I-2 U 46/20 – Kinderroller

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3103

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 08. April 2021, Az. I-2 U 25/20

Vorinstanz: 4a O 55/19

  1. A. Die Berufung gegen das am 15.09.2020 verkündete Urteil der 4a Zivil-kammer des Landgerichts Düsseldorf (Az. 4a O 55/19) wird – außer hin-sichtlich eines zuerkannten Betrages von EUR 75,62 für den zweiten Testkauf, hinsichtlich dessen die Klage abgewiesen wird – mit der Maß-gabe zurückgewiesen, dass der Tenor folgende Fassung erhält:
  2. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  3. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwi-derhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungs-haft im Falle der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführerin zu vollstrecken ist,
  4. zu unterlassen
  5. einen Roller, aufweisend eine Deckanordnung, die einen Pe-dalabschnitt, einen hinteren Abschnitt und einen vorderen Ab-schnitt aufweist, wobei der hintere und der vordere Abschnitt an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts an-geordnet sind, wobei der hintere Abschnitt mit einem Hinter-rad drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt mit einer Radachse drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vor-derräder mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind,
  6. wobei der vordere Abschnitt eine runde Bohrung aufweist, in der eine axiale Bewegung eines Eingriffselements möglich ist, wobei die Radachse eine runde Eingriffsausnehmung auf-weist, wobei ein zylindrisches Eingriffselement in der runden Bohrung derart gleitend aufgenommen ist, dass es in axialer Richtung beweglich ist und wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht, und wobei die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist,
  7. und eine Lenkstange, die an dem zu dem vorderen Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert ist,
  8. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  9. 2. dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
  10. der Namen und Anschriften der Hersteller, der Lieferanten und anderer Vorbesitzer oder der gewerblichen Abnehmer sowie unter Angabe der Mengen der ausgelieferten, erhalte-nen oder bestellten Erzeugnisse sowie der bezahlten Preise,
  11. wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben die entspre-chenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen, hilfs-weise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei Da-ten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungsle-gung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Ge-heimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können;
  12. 3. dem Kläger durch ein vollständiges und geordnetes Verzeich-nis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Be-klagten die zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
  13. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefer-mengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeich-nungen) sowie der Namen und Anschriften der Abneh-mer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
  14. b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Ange-botsmengen, -zeiten und -preise (und ggf. Typenbe-zeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  15. c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbe-trägern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  16. d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüssel-ten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  17. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und An-schriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Ange-botsempfänger statt dem Kläger einem von diesem zu be-zeichnenden, ihm gegenüber zur Verschwiegenheit verpflich-teten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in Fmitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechti-gen und verpflichten, dem Kläger auf konkrete Anfrage mitzu-teilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
  18. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch ver-pflichtet sind, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die zu I.1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, die die Beklagten seit dem 2. Juni 2013 be-gangen haben.
  19. III. Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter oben I.1. fallenden Roller auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzie-her zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1. – Kosten herauszugeben.
  20. IV. Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die unter Ziffer I.1. be-schriebenen, seit dem 02.05.2013 in Verkehr gebrachten Roller gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 08.04.2021) festgestellten gebrauchsmusterverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwai-ge Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und La-gerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  21. V. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Klä-ger eine Summe von EUR 5.797,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2019 zu zah-len und werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Klä-ger eine weitere Summe von EUR 63,68 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2019 zu zahlen.
  22. VI. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  23. B. Die Kosten des Rechtsstreits 2. Instanz tragen die Beklagten als Ge-samtschuldner.
  24. C. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  25. Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Si-cherheitsleistung in Höhe von EUR 250.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leis-tet.
  26. D. Die Revision wird nicht zugelassen.
  27. E. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 250.000,00 festgesetzt.
  28. Gründe:
  29. I.
  30. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen unmittelbarer wortsinngemäßer, hilfsweise äquivalenter Gebrauchsmusterverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungs-legung, Zahlung vorgerichtlicher Kosten sowie auf Feststellung der Schadenersatz-pflicht dem Grunde nach in Anspruch. Gegenüber der Beklagten zu 1) begehrt er dar-über hinaus auch Rückruf und Vernichtung patentverletzender Erzeugnisse.
  31. Der Kläger ist der im Register eingetragene Inhaber des deutschen Gebrauchsmus-ters DE 20 2013 XXA (nachfolgend: Klagegebrauchsmuster; vorgelegt als Anlage LR8) mit dem Titel „Roller“. Das Klagegebrauchsmuster hat den Anmeldetag 28.01.2013 und wurde am 11.03.2013 eingetragen. Das Deutsche Patent- und Mar-kenamt (nachfolgend: DPMA) machte die Eintragung am 02.05.2013 im Patentblatt bekannt.
  32. Das Klagegebrauchsmuster steht in Kraft. Der Kläger ließ vom DPMA eine Recherche zum relevanten Stand der Technik des Klagegebrauchsmusters (§ 7 Abs. 1 GebrMG) durchführen, für deren Ergebnis auf den in Anlage LR13 vorgelegten Recherchebe-richt vom 05.02.2018 verwiesen wird. Unter dem 14.12.2020 stellte die Beklagte zu 1) beim DPMA einen Löschungsantrag (vorgelegt als Anlage BB1) gegen das Klagege-brauchsmuster, über den noch nicht entschieden worden ist.
  33. Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters lautet in der eingetra-genen Fassung:
  34. “Roller (10), aufweisend:
    eine Deckanordnung (20), die einen Pedalabschnitt (23), einen hinteren Ab-schnitt (24) und einen vorderen Abschnitt (25) aufweist, wobei der hintere und der vordere Abschnitt (24, 25) an zwei entgegengesetzten Enden des Pedal-abschnitts (23) angeordnet sind, wobei der hintere Abschnitt (24) mit einem Hinterrad (241) drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt (25) mit einer Radachse (26) drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder (261) mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse (26) drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt (25) einen ersten Gleitschlitz (258) aufweist, wobei die Radachse (26) eine Eingriffsausnehmung (265) aufweist, wobei ein Eingriffselement (29) in dem ersten Gleitschlitz (258) derart gleitend aufge-nommen ist, dass es wahlweise zwischen einer ersten und einer zweiten Po-sition mit der Eingriffsausnehmung (265) in Eingriff steht, und wobei die Rad-achse (26) in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt (2) festgelegt ist; und
    eine Lenkstange (30), die an dem zu dem vorderen Abschnitt (25) benachbar-ten Ende der Deckanordnung (20) montiert ist.
  35. Zur Veranschaulichung der beanspruchten Lehre werden nachfolgend die Figuren 1, 2 und 4 des Klagegebrauchsmusters verkleinert eingeblendet. Dabei zeigt Figur 1 nach Abs. [0007] der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters eine perspektivische An-sicht eines erfindungsgemäßen Rollers:
  36. Die nachfolgend eingeblendete Figur 2 zeigt eine perspektivische Explosionsteilan-sicht des Rollers aus Figur 1:
  37. Die nachfolgend eingeblendete Figur 4 zeigt schließlich eine Teilansicht eines Schnitts des beanspruchten und vorstehend gezeigten Rollers:
  38. Die Beklagte zu 1) ist ein deutsches Unternehmen und Vertriebs- und Logistikgesell-schaft der A. PTE. LD mit Sitz in B, die wiederum Roller und Dreiräder für Kinder her-stellt. Die Beklagte zu 2) ist die Geschäftsführerin der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 1) vertreibt in Deutschland unter anderem das Kinderrollermodell „C“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Zur Veranschaulichung wird ein Bild der angegriffe-nen Ausführungsform samt Verkaufsverpackung von S. 10 der Klageschrift einge-blendet:
  39. Das nachfolgend eingeblendete Bild von S. 15 der Klageschrift, welches von dem Kläger beschriftet wurde, wobei die Einordnung der bezeichneten Elemente dem strei-tigen Klägervortrag entspricht, zeigt das Innenleben des vorderen Teils der angegrif-fenen Ausführungsform:
  40. In dem vorstehenden Bild sind zwei kreisrunde Ausnehmungen (vom Kläger als „Gleitschlitze“ bezeichnet) erkennbar, die zwei silberne, zylinderförmige Arretierstifte („Eingriffselemente“ nach Ansicht des Klägers) aufnehmen. In den Teilbereichen der Arretierstifte, die jeweils in der Ausnehmung versenkt sind, sind die Arretierstifte von einem Federelement umgeben. Die Arretierstifte können durch Verdrehen des T-förmigen Schalters auf dem vorderen Abschnitt des Rollers, der in dem als erstes ein-geblendeten Bild erkennbar ist, in den Ausnehmungen versenkt werden und wieder herausgefahren werden.
  41. In dem nachfolgend eingeblendeten Bild von S. 18 der Klageschrift befinden sich die Arretierstifte in der ausgefahrenen Stellung (links) bzw. in der eingefahrenen Stel-lung (rechts):
  42. In der ausgefahrenen Stellung der Arretierstifte greifen diese in kreisrunde Ausneh-mungen der Vorderradachse des Rollers (Eingriffslöcher) ein und verhindern so ein Verschwenken der Vorderradachse, welche im eingefahrenen Zustand der Stifte mög-lich ist. Die beiden Stellungen sind auf dem nachfolgend eingeblendeten Bild von S. 19 der Klageschrift erkennbar, wobei die Bezeichnungen wiederum von dem Kläger stammen und zwischen den Parteien streitig sind:
  43. Der Kläger führte zwei Testkäufe bei den Unternehmen „D“ und „E“ durch (vgl. die Rechnungen in den Anlagen LR11/LR12). Er mahnte die Beklagte zu 1) mit anwaltli-chem Schreiben vom 25.02.2019 erfolglos ab (vgl. Anlagen LR6/LR7).
  44. Nach Auffassung des Klägers stellen das Angebot und der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesre¬publik Deutschland eine unmittelbare wortsinnge-mäße, hilfsweise eine äquivalente Verletzung des Klagegebrauchsmusters dar, das schutzfähig sei. Er hat bereits erstinstanzlich gegen die Beklagte die auch nunmehr verfolgten Ansprüche geltend gemacht.
  45. Die Beklagten haben erstinstanzlich eine wortsinngemäße oder äquivalente Verlet-zung des Klagegebrauchsmusters durch die angegriffene Ausführungsform in Abrede gestellt und im Übrigen die Ansicht vertreten, das Klagegebrauchsmuster sei nicht schutzfähig.
  46. Mit Urteil vom 15.09.2020 hat das Landgericht Düsseldorf eine unmittelbare, wort-sinngemäße Verletzung des Klagegebrauchsmusters bejaht und wie folgt erkannt:
  47. I.
    Die Beklagten werden verurteilt,
  48. 1.
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzu-setzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungs-haft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwi-derhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführerin zu vollstrecken ist,
  49. zu unterlassen
  50. einen Roller, aufweisend eine Deckanordnung, die einen Pedalabschnitt, ei-nen hinteren Abschnitt und einen vorderen Abschnitt aufweist, wobei der hin-tere und der vordere Abschnitt an zwei entgegengesetzten Enden des Pedal-abschnitts angeordnet sind, wobei der hintere Abschnitt mit einem Hinterrad drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt mit einer Radachse dreh-bar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt einen ersten Gleitschlitz aufweist, wobei die Radachse eine Eingriffsausneh-mung aufweist, wobei ein Eingriffselement in dem ersten Gleitschlitz derart gleitend aufgenommen ist, dass es wahlweise zwischen einer ersten und ei-ner zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht, und wobei die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist und eine Lenkstange, die an dem zu dem vorderen Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert ist,
  51. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  52. 2.
    dem Kläger darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
  53. der Namen und Anschriften der Hersteller, der Lieferanten und anderer Vor-besitzer, der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber sowie unter Angabe der Mengen der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der bezahlten Preise,
  54. wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Ein-kaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben, wobei Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Ge-heimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können
  55. 3.
    dem Kläger durch ein vollständiges und geordnetes Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Juni 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
  56. a)
    der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse be-stimmt waren,
  57. b)
    der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preise (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  58. c)
    der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Aufla-genhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  59. d)
    der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  60. wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Kläger einem von diesem zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in F mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, dem Kläger auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerb-licher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
  61. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die zu I. 1. bezeichne-ten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, die die Beklagten seit dem 2. Juni 2013 begangen haben.
  62. III.
    Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mit-telbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter oben I.1. fallende Roller auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu be-nennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben.
  63. IV.
    Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die unter Ziffer I. 1. beschriebenen, in den Besitz Dritter gelangten und dort befindlichen Roller, aus den Vertriebs-wegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte zu 1. oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Ver-letzung des Klagegebrauchsmusters DE 20 2013 XXC erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zu 1. zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, sowie
  64. endgültig zu entfernen, indem die Beklagte zu 1. die erfolgreich zurückgerufe-nen Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst;
  65. V.
    die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger eine wei-tere Summe von EUR 5.797,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2019 zu zahlen und werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger eine weitere Summe von EUR 139,30 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2019 zu zahlen.
  66. VI.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  67. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
  68. Die angegriffene Ausführungsform verwirkliche die Lehre des Klagegebrauchsmusters unmittelbar wortsinngemäß. Unter einem Gleitschlitz verstehe das Klagegebrauchs-muster eine längliche Vertiefung, die eine geführte gleitende Bewegung des Ein-griffselements entlang der Erstreckung des Schlitzes ermöglicht. Funktional solle der Gleitschlitz eine gleitende Bewegung sicherstellen. Mit dem Anspruchswortlaut „Schlitz“ verbinde der Fachmann zwar nicht ausschließlich eine Nut, die als Führungs-lager dient, der Begriff „Schlitz“ beinhalte aber jedenfalls eine längliche Erstreckung. Der „Gleitschlitz“ habe die Funktion, eine Gleitbewegung von einem Punkt zu einem anderen Punkt zu ermöglichen. Das Eingriffselement solle in beiden Positionen in dem ersten Gleitschlitz „gleitend aufgenommen“ sein. Der Begriff „aufnehmen“ bedeute, dass sich das Eingriffselement innerhalb des Gleitschlitzes befindet, wobei auch eine teilweise Aufnahme genüge. Das Klagegebrauchsmuster gebe die Form des Gleit-schlitzes in Anspruch 1 nicht verbindlich vor. Die ovale Form werde nur in einem Aus-führungsbeispiel und in Unteranspruch 9 genannt. Ferner lege auch erst Unteran-spruch 2 die Bewegungsrichtung des Eingriffselements fest. Möglich sei auch eine Ausgestaltung des Gleitschlitzes, die eine axiale/vertikale Verschiebung des Ein-griffselements zulasse, solange das Eingriffselement in beide möglichen Eingriffsposi-tionen durch den Gleitschlitz gleitend bewegt werden könne. Die räumlich-körperliche Vorgabe des Schlitzes erschöpfe sich in dessen länglicher Erstreckung, unerheblich in welche Richtung diese erfolge. Der Anspruch verlange sowohl „ein“ Eingriffselement als auch „einen“ ersten Gleitschlitz, was der Fachmann als Mindestangaben auffasse. Unter Festlegen der Radachse verstehe das Klagegebrauchsmuster eine mechani-sche Sperre.
  69. Hiernach weise die angegriffene Ausführungsform einen anspruchsgemäßen Gleit-schlitz auf, da sie über zwei runde, kreisförmige Bohrungen/Öffnungen im vorderen Abschnitt der Deckanordnung verfügt, während die silbernen, zylinderförmigen Arre-tierstifte die Eingriffselemente darstellten. Auch in der ersten Position befänden sich die Arretierstifte jedoch noch teilweise in den Bohrungen/Öffnungen, so dass diese –wie vom Anspruch verlangt – gleitend aufgenommen sind. Der Kläger habe in der Verhandlung unwidersprochen dargelegt, dass auch einer der zylindrischen Arretier-stifte allein das Trittbrett festhalte.
  70. Die Eingriffsausnehmung müsse gebrauchsmustergemäß so ausgestaltet sein, dass sie mit dem Eingriffselement in Eingriff stehen kann. Bei den silbernen, zylinderförmi-gen Arretierstiften der angegriffenen Ausführungsform handele es sich um Ein-griffselemente, die in zwei Positionen mit den Öffnungen der Radachse, die an-spruchsgemäße Eingriffsausnehmungen darstellten, in Eingriff bzw. nicht in Eingriff stehen können.
  71. Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters sei schutzfähig. Die Entgegenhaltungen DE 100 36 XXD und US 2,33XXE nähmen jeweils Anspruch 1 des Klagegebrauchs-musters nicht neuheitsschädlich vorweg. Jeweils sei nicht ersichtlich, dass die Rad-achse in der ersten Position gegenüber dem vorderen Abschnitt festgelegt sei.
  72. Der Kläger habe – neben den anderen zuerkannten Ansprüchen – auch einen An-spruch dem Grunde nach auf Erstattung der Abmahnkosten. Insoweit hätten die Be-klagten ihr Bestreiten mit Nichtwissen nach Vorlage der Rechnungen nicht mehr auf-rechterhalten. Auch habe der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Testkaufkosten; die Durchführung von zwei Testkäufen sei auch zweckmäßig gewesen.
  73. Gegen das ihren Prozessbevollmächtigen am 17.09.2020 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit rechtsanwaltlichem Schriftsatz vom 13.09.2020, am selben Tage bei Gericht eingegangen, Berufung eingelegt, mit der sie ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes Begehren auf Abweisung der Klage weiterverfolgen.
  74. Sie wiederholen und ergänzen ihr erstinstanzliches Vorbringen und machen geltend:
  75. Die vom Landgericht vorgenommene funktionale Betrachtung führe zu einer Ausle-gung, die mit der beanspruchten räumlich-körperlichen Ausgestaltung des Gleitschlit-zes nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen sei. Der Fachmann verstehe Gleich-schlitz technisch als Nut. Dies sei ein gängiger Begriff für eine zumindest in zwei Rich-tungen längliche Vertiefung, die als Führungslager für eine gleitende Bewegung längs der Erstreckung des Gleitschlitzes dient. Dieser Definition unterfielen auch alle im Klagegebrauchsmuster beschriebenen Ausführungsbeispiele. Damit eine Öffnung als Schlitz definiert werden könne, müsse die Öffnung in einer Richtung senkrecht zur Durchdringungsrichtung länglich sein. Das Klagegebrauchsmuster unterscheide expli-zit zwischen einer Bohrung und einem Schlitz. Auch Unteranspruch 2 könne nicht zu dem Verständnis führen, dass Anspruch 1 eine rein axiale Bewegung schütze. Der Recherchebericht sei ein zulässiges Auslegungsmittel des Klagegebrauchsmusters und spreche für die Ansicht der Beklagten. Dagegen würde der Fachmann eine kreis-runde Bohrung, in der ein Stift komplementär angeordnet werden kann, nicht als Gleitschlitz ansehen. Eine solche Bohrung falle nicht mehr unter den Wortsinn des Begriffes „Gleitschlitz“, sondern stelle allenfalls ein gleichwirkendes (äquivalentes) Ersatzmittel dar. Allerdings lasse sich der wortlautgemäße Gleitschlitz nicht abstrahie-ren, so dass auch eine äquivalente Verletzung ausscheide.
  76. Das Eingriffselement müsse anspruchsgemäß gleitend in dem Gleitschlitz aufgenom-men sein, was bedeute, dass es sich innerhalb des Gleitschlitzes befinden müsse. Bei einer korrekten Auslegung sei das „Eingriffselement“ nur der Abschnitt des Ein-griffselements, der mit der Eingriffsausnehmung der Radachse tatsächlich in Eingriff steht; dieser müsse in beiden Positionen in dem ersten Gleitschlitz gleitend aufge-nommen sein. Dies belegten die Figuren 1, 2, 4 und 7 des Klagegebrauchsmusters. Das Eingriffselement müsse von Hand in eine erste und zweite Position bewegt wer-den können. Eine axiale/vertikale Verschiebung des Eingriffselements entlang der länglichen Vertiefung sei nicht beansprucht. Selbst wenn man bei der angegriffenen Ausführungsform die Bohrung unzutreffend als Gleitschlitz ansehen wollte, wäre das Eingriffselement (nämlich der Eingriffsabschnitt der Arretierstifte) in der ersten Positi-on nicht mehr in dem ersten Gleitschlitz gleitend aufgenommen, da es sich vollständig in der Durchgangsbohrung der Radachse (Eingriffslöcher) befinde.
  77. Die Eingriffsausnehmung müsse so ausgebildet sein, dass diese den Eingriffsab-schnitt aufnehmen und freigeben kann. Entsprechend verstehe der Fachmann „Ein-griffsausnehmung“ als geöffnete Hälfte eines (Gleit-) Schlitzes, wie es in Figur 2 des Klagegebrauchsmusters gezeigt sei. Die anspruchsgemäße Eingriffsausnehmung müsse sich zumindest teilweise mit dem Gleitschlitz überlappen. Die bei der angegrif-fenen Ausführungsform an der Radachse vorhandenen Eingriffslöcher seien damit keine Eingriffsausnehmungen.
  78. Der Hilfsantrag zur Äquivalenz sei zu unbestimmt und zu weit, da er sich nicht auf den zylindrischen Abschnitt des Eingriffselements beschränke, sondern weiterhin das zy-lindrische Eingriffselement insgesamt anspricht. Im Übrigen nehmen die Beklagten auf ihren Vortrag zur fehlenden äquivalenten Gebrauchsmusterverletzung in erster In-stanz Bezug.
  79. Die Begleichung der Abmahnkosten durch den Kläger sei, entgegen der Auffassung des Landgerichts, von den Beklagten bestritten worden.
  80. Hilfsweise sei das Verfahren bis zur Entscheidung über das gegen das Klagege-brauchsmuster anhängige Löschungsverfahren auszusetzen. Dabei sei zu berücksich-tigen, dass sich der Kläger Zeit gelassen habe, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu neh-men. Das Landgericht habe den Stand der Technik unzutreffend gewürdigt und sei so fehlerhaft zur Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters gekommen.
  81. Die Beklagten beantragen,
  82. das Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 15.09.2020 (Az. 4a O 55/19) abzuändern und die Klage abzuweisen;
  83. hilfsweise:
    den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über das gegen das Klagegebrauchsmuster anhängige Löschungsverfahren nach § 19 GebrMG auszusetzen;
  84. hilfsweise:
    den Rechtsstreit in die 1. Instanz zurückzuverweisen.
  85. Der Kläger beantragt,
  86. die Berufung mit den Maßgaben zurückzuweisen,
  87. – dass im Antrag zu Ziffer I.1. das Wort „herzustellen“ gestrichen wird;
  88. – dass es im Antrag zu Ziffer I.2. statt „, der gewerblichen Abnehmer oder Auftrag-geber“ heißt „oder der gewerblichen Abnehmer“;
  89. – dass es im Antrag zu Ziffer III. (Vernichtung) statt „Treuhänder“ heißt „Gerichtsvoll-zieher“ und hinter der „Beklagten“ eingefügt wird „zu 1.“;
  90. – dass der Antrag zu Ziffer IV. nur für seit dem 02.05.2013 in Verkehr gebrachte Rol-ler gilt und folgende Fassung erhält:
  91. „Die Beklagte zu 1. wird weiter verurteilt, die unter Ziffer I.1. beschriebenen, seit dem 02.05.2013 in Verkehr gebrachten Roller gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten ge-brauchsmusterverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zu-sage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpa-ckungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.“
  92. – und dass im Antrag zu Ziffer V. das Wort „weitere“ vor „Summe von EUR 5.797,10“ gestrichen wird.
  93. Hilfsweise, für den Fall, dass der Senat nicht auf eine wortsinngemäße Verletzung erkennt, stellt er den Antrag zu Ziffer I.1. in der folgenden Fassung:
  94. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzuset-zenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an deren Geschäftsführerin zu vollstrecken ist,
  95. zu unterlassen
  96. einen Roller, aufweisend eine Deckanordnung, die einen Pedalabschnitt, einen hinteren Abschnitt und einen vorderen Abschnitt aufweist, wobei der hintere und der vordere Abschnitt an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts an-geordnet sind, wobei der hintere Abschnitt mit einem Hinterrad drehbar verbunden ist, wobei der vordere Abschnitt mit einer Radachse drehbar verbunden ist, wobei ein Paar Vorderräder mit zwei entgegengesetzten Enden der Radachse drehbar verbunden sind, wobei der vordere Abschnitt einen ersten Gleitschlitz aufweist, der als runde Bohrung ausgeführt ist, in der eine axiale Bewegung eines Ein-griffselements möglich ist, wobei die Radachse eine runde Eingriffsausnehmung aufweist, wobei ein zylindrisches Eingriffselement in dem ersten Gleitschlitz derart gleitend aufgenommen ist, dass es in axialer Richtung beweglich ist und wahlwei-se zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht, und wobei die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist und eine Lenkstange, die an dem zu dem vorde-ren Abschnitt benachbarten Ende der Deckanordnung montiert ist,
  97. in der Bundesrepublik Deutschland, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu ge-brauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
  98. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Beklag-ten unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens entge-gen:
  99. Der anspruchsgemäße Gleitschlitz sei nicht nur als Nut zu verstehen. Das Klagege-brauchsmuster verstehe Schlitz und Bohrung nicht als Gegensatzpaar. Die Auslegung des Landgerichts berücksichtige zutreffend, dass die Unteransprüche 2 und 9 keinen Sinn ergäben, wenn bereits Anspruch 1 einen Gleitschlitz in Form einer Nut bean-spruchen würde. Ein Ausführungsbeispiel im Klagegebrauchsmuster rechtfertige keine einschränkende Auslegung des Anspruchs. Auch Abs. [0023] lege den Gleitschlitz nicht auf eine ovale Form fest; diese sei vielmehr Gegenstand des Unteranspruchs 9.
  100. Soweit die Beklagten geltend machen, nur der eigentliche Eingriffsabschnitt sei an-spruchsgemäß das Eingriffselement, sei eine solche Gestaltung Gegenstand von Un-teranspruch 9, auf dessen Lehre Anspruch 1 nicht beschränkt werden könne. Bei der angegriffenen Ausführungsform seien die Arretierstifte – also die Eingriffselemente – in beiden Positionen in dem Gleitschlitz in Form einer kreisrunden Bohrung aufge-nommen.
  101. Das Landgericht habe im Urteil den Begriff der Eingriffsausnehmung zutreffend aus-gelegt. Die Argumentation der Beklagten stütze sich insoweit auf ihr fehlerhaftes Ver-ständnis von einem Gleitschlitz und auf ein Ausführungsbeispiel nach Abs. [0024].
  102. Vor diesem Hintergrund habe das Landgericht zutreffend eine wortsinngemäße Ver-letzung des Klagegebrauchsmusters angenommen. Hilfsweise liege jedenfalls eine äquivalente Gebrauchsmusterverletzung vor, die weiterhin geltend gemacht werde und hinsichtlich der auf den erstinstanzlichen Vortrag verwiesen werde.
  103. Eine Aussetzung sei nicht angezeigt, da das Klagegebrauchsmuster schutzfähig sei. Dies zeige der Recherchebericht des DPMA zum Klagegebrauchsmuster. Zudem hät-ten die Beklagten den Löschungsantrag erst nach ungerechtfertigtem Zuwarten ge-stellt, was gegen eine Aussetzung spreche.
  104. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen, auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 08.04.2021 sowie auf den Tatbe-stand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genom-men.
  105. II.
    A.
    Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist insbesondere innerhalb der bis zum 17.12.2020 verlängerten Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) begründet worden.
  106. Die Beklagten haben den Berufungsbegründungschriftsatz am Tag des Fristablaufs nachmittags vorab per Fax beim OLG Düsseldorf eingereicht. Der ausreichenden Be-rufungsbegründung steht nicht entgegen, dass sich nur die ersten sieben Seiten des 18-seitigen Faxes in der Gerichtsakte finden lassen, da es nicht auf die Gerichtsakte, sondern allein auf den Eingang beim zuständigen Gericht ankommt. Die Übersendung der vollständigen Berufungsbegründung vor Fristablauf haben die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 08.04.2021 durch Vorlage des entsprechenden Fax-Sendeberichts nachgewiesen. Auch aus dem bei der Akte befindlichen Teil der Beru-fungsbegründung ist ersichtlich, dass das Fax insgesamt 18 Seiten umfasst hat und am 17.12.2020 bei Gericht eingegangen ist. Dass gleichwohl nur die ersten sieben Seiten der Berufungsbegründung zur Akte gelangt sind, beruht damit offensichtlich auf einem gerichtsinternen Versehen – etwa bei der Zuordnung des ausgedruckten Faxes zu der Gerichtsakte. Der Inhalt des gefaxten Berufungsschriftsatzes lässt sich aus dem postalisch eingereichten Schriftsatz ersehen und genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine ausreichende Berufungsbegründung.
  107. B.
    In der Sache hat die Berufung aber nur in sehr geringem Umfang Erfolg. Zwar stellen das Angebot und der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesre-publik Deutschland keine wortsinngemäße Benutzung des Klagegebrauchsmusters dar. Jedoch liegen in Bezug auf die nicht dem Wortsinn nach verwirklichten Merkmale hinsichtlich des „ersten Gleitschlitzes“ die Voraussetzungen der Äquivalenz vor, wes-wegen die Beklagten wegen äquivalenter Gebrauchsmusterverletzung im tenorierten Umfang zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung, zum Rück-ruf und zur Vernichtung gebrauchsmusterverletzender Erzeugnisse (jeweils nur die Beklagte zu 1)), zur Zahlung vorgerichtlicher Kosten und – dem Grunde nach – zum Schadenersatz verpflichtet sind. Dem Kläger stehen entsprechende Ansprüche aus §§ 24 Abs. 1 und Abs. 2, 24a Abs. 1 und Abs. 2, 24b GebrMG, §§ 242, 259 BGB zu. Lediglich hinsichtlich der Testkaufkosten steht dem Kläger nur ein Teil des geltend gemachten Zahlungsanspruchs zu. Das Klagegebrauchsmuster ist auch schutzfähig; für eine Aussetzung der Verhandlung im Hinblick auf das Löschungsverfahren besteht keine Veranlassung.
  108. 1.
    Das Klagegebrauchsmuster betrifft insbesondere einen Roller, der wahlweise mit einer Lenkungsfunktion versehen ist.
  109. a)
    In seiner einleitenden Beschreibung erörtert das Klagegebrauchsmuster das chinesi-sche Patent Nr. 2,58XXF, das eine Lenkungssteuereinrichtung für einen Roller mit zwei Vorderrädern offenbart, der eine vordere Lenkerstange, einen Verbindungssitz, eine Torsionsfeder, eine Verbindungsstange, einen Handgriff und einen Rahmen auf-weist. Bei diesem Roller führt eine Neigung des Handgriffs durch einen Fahrer dazu, dass die beiden Vorderräder gleichzeitig auslenken, wodurch der Roller nach links oder rechts ausschwenken kann (Abs. [0002]).
  110. Hieran kritisiert das Klagegebrauchsmuster, dass die Neigung des Handgriffs zur Steuerung der Ausschwenkung des Rollers keine leichte Art und Weise der Lenkung ist. Wenn der Fahrer den Roller zum Ausschwenken neigen möchte, muss er das Gewicht an dem einen Fuß abstützen und den anderen Fuß von dem Boden wegdrü-cken, um den Roller anzutreiben. Für einen Fahrer mit einem schlechten Gleichge-wichtssinn oder langsamen Reflexen ist dies ungeeignet und kann zu Unfällen füh-ren (Abs. [0003]).
  111. Hiervon ausgehend ist es die Aufgabe (technisches Problem) des Klagegebrauchs-musters, einen Roller bereitzustellen, der die oben genannten Nachteile vermindert und/oder vermeidet, wie es auch das Klagegebrauchsmuster selbst in Abs. [0004] formuliert.
  112. b)
    Zur Lösung dieser Aufgabe lehrt das Klagegebrauchsmuster einen Roller nach Maß-gabe von Anspruch 1, der sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lässt:
  113. 1 Der Roller (10) weist eine Deckanordnung (20) auf, die einen Pedalab-schnitt (23), einen hinteren Abschnitt (24) und einen vorderen Ab-schnitt (25) aufweist.
  114. 1.1 Der hintere Abschnitt (24) und der vordere Abschnitt (25) sind an zwei entgegengesetzten Enden des Pedalabschnitts (23) angeord-net.
  115. 1.2 Der hintere Abschnitt (24) ist mit einem Hinterrad (241) drehbar verbunden.
  116. 1.3 Der vordere Abschnitt (25) ist mit einer Radachse (26) drehbar verbunden.
  117. 1.3.1 Der vordere Abschnitt (25) weist einen ersten Gleit-schlitz (258) auf.
  118. 1.3.2 Die Radachse (26) weist eine Eingriffsausnehmung (265) auf.
  119. 1.3.3 Ein Eingriffselement (29) ist in dem ersten Gleit-schlitz (258) derart gleitend aufgenommen, dass es wahl-weise zwischen einer ersten und einer zweiten Position mit der Eingriffsausnehmung (265) in Eingriff steht.
  120. 1.3.4 Die Radachse (26) ist in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt (25) festgelegt.
  121. 1.4 Ein Paar Vorderräder (261) sind mit zwei entgegengesetzten En-den der Radachse (26) drehbar verbunden.
  122. 2 Der Roller (10) umfasst eine Lenkstange (30).
  123. 2.1 Die Lenkstange ist an dem zu dem vorderen Abschnitt (25) be-nachbarten Ende der Deckanordnung (20) montiert.
  124. Das Klagegebrauchsmuster lehrt hiernach einen Roller mit drei Rädern, einer Lenk-stange (30) und einer Deckanordnung (20). Diese Deckanordnung besteht ihrerseits aus einem Pedalabschnitt (23) mit einem vorderen und einem hinteren Abschnitt (25, 24) an dessen Enden. Der hintere Abschnitt (24) ist mit einem Hinterrad drehbar ver-bunden (Merkmal 1.2), während der vordere Abschnitt (25) mit einer Radachse dreh-bar verbunden ist, deren entgegengesetzte Enden wiederum mit Vorderrädern dreh-bar verbunden sind (Merkmale 1.3 und 1.4). Eine solche drehbare Verbindung zwi-schen vorderem Abschnitt und Radachse nach Merkmal 1.3 ist beispielshaft in Abs. [0020] beschrieben, wonach ein Befestigungselement 263 durch zwei Drehöff-nungen 251 und 252 tritt und mit einer Schraube 90 fixiert ist. Auf diese Weise können – wie im Stand der Technik – die Vorderräder auslenken.
  125. Um die damit einhergehenden Probleme für ungeschickte Fahrer zu vermeiden, die das Klagegebrauchsmuster in seiner einleitenden Beschreibung erörtert hat, weist der vordere Abschnitt gebrauchsmustergemäß einen ersten Gleichschlitz auf, während die Radachse eine Eingriffsausnehmung aufweist (Merkmale 1.3.1 und 1.3.2). In dem ersten Gleitschlitz ist ein Eingriffselement derart gleitend aufgenommen, dass es zwei Positionen einnehmen kann, wobei es in der ersten Position mit der Eingriffsausneh-mung der Radachse in Eingriff steht (Merkmal 1.3.3) und in dieser ersten Position die Radachse in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist (Merkmal 1.3.4). Mit an-deren Worten: In der ersten Position des Eingriffselements kann sich die Radachse gegenüber dem vorderen Abschnitt nicht mehr bewegen, so dass die Vorderräder nicht auslenken können – die drehbare Verbindung nach Merkmal 1.3 wird also fixiert. Damit können ungeschickte Fahrer den beanspruchten Roller mit weniger Unfallgefahr benutzen. Im Rahmen eines Ausführungsbeispiels (Abs. [0027]) formuliert das Klage-gebrauchsmuster dies dahingehend, „dass der Roller für einen Fahrer mit einem schlechten Gleichgewichtssinn oder langsamen Reflexen geeignet ist“, weil der Roller „von dem Fahrer lediglich entlang einer geraden Linie angetrieben werden kann“.
  126. Allerdings ist der Wortlaut von Merkmal 1.3.3 sprachlich missverständlich, soweit er darauf hindeutet, dass das Eingriffselement in beiden Positionen mit der Eingriffsaus-nehmung der Radachse in Eingriff stehen muss. Wie der Fachmann aus der Zusam-menschau mit Merkmal 1.3 und Merkmal 1.3.4 erkennt, muss sich das Eingriffsele-ment nur in der ersten Position tatsächlich in Eingriff mit der Eingriffsausnehmung der Radachse befinden und so eine Bewegung der Radachse gegenüber dem vorderen Abschnitt blockieren. Dies bestätigt die Beschreibung in Abs. [0024] und Abs. [0027] anhand eines Ausführungsbeispiels. So heißt es in Abs. [0024]:
  127. „Wenn das Eingriffselement 29 in der ersten Position ist, steht der Eingriffs-abschnitt 293 des Eingriffselements 29 mit der Eingriffsausnehmung 265 der Radachse 26 in Eingriff, um zu bewirken, dass die Radachse 26 in Bezug auf den vorderen Abschnitt 25 festgelegt ist. Wenn das Eingriffselement 29 in der zweiten Position ist, steht der Eingriffsabschnitt 293 des Eingriffselements 29 von der Eingriffsausnehmung 265 der Radachse 26 außer Eingriff, um zu be-wirken, dass die Radachse 26 in Bezug auf den vorderen Abschnitt 25 dreh-bar ist.“
  128. In der zweiten Position des Eingriffselements muss dagegen die Radachse nicht in Bezug auf den vorderen Abschnitt fixiert sein, so dass der beanspruchte Roller wie der vom Klagegebrauchsmuster einleitend beschriebene Roller im Stand der Technik genutzt werden kann – und ein Neigen zum Auslenken der Vorderräder nach links oder rechts erlaubt (vgl. der oben zitierte Abs. [0024] und Abs. [0027]). Allerdings macht Anspruch 1 hierzu keine Vorgaben, sondern überlässt die Ausgestaltung der zweiten Position des Eingriffselements dem Können des Fachmanns. Ausgeschlos-sen ist nur, dass sich das Eingriffselement auch in der zweiten Position mit der Ein-griffsausnehmung in Eingriff befindet, da dann keine drehbare Verbindung zwischen vorderem Abschnitt und Radachse existiert, die aber Merkmal 1.3 gerade verlangt.
  129. c)
    Unter einem ersten Gleitschlitz im Sinne der Merkmale 1.3.1 und 1.3.3 versteht das Klagegebrauchsmuster eine längliche Ausnehmung, die entlang ihrer Längsseite eine Öffnung besitzt und in der ein Eingriffselement gleitend aufgenommen werden kann, so dass es wahlweise in zwei Positionen gebracht werden kann. Der Gleitschlitz kann als eine längliche Vertiefung (wie eine Nut) ausgebildet sein, zulässig ist aber auch ein Schlitz, der das Material vollständig durchdringt, wie es in Figur 7 des Klagege-brauchsmusters gezeigt ist. Eine Bohrung, also eine Vertiefung im Material ohne Öff-nung an der Längsseite, fällt dagegen nicht mehr unter den Wortsinn eines „Gleit-schlitzes“.
  130. aa)
    Das Klagegebrauchsmuster verlangt einen ersten Gleitschlitz. Nach allgemeinen Sprachverständnis ist ein Schlitz eine schmale längliche Öffnung oder ein Spalt; im technischen Sinne wird darunter auch eine Nut verstanden. In diesem Sinne ge-braucht auch das Klagegebrauchsmuster den Begriff Gleitschlitz.
  131. bb)
    Zwar kann nicht unbesehen auf das allgemein- oder fachsprachliche Verständnis ei-nes im Anspruch verwendeten Begriffes abgestellt werden; denn der Fachmann bleibt bei einer rein philologischen Betrachtung nicht stehen, sondern berücksichtigt den technischen Sinn eines Merkmals im Gesamtkonzept der Lösung (vgl. zum Patent-recht: BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; BGH, GRUR 2002, 515 – Schneid-messer I). Entgegen der von den Beklagten angedeuteten Ansicht ist ein Gebrauchs-muster – auch in Bezug auf räumlich-körperliche Merkmale – in derselben Weise wie ein Patent auszulegen (BGH, GRUR 2007, 1059 – Zerfallszeitmessgerät; Ben-kard/Scharen, PatG, 11. Aufl. 2015, GebrMG § 12a Rn. 3).
  132. Die gebrauchsmustergemäße Funktion des Gleitschlitzes (Merkmale 1.3.1 und 1.3.3) ist es, das Eingriffselement derart aufzunehmen, dass es innerhalb des Gleitschlitzes in zwei Positionen gebracht werden kann. In der ersten Position soll das Eingriffsele-ment mit der Eingriffsausnehmung so in Eingriff stehen, dass eine Bewegung der Radachse (welche die Eingriffsausnehmung aufweist) gegenüber dem vorderen Ab-schnitt verhindert wird. Hierfür muss der Gleitschlitz mit der Eingriffsausnehmung in Verbindung stehen. Weiterhin muss der Gleitschlitz das Eingriffselement so um-schließen, dass es geführt ist und in dem Gleitschlitz aufgenommen bleibt, wenn es von der einen in die andere Position gebracht wird. Eine derartige Führung speziell durch einen Schlitz ist funktional nicht erforderlich; vielmehr erkennt der Fachmann, dass prinzipiell jede Gestaltung geeignet wäre, die das Eingriffselement aufnimmt und ihm ermöglicht, zwischen zwei Positionen gleitend verschoben zu werden.
  133. cc)
    Allerdings darf eine funktionale Betrachtungsweise nicht dazu führen, dass ein Begriff in einer Weise ausgelegt wird, die mit dem Wortsinn nicht mehr in Einklang zu bringen ist (BGH, GRUR 2016, 921, 923 – Pemetrexed; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185, 186 – WC-Sitzgelenk; Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907). Wenngleich der Fachmann erkennt, dass funktional ein Schlitz nicht zwingend für das Erreichen der mit Anspruch 1 verfolgten Vorteile erforderlich ist, so darf die funktionale Auslegung nicht dazu führen, dass jedwede geometrische Konstruktion als „Gleitschlitz“ verstan-den wird, welche die vom Anspruch hierfür vorgesehene Funktion erfüllt. Das Klage-gebrauchsmuster verlangt unmissverständlich einen Schlitz, in dem das Eingriffsele-ment gleitend aufgenommen sein muss. Ein Schlitz setzt aber zwingend eine Öffnung an einer Längsseite voraus – das aufnehmende Bauteil muss entsprechend aufge-schlitzt sein.
  134. Demgegenüber finden sich im Klagegebrauchsmuster – das sein eigenes Lexikon darstellt (vgl. BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube) – keine Anhaltspunkte dafür, dass „Schlitz“ in einem abweichenden Sinne verstanden werden könnte – also, dass etwas anderes als eine schmale längliche Öffnung, Spalt oder Nut als Schlitz bean-sprucht ist. Das Klagegebrauchsmuster offenbart vielmehr durchgängig einen ersten Gleitschlitz 258, der im Ausführungsbeispiel eine ovale Form hat (vgl. Abs. [0022]). Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein Ausschnitt aus Fig. 2 eingeblendet, in dem der Gleitschlitz 258 erkennbar ist:
  135. Auch der vom Klagegebrauchsmuster beschriebene zweite Gleitschlitz 222, der Ge-genstand von Unteranspruch 8 ist, ist in dieser Weise ausgeformt, so dass nicht nä-her erörtert werden muss, ob aus der Gestaltung des zweiten Gleitschlitzes überhaupt Rückschlüsse auf den hier relevanten ersten Gleitschlitz gezogen werden könnten.
  136. Die Unteransprüche 2 und 9 gebieten kein weiteres Verständnis eines Gleitschlitzes. Unteranspruch 2 spezifiziert die Lehre von Anspruch 1 dahingehend, dass „das Ein-griffselement (29) in Bezug auf den ersten Gleitschlitz (258) radial verschiebbar ist“. Dem kann der Fachmann zwar entnehmen, dass Anspruch 1 auf eine solche radiale Verschiebbarkeit nicht beschränkt ist, da ansonsten der Gegenstand von Unteran-spruch 2 dem von Anspruch 1 entspräche. Es lässt sich aber hieraus nicht schließen, dass unter einem Gleitschlitz gebrauchsmustergemäß auch Gestaltungen ohne längsseitige Öffnung verstanden werden können. Unteranspruch 2 betrifft die Bewe-gungsrichtung des Eingriffselements im Gleitschlitz, enthält aber keine Aussage zur Form des Gleitschlitzes, aus der man wiederum Rückschlüsse zur Gestaltung des Gleitschlitzes in Anspruch 1 ziehen könnte.
  137. Unteranspruch 9 konkretisiert die Lehre von Anspruch 1 unter anderem dahingehend, dass beide Gleitschlitze „in einer ovalen Form ausgebildet sind“. Eine solche ovale Form wird unter anderem in Figur 2 gezeigt, wie aus dem oben eingeblendeten Aus-schnitt erkennbar ist. Aber auch Unteranspruch 9 lässt kein vom allgemeinen Sprach-gebrauch abweichendes Verständnis eines Schlitzes zu. Anspruch 1 mag nicht auf oval-förmige Schlitze beschränkt sein – und somit auch in der Draufsicht etwa recht-eckige oder trapezförmige Schlitz-Gestaltungen beanspruchen. Demgegenüber lässt sich nicht schließen, auch ohne längliche Öffnung könne ein gebrauchsmustergemä-ßer erster Gleitschlitz vorliegen.
  138. dd)
    Soweit die Beklagten für das Verständnis des ersten Gleitschlitzes auf die Entgegen-haltung DE 100 36 XXD (F) abstellen, kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Die F wird nicht im Klagegebrauchsmuster erwähnt, sondern ist nur Gegenstand des Re-chercheberichts (Anlage LR13). Der Recherchebericht wird nicht in § 12a GebrMG als Auslegungsmaterial genannt. Zwar können sich Anhaltspunkte für das Verständnis eines Merkmals aus dem vom Klagegebrauchsmuster diskutierten Stand ergeben. Bei einem Patent kann darüber hinaus unter Umständen auch der Stand der Technik bei der Auslegung herangezogen werden, der vom Prüfer im Erteilungsverfahren berück-sichtigt wurde und auf dem Deckblatt des Patents angegeben ist (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 13. Aufl. 2021, Kap. A. Rn. 69). Dagegen kann Stand der Technik, der nur in einem Recherchebericht für ein Gebrauchsmuster (§ 7 Abs. 1 Ge-brMG) aufgeführt ist, nicht nur aufgrund dessen für die Auslegung herangezogen wer-den. Die Relevanz von in einem Erteilungsverfahren entgegengehaltenen Dokumen-ten für die Auslegung eines Patents liegt darin begründet, dass deren Berücksichti-gung sich in der erteilten Fassung eines Patents widerspiegeln kann, etwa weil die Auslegung ergibt, dass sich das Patent mit der beanspruchten Lehre von einem be-stimmten Stand der Technik absetzen möchte. Mangels Erteilungsverfahren kann dies nicht für solche Entgegenhaltungen gelten, die in einem Recherchebericht aufge-führt sind. Das Ergebnis des Rechercheberichts wird nicht im Gebrauchsmuster wie-dergegeben; anders als geprüfte Entgegenhaltungen, die auf dem Deckblatt eines Patents bezeichnet sind. Ferner ist der Recherchebericht vorliegend erst Jahre nach Eintragung des Klagegebrauchsmusters erstellt worden. Ihm kann allenfalls entnom-men werden, dass sein Ersteller ein bestimmtes Dokument als für die Lehre des Ge-brauchsmusters relevant erachtet hat. Daraus lässt sich aber für das Verständnis der beanspruchten Lehre nichts herleiten. In einem solchen Recherchebericht aufgeführte Entgegenhaltungen können – wie nicht im Schutzrecht erwähnter Stand der Technik allgemein – nur dann für die Auslegung relevant werden, soweit sie allgemeines Fachwissen des Durchschnittsfachmanns repräsentieren (BGH, GRUR 1978, 235 – Stromwandler). Dass die F allgemeines Fachwissen darstellt, ist aber nicht ersichtlich.
  139. ee)
    Soweit die Beklagten anführen, der beanspruchte Mechanismus mit einem Gleitschlitz sei gewählt worden, um ein bestimmtes Spiel zwischen Eingriffsausnehmung und Eingriffselement zu erlauben, um wiederum „Messtoleranzen“ (gemeint sein dürften Fertigungstoleranzen) zu ermöglichen, kann dem nicht gefolgt werden. Für ein sol-ches Verständnis gibt es im Klagegebrauchsmuster keinen Anhaltspunkt. Abs. [0027] beschreibt nur für ein Ausführungsbeispiel, dass der Eingriff des Eingriffselements in der Eingriffsausnehmung rüttelsicher ist. Hierfür spielt aber die Form der Aufnahme des Eingriffselements erkennbar keine Rolle. Entscheidend ist auch insoweit, dass das Eingriffselement überhaupt gleitend in einem Bauteil des vorderen Abschnitts auf-genommen ist.
  140. ff)
    Schließlich muss der erste Gleitschlitz nach Merkmal 1.3.3 eine gleitende Aufnahme des Eingriffselements ermöglichen. Hiermit spricht das Klagegebrauchsmuster eine geführte Beweglichkeit an, die erforderlich ist, um das Eingriffselement in die zwei Positionen bringen zu können. Einen weitergehenden Begriffsgehalt kann der Fach-mann dem Wort „gleitend“ nicht entnehmen. Das Klagegebrauchsmuster schreibt auch nicht vor, dass der Gleitschlitz aus einem besonders gleitfähigen Material beste-hen soll. Die Gleitfähigkeit des Eingriffselements muss nur so groß sein, dass es sich zwischen den Positionen bewegen lässt.
  141. d)
    Als Eingriffselement beansprucht das Klagegebrauchsmuster ein Bauteil, das in dem Gleitschlitz gleitend aufgenommen ist und zwischen zwei Positionen bewegt werden kann. Dabei muss das Eingriffselement in der ersten Position mit der Eingriffsaus-nehmung in Eingriff stehen (Merkmal 1.3.3) und so die Radachse gegenüber dem vorderen Abschnitt festlegen (Merkmal 1.3.4).
  142. Entgegen der Auffassung der Beklagten muss das Eingriffselement nicht (unmittelbar) von Hand bedient werden können. Eine solche Forderung lässt sich dem Anspruch nicht im Ansatz entnehmen. Wie das Eingriffselement bedient wird und in die wahl-weisen Positionen gebracht wird, überlässt das Klagegebrauchsmuster vielmehr dem Belieben des Fachmanns.
  143. Das Eingriffselement ist das gesamte Bauteil, welches sich bewegen lässt. Das Kla-gegebrauchsmuster macht in Anspruch 1 keine näheren Vorgaben zur Gestaltung des Eingriffselements oder zu dessen Größe. Unzutreffend ist daher die Ansicht der Be-klagten, wonach das „eigentliche Eingriffselement“ nur der Eingriffsabschnitt sein soll. Die Beschreibung differenziert gerade zwischen einem Eingriffselement 29 und dem Eingriffsabschnitt 293 (Abs. [0023] f.). Der Eingriffsabschnitt 293 ist Bestandteil des Eingriffselements und wird von Anspruch 1 nicht erwähnt, sondern erst in Unteran-spruch 8. Dem entnimmt der Fachmann eindeutig, dass „Eingriffselement“ weiter zu verstehen ist als der Eingriffsabschnitt, der in Eingriff mit der Eingriffsausnehmung gebracht werden kann. Selbst im Ausführungsbeispiel – auf das die Lehre des Klage-gebrauchsmuster ohnehin nicht beschränkt werden dürfte (vgl. etwa BGH, GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung) – bildet nicht nur der Eingriffs-abschnitt das Eingriffselement, auf das aber Anspruch 1 alleine abstellt.
  144. Das Eingriffselement muss nicht in beiden Positionen vollständig im Gleitschlitz ange-ordnet sein. Nach Merkmal 1.3.3 soll es von dem ersten Gleitschlitz gleitend aufge-nommen sein und zwar so, dass es zwei Positionen einnehmen kann. Daraus schließt der Fachmann, dass das Eingriffselement sich mit einem Teil durchgängig im Gleit-schlitz befinden muss. Der Anspruch verlangt ein „aufgenommen in“, was ein teilwei-ses Umgeben des Gleitschlitzes erfordert. Eine vollständige Aufnahme im Gleitschlitz verlangt der Anspruch dagegen nicht. Entsprechende Anhaltspunkte finden sich im Anspruch nicht und sind auch funktional nicht geboten. Da ein Gleitschlitz bean-sprucht ist, der ja eine Öffnung an der Längsseite besitzen muss, kann das Ein-griffselement bereits nicht nach allen Seiten vom Gleitschlitz umgeben sein. Weiterhin muss das Eingriffselement in einer Position mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff gebracht werden können und insoweit den Gleitschlitz verlassen. Damit das Ein-griffselement mit der Eingriffsausnehmung in der ersten Position in Eingriff gebracht werden kann, muss es nach Merkmal 1.3.3 so aufgenommen sein, dass es teilweise aus dem Gleitschlitz herausragt.
  145. e)
    Die Eingriffsausnehmung ist nach Merkmal 1.3.2 Teil der Radachse. Mit dieser Ein-griffsausnehmung soll das Eingriffselement in dessen erster Position in Eingriff ste-hen. Da das Eingriffselement zugleich gleitend von dem Gleitschlitz am vorderen Ab-schnitt des Rollers aufgenommen ist, entsteht über das Eingriffselement eine Verbin-dung zwischen Eingriffsausnehmung und erstem Gleitschlitz und damit gleichermaßen zwischen vorderem Abschnitt der Deckanordnung und Radachse. Diese Verbindung soll – wie Merkmal 1.3.4 verdeutlicht – dafür sorgen, dass die Radachse gegenüber dem vorderen Abschnitt fixiert wird. Aus diesem Grund muss die Eingriffsausnehmung so gestaltet sein, dass sie das Eingriffselement aufnehmen kann, wobei kein relevan-tes Spiel bestehen darf, da andernfalls die Bewegung der Radachse nicht blockiert ist und die Vorderräder auslenken könnten. Dies setzt eine gewisse Festigkeit der Ver-bindung und Passgenauigkeit zwischen Eingriffselement und Eingriffsausnehmung voraus.
  146. Weitere Vorgaben kann der Fachmann weder Anspruch 1 selbst entnehmen noch führen ihn funktionale Erwägungen zu einem engeren Verständnis einer Eingriffsaus-nehmung. Die Eingriffsausnehmung ist gebrauchsmustergemäß insbesondere nicht Bestandteil des ersten Gleitschlitzes und muss auch nicht an diesem ausgeformt sein. Hiergegen spricht schon, dass die Eingriffsausnehmung nach Merkmal 1.3.2 von der Radachse aufgewiesen wird, während der vordere Abschnitt gemäß Merkmal 1.3.1 die Eingriffsausnehmung aufweist. Da sich das Eingriffselement in der zweiten Positi-on gerade nicht in der Eingriffsausnehmung befinden muss und die Radachse gegen-über dem vorderen Abschnitt nicht in ihrer Position festgelegt ist, erscheint es fernlie-gend, die Eingriffsausnehmung als Teil des Gleitschlitzes zu begreifen. Erforderlich ist nur, dass erster Gleitschlitz und Eingriffsausnehmung so zueinander angeordnet sind, dass das Eingriffselement eine Verbindung zwischen ihnen schaffen kann. Hierfür ist eine Überlappung der beiden Bauteile nicht erforderlich; es reicht aus, dass das Ein-griffselement in die Eingriffsausnehmung eingreifen kann.
  147. 4.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht wortsinngemäß Gebrauch, da bei dieser kein „erster Gleitschlitz“ im Sinne der Merkmale 1.3.1 und 1.3.3 vorhanden ist (hierzu unter a)). Jedoch lässt sich insoweit die hilfsweise geltend gemachte Verletzung des Klagegebrauchsmusters mit äquiva-lenten Mitteln feststellen (hierzu unter b)). Auch im Übrigen verwirklicht die angegriffe-ne Ausführungsform die Lehre von Anspruch 1 (hierzu unter c)). Da unstreitig bereits ein Arretierstift die Bewegung der Radachse bei der angegriffenen Ausführungsform blockiert, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht unwi-dersprochen ausgeführt hat, was die Berufung nicht angreift, braucht nicht näher erör-tert werden, ob das Klagegebrauchsmuster auch solche Ausgestaltungen erfasst, bei denen nur zwei Eingriffselemente die Wirkung von Merkmal 1.3.4 erreichen. Es kann vielmehr zur Feststellung der Verletzung auf einen der beiden Arretierstifte abgestellt werden.
  148. a)
    Eine wortsinngemäße Verwirklichung der Merkmale 1.3.1 und 1.3.3 kann nicht festge-stellt werden. Es fehlt an einem gebrauchsmustergemäßen ersten Gleitschlitz, der von diesen Merkmalen vorausgesetzt wird. Die angegriffene Ausführungsform verfügt über zwei kreisrunde Bohrungen, in denen zylindrische Arretierstifte axial bewegt wer-den können. Diese Bohrungen lassen sich nicht als Gleitschlitze ansehen, da sie kei-ne Öffnung an ihrer Längsseite aufweisen.
  149. b)
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht einen Gleitschlitz aber mit äquivalenten Mitteln.
  150. Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die abweichende Ausge-staltung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abge-wandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine im Prioritätszeitpunkt gegebenen Fachkenntnisse den Fachmann befähigt haben, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufin-den. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Anspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Artikels 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Be-stimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (st. Rspr. des BGH; vgl. BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2007, 959 – Pumpein-richtung; BGH, GRUR 2011, 313 – Crimpwerkzeug IV; BGH, GRUR 2015, 361 – Kochgefäß; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185 – WC-Sitzgelenk; OLG Düssel-dorf, Urteil vom 18.03.2021 – I-2 U 18/19 – Stellglied). Da sich der Schutzbereich ei-nes Gebrauchsmusters nach denselben Grundsätzen bestimmt wie der eines Patents, gelten diese Voraussetzungen der Äquivalenz gleichermaßen im Gebrauchsmuster-recht. Denn § 12a GebrMG entspricht § 14 PatG bzw. Art. 69 Abs. 1 EPÜ.
  151. Den dargestellten Anforderungen genügt die angegriffene Ausführungsform hinsicht-lich der Bohrungen, die jeweils ein äquivalentes Austauschmittel eines ersten Gleit-schlitzes sind.
  152. aa)
    Die abgewandelte Lösung – also das Vorsehen einer Bohrung, in der ein Arretierstift axial bewegt wird – ist gleichwirkend mit der beanspruchten Ausgestaltung eines Gleitschlitzes.
  153. (1)
    Für die Frage der Gleichwirkung ist entscheidend, welche einzelnen Wirkungen die patentgemäßen Merkmale – für sich und insgesamt – zur Lösung der dem Anspruch zugrundeliegenden Aufgabe bereitstellen und ob diese Wirkungen bei der angegriffe-nen Ausführungsform durch andere Mittel erzielt werden. Danach ist es erforderlich, den Anspruch darauf zu untersuchen, welche der Wirkungen, die mit seinen Merkma-len erzielt werden können, zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe patentgemäß zusammenkommen müssen. Diese Gesamtheit repräsentiert die patentierte Lösung und stellt deshalb die für den anzustellenden Vergleich maßgebliche Wirkung dar (BGH, GRUR 2000, 1005 – Bratgeschirr; BGH, GRUR 2012, 1122 – Palettenbehälter III; BGH, GRUR 2015, 361 – Kochgefäß).
  154. (2)
    Die bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen Bohrungen stellen gleichwir-kende Austauschmittel eines ersten Gleitschlitzes dar. Sie nehmen jeweils einen Arre-tierstift (der als Eingriffselement zu werten ist) gleitend auf, so dass er zwischen zwei Positionen verschoben werden kann. Im eingefahrenen Zustand befindet sich der Ar-retierstift in der zweiten Position, während er im ausgefahrenen Zustand mit der Ein-griffsausnehmung der Radachse – in Form von kreisrunden Bohrungen (Eingriffslö-cher) – in Eingriff steht und so die Radachse in Bezug auf den vorderen Abschnitt festlegt, was der ersten Position entspricht. Unstreitig wird diese Wirkung bereits mit nur einer Bohrung und einem Arretierstift erreicht. Zur Veranschaulichung werden er-neut die von dem Kläger beschrifteten Bilder der angegriffenen Ausführungsform von S. 18 f. der Klageschrift verkleinert eingeblendet, die beide Positionen der Arretierstif-te zeigen:
  155. Die Gleichwirkung wird von den Beklagten zutreffend nicht in Abrede gestellt. Wie gesehen, versteht der Fachmann die Verwendung eines Gleitschlitzes nicht als Maß-nahme, um größere Fertigungstoleranzen zuzulassen, so dass es auf diesen Aspekt bei der Frage der Gleichwirkung von vornherein nicht ankommen kann.
  156. bb)
    Die implementierte Abwandlung war auch für den Fachmann am Anmeldetag des Klagegebrauchsmusters als gleichwirkend auffindbar.
  157. (1)
    Die Auffindbarkeit der abgewandelten Lösung liegt dann vor, wenn die bereits bei der Auslegung des Anspruchs heranzuziehenden Kenntnisse und Fähigkeiten der Fach-welt bei der Befassung mit dem Schutzrecht die Bewertung erlauben, dass aus fachli-cher Sicht von einem oder einzelnen Merkmalen des Anspruchs abgesehen und statt-dessen ein oder mehrere bestimmte andere der Fachwelt zur Verfügung stehende Mittel eingesetzt werden können (vgl. BGH, GRUR 2002, 511 – Kunststoffrohrteil; Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 109). Eine abgewandelte Lösung ist dagegen nicht auffindbar in diesem Sinne, wenn deren Vorsehen einen erfinderischen Schritt erfordert (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 13. Aufl. 2021, Kap. A. Rn. 143).
  158. (2)
    Eine Auffindbarkeit ist hier gegeben. Dem Fachmann war zum Anmeldetage des Kla-gegebrauchsmusters klar, dass eine gleitende Aufnahme für das Eingriffselement zwischen zwei Positionen nicht nur durch einen Schlitz, sondern auch durch eine Boh-rung möglich ist. Die Öffnung an der Längsseite, durch die sich ein Schlitz von einer Bohrung unterscheidet, ist für die Lehre von Anspruch 1 erkennbar ohne Bedeutung. Die Form eines Schlitzes ist nur dann relevant, wenn ein zweiter Gleitschlitz vorhan-den ist, und das Eingriffselement in zwei Gleitschlitzen aufgenommen ist. Dies ist aber erst Gegenstand der speziellen Ausgestaltung nach Unteranspruch 8. Der Fachmann erkennt, dass es für Anspruch 1 dagegen nicht auf die Einschlitzung ankommt. Es ist auch nicht im Ansatz ersichtlich, warum das Ersetzen eines Schlitzes durch eine Boh-rung erfinderische Überlegungen des Fachmanns erfordern könnten. Beides sind ein-fache Konstruktionsmöglichkeiten im Rahmen des fachmännischen Könnens.
  159. Soweit die Beklagten gegen die Auffindbarkeit anführen, Abs. [0027] Z. 34 ff. des Kla-gegebrauchsmusters beschreibe, dass gerade der beanspruchte Verriegelungsme-chanismus besondere geeignet sei, um zu verhindern, dass das Eingriffselement durch Rütteln außer Eingriff mit der Eingriffsausnehmung gerät, greift dies im Ergeb-nis nicht durch. Denn an der genannten Stelle, die nur ein Ausführungsbeispiel betrifft, wird die „Rüttelsicherheit“ nicht als Vorteil spezifisch des Gleitschlitzes geschildert. Der Fachmann erkennt vielmehr, dass ein rüttelsicherer Eingriff auch durch die Auf-nahme des Eingriffselements in einer Bohrung möglich ist. Entscheidend ist die glei-tende Aufnahme, durch welche das Eingriffselement geführt wird.
  160. Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es für die Auffindbarkeit keines spezi-ellen Anlasses, die geschützte Lehre weiterzuentwickeln. Es kommt bei der Äquiva-lenz auf die Auffindbarkeit einer gleichwirkenden Alternative an, nicht auf Anregungen für eine Verbesserung des Gegenstands des Schutzrechts.
  161. cc)
    Auch das dritte Kriterium der Äquivalenz, die Orientierung der Abwandlung am An-spruch (Gleichwertigkeit), ist gegeben.
  162. (1)
    Orientierung am Patentanspruch – was gleichermaßen für den Schutzanspruch eines Gebrauchsmusters gilt – setzt voraus, dass die Überlegungen, die der Fachmann an-zustellen hat, um zu der gleichwirkenden Abwandlung zu gelangen, derart am Sinn-gehalt der im Anspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sind, dass er die ab-weichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der geschützten Lehre gleichwertige Lösung in Betracht zieht. Dabei reicht es nicht aus, dass er aufgrund seines Fachwissens eine Lehre als technisch sinnvoll und gleichwirkend zu der in den Ansprüchen formulierten Lehre erkennt. Vielmehr muss er sich am Anspruch orientie-ren, der mit allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maß-gebliche Grundlage für seine Überlegungen bildet (BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung; BGH, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed; BGH, GRUR 2016, 1254 – V-förmige Führungsanordnung). Dabei ist der Rechtsinhaber an die technische Lehre gebunden, die er unter Schutz hat stellen lassen. Sie muss von ihm als sinnhaft hingenommen werden und darf bei der Suche nach einem gleichwirkenden Austauschmittel in ihrer sachlichen Berechti-gung nicht (wieder) infrage gestellt werden (BGH, GRUR 2002, 511 – Kunststoff-rohrteil). Die Überlegungen dürfen sich nicht vom Sinngehalt des Anspruchs lösen, sondern müssen diesem so nahekommen, dass die Wertung geboten ist, die angegrif-fene Ausführungsform beruhe trotz der Abweichung auf dem Anspruch und stelle in einem weiteren Sinne noch eine geschützte Lösung dar (Meier-Beck, GRUR 2003, 905; Benkard/Scharen, PatG, 11. Aufl. 2015, § 14 Rn. 114).
  163. (2)
    Hiernach ist die in der angegriffenen Ausführungsform implementierte Lösung mit ei-ner Bohrung an Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters orientiert. Aus der Benen-nung eines konkreten Lösungsmittels (hier: Gleitschlitz) und der Nichterwähnung des ausgetauschten Mittels (Gleitbohrung) in der Klagegebrauchsmusterschrift darf nicht kategorisch geschlossen werden, dass sich das Klageschutzrecht auf die im Patent- oder Schutzanspruch aufgegriffene Konstruktion habe festlegen wollen und deshalb jede andere Ausführung mit der technischen Lehre des Schutzrechts unvereinbar sei. Maßgeblich dafür, ob ein solcher Schluss gerechtfertigt ist, sind die Umstände des Einzelfalles. Handelt es sich darum, dass der Patent- oder Schutzanspruch ein Merk-mal enthält, welches überhaupt nur in der beanspruchten Weise verwirklicht werden kann oder aber gar nicht, so dass derjenige, der vom Anspruchswortsinn abweicht, das genaue Gegenteil von dem unternimmt, wozu ihn der Anspruch anhält, so schei-det eine Äquivalenz aus. Verlangt der Anspruch beispielsweise eine symmetrische Anordnung, so setzt sich eine asymmetrische Bauweise, mag sie auch gleichwirkend und naheliegend sein, in Widerspruch zu der Lehre des Schutzrechts und kann des-halb nicht als eine (äquivalente) Maßnahme betrachtet werden, mit der der Benutzer dasjenige tut, was ihn der Patent- oder Schutzanspruch lehrt, eben nur auf andere (vom Wortsinn abweichende) Weise. Vielmehr ignoriert derjenige, der asymmetrisch statt – wie gefordert – symmetrisch baut, die Anweisungen des Schutzrechts, weswe-gen die zu einer asymmetrischen Anordnung führenden Überlegungen nicht an der technischen Lehre des Patent- oder Schutzanspruchs orientiert, sondern gegen sie entwickelt worden sind. Unter anderen Umständen kann der Sachverhalt so liegen, dass die in den Anspruch aufgenommene Konstruktion aus der Sicht des Fachmanns stellvertretend für ein bestimmtes Wirkprinzip steht, das auch auf andere Weise als diejenige, die konkret Gegenstand des Patent- oder Schutzanspruchs geworden ist, verwirklicht werden kann. Eine Schraubverbindung kann beispielsweise deshalb bean-sprucht sein, um zwei Vorrichtungsteile lösbar miteinander zu verbinden. Eine taugli-che lösbare Verbindung lässt sich auch auf andere konstruktive Weise, etwa mittels eines Bajonettverschlusses umsetzen, ohne dass der Benutzer hierbei die techni-schen Anweisungen des Klagepatents (sic.: Vorsehen einer Schraubverbindung als lösbare Bauteilverbindung) verlassen muss. Im Geiste der beanspruchten Lehre hat er lediglich eine andere Ausführungsvariante aufzufinden. An einer Orientierung am Patentanspruch würde es hingegen fehlen, wenn statt der Schraubverbindung einstü-ckig gefertigte Bauteile zum Einsatz kämen.Vorliegend erkennt der Fachmann als technische Lehre des Schutzanspruchs die An-weisung, mit dem Gleitschlitz eine sich zur Peripherie hin öffnende Struktur zur Verfü-gung zu stellen, die es einem anderen Bauteil erlaubt, darin gleitend zwischen zwei dem Bauteil zugedachten Funktionspositionen aufgenommen und gehalten zu wer-den. Wesentlich für die erfindungsgemäße Funktions- und Wirkungsweise ist für den Fachmann klar erkennbar nicht die besondere Gestaltung der Aufnahmeöffnung in der Form eines Schlitzes, sondern einzig und allein der Umstand, dass in der vorderen Deckanordnung überhaupt eine räumlich-körperliche Struktur vorgesehen wird, die eine gleitende Aufnahme und Führung des Eingriffselements erlaubt. Die Form des „Schlitzes“ steht insoweit sinngemäß „stellvertretend“ für jede geeignete geometrische Form einer Gleitöffnung. Ein besonderer Vorteil einer schlitzförmigen Führung des Eingriffselements für die beanspruchte Lehre von Anspruch 1 wird im Klagege-brauchsmuster dementsprechend weder ausdrücklich genannt noch ist ein solcher für den Fachmann sonst ersichtlich.
  164. Auch finden sich im Klagegebrauchsmuster – folgerichtig – keine Anhaltspunkte dafür, dass andere Ausgestaltungen als ein Gleitschlitz vom Schutzbereich ausgeschlossen sein sollen oder es – aus welchen Gründen auch immer – dem Klagegebrauchsmus-ter gerade auf einen Schlitz ankommt. Zwar ist eine Schutzrechtsverletzung mit äqui-valenten Mitteln in der Regel zu verneinen, wenn die Beschreibung mehrere Möglich-keiten offenbart, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Anspruch aufgenommen worden ist (BGH, GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung; BGH, GRUR 2012, 45 Rn. 44 – Diglycid-verbindung; BGH, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed). Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. Das Klagegebrauchsmuster grenzt den Gleitschlitz in seiner Beschreibung nicht von anderen Gestaltungsmöglichkeit zur gleitenden Aufnahme des Eingriffsele-ments ab. Auch erwähnt das Klagegebrauchsmuster eine Bohrung nicht als Alternati-ve zum Gleitschlitz, ohne sie aber zu beanspruchen, so dass der Fachmann davon ausgehen könnte, das Klagegebrauchsmuster wolle gerade keine Bohrung unter Schutz stellen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von den Beklagten angeführ-ten Drehöffnungen (251, 262) am vorderen Abschnitt und an der Radachse. Zur Ver-anschaulichung wird nachfolgend ein von den Beklagten bearbeiteter Ausschnitt der Figur 4 (von S. 5 der Berufungsbegründung) eingeblendet, in dem die Drehöffnung rot markiert ist:
  165. Die Drehöffnungen 251, 262 nehmen ein Befestigungselement 263 auf, welches mit einer Schraube 90 fixiert wird. Hierdurch entsteht eine drehbare Befestigung zwischen dem vorderen Abschnitt der Deckanordnung und der Radachse im Sinne von Merkmal 1.3. Die Beschreibung der bohrungsartigen Drehöffnungen ist aber keine Abgrenzung von einem beanspruchten Gleitschlitz; ihr kann nicht entnommen werden, dass eine „Gleit-Bohrung“ vom Anspruch auszuschließen ist. Vielmehr werden die Drehöffnun-gen für einen ganz anderen Einsatzzweck beschrieben, den der Fachmann nicht in Zusammenhang mit den Merkmalen 1.3.1 und 1.3.3 bringt.
  166. Dass in der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters nur ein Gleitschlitz offenbart ist und im Anspruch nur ein solcher genannt ist, führt den Fachmann nicht dazu, dass andere Gestaltungen nicht gleichwertig sein können. Eine Orientierung am Anspruch kann regelmäßig nicht mit der Begründung verneint werden, der Schutzrechtsinhaber habe sich mit der konkreten Formulierung des Merkmals auf eine dessen Wortsinn entsprechende Ausgestaltung festgelegt (BGH, GRUR 2016, 1254 – V-förmige Füh-rungsanordnung).
  167. dd)
    Damit ist Merkmal 1.3.1, wonach der vordere Abschnitt einen ersten Gleitschlitz auf-weist, bei der angegriffenen Ausführungsform mit äquivalenten Mitteln in Form der Bohrung am vorderen Abschnitt des Rollers verwirklicht.
  168. c)
    Merkmal 1.3.2, das eine Eingriffsausnehmung an der Radachse verlangt, ist bei der angegriffenen Ausführung wortsinngemäß umgesetzt. Die Radachse der angegriffe-nen Ausführungsform weist Eingriffsausnehmungen in Form von kreisrunden Aus-nehmungen (Eingriffslöchern) auf, welche die Arretierstifte im ausgefahrenen Zustand aufnehmen. Wie gesehen muss die Eingriffsausnehmung gebrauchsmustergemäß nicht als Teil des Gleitschlitzes konstruiert sein.
  169. d)
    Weiterhin ist Merkmal 1.3.3 bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht. Bei dieser ist ein Eingriffselement in Form jeweils eines Arretierstifts vorhanden. Dieser kann in beiden Positionen (eingefahren und ausgefahren) bewegt werden und ist da-bei in einer Bohrung aufgenommen und wird von ihr geführt. Damit ist der Arretierstift wahlweise zwischen zwei Positionen gleitend aufgenommen.
  170. Es handelt sich bei einem Arretierstift insgesamt um ein Eingriffselement. Wie oben dargelegt, gibt das Klagegebrauchsmuster keinen Anlass für eine Aufspaltung des Eingriffselements und eine Reduzierung dieses Begriffs auf den Abschnitt eines Bau-teils, der tatsächlich mit der Eingriffsausnehmung in Eingriff steht. Weiterhin ist nicht erforderlich, dass das Eingriffselement unmittelbar mit der Hand bewegt werden kann. Im Übrigen wird es – mittelbar – per Hand bedient, indem man den entsprechenden Schalter am vorderen Ende der angegriffenen Ausführungsform dreht. Durch diese Drehung kann der Arretierstift zwischen einer ersten und einer zweiten Position be-wegt werden. In beiden Positionen ist der Arretierstift mit seinem überwiegenden Teil in der Bohrung angeordnet und wird von dieser geführt. Dass es dem Klagege-brauchsmuster in Anspruch 1 nicht auf eine radiale Bewegungsrichtung des Ein-griffselements ankommt, wird im Übrigen schon dadurch belegt, dass solches erst Gegenstand von Unteranspruch 2 ist.
  171. In der ersten Position – ausgefahren – steht der Arretierstift auch mit der Ein-griffsausnehmung (dem Eingriffsloch) in Eingriff. Jeder der Arretierstifte blockiert in diesem Zustand eine Bewegung der Radachse vollständig, so auch eine erste Positi-on im Sinne der Merkmale 1.3.3/1.3.4 existiert. Ein relevantes Spiel zwischen Arre-tierstift und den kreisrunden Ausnehmungen besteht nicht. Im eingefahrenen Zustand der Arretierstifte – welche der zweiten Position entspricht – kann sich die Radachse dagegen gegenüber dem vorderen Abschnitt bewegen und die Vorderräder lassen sich auslenken.
  172. e)
    Die Verwirklichung der übrigen Merkmale von Anspruch 1 durch die angegriffene Aus-führungsform steht zwischen den Parteien zu Recht nicht in Streit, so dass weitere Ausführungen entbehrlich sind.
  173. 3.
    Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters ist nach Überzeugung des Senats schutzfähig.
  174. a)
    Möchte das Verletzungsgericht aus einem Gebrauchsmuster verurteilen, muss es sich selbst die subjektive Überzeugung von der Schutzfähigkeit bilden (Kühnen, a.a.O., Kap. E. Rn. 883). Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Senat dabei nicht an den Recherchebericht des DPMA gebunden. Eine rechtliche Grundlage für eine solche Bindungswirkung ist nicht im Ansatz erkennbar. Der Bericht enthält eine erste Ein-schätzung über die Relevanz der recherchierten Entgegenhaltungen, wofür aber keine Begründung gegeben wird. Ein Recherchebericht mag als Ausgangspunkt für eine weitere Prüfung der Schutzfähigkeit dienen, er kann eine solche aber nicht ersetzen. Allenfalls mag er einen Hinweis darauf geben, wie ein fachmännischer Prüfer eine Entgegenhaltung eingeordnet hat – mangels für das Verletzungsgericht überprüfbarer Begründung handelt es sich aber nur um ein Indiz.
  175. Auch die Erteilung eines parallelen US-amerikanischen und eines chinesischen Pa-tents (Anlage LR14/LR15) hat keine Bindungswirkung für die Beurteilung des Rechts-bestands, zumal nicht ersichtlich ist, welche (Prüfungs-) Vorschriften und welche Überlegungen jeweils zur Patenterteilung geführt haben. Hierzu hat der Kläger auch nichts dargetan.
  176. Die Schutzfähigkeit ist vom Kläger darzulegen. Da infolge der Eintragung eines Ge-brauchsmusters aber eine Registerposition mit Rechtsschein entsteht, die zur Gel-tendmachung des Schutzes ohne Rücksicht auf die Schutzfähigkeit berechtigt, ist die Schutzfähigkeit zunächst, das heißt bis zur Erhebung der Einrede, grundsätzlich zu vermuten. Es bedarf insofern nicht der Substantiierung der anspruchsbegründenden Tatsache „Schutzfähigkeit“, so dass der vermeintliche Verletzer jedenfalls die Darle-gungslast für das Fehlen der Schutzfähigkeit trägt (Benkard/Grabinski/Zülch, PatG, 11. Aufl. 2015, § 24 GebrMG Rn. 18; Meier-Beck, GRUR 1988, 861, 864). Das Ver-letzungsgericht ermittelt die Schutzfähigkeit also nicht von Amts wegen, sondern prüft die jeweils von der Beklagtenseite erhobenen Einwände gegen die Schutzfähigkeit.
  177. Vorliegend lässt sich die Schutzfähigkeit von Anspruch 1 zur Überzeugung des Se-nats feststellen.
  178. b)
    Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die DE 100 XXG (nachfol-gend: F, „D1“ im Löschungsverfahren) die Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt. Jedenfalls Merkmal 1.3.4 wird in der F nicht offen-bart.
  179. aa)
    Die F beansprucht ein Rollbrett mit mindestens drei Rädern. Zwei der Räder sind drehbar an einer Achse 4 angebracht, wobei diese Achse wiederum um eine Schwenkachse schwenkbar ist (Anspruch 1 F). Zur Veranschaulichung wird nachfol-gend Figur 2 der F auszugsweise eingeblendet:
  180. In den Abs. [0030] ff. beschreibt die F eine vorzugsweise Ausführungsform mit einer Rückstelleinrichtung für die Lenkung, welche die Achse 4 in die Neutralstellung für die Geradeausfahrt vorspannt (Abs. [0030]). Hierzu ist eine bogenförmige Stabfeder 8 vorgesehen, die einem Ausschwenken der Achse 8 entgegen wirkt. Die Enden der Stabfeder 8a, 8b liegen an der Achse 4 an und reiten bei der Auslenkung der Achse auf dieser. Dazu sind an der Achse 4 vorzugsweise Rampen 4e, 4f vorgesehen, die jeweils rinnenartige Vertiefungen 4g, 4h aufweisen, in denen die Enden der Stabfeder geführt sind (Abs. [0033] F). Zur weiteren Veranschaulichung wird nachfolgend Figur 4 der F auszugsweise eingeblendet:
  181. In einer bevorzugten Variante soll die Federkraft der Rückstelleinrichtung einstellbar sein (Abs. [0041] ff. F). Hierfür ist eine Halterung 9 vorgesehen, die einen Schlitz 9a aufweist, durch welchen die Stabfeder 8 hindurchgeführt ist (Abs. [0042] F). Die F beschreibt weiter, dass der Haltepunkt der Stabfeder 8 innerhalb der Halterung 9 – also innerhalb des Schlitzes 9a – variabel ausgestaltet sein kann und etwa durch ei-nen Einstellknopf 10 verändert werden kann (Abs. [0043] F).
  182. bb)
    Die F offenbart jedenfalls Merkmal 1.3.4 des Klagegebrauchsmusters nicht, wonach die Radachse in der ersten Position in Bezug auf den vorderen Abschnitt festgelegt ist. Wie oben ausgeführt, setzt dies voraus, dass die Bewegung der Radachse blo-ckiert wird. Selbst wenn in der F der Einstellknopf 10 auf der Halterung 9 vollständig heruntergedreht wird und die Stabfeder im Schlitz 9a vollständig nach unten gescho-ben ist, blockiert die Stabfeder 8 nicht die Bewegung der Achse, sondern macht diese allenfalls schwergängiger. Aus der F kann der Fachmann nicht entnehmen, dass die Federkräfte so zu bemessen sind, dass eine Einstellung möglich ist, bei der die Achse unbeweglich ist. Hierfür finden sich in der F keine Anhaltspunkte.
  183. c)
    Es lässt sich auch nicht ersehen, dass die Entgegenhaltung US 2,33XXE A (nachfol-gend: G; „D2“ im Löschungsverfahren), auf welche sich die Beklagten erstinstanzlich und im Löschungsverfahren gestützt haben, die Lehre von Anspruch 1 neuheitsschäd-lich vorwegnimmt. Die Beklagten zeigen insbesondere nicht auf, warum die Bewer-tung des Landgerichts, dass die Merkmale 1.3.4 und 2.1 in der G nicht offenbart sind, unzutreffend sein könnte. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten in der erstinstanz-lichen Duplik verfügt der in der G gezeigte Roller nur über eine Rückstelleinrichtung, welche mittels eines Federelements die Radachse für die Geradeausfahrt vorspannt – was aber für eine Festlegung der Radachse nach Merkmal 1.3.4 gerade nicht aus-reicht. Da die Beklagten auf die G in der Berufung nicht mehr eingehen, sind weitere Ausführungen hierzu nicht geboten. Auch im Übrigen zeigen die Beklagen nicht auf, warum das Klagegebrauchsmuster nicht schutzfähig sein sollte.
  184. 4.
    Durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepub-lik Deutschland verletzen die Beklagten das Klagegebrauchsmuster entgegen § 11 Abs. 1 GebrMG, wobei die Beklagte zu 2) als Geschäftsführerin der Beklagten zu 1) haftet (vgl. BGH, GRUR 2016, 257 – Glasfasern II), so dass dem Kläger die zuer-kannten Ansprüche aus §§ 24 Abs. 1 und Abs. 2, 24a Abs. 1 und Abs. 2, 24b Ge-brMG, §§ 242, 259 BGB grundsätzlich zustehen. Zur Vermeidung von Wiederholun-gen verweist der Senat zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts, die entspre-chend für den nun festgestellten Fall der äquivalenten Gebrauchsmusterverletzung gelten.
  185. a)
    Der aus § 24 Abs. 1 GebrMG folgende Unterlassungsanspruch konnte in der tenorier-ten Form zuerkannt werden. Soweit der Tenor ein „zylindrisches Eingriffselement“ erwähnt, das in Eingriff mit der Eingriffsausnehmung steht, musste dies – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht auf einen Abschnitt des Eingriffselements be-schränkt werden. Das anspruchsgemäße Eingriffselement ist gebrauchsmustergemäß das gesamte, gemeinsam bewegbare Bauteil, wie bereits oben dargelegt wurde.
  186. Allerdings war im Urteilsauspruch von der beantragten Fassung dahingehend abzu-weichen, dass bei der Umschreibung des Gegenstands der Unterlassung nicht auf „einen ersten Gleitschlitz, der als runde Bohrung ausgeführt ist“, sondern nur auf die bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklichte runde Bohrung abgestellt wird, während der tatsächlich nicht vorhandene „erste Gleitschlitz“ zu streichen war. Diese Änderung verstößt nicht gegen § 308 Abs. 1 ZPO, da der Senat über das Klagebe-gehren nicht hinausgeht – vielmehr wird auf diese Weise der Gegenstand der Verur-teilung lediglich konkreter beschrieben.
  187. b)
    Hinsichtlich des Schadenersatzanspruchs merkt der Senat an, dass das nach § 24 Abs. 2 GebrMG notwendige Verschulden der Beklagten vorliegt. Wird ein Ge-brauchsmuster verletzt, kann, da es ohne materielle Prüfung seiner Schutzfähigkeit eingetragen wird, ein Verschulden zwar nur angenommen werden, wenn der Benutzer mit der Schutzfähigkeit rechnen musste. Ein Verschuldensvorwurf hat demgegenüber zu unterbleiben, wenn der Benutzer begründete Bedenken gegen die Schutzfähigkeit des Gebrauchsmusters in seiner eingetragenen Fassung erheben konnte. In Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten ist der Benutzer gehalten, sachkundigen Rat erfahrener Pa-tent- oder auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes kundiger Rechtsanwälte einzuholen und seine Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Klagegebrauchsmusters in einer verfahrensrechtlich geeigneten Form, etwa durch die Einleitung eines Lö-schungsverfahrens, geltend zu machen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2012, 62, 66 – Türlagerwinkel). Hiernach ist ein Verschulden der Beklagten anzunehmen, was diese auch nicht in Abrede stellen. Dass sie vor der Benutzung entsprechenden Rat zur Schutzfähigkeit eingeholt haben, ist nicht vorgetragen. Es bestehen auch keine Zwei-fel an der Schutzfähigkeit von Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters.
  188. c)
    Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Beklagten auch zur Zahlung der Ab-mahnkosten verurteilt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung dieser Kosten als Schadenersatz nach § 24 Abs. 2 GebrMG. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag der Beklagten als Zugeständnis der Begleichung der vorgelegten Rechnungen zu verstehen ist, wie es das Landgericht angenommen hat. Jedenfalls ist der Freistel-lungsanspruch des Klägers hinsichtlich der entstandenen Abmahnkosten durch die ernsthafte und endgültige Verweigerung der Zahlung durch die Beklagten zu einem Zahlungsanspruch geworden (vgl. BGH, NJW, 2004, 1868; OLG Stuttgart, GURR-RR 2012, 412 – Toleranzgrenze). Hinsichtlich der Höhe der Abmahnkosten wird zur Ver-meidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Landgerichts im angegriffe-nen Urteil verwiesen. Hiergegen erinnert die Berufung nichts.
  189. d)
    Grundsätzlich zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass der Klä-ger dem Grunde nach Testkaufkosten ersetzt verlangen kann und insoweit einen Zah-lungsanspruch besitzt, der als Schadenersatzanspruch auf § 24 Abs. 2 GebrMG be-ruht.
  190. Allerdings war hier nur ein Testkauf geboten, so dass nur die Kosten des ersten, günstigeren Testkaufs in Höhe von netto EUR 63,68 (Anlage LR11) von den Beklag-ten zu ersetzen waren und die Klage im Übrigen abzuweisen war. Grundsätzlich ist stets nur ein Testkauf als zweckmäßig anzusehen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. B. Rn. 445). Die vom Landgericht akzeptierte Argumentation des Klägers, zwei Testkäufe seien erforderlich gewesen, um das Ausmaß der Verletzungshandlungen abzuschät-zen, verfängt nicht. Der Sinn eines Testkaufs ist die Feststellung der Gestaltung der angegriffenen Ausführungsform, nicht die Abschätzung des Ausmaßes der Verlet-zungshandlungen – um diese festzustellen, stehen dem Schutzrechtsinhaber bereits bei Feststellung einer Verletzungshandlung Ansprüche auf Auskunft und Rechnungs-legung über alle Verletzungshandlungen des jeweiligen Verletzers zu. Weitere Test-käufe sind hierfür nicht erforderlich. Ohnehin lässt sich das Ausmaß der Verletzungs-handlungen kaum durch einen zusätzlichen Testkauf abschätzen, da der Kläger hier-über allenfalls Erkenntnisse zu einer weiteren Verkaufsstelle gewinnen kann. Im Übri-gen konnte der Kläger bereits aus dem Angebot von „D“ ersehen, dass die angegrif-fene Ausführungsform auch dort online vertrieben wird – der tatsächliche Kauf war für diese Erkenntnis nicht nötig.
  191. e)
    Zutreffend und von der Berufung nicht angegriffen ist das Landgericht davon ausge-gangen, dass hier weder eine Verjährung noch eine Verwirkung der geltend gemach-ten Ansprüche in Betracht kommen. Entsprechendes gilt für die vom Landgericht ver-neinte Unverhältnismäßigkeit von Rückruf und Vernichtung.
  192. 5.
    Das Verfahren wird nicht im Rahmen des dem Senat zustehenden Ermessens nach § 19 S. 1 GebrMG ausgesetzt.
  193. Eine Aussetzung erfolgt bei einem Gebrauchsmuster als ungeprüftes Schutzrecht bereits, wenn berechtigte, nicht notwendigerweise überwiegende Zweifel an der Schutzfähigkeit bestehen (Kühnen, a.a.O., Kap. E. Rn. 882). Dieser Maßstab ist vor-liegend nicht abzuändern. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht es nicht für eine Aussetzung, wenn der Schutzrechtsinhaber nach einer Berechtigungsanfrage oder Abmahnung eine gewisse Zeit abwartet, bis er Ansprüche aus seinem Schutz-recht gerichtlich geltend macht. Vielmehr kann es in einem Patentverletzungsverfah-ren gegen eine Aussetzung sprechen, wenn der Patentverletzer bei einer solchen Sachlage nicht beizeiten für klare Verhältnisse sorgt, indem er in Kenntnis der (mögli-chen) Schutzrechtsverletzung mit der Erhebung seines Rechtsbestandsangriffs zögert (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. E. Rn. 812). Dies kann aber nicht auf das Gebrauchsmus-terverletzungsverfahren übertragen werden, so dass es hier nicht – wie der Kläger aber meint – zu einer Aussetzung unter verschärften Aussetzungen führt, dass die Beklagte zu 1) erst nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils den Löschungsan-trag eingereicht hat. Denn anders als bei einem Patent kann das Verletzungsgericht bei einem Gebrauchsmuster die Schutzfähigkeit in eigener Kompetenz beurteilen und muss sich selbst von dieser überzeugen, will es aus einem Gebrauchsmuster verurtei-len. Damit verzögert die späte Einreichung eines Löschungsantrags nicht die Klärung der Schutzfähigkeit.
  194. Eine Aussetzung ist hier nicht geboten, da – wie oben dargestellt worden ist – der Se-nat von der Schutzfähigkeit des geltend gemachten Anspruchs ausgeht und damit keine Zweifel am Rechtsbestand bestehen.
  195. III.
  196. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Dass die Beklagten nicht wegen einer wortsinngemäßen, sondern wegen einer äquivalenten Gebrauchsmusterverletzung verurteilt werden, führt nicht zu einer Teilabweisung oder Kostenquote, da es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt (BGH, GRUR 2016, 1031 – Wärmetauscher; Kühnen, a.a.O., Kap. A. Rn. 153).
  197. Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
  198. Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Si-cherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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