädern des Motorfahrzeugs gekoppelt ist, wobei das Mehrstufengetriebe aufweist:
  21. – eine mit dem Motor gekoppelte Antriebswelle (7) und eine mit den Rädern gekoppelte und in einem Gehäuse (8) drehbar montierte Abtriebswelle (34),
  22. – zumindest eine Zwischenwelle (11), die in dem Gehäuse montiert ist und zumindest ein Zahnrad (16) besitzt, das mit dem Zahnrad (12) an der Antriebswelle kämmt,
  23. – eine in dem Gehäuse montierte Hauptwelle (10) mit Zahnrädern (15, 21, 22, 23), die mit Zahnrädern (17, 18, 19, 20) an der Vorgelegewelle kämmen,
  24. – wobei zumindest ein Zahnrad in jedem Paar miteinander kämmender Zahnräder an der Vorgelegewelle und der Hauptwelle drehbar an seiner Welle montiert ist und an seiner Welle durch Eingriffsmittel (13, 24, 25) verriegelbar ist,
  25. – wobei eine Steuervorrichtung aufweist:
  26. – Betätigungsmittel (40), die mit den Eingriffsmitteln zusammenwirken, und
  27. – eine Steuereinheit (45) zum Steuern der Betätigungsmittel (40) in Abhängigkeit von in die Steuereinheit zugeführten Signalen, welche verschiedene Motordaten und Fahrzeugdaten darstellen, die zumindest die Motordrehzahl, die Fahrzeuggeschwindigkeit und die Gaspedalposition umfassen,
  28. dadurch gekennzeichnet, dass
  29. – die Steuereinheit (5) derart angeordnet ist, um im Falle von Eingabesignalen, die ein Nullgas darstellen, ein Ausgabesignal zu den Betätigungsmitteln (40) zu geben, um gegenwärtig kämmende, synchronisierte Zahnräder in die Leerlaufposition zu setzen, um eine Freiradfunktion zu verwirklichen, wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfindet, und
  30. – um, wenn die Drossel anschließend geöffnet wird, den Betätigungsmitteln (40) ein Signal zu geben, das synchronisierte Zahnrad wieder in seine vorherige Kämmposition zu setzen, wenn der Motor eine für den Synchronisierungsvorgang geeignete Drehzahl hat.“
  31. Wegen des Wortlauts der hier in Form von „Insbesondere-Anträgen“ geltend gemachten Unteransprüche 3 und 6 wird auf die Klagepatentbeschreibung im englischen Original (HE-A 1) sowie auf die T2-Schrift (Anlage HE-A 3) verwiesen.
  32. Nachfolgend (verkleinert) wiedergegebene Figur 2 der Klagepatentbeschreibung zeigt Kupplung und Getriebe eines Ausführungsbeispiels:
  33. Gegen das Klagepatent ist eine von der A mit Klageschrift vom 15.10.2019 (Anlage B (A) 2) erhobene Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht anhängig. Eine Entscheidung der Nichtigkeitsklage steht noch aus. Das Klagepatent steht in Kraft.
  34. Die Beklagte zu 1), die zur schwedischen B gehört, vertreibt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unter anderem LKW und bietet diese über ihre deutschsprachige Webseite, abrufbar unter der Adresse C, an. Die Beklagte zu 2) verkauft und vermietet LKW im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und bietet Reparaturdienstleistungen für diese an.
  35. Die Beklagten vertreiben unter anderem LKW, die mit einem sog. „D“ ausgestattet sind und die sog. „E“-Freilauffunktionalität aufweisen. Letztere wird jedenfalls für die Serien „F“, „G“ und „H“, und hier insbesondere bei den folgenden Baureihen:
  36. eingesetzt (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). In der angegriffenen Ausführungsform kommen die folgenden Getriebe zum Einsatz (nachfolgend nach ihrem Typ bezeichnet):
  37. XX,
    XX,
    XX,
    XX,
    XX oder
    XX.
  38. Abbildungen der näher bezeichneten Getriebe sind als Anlagen HE-A 5 bis HE-A 8 Aktenbestandteil.
  39. Die Klägerin legt ihrem Verletzungsvorbringen beispielhaft die beiden von ihr in den Jahren 2014 und 2017 untersuchten LKW (Typ (1): G410 und Typ (2): S500), die mit der „I-“ und der E-Funktionalität ausgestattet waren, zugrunde. In den LKW befanden sich jeweils Getriebe mit der Bezeichnung „XX“ bzw. „XX R“, die näheren technischen Spezifikationen der jeweiligen Getriebe gehen aus den als Anlage HE-A 9 (auszugsweise deutsche Übersetzung: Anlage HE-A 9.1) und den als Anlage HE-A 10 (auszugsweise deutsche Übersetzung: Anlage HE-A 10.1) vorgelegten technischen Datenblättern hervor.
  40. Die näher bezeichneten Getriebe sind ausweislich nachfolgend wiedergegebener, von den Beklagten stammender Explosionszeichnung (entnommen Anlage HE-A 11),
  41. ,
  42. derart aufgebaut, dass 16 Gänge (14 Vorwärts- und 2 Rückwärtsgänge) vorhanden sind. Eine automatische Schaltung des Getriebes ist wahlweise möglich. Wellen und Zahnräder sind in dem Getriebe wie folgt angeordnet (Zeichnung ebenfalls Anlage HE-A 11 entnommen), wobei die an die Figuren 1 und 2 des Klagepatents angelehnten Bezugsziffern durch die Klägerin ergänzt worden sind. Die hier mit Bezugszeichen wiedergegebene Abbildung entspricht Anlage HE-A 14 GA, mit ihrer Wiedergabe ist noch keine Aussage zur Merkmalsverwirklichung verbunden:
  43. Über axial verschiebbare Eingriffsmuffen (von der Klägerin in vorheriger Abbildung mit den Bezugszeichen 13, 24, 25 und 26 bezeichnet) kann ein Zahnrad (Bezugszeichen: 15, 21, 22, 23) mit der Hauptwelle (Bezugszeichen 10) derart in Verbindung gebracht werden, dass sich das Zahnrad mit der Welle mit dreht. Bei Lösen der Eingriffsmuffe können Zahnrad und Welle sich hingegen relativ zueinander drehen. Um die unterschiedlichen Zustände einzunehmen, wirken die Eingriffsmuffen mit den (in der vorherigen Abbildung) als 13a – 13c bezeichneten Bauteilen im Ventilblock V111 bzw. V112 (mit Magnetventilen) zusammen. Der Ventilblock V112 wird durch eine Steuereinheit in Abhängigkeit zu dieser zugeführten Signalen gesteuert.
  44. Das Versetzen des Fahrzeugs in den Leerlauf durch die „E-Funktion“ geschieht derart, dass ein Zahnrad in einen „neutralen“ Zustand versetzt wird. Eine Drehmomentübertragung zwischen Motor und Getriebe findet dann nicht mehr statt.
  45. Die Entscheidung darüber, ob die Freilauffunktion aktiviert wird oder nicht, wird bei der „E-Funktion“ auf der Grundlage einer Simulation der Fahrzeuggeschwindigkeit unter Berücksichtigung des zukünftigen, das heißt vorausliegenden Straßenprofils getroffen. Die Informationen zu dem Straßenprofil werden dabei durch einen Abgleich von hinterlegten Landkarteninformationen mit der aktuellen, über GPS ermittelten Fahrzeugposition gewonnen. Für die Entscheidung, ob der Freilauf über die „E-Funktion“ aktiviert wird, werden simulierte, zukünftige Geschwindigkeitsprofile mit bestimmten Geschwindigkeitsgrenzwerten über einen Zeitraum von etwa 1 – 1,5 Minuten verglichen. Sofern die simulierten Geschwindigkeitsprofile innerhalb bestimmter Geschwindigkeitsgrenzwerte liegen, ergeht eine Anforderung, den Freilauf zu aktiveren, andernfalls nicht, bzw. wird angefordert, einen eventuell bereits aktivierten Freilauf zu deaktivieren.
  46. Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  47. Eingabesignale in Form eines „Nullgases“ würden klagepatentgemäß dann vorliegen, wenn der Fahrer oder die Geschwindigkeitsregelung keinen Kraftstoff anfordere. Das Klagepatent lege nicht fest, wie und innerhalb welchen zeitlichen Rahmens nach Erhalt eines solchen Signals ein Ausgabesignal gesendet werde.
  48. Insbesondere könne dem Klagepatent nicht entnommen werden, dass die Steuereinrichtung sofort und allein aufgrund eines Eingabesignals in Form eines Nullgases den Freilauf einleite, das heißt die Freilauffunktion immer eingeleitet werde, wenn die Steuereinheit das „Nullgas“-Eingabesignal erhalte. Das Klagepatent lasse vielmehr zu, dass zwischen dem Eingang der Signale, die ein Nullgas repräsentieren, und dem Geben des Ausgabesignals Zwischenschritte stattfinden.
  49. Im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform sei für eine Verletzung des Klagepatents ausreichend, dass diese während einer Fahrsituation, in der kein Gas angefordert werde („Nullgas“) und das Fahrzeug in Bewegung sei, den Freilauf aktivieren könne.
  50. Schließlich deaktiviere die angegriffene Ausführungsform die „E-Funktion“ auch in der klagepatentgemäß vorgesehenen Art und Weise.
  51. Die Klägerin ist zudem der Auffassung, das Klagepatent sei rechtsbeständig.
  52. Die Klägerin beantragt,
  53. I. die Beklagten zu verurteilen,
  54. 1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, diese zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen,
  55. eine Steuervorrichtung eines Motorfahrzeugs, das ein automatisches Mehrstufengetriebe besitzt, welches zwischen einem Motor und Rädern des Motofahrzeugs gekoppelt ist,
  56. wobei das Mehrstufengetriebe aufweist:
    eine mit dem Motor gekoppelte Antriebswelle und eine mit den Rädern gekoppelte und in einem Gehäuse drehbar montierte Abtriebswelle,
  57. zumindest eine Zwischenwelle, die in dem Gehäuse montiert ist und zumindest ein Zahnrad besitzt, das mit einem Zahnrad an der Antriebswelle kämmt,
  58. eine in dem Gehäuse montierte Hauptwelle mit Zahnrädern, die mit Zahnrädern an der Zwischenwelle kämmen,
  59. wobei zumindest ein Zahnrad in jedem Paar miteinander kämmender Zahnräder an der Zwischenwelle und der Hauptwelle drehbar an seiner Welle montiert ist und an seiner Welle durch Eingriffsmittel verriegelbar ist,
  60. in Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauch oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,
  61. wobei die Steuervorrichtung aufweist:
    Betätigungsmittel, die mit den Eingriffsmitteln zusammenwirken, und
  62. eine Steuereinheit zum Steuern der Betätigungsmittel in Abhängigkeit von in die Steuereinheit zugeführten Signalen, welche verschiedene Motordaten und Fahrzeugdaten darstellen, die zumindest die Motordrehzahl, die Fahrzeuggeschwindigkeit und die Gaspedalposition umfassen,
  63. wobei die Steuereinheit angeordnet ist, um im Falle von Eingabesignalen, welche ein Nullgas darstellen, ein Ausgabesignal zu den Betätigungsmitteln zu geben, um gegenwärtig kämmende, synchronisierte Zahnräder in die Leerlaufposition zu setzen, um eine Freiradfunktion zu realisieren, wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfindet, und
  64. um, wenn die Drossel anschließend geöffnet wird, den Betätigungsmitteln ein Signal zu geben, das synchronisierte Zahnrad wieder in seine vorherige Kämmposition zu setzen, wenn der Motor eine für den Synchronisiervorgang geeignete Drehzahl erreicht hat;
  65. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 05. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  66. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  67. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  68. c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  69. wobei zum Nachweis der Angaben entsprechende Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürfte Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  70. 3. der Klägerin in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die unter Ziffer I. 1. aufgeführten Handlungen seit dem 05. März 2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
  71. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  72. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  73. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe und Verbreitungszeitraum,
  74. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  75. wobei
  76. – den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer bzw. ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;
  77. – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung in einer mittels EDV auswertbaren elektronischen Form zu übermitteln ist;
  78. 4. die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Gegenstände auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;
  79. 5. die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, im Besitz Dritter, die nicht (private) Endabnehmer sind, befindlichen Erzeugnisse
  80. aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Patentstreitkammer des Landgerichts Düsseldorf (mit Angabe des Datums und des Aktenzeichens des Urteils) auf eine Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 XXX 791 B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, wobei den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung etwaiger Entgelte sowie die Übernahme notwendiger Verpackungs- und Transportkosten sowie der mit der Rückgabe verbundenen Zoll- und Lagerkosten verbindlich zugesagt werden, und die Beklagten die zurückgegebenen Erzeugnisse wieder an sich nehmen;
  81. II. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser in Bezug auf die in Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 5. März 2009 begangenen Handlungen entstanden ist, und noch entstehen wird, wobei sich die Schadensersatzpflicht für die vor dem 1. Januar 2016 begangenen Handlungen auf die Herausgabe dessen beschränkt, was die Beklagten durch die Benutzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 XXX 791 auf Kosten der Klägerin erlangt haben;
  82. III. hilfsweise,
  83. der Klägerin nachzulassen, im Unterliegensfall die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, die auch durch die Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden kann.
  84. Wegen der in Form von „Insbesondere-Anträgen“ gestellten Klageanträge wird auf die Klageschrift (Bl. 3 und Bl. 4 GA) verwiesen.
  85. Die Beklagten beantragen,
  86. die Klage abzuweisen;
  87. Hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen.
  88. Die Beklagten sind der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
  89. Insbesondere verfüge die angegriffenen Ausführungsform über keinen Auslöser für den Freilauf in Form eines „Nullgases“ im Sinne des Klagepatents.
  90. Das Klagepatent betreffe einen spezifischen Algorithmus, der vorgebe, wann die Steuervorrichtung den Freilauf aktiviere. Das ergebe sich unter anderem daraus, dass mit der geschützten Steuervorrichtung die Freilauffunktion einer bekannten Einwegkupplung nachgebildet werden solle. Immer dann, wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfinde, solle die Freilauffunktion durch die Nullgas anzeigenden Signale aktiviert werden. Auch die Wirkung des Motors als Last müsse als Grundbedingung von der anspruchsgemäßen Steuervorrichtung für eine Aktivierung der Freilauffunktion geprüft und bejaht werden.
  91. Der anspruchsgemäße Algorithmus müsse zudem auf Eingabesignalen beruhen, die den Istzustand des Fahrzeugs repräsentieren würden. Zu einem früheren Zeitpunkt gemessene Werte bzw. für einen zukünftigen Zeitpunkt vorhergesagte Werte müssten für den von dem Klagepatent vorgesehenen Steuerungsmechanismus unberücksichtigt bleiben. Die von dem Klagepatent anvisierte Lösung sei rein statisch, es würden nur die aktuellen Werte zum Zeitpunkt t verwendet, um zum gleichen Zeitpunkt zu einer Entscheidung zu gelangen.
  92. Da die Aktivierung der Freilauffunktion bei der angegriffenen Ausführungsform – insoweit unstreitig – auf Simulationen (und nicht auf Eingabesignalen, die den Istzustand des Fahrzeugs wiedergeben) beruhe, liege eine Verletzung des Klagepatents nicht vor.
  93. Die geschützte Steuereinheit müsse zudem immer dann und sobald das Fahrzeug sich vorwärts bewege, ohne dass Gas angefordert werde, den Freilauf aktiveren, und so lange beibehalten, bis wieder Gas angefordert werde.
  94. Auch deaktiviere die angegriffene Ausführungsform den Freilauf nicht in klagepatentgemäß vorgesehener Art und Weise.
  95. Dies erfordere, dass das gelöste Zahnrad nach Beendigung des Freilaufs mit demselben Zahnrad verbunden werde, mit welchem es auch zuvor – das heißt vor dem Lösen von seiner Welle im Zusammenhang mit der Aktivierung der Freilauffunktion – gekämmt habe.
  96. Des Weiteren sei klagepatentgemäß erforderlich, dass ein Algorithmus vorliege, bei welchem der Freilauf beendet werde, sobald sich die Drosselklappe öffne.
  97. Auch würden sich der Rückruf und die Vernichtung der angegriffenen Ausführungsform als unverhältnismäßig erweisen. In diesem Zusammenhang behaupten die Beklagten unter Bezugnahme auf eine Erklärung des Herrn J vom 09.09.2020 (in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2020 überreicht), dass es möglich sei, die in der angegriffenen Ausführungsform befindliche Steuerungssoftware derart zu modifizieren, dass „die von K angegriffenen Steuerungsmerkmale entfernt werden können“.
  98. Die Beklagten erheben zudem den Einwand der Verjährung.
  99. Schließlich sei das Klagepatent mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig.
  100. Entscheidungsgründe
  101. Die zulässige Klage ist unbegründet.
  102. Der Klägerin stehen die gem. Art. 64 Abs. 1, 3 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1, 2, § 140a Abs. 1, 3, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach nicht zu. Denn die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
  103. I.
    Gegenstand der vorliegenden Erfindung ist eine Steuervorrichtung eines Motorfahrzeugs, das mit einem automatischen Mehrstufengetriebe ausgestattet ist, das zwischen einem Motor und Rädern des Motorfahrzeugs gekoppelt ist (Abs. [0001] der T2-Schrift des Klagepatents; Abschnitte ohne Bezeichnung sind im Folgenden solche der T2-Schrift des Klagepatents). Solche automatischen Mehrstufengetriebe seien, so das Klagepatent, vorbekannt und würden zunehmend in Schwerlastfahrzeugen eingesetzt (Abs. [0002]). Bei diesen würden ein Steuercomputer und eine Anzahl von Aktoren, beispielsweise Servomotoren, verwendet, um die Motordrehzahl, das Eingreifen und Lösen (Ein- und Auskuppeln) einer Scheibenkupplung zwischen dem Motor und dem Getriebe und auf die Betätigungsmittel des Getriebes in Bezug zueinander mit Genauigkeit zu regeln, so dass stets ein sanftes Schalten bei der korrekten Motordrehzahl erzielt werde (Abs. [0002]).
  104. Das Klagepatent grenzt einleitend diese (vorbekannten) automatischen Mehrstufengetriebe zu herkömmlichen Automatikgetrieben ab, die mit Planetengetriebestufen und mit einem hydrodynamischen Drehmomentwandler auf der Abtriebsseite aufgebaut seien (Abs. [0002]). Die Vorteile automatischer Mehrstufengetriebe gegenüber den herkömmlichen Automatikgetrieben bei der Verwendung in Schwerlastfahrzeugen verortet das Klagepatent einerseits darin, dass die Mehrstufengetriebe einfacher und robuster seien, und beträchtlich geringere Herstellungskosten verursachen würden, und andererseits darin, dass sie eine größere Effizienz besitzen würden, mithin ein niedrigerer Kraftstoffverbrauch möglich sei (Abs. [0002]).
  105. Sodann nimmt das Klagepatent die Art und Weise in Betracht, wie bei den aus Planetenrädern aufgebauten Automatikgetrieben die Freilauffunktion (Freiradfunktion) umgesetzt wird, das heißt der Zustand, in dem der Kraftübertragungsweg zwischen Motor und Antriebsrädern unterbrochen wird. Hierfür besitze das Automatikgetriebe mit Planetenrädern üblicherweise Betätigungsmittel zwischen den Planetenradstufen, die, wenn der Motor in der Automatikgetriebeposition laufe, zur Drehmomentübertragung vom Motor zu den Rädern verriegeln würden, die jedoch bei einer Drehmomentübertragung in entgegengesetzter Richtung, bei der die Motorbremse aktiviert sei und kinetische Energie durch Reibungsverluste abgebaut werde, lösen würden (Abs. [0003]). Werde das Fahrzeug in diese Freilauffunktion versetzt, könne es ohne Motorbremse rollen, was den Kraftstoffverbrauch durch Nutzen der Bewegungsenergie des Fahrzeuges verringere (Abs. [0003]). Bei den vorbekannten automatischen Mehrstufengetrieben habe die Freilauffunktion (Freiradfunktion) jedoch nur durch manuelles Lösen der Scheibenkupplung zwischen dem Motor und dem Getriebe bewirkt werden können (Abs. [0003]).
  106. Den dargestellten Stand der Technik berücksichtigend macht es sich das Klagepatent in Übereinstimmung mit der Aufgabenbeschreibung in Abschnitt [0004] zur objektiven Aufgabe (technisches Problem) eine Steuervorrichtung mit einem automatischen Mehrstufengetriebe bereitzustellen, bei welchem eine automatische Freilauffunktion entsprechend derjenigen in den herkömmlichen Automatikgetrieben mit Planetenradstufen und ausgekuppelt laufender Kupplung erzielt werden kann. In diesem Zusammenhang geht es dem Klagepatent darum, den Vorgang, durch welchen die Drehmomentübertragung von dem Motor auf das Getriebe erfolgt, von dem manuellen Entkoppeln einer Scheibenkupplung (Abs. [0003] a. E.) zu automatisieren, so dass es auf eben einen solchen manuellen Vorgang nicht ankommt (Abs. [0004]).
  107. Diese Aufgabe wird durch eine Steuervorrichtung mit den folgenden Merkmalen umgesetzt:
  108. M1 Steuervorrichtung eines Motorfahrzeugs, das ein automatisches Mehrstufengetriebe besitzt, welches zwischen einem Motor und Rädern des Motorfahrzeugs gekoppelt ist,
  109. wobei das Mehrstufengetriebe aufweist:
  110. M2 eine mit dem Motor gekoppelte Antriebswelle (7) und eine mit den Rädern gekoppelte und in einem Gehäuse (8) drehbar montierte Abtriebswelle (34),
  111. M3 zumindest eine Zwischenwelle (11), die in dem Gehäuse montiert ist und zumindest ein Zahnrad (16) besitzt, das mit einem Zahnrad (12) an der Antriebswelle kämmt,
  112. M4 eine in dem Gehäuse montierte Hauptwelle (10) mit Zahnrädern (15, 21, 22, 23), die mit Zahnrädern (17, 18, 19, 20) an der Zwischenwelle kämmen,
  113. M5 wobei zumindest ein Zahnrad in jedem Paar miteinander kämmender Zahnräder an der Zwischenwelle und der Hauptwelle drehbar an seiner Welle montiert ist und an seiner Welle durch Eingriffsmittel (13, 24, 25) verriegelbar ist,
  114. wobei die Steuervorrichtung aufweist:
  115. M6 Betätigungsmittel (40), die mit den Eingriffsmitteln zusammenwirken, und
  116. M7 eine Steuereinheit (45) zum Steuern der Betätigungsmittel (40) in Abhängigkeit von in die Steuereinheit zugeführten Signalen, welche verschiedene Motordaten und Fahrzeugdaten darstellen, die zumindest die Motordrehzahl, die Fahrzeuggeschwindigkeit und die Gaspedalposition umfassen,
  117. dadurch gekennzeichnet, dass
  118. M8 die Steuereinheit (5) derart angeordnet ist, um im Falle von Eingabesignalen, welche ein Nullgas darstellen, ein Ausgabesignal zu den Betätigungsmitteln (40) zu geben, um gegenwärtig kämmende, synchronisierte Zahnräder in die Leerlaufposition zu setzen, um eine Freilauffunktion zu realisieren, wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfindet, und
  119. M9 um, wenn die Drossel anschließend geöffnet wird, den Betätigungsmitteln (40) ein Signal zu geben, das synchronisierte Zahnrad wieder in seine vorherige Kämmposition zu setzen, wenn der Motor eine für den Synchronisationsvorgang geeignete Drehzahl erreicht hat.
  120. II.
    Die Steuereinheit der angegriffenen Ausführungsform ist nicht angeordnet, um – wie Merkmal 8 der geschützten Lehre dies vorsieht – im Falle von Eingabesignalen, die ein Nullgas darstellen, ein Ausgabesignal zu den Betätigungsmitteln zu geben, um ein gegenwärtig kämmendes synchronisiertes Zahnrad in die Leerlaufposition zu setzen, und so eine Freilauffunktion zu realisieren, wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfindet.
  121. 1.
    Das Verständnis von Merkmal 8,
  122. die Steuereinheit (5) ist derart angeordnet, um im Falle von Eingabesignalen, welche ein Nullgas darstellen, ein Ausgabesignal zu den Betätigungsmitteln (40) zu geben, um gegenwärtig kämmende, synchronisierte Zahnräder in die Leerlaufposition zu setzen, um eine Freiradfunktion zu verwirklichen, wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfindet“ (deutsche Übersetzung),
  123. „said control unit (45) ist arranged so as, in the event of input signals representing zero throttle, to give an output signal to said operating means (40) to put a currently engaged synchronized gears in the neutral position so as to realise a freewheel function when torque transmission takes place from the wheels to the engine“ (englische Originalfassung),
  124. stellt sich wie folgt dar:
  125. a)
    Der klagepatentgemäß angestrebte Erfolg, die manuelle Betätigung der Kupplung bei Bedarf für eine Freilauffunktion entbehrlich zu machen (Abs. [0003], Abs. [0004], Abs. [0006]), wird nach der Vorstellung des Klagepatents dadurch umgesetzt, dass – alternativ zum manuellen Betätigen einer Kupplung – ein synchronisiertes Zahnrad in eine Leerlaufposition versetzt wird (Abs. [0006]). Auf diese Art und Weise wird eine Drehmomentübertragung zwischen Motor und Rädern des Motorfahrzeugs alternativ zum Auskuppeln der Scheibenkupplung verhindert.
  126. Das Klagepatent kennt in diesem Zusammenhang zwei Zustände, die das Zahnrad im Verhältnis zu der Welle, auf der es sich befindet, einnehmen kann. Während das jeweilige Zahnrad in dem verriegelten Zustand drehfest mit der Welle verbunden ist, und das Drehmoment auf das synchronisierte Zahnrad übertragen wird, ist das Zahnrad im gelösten Zustand von der Drehbewegung der Welle entkoppelt (Abs. [0007]). In letzterem Zustand ist die Freilauffunktion umgesetzt, das heißt es findet keine Kraftübertragung von dem Motor auf die Räder oder umgekehrt statt. Der Anspruchswortlaut greift diese beiden Zustände in Merkmal 5 auf, wenn davon die Rede ist, dass mindestens ein Zahnrad „drehbar“ an seiner Welle montiert ist, und an dieser „verriegelbar“ ist. Die beiden Zustände werden klagepatentgemäß durch Eingriffsmittel herbeigeführt, die – wie Merkmal 5 weiter lehrt – auf das jeweilige Zahnrad einwirken, um eine Zustandsänderung herbeizuführen.
  127. Auf eben diese Eingriffsmittel nimmt die geschützte Steuervorrichtung Einfluss, indem – wie Merkmal 6 erhellt – die Eingriffsmittel des Mehrstufengetriebes mit Betätigungsmitteln der Steuervorrichtung zusammenwirken.
  128. b)
    Die Art und Weise des Zusammenwirkens zwischen Betätigungsmitteln der Steuervorrichtung einerseits und den Eingriffsmitteln des Mehrstufengetriebes andererseits geschieht auf der Grundlage von Signalen, die die Steuereinheit erhält und über ihre Betätigungsmittel an die Eingriffsmittel des Mehrstufengetriebes weitergibt, die geschützte Lehre sieht mithin Datenverarbeitungsprozesse zur Aktivierung und Deaktivierung der Freilauffunktion vor (Abs. [0014], [0015], Hervorhebung diesseits: „die Steuereinheit 45 ist programmiert“; in der englischen Originalfassung Abs. [0015], [0016], Hervorhebung diesseits: „the control unit 45 is programmed“). Eben diesen Prozess konkretisieren die Merkmale 8 und 9 der geschützten Vorrichtung und in eben diesen Merkmalen erfährt die klagepatentgemäß angestrebte Aufgabe, eine manuell zu betätigende Kupplung zur Aktivierung/ Deaktivierung einer Freilauffunktion zu ersetzen, eine Umsetzung.
  129. aa)
    Der Steuerungsmechanismus, den das Klagepatent zur Aktivierung des Freilaufs (durch Entriegeln eines kämmenden Zahnrades) vor Augen hat, sieht nach dem für das Verständnis der geschützten Lehre gem. Art. 69 Abs. 1 Satz 1 EPÜ maßgeblichen Anspruchswortlaut vor, dass die Steuereinheit „Eingabesignale, welche ein Nullgas darstellen“ (im englischen Originalwortlaut: „input signals, representing zero throttle“), erhält.
  130. Die Klagepatentbeschreibung, die gem. Art. 69 Abs. 1 Satz 2 EPÜ neben den Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen ist, enthält in Abschnitt [0014] eigens eine Definition eines Nullgases, die wie folgt lautet:
  131. „(…), wenn der Fahrer oder die Geschwindigkeitsregelung weder Kraftstoff [fordern] (Nullgas) (…).“,
  132. „(…) when the driver or the cruise control no longer requests either any fuel (zero throttle) (…).“ (Abs. [0015] der englischen Originalversion, Anlage HE-A 1).
  133. Der Regelungsmechanismus verlangt mithin technische Daten, die von einer Messgröße oder einem Zustand abgeleitet sind, und denen sich eine Information darüber entnehmen lässt, dass kein Kraftstoff abgerufen wird. Dabei macht bereits die Wendung „ein Nullgas darstellen“ (im englischen Originalwortlaut: „representing zero throttle“) deutlich, dass das Signal selbst nicht unmittelbar für ein Nullgas steht, sondern es sich um andere Motor- und Fahrzeugdaten im Sinne des Merkmals 7 handeln kann, die als ein Nullgas interpretiert werden.
  134. Die Definition benennt zunächst den „klassischen“ Fall, der dafürsteht, dass Kraftstoff nicht angefordert wird, nämlich denjenigen, in welchem der Fahrer das Gaspedal nicht betätigt. Als weitere Messgröße in diesem Zusammenhang kommt weiter auch die Stellung der Drosselklappe (geschlossen) in Betracht. Definitionsgemäß erfolgt sodann eine Erweiterung auf solche Fälle, in denen die Kraftstoffanforderung durch eine elektronische Einheit (Geschwindigkeitsregelung) ausbleibt. Damit löst sich das Klagepatent von der typischen Situation, aus der sich ergibt, dass kein Kraftstoffbedarf vorliegt, und unterstreicht so die bereits im Anspruchswortlaut angelegte Abstraktion („Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen“; im englischen Originalwortlaut „representing a zero throttle“). Denn auch die Geschwindigkeitsregelung (insbesondere ein Tempomat) fordert nicht unmittelbar Kraftstoff an, sondern leitet aus einem Vergleich von Ist- und Soll-Geschwindigkeit eine bestimmte Drehmomentanforderung, Drosselklappenstellung oder dergleichen ab, was der Motorsteuerung mitgeteilt und dann umgesetzt wird. Insbesondere mit Blick auf die Geschwindigkeitsregelung wird somit deutlich, dass das Klagepatent seinen Blick nicht darauf richtet, wie das Eingabesignal zustande kommt, es kann deshalb insbesondere auch im Wege einer Rechenoperation ermittelt wird. Daraus folgt zugleich, dass sich das Ausbleiben einer Kraftstoffanforderung als Nullgas auch in Form des Ergebnisses eines Simulationsvorgangs ergeben kann.
  135. Auch in technisch-funktionaler Hinsicht fügt sich ein solches Verständnis in die geschützte Lehre ein, weil die Ursache dafür, dass eine Kraftstoffanforderung ausbleibt, für die Aktivierung der Freilauffunktion unerheblich ist. Maßgeblich hierfür ist allein, dass Kraftstoff nicht benötigt – da nicht angefordert – wird.
  136. bb)
    Die unter lit. aa) näher beschriebenen Eingabesignale lösen die Freilauffunktion ausgehend von dem Anspruchswortlaut aus („um im Falle von Eingabesignalen, welche ein Nullgas darstellen, ein Ausgabesignal zu den Betätigungsmitteln zu geben“; im englischen Originalwortlaut: „in the event of input signals representing zero throttle, to give an output signal“), sie gehen der Steuereinheit mithin zur Aktivierung der Freilauffunktion zu und werden insoweit ursächlich für diese. Dies entnimmt der Fachmann weiter auch einer Gesamtbetrachtung mit Merkmal 7, welches eine Steuereinheit zum Steuern der Betätigungsmittel gerade „in Abhängigkeit“ von (im englischen Originalwortlaut: „a control unit to control said operating means depending on signals“) der Steuereinheit zugeführten Signalen vorsieht.
  137. Die Zufuhr von Eingabesignalen mit einem weitergehenden Informationsgehalt, etwa demjenigen, dass sich das Fahrzeug im Schubbetrieb befindet, verlangt der geschützte Steuerungsmechanismus zur Aktivierung der Freilauffunktion hingegen nicht.
  138. Gegen ein solches Verständnis steht die Anspruchssystematik des streitigen Merkmals, dessen letzter Halbsatz wie folgt lautet:
  139. „(…) wenn eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor stattfindet“ (deutsche Übersetzung),
  140. “(…) when torque transmission takes place from the wheels to the engine“ (englische Originalfassung).
  141. Damit ist die Ausgangs-Fahrsituation beschrieben, in welcher eine Aktivierung des Freilaufs durch die Steuereinheit klagepatentgemäß erfolgt – unbeschadet dessen, auf der Grundlage welcher Signale die Freilauffunktion schließlich ausgelöst wird.
  142. Diese Ausgangs-Fahrsituation ist ausweislich des Abschnitts [0003] dadurch gekennzeichnet, dass ein Nullgas vorliegt und sich das Fahrzeug in Bewegung („Schubbetrieb“) befindet,
  143. „(…), jedoch wenn eine Drehmomentübertragung in der entgegengesetzten Richtung stattfindet, das heißt bei Nullgas und dem Fahrzeug in Bewegung“ (Hervorhebung diesseits);
  144. im englischen Originalwortlaut:
  145. „(…),when torque transmission takes place in the opposite direction, that is to say with zero throttle and the vehicle in motion, (…)“ (Abs. [0003] Anlage HE-A1; Hervorhebung diesseits).
  146. Technisch-funktional ist dies vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass das Klagepatent in eben dieser Fahrsituation, anknüpfend an den Stand der Technik, ein grundsätzliches Bedürfnis für eine Freilauffunktion verortet, weil – wie das Klagepatent an angegebener Stelle offenbart – der Motor andernfalls (das heißt ohne den Freilauf) in dieser Situation als Bremse wirkt,
  147. „(…) und es dem Fahrzeug ermöglichen frei, ohne Motorbremse zu rollen, was zu einem geringeren Kraftstoffverbrauch durch Nutzen der Bewegungsenergie des Fahrzeugs führt, als wenn der Motor betätigt bleibt und bremst“,
  148. im englischen Originalwortlaut:
  149. „(…) and allow the vehicle to roll freely withou engine braking“ bzw. „(…) than if the engine remains engaged and brakes.“),
  150. – was in Abhängigkeit zu den weiteren Bedingungen der Fahrsituation ggf. nicht gewollt ist (Abs. [0003], Abs. [0006]).
  151. Von den beiden die Ausgangs-Fahrsituation kennzeichnenden Aspekten („Nullgas“ und „Schubbetrieb“) wird lediglich das Nullgas von dem Anspruchswortlaut zusätzlich als Signal für das Auslösen der Freilauffunktion ausdrücklich benannt („Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen“), während die Fahrzeugbewegung in diesem Zusammenhang keine Erwägung findet. Diese Systematik kann der Fachmann nur dahingehend verstehen, dass eben nur diejenige Information über die Kraftstoffanforderung („Nullgas“) Teil des die Freilauffunktion aktivierenden Steuerungsmechanismus ist, nicht hingegen auch eine Information über den Schubbetrieb des Fahrzeugs.
  152. Die Kammer sieht ein in dem dargestellten Sinne einschränkendes Verständnis auch nicht deshalb veranlasst, weil der von den Beklagten beauftragte Gutachter, Prof. Dr. L, in seinem Gutachten vom 22.07.2020 (im Folgenden: L-Gutachten) zu dem Ergebnis gelangt, dass neben Eingabesignalen in Form eines Nullgases auch eine Information darüber, dass sich das Fahrzeug im Schubbetrieb befindet, für die Aktivierung des Freilaufs für erforderlich erachtet (Anlage B (A) 3, S. 7, 1. vollständiger Absatz). Das Gutachten ist zwar grundsätzlich als sachverständige Stellungnahme zu berücksichtigen. Die dort vertretene Ansicht wird jedoch ausschließlich mit dem Verständnis des Gutachters begründet („Wie in der Einleitung beschrieben, ist mir klar, (…).“; a.a.O.; Hervorhebung diesseits), was einen Anhaltspunkt für das Verständnis des Durchschnittsfachmannes geben mag. Jedoch findet im Übrigen keine Auseinandersetzung mit dem Anspruchswortlaut und der -systematik sowie der dem Merkmal innewohnenden Funktion statt, welche die Kammer zu der hier vertretenen Ansicht kommen lassen. Dies berücksichtigend vermag die Kammer nicht allein aufgrund des Verständnisses des von den Beklagten beauftragten Gutachters zu einem abweichenden Auslegungsergebnis zu gelangen.
  153. cc)
    Das Klagepatent geht ausweislich des Merkmals 8 weiter von einem Regelungsmechanismus aus, der jedenfalls in einem Fall, in welchem die näher bezeichneten Eingabesignale vorliegen, das dort beschriebene Ausgabesignal erzeugt. Er verlangt hingegen nicht, dass die geschützte Vorrichtung die Freilauffunktion bei Vorliegen klagepatentgemäßer Eingabesignale über ein Nullgas immer auslöst. Dieses Verständnis korrespondiert mit einer Betrachtungsweise, nach der das Nullgas zwar eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für das Auslösen der Freilauffunktion ist, das Eingabesignal mithin lediglich mitursächlich wird.
  154. Ein solches Verständnis steht im Einklang mit der im Rahmen der Auslegung stets gebotenen, an der Funktion der geschützten Lehre ausgerichteten Betrachtungsweise (BGH, GRUR 1975, 422 (424) – Streckenwalze).
  155. Das Klagepatent strebt – wie unter lit. a) ausgeführt – an, die Art und Weise, wie die Freilauffunktion bei einem automatischen Mehrstufengetriebe ausgelöst wird, zu verbessern, insbesondere ein manuelles Lösen einer Scheibenkupplung entbehrlich zu machen. Das Klagepatent beabsichtigt hingegen nicht, einen Kraftstoffverbrauch schlechthin dadurch zu reduzieren, dass immer dann, wenn Kraftstoff nicht benötigt wird, die Freilauffunktion aktiviert wird, obgleich das Aktivieren der Freilauffunktion – wie im Stand der Technik vorbekannt (Abs. [0003]) – dem Einsparen von Kraftstoff dient. Die geschützte Lehre wird der angestrebten Aufgabe vor diesem Hintergrund bereits dadurch gerecht, dass eine Freilauffunktion ohne manuelles Auskuppeln überhaupt in einer konkreten Fahrsituation erzeugt wird.
  156. Dieses Verständnis wird weiter durch den Inhalt der Klagepatentbeschreibung gestützt, die Fahrsituationen offenbart, in denen – trotz Nullgases – das Aktivieren der Freilauffunktion nicht wünschenswert ist, insbesondere dann nämlich, wenn die Wirkung der Motorbremse, die durch eine Drehmomentübertragung von den Rädern zu dem Motor erzielt wird und die durch die Freilauffunktion außer Kraft gesetzt werden würde, gewollt ist,
  157. „In diesem Zusammenhang ist die Steuereinheit derart angeordnet, um im Falle von Eingabesignalen, welche das Nullgas darstellen, und ausgeschalteter Motorbremse das Zahnrad des Teilgetriebes, (…), durch Setzen der Eingriffs- und Synchronisiermittel in die Leerlaufposition zu lösen.“ (Abs. [0007]; Hervorhebung diesseits),
  158. im englischen Originalwortlaut:
  159. „In this connection, the control unit is arranged so as, in the event of input signals representing zero throttle and engine brake switsched off, to disengage the gear wheel (…) by putting said engaging and synchronizing means in neutral position.“ (Abs. [0008] Anlage HE-A 1; Hervorhebung diesseits).
  160. Ein vergleichbarer Inhalt findet sich – mit Bezug auf eine konkrete Ausführungsform – in Abschnitt [0014] (Abs. [0015] in der englischen Originalfassung, Anlage HE-A 1), wonach die Freilauffunktion aktiviert wird, wenn Nullgas vorliegt und keine Aktivierung jeglicher Motorbremse angefordert wird.
  161. In diesem Zusammenhang hat das Klagepatent ausdrücklich Ausgestaltungen vor Augen, bei denen der Steuereinheit zusätzliche Informationen zugeführt werden,
  162. „Gemäß der Erfindung ist die Steuereinheit 45 derart programmiert, dass die Freilauffunktion aktiviert wird, wenn der Fahrer oder die Geschwindigkeitsregelung weder Kraftstoff (Nullgas) noch eine Aktivierung jeglicher Motorbremse fordern, (…)“ (Abs. [0014]; Hervorhebung diesseits);
  163. im englischen Originalwortlaut (nach Abs. [0015] Anlage HE-A 1; Hervorhebung diesseits):
  164. „According to the invention, the control unit 45 is programmed so that the freewheel function is activated when the driver or the cruise control no longer requests either any fuel (zero throttle) or activation of any engine brake, (…)“,
  165. und die Eingang in den abhängigen Unteranspruch 2 gefunden haben, woraus die Kammer insbesondere schließt, dass die die Aktivierung der Freilauffunktion bedingenden Eingabesignale über diejenigen, die ein Nullgas darstellen, hinausgehen können.
  166. In diesem Zusammenhang teilt die Kammer das Verständnis der Beklagten von dem näher bezeichneten Unteranspruch, wonach dieser zunächst „lediglich“ eine Ergänzung des Merkmals 7 offenbare, welches diejenigen Motordaten benennt, die von der Steuereinheit – noch ohne Bezugnahme auf den konkret geschützten Steuerungsmechanismus – grundsätzlich zur Steuerung der Betätigungsmittel eingesetzt werden können sollen. Denn der Unteranspruch 2 verhält sich – in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Merkmals 7 – nicht dazu, welcher Steuerungsvorgang durch die der Steuereinheit zur Verfügung gestellten Daten von dieser ausgelöst wird. Bei einer zusammenschauenden Betrachtung mit Merkmal 8 erkennt der Fachmann jedoch als naheliegend, eine Steuerung der Betätigungsmittel durch zusätzliche Daten in den nach Merkmal 8 vorgesehenen Steuerungsmechanismus zu integrieren. Dies suggeriert bereits die Verwendung des Begriffs des „Eingabesignals“ (in der englischen Originalversion: „input signals“), der in Unteranspruch 2 – in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Merkmals 8 – auch im Zusammenhang mit den zusätzlichen Daten verwendet wird. Es erschließt sich dem Fachmann weiter auch aus der Tatsache, dass die zitierten Passagen der Beschreibung auch einen technischen Zusammenhang zwischen der Aktivierung der Freilauffunktion und weiteren Fahrzeugdaten (insbesondere der fehlenden Anforderung einer Motorbremse) herstellen.
  167. Soweit die Beklagten insoweit eine Differenzierung vornehmen wollen, als im Zusammenhang mit Unteranspruch 2 nach der Aktivierung des Freilaufs durch Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen, im Rahmen eines der Auslöseentscheidung nachgelagerten Schritts der Freilauf ausnahmsweise (als Negativvoraussetzung) doch nicht stattfinde, ist für eine solche Differenzierung nach der Lehre des Klagepatents nichts ersichtlich. Sie scheint auch technisch nicht sinnvoll möglich. Denn auch die Information darüber, dass eine Motorbremse nicht aktiviert ist – sofern die Beklagten dies mit „Negativvoraussetzung“ meinen – stellt ein (Eingabe)signal dar, und beeinflusst als solches dann den Steuerungsmechanismus, so dass im Ergebnis ein Ausgabesignal nicht erzeugt wird. Hierbei kann es für die Verwirklichung der technischen Lehre keinen Unterschied machen, ob dieses Ergebnis in einem ein- oder mehrschrittigen Datenverarbeitungsprozess erzielt wird.
  168. Gegen das dargelegte Verständnis steht auch nicht der für die Anspruchsauslegung vorrangig zu berücksichtigende Anspruchswortlaut. Dieser formuliert das Eingehen klagepatentgemäßer Eingabesignale zwar als Bedingung („(…) um im Falle von Eingabesignalen (…)“). Dieser ist jedoch Genüge getan, wenn eine Konstellation vorliegt, in welcher der Bedingungseintritt die beanspruchte Folge auslöst.
  169. Dem hier vertretenen Auslegungsergebnis steht schließlich auch nicht entgegen, dass die in dem Abschnitt [0014] (in der englischen Originalversion Abschnitt [0015]) neben einem „Nullgas“ vorgesehen Alternative zur Aktivierung einer Freilauffunktion, nämlich Eingabesignale, denen eine fehlende Aktivierung (mithin eine Deaktivierung) der Motorbremse zu entnehmen ist, keinen Eingang in den Anspruchswortlaut gefunden hat. Das schließt lediglich aus, allein Eingabesignale über das Fehlen einer aktivierten Motorbremse als hinreichende Bedingung für die Aktivierung der Freilauffunktion anzusehen. Es schließt hingegen nicht aus, solche Eingabesignale als (neben einem Nullgas) zusätzliche Signale dafür zu implementieren, dass die Freilauffunktion aktiviert wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich einer Gesamtschau der klagepatentgemäßen Merkmale unter Berücksichtigung des Inhalts der Patentbeschreibung im Übrigen Anhaltspunkte für ein solches Verständnis entnehmen lassen – was hier (wie dargelegt) der Fall ist. Hinzukommt, dass mit den aus Abschnitt [0014] hervorgehenden Alternativen auch keine Konstellationen benannt sind, die einander ausschließen. Das gibt das Klagepatent mit Abschnitt [0007] im Zusammenhang mit einer bevorzugten Ausführungsform zu erkennen. Danach können Nullgas darstellende Eingabesignale und eine deaktiverte Motorbremse gleichzeitig vorliegen.
  170. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht das Merkmal 8 der geschützten Lehre nicht unmittelbar wortsinngemäß. Es fehlt insbesondere an Eingabesignalen, die ein Nullgas im klagepatentgemäßen Sinne darstellen.
  171. Die Darlegung der Verletzung des Klagepatents durch eine bestimmte, von dem Beklagten benutzte Ausgestaltung obliegt im Patentverletzungsprozess nach den allgemeinen Grundsätzen dem Kläger, der Rechte aus der Verletzung seines Schutzrechts herzuleiten gedenkt. In diesem Zusammenhang genügt zunächst – ohne Gegenvortrag des vermeintlichen Verletzers – die konkrete Behauptung, die angegriffene Ausführungsform mache von jedem Merkmal des Patentanspruchs Gebrauch (OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2017, Az.: I-2 U 41/12, GRUR-RS 2017, 102029, Rn.104). Bestreitet der Beklagte daraufhin die Verwirklichung einzelner Merkmale – wofür zunächst – spiegelbildlich zu dem klägerischen Vortrag pauschaler Vortrag genügt – ist der Kläger gehalten, seinen Verletzungsvorwurf weiter auszuführen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Tut er dies, erhöhen sich auch für den Beklagten die Anforderungen an sein Bestreiten. Das bedeutet aber nicht, dass der Beklagte dann, wenn es an substantiiertem Klägervortrag fehlt, das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand unterrichten muss (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  172. Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt hier bei Würdigung des Parteivortrags analog § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO Folgendes:
  173. a)
    Die von der Klägerin eingeführten CAN-Kurven (Klageschrift S. 54, Rn. 100, Bl. 54 GA) lassen keine hinreichenden Rückschlüsse darauf zu, aufgrund welcher Eingabesignale die „E-Funktion“ herbeigeführt wird, insbesondere ob die Steuereinheit eine Information darüber erhält, dass Kraftstoff nicht angefordert wird, und gerade auf dieser Grundlage die Aktivierung des Freilaufs einleitet.
  174. Den von der Klägerin in der Klageschrift in Bezug genommenen CAN-Kurven lässt sich entnehmen, dass der Wert für „AktuellesMotorProzentMoment“ im Zeitpunkt der Aktivierung der „E-Funktion“ bei ca. Sekunde 312 bereits mindestens seit Sekunde 308 bei „0“ liegt, das heißt, dass die Information über ein Nullgas jedenfalls nicht in der Form vorliegt, dass der Fahrer aufhört, das Gaspedal zu betätigen. Dies führt zwar aus der Verletzung des Klagepatents nicht heraus, da das Klagepatent – wie unter Ziff. 1, lit. b), aa) ausgeführt – auch andere Quellen für die Information, dass Kraftstoff nicht angefordert wird, zulässt, jedoch macht dies Vortrag dazu erforderlich, dass und inwiefern der angegriffene Steuerungsmechanismus dennoch – losgelöst von der Pedalstellung – Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen, ggf. auch als Ergebnis einer Rechenoperation, erhält.
  175. Einen solchen Vortrag gibt die von der Klägerin vorgenommene Interpretation der CAN-Kurven nicht her. Die Kammer kann dem Schluss der Klägerin von den CAN-Kurven auf den Steuerungsmechanismus daher auch nicht folgen,
  176. „Zum Zeitpunkt von ca. 312 Sekunden wird der Freilauf aktiviert. Daher zeigt die Abbildung einen Fall, in welchem die Steuerung Eingangssignale empfangen hat, die ein Nullgas und alle weiteren für die Aktivierung des Freilaufs notwendigen Kriterien repräsentieren, und in welchem die Steuerung ein Signal erzeugt hat, welches das Einleiten des Freilaufs bewirkt.“ (Replik, S. 10, Rn. 30, Bl. 223 GA; Hervorhebung diesseits).
  177. Die danach bestehenden Zweifel werden weiter durch die Bedenken, die der Gutachter L äußert, verstärkt. Die Tatsache, dass der Privatgutachter im Hinblick auf die Lehre des Klagepatents teilweise zu einem anderen Auslegungsergebnis gelangt (vgl. dazu unter Ziff. 1., lit. b), bb)), stellt seine grundsätzliche Eignung, sich zur Aussagekraft der CAN-Kurven zu äußern, nicht in Frage. Bei der Auslegung des Klagepatents handelt es sich um eine Rechtsfrage, die (wertenden) Ausführungen des Sachverständigen in diesem Zusammenhang sind auch nicht schlechthin unvertretbar, was seine Fachkunde ggf. in Zweifel ziehen könnte. Aus den gutachterlichen Ausführungen geht hervor, dass die CAN-Daten lediglich das Ergebnis eines Rechenvorgangs wiedergeben, ohne dass auf die einzelnen Parameter, die diesem Ergebnis zugrunde liegen, geschlossen werde könnte (Anlage B (A) 3, S. 5, unter der Überschrift „Meine Antwort auf Frage A-1“).
  178. Soweit die Klägerin dem nur eingeschränkten Aussagegehalt der CAN-Kurven entgegenhält, dass eine hinreichend verlässliche Feststellung der Merkmalsverwirklichung jedenfalls in einer Gesamtschau mit den Testbedingungen möglich sei, bleibt sie eine Bezugnahme auf konkrete Aspekte schuldig, die einen Rückschluss auf eine Merkmalsverwirklichung in größerem Umfang zulassen. Anderes folgt auch nicht aus der Stellungnahme des von der Klägerin beauftragten Gutachters Prof. Z. Dieser verhält sich überwiegend zu der Fragestellung, ob die CAN-Daten vor dem Hintergrund einen nur geringen Aussagegehalt aufweisen, dass sie Steuerprozesse zeitlich verzögert darstellen (Anlage HE-A 26, S. 3, 2. Abs. und S. 4, 3. Abs). Darauf kommt es jedoch vor dem Hintergrund des hier vertretenen Auslegungsergebnisses nicht an. Dies ist – wie bereits deutlich gemacht – auch nicht der Grund dafür, weshalb die Kammer den Can-Kurven einen nur eingeschränkten Aussagegehalt beimisst. Soweit der Gutachter weiter auf die kontrollierten Testbedingungen verweist (Anlage HE-A 26, S. 3, letzter Abs.), gelten die Ausführungen zu dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin entsprechend. Schließlich muss auch der Gutachter einräumen, dass CAN-Graphen einen Algorithmus nicht im Detail erkennen lassen (Anlage HE-A 26, S. 3, 3. Abs.). Wenn es in dem Gutachten dann weiter heißt:
  179. „Bereits im Lichte von grundlegenden fahrdynamischen Überlegungen lässt sich weiterhin auch eindeutig und zweifelsfrei folgern, dass die Bedingung Nullgas vor dem Aktivieren des Freilaufs überprüft werden musste – und daher auch überprüft wurde, und dass der Freilauf unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Überprüfung, ob Nullgas vorhanden ist, eingeleitet wurde.“ (Anlage HE-A 26, S. 4, 2. Abs.),
  180. gehen diese Ausführungen über eine bloße Feststellung nicht hinaus.
  181. Die aus den CAN-Kurven ablesbaren Werte mögen sich nach alledem zwar im Sinne des klagepatentgemäßen Steuerungsmechanismus erklären lassen, zwingend ist dieser Erklärungsansatz indes nicht. Das gilt umso mehr als die Beklagten einen Steuerungsmechanismus hinreichend dartun, der eine Verletzung des Klagepatents nicht hergibt – wozu nachfolgend ausgeführt wird.
  182. b)
    Die Kammer vermag eine Verwirklichung des hier in Rede stehenden Teilmerkmals auch nicht auf der Grundlage des Beklagtenvorbringens zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform, welches sich die Klägerin zu Eigen macht, anzunehmen.
  183. aa)
    Die Funktionsweise der angegriffenen E-Funktion lässt sich schematisch wie folgt darstellen (siehe auch Skizze vorgelegt als Anlage HE-A 28 bzw. Anlage B (A) 3, S. 10):
  184. .
  185. Die Beklagte hat darüber hinaus den zur Entscheidung über die Aktivierung der Freilauffunktion durchgeführten Simulationsvorgang unter Vorlage der Folien 1 – 5 in der mündlichen Verhandlung weiter konkretisiert.
  186. Bezugnehmend auf Folie 1,
  187. ,
  188. wird die Fahrzeuggeschwindigkeit bei Betrieb des Fahrzeugs in jeder Sekunde in nachfolgend beschriebener Weise für eine vorausliegende Fahrstrecke von 2 Kilometern simuliert, wobei in die Simulation die Kenntnis des zukünftigen Fahrbahnprofils einfließt. Ein simuliertes Geschwindigkeitsprofil stellt die Geschwindigkeit für den Fall dar, dass der Freilauf sofort (ausgehend von der jeweils aktuellen Fahrzeugposition) aktiviert wird. Dieses simulierte Geschwindigkeitsprofil ist in der obigen Skizze durch die grüne Kurve wiedergegeben. Eine weitere Simulation der Geschwindigkeit zeigt die Geschwindigkeit, die das Fahrzeug einnimmt, wenn der Freilauf sofort aktiviert, jedoch nach acht Sekunden deaktiviert wird und dann die Motorbremse greift. Dieses simulierte Geschwindigkeitsprofil findet sich in der obigen Skizze in der schwarzen Kurve wieder. Die Simulation der Geschwindigkeiten wird durch den „M“ vorgenommen, der die ermittelten Kurven an den „N“ weitergibt.
  189. Ausgehend von Folie 4,
  190. gibt der „N“ das Signal „M“ zur Aktivierung des Freilaufs, wenn sich die grüne Kurve länger als acht Sekunden oberhalb der Grenzwerte „N“ und „O“ befindet und die schwarze Kurve unterhalb des Grenzwerts „P“ bleibt. Mit der Simulation der Geschwindigkeit, die die schwarze Kurve zeigt, wird sichergestellt, dass das Fahrzeug im Leerlauf nicht zu schnell wird, und durch das automatische System ein Fahrzustand geschaffen wird, bei dem der Fahrer eingreifen muss. Mit der Bedingung einer Überschreitung der Grenzwerte „N“ und „Q“ für einen Zeitraum von acht Sekunden soll bewusst eine gewisse „Trägheit“ des Systems herbeigeführt werden, um einen zu häufigen Wechsel zwischen dem Zustand des Fahrzeugs im Leerlauf und einem Zustand, in dem Drehmoment übertragen wird, zu vermeiden. Die Grenzwerte „N“ und „O“ verhalten sich dabei derart zueinander, dass „N“ den Grenzwert angibt, der bei dem Betrieb des Fahrzeugs im Leerlauf für einen Zeitraum von mindestes 8 Sekunden überschritten werden soll. Bevor das Fahrzeug im Leerlauf diesen Grenzwert überschreitet, soll es hingegen keine Geschwindigkeit unterhalb des Grenzwertes „O“ erreichen, das heißt nicht zu langsam werden. Dieses Verhältnis verdeutlicht ein Vergleich der Folie 4 (oben bereits wiedergegeben) mit Folie 3 (nachfolgend wiedergegeben):
  191. .
  192. Während die grüne Kurve in der Skizze nach Folie 3 in einem bestimmten Zeitraum vor Überschreitung der durch „N“ gesetzten Grenze den Grenzwert „O“ unterschreitet, befindet sich die grüne Kurve in der Skizze nach Folie 4 zu jedem Zeitpunkt der Simulationsstrecke oberhalb der Grenze „O“.
  193. Das Signal „M“ wird als Auswertungsergebnis der simulierten Kurve an den „R“ weitergegeben. In diesem erfolgt in dem Block „S“ – in der Diktion des Beklagtenvortrags – eine „Sicherheitsabfrage“, in deren Anschluss ein Signal („T“) ausgegeben wird, mittels dessen ein (geeigneter) Schaltvorgang eingeleitet wird. Die Gaspedalposition („U“) wird dabei zu jedem Zeitpunkt überprüft. In dem Fall, in dem das Gaspedal niedergedrückt ist (bzw. nach dem Beklagtenvortrag um gleich oder mehr als 15 % niedergedrückt), wird das Fahrzeug – entgegen der Anweisung „M“ – nicht in den Leerlauf versetzt.
  194. bb)
    Ausgehend von der unter lit. aa) dargestellten Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform kommen grundsätzlich 3 Anknüpfungspunkte als Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen, in Betracht: die dem „M“ / dem „V“ für die Simulation zugehenden Signale (dazu unter Ziff. (1)), das Signal „M“ an den „R“ (dazu unter Ziff. (2)) und die „U“, die der „R“ abruft (dazu unter Ziff. (3)). Im Ergebnis kann die Kammer jedoch nicht feststellen, dass in den genannten Zusammenhängen Daten eine Berücksichtigung finden, denen sich eine Information darüber, dass Kraftstoff nicht angefordert wird, entnehmen lässt.
  195. (1)
    In den beschriebenen Simulationsvorgang zur Aktivierung der Freilauffunktion fließen keine Eingabesignale im Sinne des Klagepatents ein.
  196. Die Frage, ob in dem gegenwärtigen Zeitpunkt (oder zu irgendeinem Zeitpunkt während der nächsten 2 km Fahrstrecke) Kraftstoff angefordert wird, findet in dem Simulationsvorgang keine Berücksichtigung. Die Simulation der Geschwindigkeiten geschieht vielmehr auf der Grundlage von Daten über das zukünftige Streckenprofil („Road Gradient Horizont“), die sich naturgemäß von Angaben zur Kraftstoffanforderung unterscheiden.
  197. Auch soweit die Simulationen stets ausgehend von der Ist-Geschwindigkeit vorgenommen wird, mithin diese dem angegriffenen Steuerungsmechanismus bekannt sein muss, lässt dies keine Rückschlüsse darauf zu, dass damit stets eine Information über die Kraftstoffanforderung einhergeht. Eine etwaige Information über die Kraftstoffanforderung lässt sich im Zusammenhang mit der Ist-Geschwindigkeit dann herleiten, wenn eine Soll-Geschwindigkeit als Führungsgröße unterhalb der Ist-Geschwindigkeit als Regelgröße liegt. Für diesen Fall könnte etwa erwogen werden, ob dem positiven Vergleichsergebnis der beiden Geschwindigkeiten eine fehlende Kraftstoffanforderung entnommen werden kann. Ein solcher Abgleich von Ist- und Soll-Geschwindigkeit findet sich hingegen in dem angegriffenen Steuerungsmechanismus nicht wieder. Denn dort wird die Ist-Geschwindigkeit nicht mit einer vorgegebenen Soll-Geschwindigkeit abgeglichen. Die Ist-Geschwindigkeit dient lediglich als Ausgangspunkt für die Simulation der Fahrzeuggeschwindigkeit im Freilauf. Die Ist-Geschwindigkeit wird auch nicht auf die simulierte Fahrzeuggeschwindigkeit hin geregelt, vielmehr schließt sich an die Simulation – vorbehaltlich der Prüfungsschritte im „R“ (dazu ausführlicher unter Ziff. (3)) – die Aktivierung des Freilaufs an.
  198. Wie sich der Ist-Geschwindigkeit als solcher im Übrigen eine Information über die Kraftstoffanforderung entnehmen lässt, ist nicht erkennbar oder vorgetragen. Insbesondere trifft die Ist-Geschwindigkeit keine zwingende Aussage darüber, ob gerade Kraftstoff angefordert wird oder nicht. Etwas anderes könnte höchstens dann gelten, wenn die Geschwindigkeit bei „Null“ liegt. Dann aber befindet sich das Fahrzeug – anders als das Klagepatent verlangt – schon nicht im Schubbetrieb.
  199. Sofern die simulierten Kurven sodann dem „W“ zugehen und dieser eine Auswertung derselben vornimmt, um das – bei der hier in Rede stehenden Betrachtungsweise als Ausgabesignal zu wertende – Signal „M“ zu erzeugen, liegt auch bei diesem Vorgang kein klagepatentgemäßes Eingabesignal vor. Die simulierte Geschwindigkeitskurve für den Betrieb des Fahrzeugs im Leerlauf enthält zwar die Information, dass Kraftstoff nicht angefordert wird, weil dies mit einem Freilauf stets einhergeht, jedoch handelt es sich dabei um kein Eingabesignal für den angegriffenen Steuerungsmechanismus. Die Simulation des Freilaufs durch den „M“ ist nämlich bereits Teil des Steuerungsmechanismus zur Aktivierung der Freilauffunktion. Der interne Datenaustausch zwischen einzelnen Steuerungskomponenten (Weitergabe der Simulationskurven von dem „M“ an den „N“) beinhaltet keine Eingabesignale im Sinne des Klagepatents. Denn solche Daten gehen der Steuerungsvorrichtung nicht zu, vielmehr ermittelt sie diese selbst.
  200. (2)
    Auch das Signal „M“ kann nicht als Eingabesignal (für die Motorsteuerung) im Sinne des Klagepatents erachtet werden.
  201. Ausgangspunkt eines solchen Verständnisses wäre, dass – was nach der Lehre des Klagepatents grundsätzlich möglich ist (vgl. dazu ausführlicher unter Ziff. (3)) – das von dem „R“ erzeugte Signal „X“ als Ausgabesignal an die Betätigungsmittel im Sinne von Merkmal 8 verstanden wird.
  202. Die Tatsache, dass das „M“-Signal lediglich das Ergebnis einer Simulation ist, steht der Annahme einer Verwirklichung des Merkmals 8 nicht entgegen. Die geschützte Lehre erfasst auch auf diese Art und Weise ermittelte Eingabesignale (vgl. dazu unter Ziff. 1., lit. b), aa)). Allerdings fehlt es an dem für ein Eingabesignal in Form eines Nullgases erforderlichen Informationsgehalt (= Kraftstoff wird nicht angefordert). Dem Signal „M“ geht ein Vergleich von Geschwindigkeitsprofilen, wie unter lit. a) beschrieben, voraus, die Konsequenz aus dem Vergleich, dass nämlich dann, wenn das Fahrzeug im Leerlauf betrieben wird, kein Kraftstoff angefordert wird, findet im Rahmen des „Rs“ für die abschließende Prüfung, ob der Freilauf aktiviert wird, keine Berücksichtigung (vgl. zu der Funktion des „Rs“ für die Aktivierung der Freilauffunktion ausführlich unter Ziff. (3)).
  203. (3)
    Eingabesignale, die ein Nullgas darstellen, liegen auch nicht derart vor, dass in dem „R“, bevor er die Aktivierung der Freilauffunktion freigibt, die aktuelle Pedalposition abgefragt wird.
  204. Einer Merkmalsverwirklichung steht in diesem Zusammenhang zwar nicht schon entgegen, dass – was die Beklagten geltend machen – die Abfrage der Gaspedalposition in dem Block „S“, mithin außerhalb des „Ns“, erfolgt (vgl. Anlage B (A) 3, S. 10, 3. Abs.). Denn die Implementierung der klagepatentgemäß vorgesehenen Steuervorrichtung ist in das Belieben des Fachmannes gestellt, kann mithin programmtechnisch auch derart umgesetzt werden, dass unterschiedliche Steuerungssysteme zusammenwirken. Diese bilden dann in ihrer Gesamtheit die geschützte Steuervorrichtung. Auch führt es nicht aus einer Verletzung des Klagepatents heraus, dass die Überprüfung des Nichtdrückens des Gaspedals der positiven Entscheidung über die Aktivierung des Freilaufs (durch den „N“ in Form des Signals „M“) zeitlich nachgelagert ist. Die Gaspedalposition wird von dem „R“ zu jedem Zeitpunkt abgefragt und geht diesem nicht nur dann zu, wenn – was steuerungstechnisch auch denkbar wäre – das Gaspedal gedrückt wird. Damit geht der hier in Rede stehende Überprüfungsschritt der Aktivierung des Freilaufs voraus, und wird als solcher ursächlich für die Entscheidung der Aktivierung des Freilaufs.
  205. Jedoch geht bei dem angegriffenen Steuerungsmechanismus mit der nichtgedrückten Gaspedalposition nicht erkennbar die Information einher, dass Kraftstoff (durch den Fahrer) nicht angefordert wird. Die Klägerin hat sich für den Verletzungsvorwurf auf die Situation bezogen, in der der „N“ bei eingeschalteter Geschwindigkeitsregelung aktiv ist. Hierbei ist jedoch nicht ersichtlich, dass – jedenfalls solange das Gaspedal nicht (bzw. nach dem Beklagtenvortrag nicht um gleich oder mehr als 15 %) gedrückt ist – eine ausbleibende Kraftstoffanforderung des Fahrers überhaupt eine Relevanz entfaltet. Der Fahrer fordert nämlich während einer eingeschalteten Geschwindigkeitsregelung typischerweise keinen Kraftstoff an, der Kraftstoffbedarf wird vielmehr durch die Geschwindigkeitsregelung bestimmt. Dass die Kraftstoffanforderung der Geschwindigkeitsregelung in irgendeiner Form in den Steuerungsmechanismus der angegriffenen Ausführungsform einfließt, ist nicht erkennbar oder vorgetragen. Insoweit wird ergänzend auf die Ausführungen unter Ziff. (1) am Ende verwiesen. Lediglich dann, wenn der Fahrer das Gaspedal betätigt (bzw. nach dem Beklagtenvortrag um gleich oder mehr als 15 % betätigt), wird dessen Kraftstoffanforderung maßgeblich. Dann aber liegt gerade kein Nullgas vor und es kommt auch nicht zur Aktivierung des Freilaufs. Dies berücksichtigend kann die Kammer auch das Vorbringen der Beklagten nachvollziehen, wonach es sich bei der Abfrage der „U“ lediglich um eine „blocking condition“ handele. Zu dem Steuerungsmechanismus der angegriffenen Ausführungsform außerhalb der Geschwindigkeitsregelung durch einen Tempomaten hat sich die Klägerin nicht verhalten.
  206. III.
    Die Entscheidung über die Kosten ergeht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 Satz 1, 2 ZPO.
  207. Der Klägerin war Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO nicht zu gewähren. Sie hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr durch die Vollstreckung des Urteils ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 712 Abs. 1 ZPO entsteht.
  208. IV.
    Der der Klägerin nachgelassene Schriftsatz vom 21.09.2020, der allein die Frage der Verhältnismäßigkeit des Rückruf- und Vernichtungsanspruchs betrifft, sowie der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 08.10.2020 gaben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 Abs. 1 ZPO. Gleiches gilt für den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 15.10.2020.
  209. V.
    Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 1.000.000 festgesetzt.

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