4b O 55/19 – Thermoformmaschinen-Betriebsverfahren

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3091

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 17. Dezember 2020, Az. 4b O 55/19

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Patents DE 198 XX XX C 2 (nachfolgend: Klagepatent, Anlage K 2) auf Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  6. Eingetragene Inhaberin des Klagepatents (Anlage K 2), das am 22. Oktober 1998 angemeldet wurde, ist die A GmbH. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 12. September 2002 veröffentlicht. Das Klagepatent ist am 1. Mai 2018 durch Zeitablauf erloschen.
  7. Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 lautet:
  8. Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine mit einer speicherprogrammierbaren Steuerung zum Formen und Stanzen von tiefgezogenen, beliebigen becher- oder Deckelartigen Artikeln aus thermoplastischem, über einen intermittierenden Folientransport zugeführten Kunststoff oder dergleichen, umfassend ein mit mehreren über- bzw. nebeneinanderliegenden Artikelreihen ausgebildetes Mehrfach-Form-und Stanzwerkzeug, bestehend aus einem Oberwerkzeug und einem zum Abstapeln der Fertigartikel ausschwenkbaren Unterwerkzeug, dem in einer nachgeschalteten automatischen Stapel- und Zählvorrichtung eine die nach dem Schwenken des Maschinentisches bzw. Unterwerkzeugs aus der Maschine ausgestoßenen Artikel in komplementären Ausformungen zu Artikelstangen zusammenführende, verfahrbare Fangplatte zugeordnet ist, aus der beim Erreichen der vorgewählten Stückzahl die Artikelstangen in einer maschinenentfernten Übergabeposition auf eine Artikelstangen-Aufnahmeplatte bzw. einen Stapelkorb übergeleitet und von dort entnommen werden,
    dadurch gekennzeichnet, dass
  9. der Verfahrweg (29) der Fangplatte (7) über den Störradius (28) hinaus verlängert ist, die dem Störradius (28) entsprechende erste Wegstrecke (30) beim Wegfahren der Fangplatte (7) mit hoher Beschleunigung bzw. beim Zustellen der Fangplatte (7) mit hoher Verzögerung zurückgelegt wird und die zweite, verlängerte Wegstrecke (31) mit einer kleinen Verzögerung bzw. Beschleunigung durchfahren wird.
  10. Hinsichtlich des „insbesondere“ geltend gemachten Unteranspruchs 2 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
  11. Zur Veranschaulichung der erfindungsgemäßen Lehre wird nachfolgend Figur 1 der Patentbeschreibung wiedergegeben, die eine erfindungsgemäße Thermoformmaschine zeigt:
  12. Die Klägerin war ausschließliche Lizenznehmerin am Klagepatent. Die Patentinhaberin trat der Klägerin zudem die ihr – der Patentinhaberin – aus einer Verletzung des Klagepatents entstandenen Ansprüche ab.
  13. Die Beklagte stellt her, bietet an und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland Hochleistungsanlagen und -werkzeuge zum Thermoformen von Kunststoffen. Mit der „B“ bietet sie an und vertreibt C Rollenautomaten, die aus Thermoformmaschinen des Typs „CC“ in Kombination mit Stapelmaschinen des Typs „C“ bestehen (nachfolgend „angegriffene Ausführungsform“). Die Beklagte bewirbt diese in der als Anlage K 14 vorgelegten Werbeunterlage wie folgt:
  14. Die Klägerin ist der Ansicht, Herstellung, Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform stellten eine Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents dar. Bei der angegriffenen Ausführungsform sei dem Unterwerkzeug eine Fangplatte zugeordnet, die auf einem automatischen Schlitten fahre und funktioneller Bestandteil der nachgeschalteten automatischen Stapel- und Zählvorrichtung sei. In dieser Stapel- und Zählvorrichtung würden die Artikelstangen gebildet. Nicht entscheidend sei dabei, ob die Stapelbildung bereits in der Fangplatte oder erst an einer maschinenentfernten Übergabeposition erfolge, denn tatsächlich setze der Anspruch keine Stapelbildung in der Fangplatte voraus.
  15. Die Klägerin beantragt, nachdem sie die Klageanträge für die Zeit vor dem 21. Juni 2009 zurückgenommen hat,
  16. I. die Beklagte zu verurteilen,
  17. Rechnung zu legen und Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte
  18. Thermoformmaschinen mit einer speicherprogrammierbaren Steuerung zum Formen und Stanzen von tiefgezogenen, beliebigen becher- oder deckelartigen Artikeln aus thermoplastischem, über einen intermittierenden Folientransport zugeführten Kunststoff oder dergleichen, umfassend ein mit mehreren über- bzw. nebeneinanderliegenden Artikelreihen ausgebildetes Mehrfach-Form-und Stanzwerkzeug, bestehend aus einem Oberwerkzeug und einem zum Abstapeln der Fertigartikel ausschwenkbaren Unterwerkzeug, dem in einer nachgeschalteten automatischen Stapel- und Zählvorrichtung eine die nach dem Schwenken des Maschinentisches bzw. Unterwerkzeugs aus der Maschine ausgestoßenen Artikel in komplementären Ausformungen zu Artikelstangen zusammenführende, verfahrbare Fangplatte zugeordnet ist, aus der beim Erreichen der vorgewählten Stückzahl die Artikelstangen in einer maschinenentfernten Übergabeposition auf eine Artikelstangen-Aufnahmeplatte bzw. einen Stapelkorb übergeleitet und von dort entnommen werden,
  19. geeignet für ein Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 21. Juni 2009 bis 30. April 2018 angeboten und geliefert hat,
  20. bei denen der Verfahrweg der Fangplatte über den Störradius hinaus verlängert ist, die dem Störradius entsprechende erste Wegstrecke beim Wegfahren der Fangplatte mit hoher Beschleunigung bzw. beim Zustellen der Fangplatte mit hoher Verzögerung zurückgelegt wird und die zweite, verlängerte Wegstrecke mit einer kleinen Verzögerung bzw. Beschleunigung durchfahren wird.
  21. (Anspruch 1 des DE XXX)
  22. unter Angabe
  23. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
    -zeiten und -preisen sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
    -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  24. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der An¬gebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden und ihr zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Nachfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  25. II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr für die in der Zeit vom 21. Juni 2009 bis zum 30. April 2018 begangenen Handlungen allen Schaden zu erstatten, der dieser und der Inhaberin der Klagepatentes DE XXX entstanden ist.
  26. hilfsweise,
  27. ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden.
  28. Die Beklagte beantragt,
  29. die Klage abzuweisen,
  30. hilfsweise,
  31. ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung (Bankbürgschaft) abzuwenden.
  32. Die Beklagte ist der Ansicht, eine Verletzung des Klagepatents liege nicht vor. Bei der angegriffenen Ausführungsform würden die aus dem Unterwerkzeug übernommenen Artikel jedenfalls nicht in der Fangplatte zu Artikelstangen gebildet. Gerade die Bildung von Artikelstangen in der Fangplatte, die verfahrbar in einer der Thermoformmaschine nachgeschalteten Stapel- und Zählvorrichtung aufgenommen ist, liege jedoch dem durch das Klagepatent zu lösenden Problem zugrunde. Die Fangplatte übernehme bei der angegriffenen Ausführungsform die aus dem Unterwerkzeug von der Thermoformmaschine übernommenen Artikel lediglich taktweise und überführe diese direkt in einen Stapelkäfig. In einer Ausnehmung der Fangplatte befinde sich bei jedem Takt nur ein Artikel. Ein Artikelstapel werde erstmalig im Stapelkäfig gebildet.
  33. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
  34. Entscheidungsgründe
  35. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus §§ 139 Abs. 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
  36. I.
    Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine mit einer speicherprogrammierbaren Steuerung zum Formen und Stanzen von tiefgezogenen, beliebigen becher- oder deckelartigen Artikeln aus thermoplastischem, über einen intermittierenden Folientransport zugeführtem Kunststoff oder dergleichen (Abs. [0001], Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Klagepatentschrift).
  37. Aus dem Stand der Technik ist mit der DE XXX C 2 eine Thermoformmaschine dieser Art bekannt, bei der zwischen den relativ aufeinander zu- bzw. voneinander weg bewegten Werkzeugen Kunststoffartikel wie Margarineschalen, Trinkbecher, Behälterdeckel, Trays usw. aus thermoplastischen Kunststoff-Folien und Verbundfolien hergestellt werden. Hierbei werden in der geschlossenen Stellung von Ober- und Unterwerkzeug die Artikel geformt, dann gestanzt und bei geöffneter Stellung aus dem Werkzeug heraus in eine nachgeschaltete Stapel- und Zähleinrichtung transportiert. Während das Oberteil bzw. -werkzeug der Thermoformmaschine an einer starren Querbrücke montiert ist, ist das Unterteil bzw. –werkzeug auf einem höhenbeweglichen und schwenkbaren Formtisch befestigt. Zur Schwenkbarkeit des Formtisches besitzt dieser Lagerzapfen, deren Lager in je einem vertikal geführten Führungsstück angeordnet sind. Zum Antrieb dienen Kniehebel, die mit Kurvenrollen den auf einer Hauptwelle befestigten Kurvenscheiben anliegen (Abs. [0002]).
  38. Damit die Artikel beim Abstapeln nicht gegen Störkanten geraten, ist für das ausschwenkbare Unterwerkzeug ein großer Schwenkwinkel von etwa 45° bis 90°, typischerweise 80° erforderlich. Die in der ausgeschwenkten Werkzeug-Endlage aus der Maschine ausgestoßenen Fertigartikel werden von einer dem gekippten Werkzeug entgegenfahrenden bzw. dem Werkzeug zugestellten Fangplatte aufgenommen, um ein reproduzierbares Einstapeln zu ermöglichen. Dabei ist das Verfahren der Fangplatte auf die Maschine zu bzw. von ihr weg erforderlich, um aus dem Störradius bzw. –bereich im Schwenkweg des kippenden Werkzeugs zu gelangen. Dieser Zustell- bzw. Verfahrweg beträgt bei den bekannten Thermoformmaschinen ca. 80 bis 150 mm (Abs. [0003]).
  39. Die sich durch diese Folgesteuerung der Maschinen (Unterwerkzeug – Fangplatte) ergebenden Totzeiten des Maschinenzyklus werden im Stand der Technik dadurch verringert, dass die Fangplatte mit hoher Beschleunigung und Verzögerung schnell zurückgefahren wird, was allerdings aufwendige Haltekonstruktionen für die in der Fangplatte den Massekräften ausgesetzten Artikel erfordert. Durch diese Haltekonstruktionen können die Artikel jedoch verformt werden, was sich nachteilig auf das Einstapeln, Auskämmen und Abschieben der Artikel auswirkt. Dem begegnet man nach der Beschreibung des Klagepatents im Stand der Technik dadurch, dass der Verfahrweg und damit die Massekräfte möglichst gering gehalten werden (Abs. [0003]).
  40. Aus der DE-Zeitschrift „F“, (…), ist eine Thermoformmaschine bekannt, die vorsieht, dass die geformten Becher von einer Saugerplatte übernommen und in Zentrierpaletten gestapelt werden, nachdem zuvor das Unterwerkzeug nach dem Formvorgang um 80° zur Foliendurchlaufrichtung gekippt wurde. Allerdings macht das Ansaugen der Artikel den Auswerfer komplizierter und die Einheit bedingt durch die benötigte Vakuumpumpe aufwendiger (Abs. [0004]).
  41. Das Klagepatent hat es sich vor diesem Hintergrund zur Aufgabe gemacht, für eine gattungsgemäße Thermoformmaschine ein Verfahren zu schaffen, das ohne erhöhte Totzeiten im Maschinenzyklus auf einfache Weise eine prozesssichere, artikelschonende Handhabung der Fertigartikel beim Ausstoßen in die Fangplatte ermöglicht.
  42. Dies soll durch Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, dessen Merkmale wie folgt gegliedert werden können:
  43. 1. Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine mit einer speicherprogrammierbaren Steuerung zum Formen und Stanzen von tiefgezogenen, beliebigen becher- oder deckelartigen Artikeln aus thermoplastischem Kunststoff;
    2. der thermoplastische Kunststoff wird über einen intermittierenden Folientransport zugeführt;
    3. die Thermoformmaschine umfasst ein Mehrfach-Form- und Stanzwerkzeug;
    4. das Mehrfach-Form- und Stanzwerkzeug umfasst mehrere übereinanderliegende oder nebeneinanderliegende Artikelreihen;
    5. das Mehrfach-Form- und Stanzwerkzeug besteht aus einem Oberwerkzeug und einem Unterwerkzeug;
    6. das Unterwerkzeug ist zum Abstapeln der Fertigartikel ausschwenkbar;
    7. dem Unterwerkzeug ist eine Fangplatte zugeordnet;
    8. die Fangplatte ist in einer nachgeschalteten automatischen Stapel- und Zählvorrichtung verfahrbar;
    9. die Fangplatte führt nach dem Schwenken des Maschinentisches bzw. des Unterwerkzeugs aus der Maschine ausgestoßene Artikel in komplementären Ausformungen zu Artikelstangen zusammen;
    10. aus der Fangplatte werden beim Erreichen der vorgewählten Stückzahl die Artikelstangen in einer maschinenentfernten Übergabeposition auf eine Artikelstangen-Aufnahmeplatte bzw. in einen Stapelkorb übergeleitet und von dort entnommen;
    11. der Verfahrweg der Fangplatte ist über den Störradius des Schwenkweges des Unterwerkzeugs hinaus verlängert;
    12. eine erste Wegstrecke, die dem Störradius des Unterwerkzeugs entspricht, wird beim Wegfahren der Fangplatte mit hoher Beschleunigung zurückgelegt bzw.
    13. die erste Wegstrecke wird beim Zustellen der Fangplatte mit hoher Verzögerung zurückgelegt und
    14. die zweite, verlängerte Wegstrecke wird mit einer kleinen Verzögerung bzw. Beschleunigung durchfahren.
  44. II.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht nicht die Merkmale 9 und 10 des Klagepatentanspruchs.
  45. 1.
    Die Merkmale 9 und 10 des Klagepatentanspruchs sind – wie bereits in der Merkmalsgliederung wiedergegeben – dahingehend zu verstehen, dass die ausgestoßenen Artikel nach dem erfindungsgemäßen Verfahren bereits in der Fangplatte zu Artikelstangen gestapelt werden und die so gebildeten Artikelstangen aus der Fangplatte auf eine Aufnahmeplatte oder in einen Stapelkorb übergeleitet werden.
  46. a)
    Die Auslegung des Klagepatentanspruchs geht von einem Verständnis der Merkmale 9 und 10 aus, bei dem sich der mit „aus der“ eingeleitete Relativsatz im Klagepatentanspruch 1 auf die Fangplatte bezieht. Bei einer rein grammatikalischen Betrachtung von Anspruch 1 kann sich dieser Relativsatz allerdings auch auf die automatische Stapel- und Zählvorrichtung beziehen. Ein solcher Rückbezug lässt sich jedoch weder mit der Systematik des Anspruchs vereinbaren, noch in Abgrenzung zum Stand der Technik und der damit verbundenen Funktion des Kennzeichens vertreten.
  47. b)
    Nach dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs ist dem Mehrfach-Form- und Stanzwerkzeug eine Stapel- und Zählvorrichtung nachgeschaltet, der wiederum eine Fangplatte zugeordnet ist. Die Fangplatte soll patentgemäß die aus der Maschine ausgestoßenen Artikel in komplementären Ausformungen zu Artikelstangen zusammenführen. Auch wenn es bei einer rein grammatikalischen Auslegung nicht ausgeschlossen erscheint, dass die Fangplatte nur die einzelnen Artikel transportiert, um sie erst in einem weiteren nachgeordneten Maschinenbestandteil zu Artikelstangen zusammenzuführen, gelangt der Fachmann bei der Ermittlung des technischen Sinngehalts des Anspruch zu einem Verständnis, bei dem die Artikel bereits in der Fangplatte zu Artikelstangen zusammengeführt werden müssen.
  48. Das Mehrfach-Form- und Stanzwerkzeug besteht aus einem Oberwerkzeug und einem Unterwerkzeug, wobei das Unterwerkzeug zum Abstapeln der Fertigartikel ausschwenkbar ist. Bereits Merkmal 6 lässt daher mit dem Begriff „Abstapeln“ erkennen, dass die Artikelstapel durch die (wiederholte) Abgabe der einzelnen Artikel in die die Artikel aufnehmende Fangplatte gebildet werden. Hinzu kommt, dass der Klagepatentanspruch kein weiteres Bauteil benennt, in dem die Artikel sonst erstmals zu Artikelstangen zusammengeführt werden könnten. Um die Artikelstangen-Aufnahmeplatte oder den Stapelkorb kann es sich bei einem solchen Bauteil nicht handeln, weil Aufnahmeplatte und Stapelkorb überhaupt erst ins Spiel kommen, wenn die Artikelstangen bereits gebildet sind. Gemäß Merkmal 10 werden nämlich die Artikelstangen auf die Artikelstangen-Aufnahmeplatte bzw. den Stapelkorb übergeleitet.
  49. Würde der mit „aus der“ eingeleitete Relativsatz auf die Stapel- und Zählvorrichtung bezogen, ergäbe sich schließlich der technisch nicht nachvollziehbare Aufbau einer Maschine, bei der die Artikel von der Fangplatte auf einem weiteren nicht benannten Maschinenbestandteil gestapelt würden, von wo sie auf eine Aufnahmeplatte oder einen Stapelkorb außerhalb der Stapel- und Zählvorrichtung übergeleitet werden, um dann von dort entnommen zu werden. Es ist nicht erklärlich, warum der Fachmann ein weiteres Maschinenbauteil vorsehen sollte, wenn die Stapelung und die Entnahme der Stapel auch von der Stapel-Aufnahmeplatte oder dem Stapelkorb geleistet werden könnten.
  50. Eine solche Auslegung steht zudem in Widerspruch zu dem in Abs. [0012] beschriebenen Ausführungsbeispiel. Dort heißt es in Spalte 3, Zeile 30 ff:
  51. „Die Stapel- und Zählvorrichtung 4 umfasst eine verfahrbare Fangplatte 7, die entsprechend der Anzahl der in dem Unterwerkzeug 8 der Thermoformmaschine 1 in über- und nebeneinanderliegenden Reihen vorgesehenen Formnestern eine entsprechende Anzahl von Ausformungen und –nehmungen 9 aufweist, in die die Fertigartikel 10 von – nicht dargestellten – Ausstoßern der Thermoformmaschine 1 eingebracht und dort zu Artikelstangen 11 mit einer durch die speicherprogrammierbare Steuerung (nicht gezeicht) der Thermoformmaschine 1 vorgegebenen Anzahl von Fertigartikeln 10 ineinandergestapelt werden. Die Stapel- und Zählvorrichtung 4 weist weiterhin einen Stapelkorb 12 auf, der die Artikelstangen 11 von der Fangplatte 7 übernimmt und aus dem die Artikelstangen 11 auf das Transportband 5 abgegeben werden (…).“
  52. Wird der mit „aus der“ eingeleitete Relativsatz auf die Stapel- und Zählvorrichtung bezogen, wäre das einzige Ausführungsbeispiel nicht mehr vom Wortlaut des Klagepatentanspruchs umfasst – eine Auslegung, die sich grundsätzlich verbietet (BGH, Urt. v. 14.10.2014, X ZR 35/11, Rn 26 – Zugriffsrechte; Urt. v. 12.05.2015, X ZR 43/13, Rn 16 – Rotorelemente).
  53. c)
    Mit den Merkmalen 9 und 10 knüpft das Klagepatent an die aus dem Stand der Technik bekannten Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine an, wie sie in den Absätzen [0002] und [0003] gewürdigt wird. Auch bei diesen Verfahren werden die Artikel in die Fangplatte eingestapelt. Dies ergibt sich bereits aus der in der Patentschrift beschriebenen Notwendigkeit eines großen Schwenkwinkels des Unterwerkzeugs, „damit die Artikel beim Abstapeln nicht gegen Störkanten geraten“ (Sp. 1 Z. 41-45). Es ist also das Unterwerkzeug, das die Artikel bereits in die Fangplatte, die die Artikel vom Unterwerkzeug übernimmt, abstapelt. Allerdings muss die Fangplatte mit den übernommenen Artikeln aus dem Schwenkweg des Unterwerkzeugs herausfahren, was zur Verminderung von Totzeiten mit einer hoher Beschleunigung und hoher Verzögerung erfolgt. Die hohen Beschleunigungen und Verzögerungen setzen jedoch aufwendige Haltekonstruktionen für die in der Fangplatte den Massenkräften ausgesetzten Artikel voraus. Das Klagepatent sieht daran als nachteilig an, dass durch diese Haltekonstruktionen ein nachteiliger Verformungseinfluss auf die Fertigartikel beim Einstapeln, Auskämmen und Abschieben der Fertigartikel auftritt (Abs. [0003]). Auch an dieser Stelle geht das Klagepatent davon aus, dass ein „Einstapeln“ (Sp. 1 Z. 64) der Artikel in die Fangplatte erfolgt, mithin in der Fangplatte Artikelstapel gebildet werden.
  54. Das Problem der nachteiligen Verformungseinflüsse löst das Klagepatent nicht dadurch, dass die Artikel nicht mehr gestapelt, sondern einzeln verfahren werden. Es knüpft vielmehr mit den Merkmalen 9 und 10 des Klagepatentanspruchs an die aus dem Stand der Technik bekannten Verfahren an und sieht stattdessen in den Merkmalen 11 bis 14 vor, dass der Verfahrweg verlängert wird und die Fangplatte auf einer ersten Teilstrecke mit hoher Beschleunigung bzw. Verzögerung und auf einer zweiten Teilstrecke mit kleiner Beschleunigung bzw. Verzögerung zugestellt wird. Im Klagepatent wird explizit darauf hingewiesen,
  55. „die damit erreichte gleiche Verfahrdynamik ergibt einen solchen Bewegungsablauf, daß kein maßgebliches Auseinanderziehen der ineinandergestapelten Fertigartikel auftritt. Denn sobald der Störbereich verlassen wird, wirken nur so kleine Massenkräfte, die die Reibkräfte zwischen den Fertigartikeln und der Stapelunterlage nicht überwinden können“ (Sp. 2 Z. 39 – 43).
  56. Die Beschreibung des Klagepatents geht an dieser Stelle erneut von der Stapelung mehrerer Fertigartikel in der Fangplatte aus. Das technische Problem bestand im Stand der Technik gerade darin, dass diese Artikelstapel durch die hohe Verfahrdynamik auseinandergezogen wurden und Haltekonstruktionen mit einem nachteiligen Verformungseinfluss erforderlich waren. Dementsprechend weist das Klagepatent an anderer Stelle darauf hin, dass die Artikelübergabe patentgemäß ohne Haltemittel möglich sei, so dass nicht nur der damit verbundene Aufbau geringer sei, sondern auch die Artikel keine Druckstellen oder sonstige mechanische Beschädigungen aufweisen (Sp. 3 Z. 7 – 11). Genau diese Zusammenhänge, wonach durch die geringere Verfahrdynamik auf die ineinander gestapelten Artikel geringere Massenkräfte wirken, die die Reibkräfte zwischen den ineinandergestapelten Fertigartikeln der Artikelstangen nicht überwinden können, werden auch im Rahmen des Ausführungsbeispiels beschrieben (Sp. 4 Z. 35 – 49; vgl. demgegenüber Sp. 4 Z. 61 – Sp. 5 Z. 5 zum Stand der Technik). Immer geht es darum, ein Auseinanderziehen der in der Fangplatte gebildeten Artikelstangen zu vermeiden, um von den aus dem Stand der Technik bekannten Haltevorrichtungen absehen zu können.
  57. Der Fachmann entnimmt alledem, dass sich der Gegenstand des Klagepatentanspruchs auf ein Verfahren zum Betreiben einer Thermoformmaschine bezieht, auf deren Fangplatte Artikelstapel gebildet werden, weil sich das mit einer hohen Verfahrdynamik verbundene technische Problem beim Verfahren eines einzelnen Artikels überhaupt nicht stellt. Denn der einzelne Artikel befindet sich auf der Fangplatte ohnehin in einer komplementären Ausformung (vgl. Merkmal 9), die ein Verrutschen auch bei höheren Beschleunigungen regelmäßig verhindert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der bereits zitierten Textstelle, nach der die Massenkräfte die Reibkräfte zwischen den Fertigartikeln und der Stapelunterlage nicht überwinden können (Sp. 2 Z. 43 f.). Zum einen bezieht sich diese Textstelle – eingeleitet mit „denn“ – auf den Satz davor, der darauf hinweist, dass kein maßgebliches Auseinanderziehen der Artikelstapel auftritt; daher spricht auch die zitierte Textstelle von „Stapelunterlage“. Zum anderen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass einzelne Artikel aufrecht auf der Fangplatte stehen und es nur um die Reibkräfte zwischen diesem Artikel und der Fangplatte ginge. Stattdessen ergibt sich aus Merkmal 9, dass die Artikel in komplementären Ausformungen aufgenommen werden, und aus dem Ausführungsbeispiel, dass die Artikelstangen sogar in nahezu horizontaler Ausrichtung transportiert werden (vgl. Fig. 1), so dass der Kontakt mehrerer Artikel eines Stapels mit der Stapelunterlagen nicht ausgeschlossen ist. Letztlich geht es um die insgesamt innerhalb des Artikelstapels und seiner Auflage auf der Stapelunterlage herrschenden Reibkräfte. Für die Aufnahme und den Transport nur einzelner Artikel durch die Fangplatte lässt sich dem nichts entnehmen.
  58. 2.
    Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die angegriffene Ausführungsform die Merkmale 9 und 10 des geltend gemachten Klagepatentanspruchs verwirklicht.
  59. a)
    Die angegriffene Ausführungsform umfasst alle Thermoformmaschinen der Beklagten des Typs CC neue Generation, die mit Stapelmaschinen des Typs C kombiniert werden können. Dies ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin in der Replik, mit der sie unter Verweis auf die Anlage K 14 noch einmal klargestellt hat, dass all diese Stapeleinrichtungen gemein haben, dass sie Fangplatten mit dem patentgemäßen verlängerten Verfahrweg aufweisen und synchron zur Maschine betrieben werden. Damit sind sämtliche Kombinationen von Thermoformmaschinen des Typs CC und Stapelmaschinen des Typs C streitgegenständlich. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, streitgegenständlich seien nur solche Maschinen, die überhaupt eine Fangplatte aufweisen, vermag dies den zunächst weiter gefassten Streitgegenstand nicht nachträglich einzuschränken.
  60. b)
    Die Stapelmaschinen mit der Bezeichnung G, H und I verwirklichen die Lehre des Klagepatents bereits deshalb nicht, weil sie nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten bereits keine Fangplatte gemäß der Stapelmaschine J aufweisen. Für die Stapelmaschine K ist eine solche Fangplatte jedenfalls nicht obligatorisch.
  61. c)
    Doch auch soweit die mit der Thermoformmaschine kombinierbaren Stapelmaschinen eine Fangplatte aufweisen, ist diese nicht entsprechend ausgestaltet, um gemäß den Merkmalen 9 und 10 die Fertigartikel zu Artikelstapeln zusammenzuführen und die so gebildeten Artikelstapel auf eine Artikelstangen-Aufnahmeplatte oder einen Stapelkorb überzuleiten.
  62. Bei der angegriffenen Ausführungsform nimmt die Fangplatte die nach dem Schwenken des Maschinentisches oder des Unterwerkzeugs aus der Maschine ausgestoßenen Artikel in komplementäre Ausformungen auf. Sie übernimmt die Fertigartikel taktweise aus dem Unterwerkzeug und überführt diese direkt in den Stapelkäfig. Dabei ist es zwischen den Parteien unstreitig, dass die Artikelstangen in der Stapel- und Zählvorrichtung gebildet werden. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass die Fangplatte mit dem jeweiligen Fertigartikel innerhalb der Stapel- und Zählvorrichtung an einen in dieser befindlichen Stapelkorb weiterfährt und die Fertigartikel dort abgibt. Diesem Sachvortrag ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
  63. Die Artikelstapel werden sodann beim Erreichen der vorgewählten Stückzahl aus der Stapel- und Zählvorrichtung entnommen und nicht aus der Fangplatte, was aus dem als Anlage K 4 vorgelegten Video ab Minute 1,46 erkennbar ist wie folgt:
  64. Im Bild zu sehen ist die in Bewegung befindliche Fangplatte, im Bild mittig erkennbar. Rechts im Bild zu sehen ist der Stapelkorb, in dem sich bereits Fertigartikel befinden, die zu Artikelstangen zusammengeführt sind. Die Artikelstangen werden bei der angegriffenen Ausführungsform damit nicht in der Fangplatte sondern erst im die Fertigartikel übernehmenden Stapelkorb gebildet. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht mithin die Merkmale 9 und 10 nicht.
  65. III.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
  66. IV.
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
  67. Der Klägerin war Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO nicht zu gewähren. Sie hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr durch die Vollstreckung des Urteils ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 712 ZPO entsteht.

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