4c O 41/20 – Kabelwickelband

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3113

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 10. Juni 2021, Az. 4c O 41/20

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen
  3. Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils, welches die Abriebklasse E gemäß LV 312 erfüllt, mit einem bandförmigen Träger, der mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht versehen ist, die aus einem Haftklebstoff besteht,
  4. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten oder in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  5. aufweisend eine Dicke von weniger als 0,50 mm, wobei der Träger aus einer einzigen aus einem Gewebe gebildeten Schicht besteht und das Gewebe des Trägers aus einem Garn besteht, welches aus einem Polyamidwerkstoff gebildet ist, eine Garnstärke von mindestens 280 dtex aufweist und aus 24 bis 80 Filamenten gebildet ist, wobei das Kabelwickelband sowohl an einem Dorn mit 5 mm Durchmesser, als auch an einem Dorn mit 10 mm Durchmesser die Abriebklasse E gemäß LV 312 erfüllt;
  6. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 20.01.2010 begangen hat, und zwar unter Angabe:
  7. a. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellen Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  8. – wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  9. 3. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von Belegen, wie Rechnungen oder Lieferscheinen oder Quittungen, darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziff. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 16.05.2008 begangen hat und zwar unter Angabe:
  10. a. der Herstellungsmengen und -zeiten, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen,
    b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
    c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume jeder Kampagne;
    e. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  11. wobei die Angaben zu lit. e erst ab dem 20.02.2010 geschuldet sind;
  12. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind;
  13. 4. die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziff. 1 bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu bestimmenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre (der Beklagten) Kosten herauszugeben;
  14. 5. die unter Ziff. 1 bezeichneten, in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache (Urteil des.. vom..) und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  15. II. Es wird festgestellt,
    1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1 bezeichneten, in der Zeit vom 16.05.2008 bis zum 19.02.2010 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
    2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1 bezeichneten und seit dem 20.02.2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  16. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  17. IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.
  18. V. Das Urteil ist hinsichtlich Ziff. I.1, 4. und 5. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.800.000, hinsichtlich Ziff. I.2. und 3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 200.000 sowie hinsichtlich Ziff. IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
  19. Tatbestand
  20. Die Klägerin macht gegen die Beklagte patentrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Urteilsveröffentlichung sowie auf Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzverpflichtung geltend.
    Sie ist eingetragene und alleinverfügungsberechtigte Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 911 XXX B1 (Anlage A1, im Folgenden: Klagepatent). Das Klagepatent wurde am 30.07.2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der DE XXX U1 vom 11.10.2006 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 16.04.2008 offengelegt und der Hinweis auf die Patenterteilung am 20.01.2010. Das Klagepatent steht auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. In der seitens der Beklagten erhobenen Nichtigkeitsklage vom 09.09.2020 (Anlage KR 2) ist bislang keine Entscheidung ergangen. Das Klagepatent betrifft Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils.
  21. Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
  22. „Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils, welches die Abriebklasse E gemäß LV 312 erfüllt, mit einem bandförmigen Träger (1), der mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht (2) versehen ist, die aus einem Haftklebstoff besteht, gekennzeichnet durch eine Dicke (D) von weniger als 0,50 mm, wobei der Träger (1) aus einer einzigen aus einem Gewebe gebildeten Schicht besteht und das Gewebe des Trägers (1) aus einem Garn besteht, welches aus einem Polyamidwerkstoff gebildet ist, eine Garnstärke von mindestens 280 dtex aufweist und aus 24 bis 80 Filamenten gebildet ist, wobei das Kabelwickelband sowohl an einem Dorn mit 5 mm Durchmesser, als auch an einem Dorn mit 10 mm Durchmesser die Abriebklasse E gemäß LV 312 erfüllt.“
  23. Wegen des Inhalts der weiteren „insbesondere“-geltend gemachten Ansprüche 2 bis 5, 7, 10 und 11 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
  24. Folgende Figur ist der Klagepatentschrift entnommen:
  25. Die Figur 1 als einzige Zeichnung in der Klagepatentschrift veranschaulicht den Aufbau eines erfindungsgemäßen Kabelwickelbandes im Querschnitt, wobei mit der Bezugsziffer 1 der Träger und mit der Bezugsziffer 2 die Klebeschicht gekennzeichnet sind.
  26. Das Familienunternehmen der Klägerin ist weltweit auf den Geschäftsfeldern der technischen Klebebänder, Kabel, Leitungen und Leitungssätze tätig. Stammsitz ist A und weltweit sind bei der Klägerin X Mitarbeiter beschäftigt. Ihre Kunden gehören vorwiegend der X an.
  27. Das Unternehmen der Beklagten produziert technische Klebebänder und unterhält insbesondere einen Standort in A. Tätigkeitsbereich der Beklagten ist die X, aber ebenso die X, das X sowie der X.
  28. Ende April 2019 führte die Klägerin einen Testkauf durch und bestellte beim Unternehmen B GmbH das Kabelwickelband „C“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) der Beklagten. Die Klägerin erhielt die Lieferung am 20.05.2019 (Anlage A7) und leitete sie an das D-Institut (…) (XXX) zur Untersuchung weiter. Der Prüfbericht wurde als Anlage A8 zur Gerichtsakte gereicht.
  29. Zwischen den Parteien ist unter dem Az. 4c O 47/20 mit dem Schutzrecht DE 10 2013 XXX 602 B4 ein weiteres Verletzungsverfahren vor der Kammer anhängig. Die unter dem Az. 4c O 48/20 geführte Klage mit dem Schutzrecht DE 20 2013 XXX 770 U1 hat die Klägerin zurückgenommen.
  30. Die angegriffene Ausführungsform würde, wie die Klägerin meint, wortsinngemäßen unmittelbaren Gebrauch von der Lehre des Klagepatents machen. Das Klagepatent verlange nicht, dass ausschließlich Garn mit identischen Eigenschaften für die Herstellung des Trägergewebes benutzt werde. Es sei zulässig, wenn die Filamentanzahl und Garnstärke unterschiedlich ausfallen würden. Entscheidend sei lediglich, dass sich die Werte jeweils im Bereich des vom Klagepatent Vorgegebenen bewegen würden. Das Klagepatent gebe ebenso wenig vor, wie das Garn zusammengesetzt sei. Es dürfe insbesondere auch aus zwei Filamentbündeln bestehendes sog. gefachtes Garn verwendet werden. Hierzu behauptet die Klägerin, dass die durchgeführten technischen Messungen der angegriffenen Ausführungsform gezeigt hätten, dass die Kettfäden 67 die Schussfäden 65 bzw. 71 Filamente aufweisen würden und die angegriffene Ausführungsform damit aus Garn mit nahezu identischen Eigenschaften bestehe. Sofern die Beklagte lediglich eine Anzahl von 36 Filamenten für die Schussfäden vortrage, liege dies daran, dass sie nur ein Filamentbündel des unstreitig aus zweier dieser Bündel bestehenden Schussfadens betrachtet habe. Die Garnstärke betrage für die Kettfäden 480 dtex. Die Garnstärke habe für die Schussfäden zwar nicht ausgemessen werden können, im Wege einer Berechnung könne dieser Wert aber ermittelt und mit mindestens 462dtex angegeben werden. Damit würden sich auch diese Angaben in einem sehr ähnlichen Bereich bewegen.
  31. Der Rechtsstreit sei schließlich auch nicht auszusetzen, weil sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen werde.
  32. Die Klägerin beantragt,
    wie erkannt und zudem der Klägerin Rechnung über nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns ab dem 16.05.2008 zu legen sowie der Klägerin zu gestatten, … (z.B. Urteilskopf und Urteilstenor) auf Kosten der Beklagten durch … (z.B. eine in drei aufeinanderfolgenden Ausgaben der Zeitschrift … erscheinende halbseitigen Anzeige) öffentlich bekannt zu geben.
  33. Die Beklagte beantragt,
  34. die Klage abzuweisen,
    hilfsweise, den Rechtsstreit bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.
  35. Sie ist der Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent nicht verletze. Dieses verlange nämlich, dass ein anspruchsgemäßes Klebeband aus einem Garn hergestellt werde, das gleichbleibende Parameter aufweise. Denn mit der Vorgabe der Abriebfestigkeit, Materialdicke etc. mache das Klagepatent konkrete Materialeigenschaften, die synergetisch zusammenwirken sollen. Dies betreffe insbesondere die Beschaffenheit von Kett- und Schussfäden. Mit Blick auf die angegriffene Ausführungsform behauptet die Beklagte, dass für den Kettfaden ein anderes Material mit anderen Eigenschaften als für den Schussfaden verwendet werde. Nichts anderes ergebe sich aus dem seitens der Klägerin zur Akte gereichten Prüfgutachten, welches schon methodisch zweifelhaft und unrichtig sei. Dies zeige sich insbesondere an der ermittelten Anzahl der Filamente, welche in der angegriffenen Ausführungsform nicht 67 bzw. 65 und 71, sondern 36 betrage. Dies habe ein eigens in Auftrag gegebener Prüfbericht der Beklagten bei dem Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West (Anlage KR1) ergeben.
  36. Der Rechtsstreit sei jedenfalls mangels Rechtsbeständigkeit des Klagepatents auszusetzen. Die Lehre des Klagepatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, sondern ergebe sich bereits aus einer Kombination der DE 101 XX 975 (Anlage NK 7) mit allgemeinem Fachwissen, wie es sich aus dem als Anlage NK 8 vorgelegten Auszug aus dem Fachbuch mit dem Titel „XXX“ bzw. der US 4,XXX,XXX (Anlage NK9) ergebe.
  37. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlage Bezug genommen.
  38. Entscheidungsgründe
  39. A.
    Die zulässige Klage ist im ganz Wesentlichen begründet.
  40. I.
    Das Klagepatent betrifft ein Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils, mit einem bandförmigen, aus Gewebe bestehenden Träger. Dieser ist dabei mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht versehen, die aus Haftklebestoff besteht. Ein derart ausgestaltetes Klebeband war bereits aus der DE 20 2004 XXX 761 U1 vorbekannt (vgl. Abs. [0001]). Zum Einsatzgebiet erläutert Abs. [0002], dass gerade im Automobilbereich Kabelsätze mit Klebebändern umwickelt werden, um diese einerseits zu bündeln, andererseits aber auch die Leitungen vor Abrieb zu schützen oder Klapper-/Vibrationsgeräusche zu dämpfen. Zellwolle und Polyester (PET) waren als Materialien für Gewebeklebebänder weit verbreitet und Polyester bzw. Polyamid für Veloursbänder.
    In Abs. [0003] führt das Klagepatent zur gemeinsamen Prüfungsrichtlinie einiger Automobilhersteller aus und erörtert dazu in Abs. [0004], dass die Abriebbeständigkeit nach der LV 312 in Anlehnung an die DIN ISO X bestimmt wird. Ausgehend von der Abriebbeständigkeit kann eine Klassifizierung des Materials in unterschiedliche Abriebsschutzklassen vorgenommen werden (vgl. Tab 1, Abs. [0005]).
  41. Als vorbekannten Stand der Technik würdigt das Klagepatent in Abs. [0007] die DE 298 XX XXX U1, die ein Klebeband der höchsten Abriebbeständigkeit (Klasse E) bereitgestellt hat. Das dort gelehrte Klebeband war aus einem inneren Faservlies und aus einem äußeren Velours zusammengesetzt, und wies deshalb eine Dicke von mehr als 0,8 mm auf. Auch von anderen Herstellern waren derlei Verbundmaterialien bekannt (Abs. [0008]). An diesem vorbekannten Band kritisiert das Klagepatent, dass es nicht maschinell verarbeitbar war und zudem erforderte, seine Enden beim Einsatz zu fixieren, um einem Flagging entgegenzuwirken. Nicht als Verbundmaterialien aufgebaute Klebebänder hatten zwar eine geringere Dicke, aber zugleich den Nachteil, dass sie keine hohe Abriebfestigkeit erreichten.
  42. Das Klagepatent stellt sich daher die Aufgabe, wie es in Abs. [0010] formuliert, ein wenig aufwändig herstellbares Klebeband zur Verfügung zu stellen, das mit einer Dicke von weniger als 0,5mm auskommt und ohne Vorhandensein einer Velours- oder Vliesschicht im Träger höchstmögliche Abriebfestigkeit aufweist.
  43. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent ein Klebeband mit den nachfolgenden Merkmalen vor:
    1. Kabelwickelband, insbesondere für den Motorenraum eines Automobils, welches die Abriebklasse E gemäß LV 312 erfüllt,
    2. mit einem bandförmigen Träger (1),
  44. 2.1 der mindestens auf einer Seite mit einer selbstklebenden Klebeschicht (2) versehen ist,
  45. 2.1.1 die aus einem Haftklebstoff besteht,
  46. gekennzeichnet durch
  47. 3. eine Dicke (D) von weniger als 0,50 mm,
    4. wobei der Träger (1) aus einer einzigen aus einem Gewebe gebildeten Schicht besteht
  48. 4.1 und das Gewebe des Trägers (1) aus einem Garn besteht,
  49. 4.1.1 welches aus einem Polyamidwerkstoff gebildet ist,
    4.1.2 eine Garnstärke von mindestens 280 dtex aufweist
    4.1.3 und aus 24 bis 80 Filamenten gebildet ist,
  50. 5. wobei das Kabelwickelband sowohl an einem Dorn mit 5 mm Durchmesser, als auch an einem Dorn mit 10 mm Durchmesser die Abriebklasse E gemäß LV 312 erfüllt.
  51. II.
    Ausführungen der Kammer bedarf es nur zur Merkmalsgruppe 4, insbesondere den Merkmalen 4.1 und 4.1.3, weil sich die Parteien zu Recht nur insoweit über das Verständnis des Klagepatents und dessen Verletzung streiten.
  52. In Merkmal 4 erläutert das Klagepatent den Träger, der aus einer einzigen aus einem Gewebe gebildeten Schicht bestehen soll. In den folgenden Merkmalen werden sodann Eigenschaften des Gewebes bzw. eines Garns, aus dem das Gewebe besteht, vorgegeben. Es soll aus Polyamidwerkstoff gebildet sein, eine Garstärke von mindestens 280 dtx aufweisen und aus 24 bis 80 Filamenten bestehen.
  53. Unter dem Gewebe des Trägers bestehend aus einem Garn versteht das Klagepatent ein textiles Gebilde, welches in einem Webeprozess aus mehrere Garnfäden hergestellt wurde. Es ist dabei nicht erforderlich, dass alles zur Bildung des Gewebes eingesetzte Garn hinsichtlich seiner Materialeigenschaften identisch ist, solange es jedenfalls in der vom Anspruch aufgestellten Spannbreite liegt. Das Klagepatent bestimmt weder, wie die Anzahl der Filamente innerhalb des Garns zu gruppieren sind, noch, welche Zusammensetzungsmöglichkeiten eines Garns überhaupt bestehen.
  54. Der Begriff des Gewebes zeigt dem Fachmann bereits rein-philologisch, dass ein in bestimmter Weise gewebter, aus sich kreuzenden Fäden (Garn) bestehender Stoff vorliegt. Das Klagepatent will von diesem allgemeinen Begriffsverständnis für den Bereich der Kabelwickelbänder insbesondere für Motorenräume nicht im Sinne eines eigenen Lexikons abweichen.
  55. Seiner rein-philologischen Bedeutung nach unterstützt der Ausdruck Garn hierzu seine Einsatzmöglichkeit als Gewebematerial. Denn Garn – im Sinne eines Sammelbegriffs für alle linienförmigen textilen Gebilde – kann als ein Faden bestehend aus einzelnen Fasern definiert werden. Ein Faden wiederum ist seinem rein-philologischen Verständnis nach ein langes, sehr dünnes, z.B. aus Fasern gedrehtes Teilstück des linienförmigen textilen Gebildes. Garn stellt somit einen generischen Ausdruck dar, wohingegen Faden eine räumlich-körperliche Konkretisierung ist.
  56. Weitere eindeutige und abschließend festgelegte Beschaffenheitsangaben zur Struktur des für das Gewebe benutzten Garns sind weder dem Anspruchswortlaut noch den Beschreibungsstellen zu entnehmen. Es fehlen insbesondere Anhaltspunkte für die von der Beklagten vertretenen Ansicht, wonach das Gewebe aus einem einzigen Garn mit identischen Parametern bestehen müsste.
  57. Merkmal 4.1 gibt in der Art eines Oberbegriffs und ohne technische Konkretisierungen vorzunehmen an, dass das Gewebe des Trägers aus einem Garn besteht. Es benennt also den Bestandteil des Gewebes. Hinweise, wonach das Wort „einem“ als Zahlwort gemeint sein soll und es synonym deshalb „einziges“ Garn – mit der Konsequenz, dass das Gewebe durchgängig aus Garn mit derselben Filamentanzahl besteht -, heißen könnte, fehlen. Schon im Anspruchswortlaut ist diese ausdrückliche Eingrenzung, die das Klagepatent aber beispielsweise in Merkmal 4 eingesetzt hat, wo der Träger aus einer einzigen aus einem Gewebe gebildeten Schicht bestehen soll, nicht vorhanden. Das Verständnis als unbestimmter Artikel dagegen ergibt sich in Gesamtschau mit den Merkmalen 4.1.1 bis 4.1.3. Denn darin werden drei kumulative Anforderungen aufgestellt, die das in Merkmal 4.1 allgemein angeführte Garn näher definieren. Die Merkmale 4.1.2 und 4.1.3 stellen dazu eine Mindestangabe bzw. eine Bereichsangabe auf, innerhalb derer sich das Garn bewegen darf, aber auch muss. Kriterien, anhand derer eine Auswahl zu treffen ist, etwa wie die einzelnen 24 bis 80 Filamente in unterschiedliche Stränge unterteilt und sodann zu einem Garnfaden zusammenzufassen sind oder inwieweit eine konkrete Garnstärke eine bestimmte Anzahl an Filamenten bedingt, stellt das Klagepatent nicht auf, sondern überlässt sie dem Belieben des Fachmanns.
  58. Umso weniger verlangt das Klagepatent mit der Formulierung einem Garn bei der Herstellung des Gewebes die Benutzung nur eines endlosen Fadens. Schon die Machart des Gewebes erfordert für den Fachmann selbstverständlich den Einsatz mehrerer Fäden, namentlich Kett- und Schussfäden, die miteinander verwoben werden, um ein Gewebe zu erhalten.
  59. Dieses erläuterte Verständnis wird von den Beschreibungsabsätzen unterstützt. Auch sie offenbaren nicht das Erfordernis, dass das Gewebe aus einem einzigen, das heißt dieselben Parameter aufweisenden Garn besteht. Die Kett- und Schussfäden dürfen deshalb in ihrer Beschaffenheit voneinander abweichen.
  60. Die Verwendung der Singularform das Garn wie z.B. in Abs. [0017], welcher im wesentlichem dem Inhalt des Klagepatentanspruchs 1 entspricht, ist kein Hinweis auf das Erfordernis eines einzigen Garns mit identischen Materialeigenschaften. Es heißt dort:
    „Das Gewebe des Trägers 1 besteht aus einem Garn, welches aus einem Polyamidwerkstoff, insbesondere aus PA 6.6, gebildet ist und welches eine Garnstärke von mehr als 280 dtex, insbesondere von 470 dtex, aufweist. Das Garn ist aus 24 bis 80 Filamenten, insbesondere aus 48 bis 80 Filamenten, vorzugsweise aus 68 Filamenten, gebildet. Dabei sollten keine Stapelfasern verwendet werden.“
  61. Diese Beschreibungsstelle befasst sich überhaupt nicht mit der Struktur des Gewebes, das aus – nach Ansicht der Beklagten identischem – Garn hergestellt sein soll.
    Eine nähere Erläuterung erfährt das Gewebe in Abs. [0020], wonach es für dessen Herstellung nicht bloß eines Garns (im Sinne eines Fadens) bedarf, sondern Garn in Gestalt von Kett- und Schussfäden. Es heißt dort:
    „Im Speziellen wurde als Ausführungsbeispiel für die Erfindung ein Kabelwickelband hergestellt, dessen Träger 1 die nachstehend in Tabelle 2 wiedergegebene Gewebekonstruktion aufwies.“
  62. Damit beschreibt Abs. [0020], dass unter Verweis auf die Tabelle 2 eine „Gewebekonstruktion“ durch die Benutzung des Garns erhalten wird. Obwohl es sich dabei um ein Ausführungsbeispiel für die Erfindung eines Kabelwickelbandes handelt, was den Erfindungsgehalt nicht einzuschränken vermag, offenbart die Tabelle 2 das grundlegende Verständnis des Klagepatents, dass unterschiedliche Fäden erforderlich sind, um das Gewebe herzustellen. Explizit werden die für einen Webvorgang typischen und erforderlichen Kettfäden und Schussfäden erwähnt, indes ohne bestimmte Anforderungen an sie zu stellen. Dadurch wird zugleich das Verständnis des im Anspruch benutzten Ausdrucks „Garn“ als bloß verallgemeinernder Oberbegriff belegt, der diese beiden Fadenarten zusammenfasst. Der Tabelle 2 sind keine anderen Anhaltspunkte zu entnehmen, dass eine identische Ausgestaltung dieser Fäden zwingend wäre. Vielmehr werden die schon aus Merkmal 4.1.3 bekannte Filamentanzahl sowie das Ganggewicht separat pro Kett-/Schussfaden betrachtet, was für eine unterschiedliche Ausgestaltung spricht. Sämtliche dieser Angaben liegen innerhalb der vom Klagepatentanspruch 1 vorgegebenen Bereichsangaben. Dass die Angaben zur Garnstärke und Filamentanzahl von Kett- und Schussfäden in dieser Tabelle identisch sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund des durch die Tabelle 2 bloß veranschaulichten Ausführungsbeispiels kommt eine Einengung des Garns auf nur identische Materialwerte nicht in Betracht.
  63. Bekräftigt wird das Verständnis, dass das zur Herstellung des Gewebes benutzte Garn allgemein in unterschiedliche Fäden, ihrerseits bestehend aus einer variierenden Anzahl aus Filamenten(bündeln), aufgeteilt sein kann, durch Abs. [0023], der die Tabelle 3 beschreibt. Denn wie bereits in der Tabelle 2 wird auch hier zwischen der Anzahl an Kettfäden und Schussfäden differenziert. Insoweit spricht auch Abs. [0023] ausdrücklich von „Variationsbereichen“, wobei in der Tabelle jeweils bevorzugte engere Bereiche angegeben wurden. Darüber hinausgehend lehrt das Klagepatent keine spezifischen Anforderungen an den Aufbau bzw. die Struktur des Garns als solchen. Denn nur dem bereits angeführten Abs. [0017] kann als weiterer Hinweis entnommen werden:
    „Dabei sollten keine Stapelfasern verwendet werden.“
    Diese Angabe signalisiert dem Fachmann, dass das Klagepatent die grundsätzliche Struktur eines Garns bestehend aus einzelnen Fasern, wobei ein Filament eine Endlosfaser bezeichnet, kennt und seiner Lehre zugrunde legt. Im Gegensatz zu einem Filament bezeichnet eine Stapelfaser eine Faser mit begrenzter Länge. Damit lehrt diese Beschreibungsstelle eine bestimmte rudimentäre Vorstellung der erfindungsgemäßen Lehre von dem Grundaufbau des zu verwendenden Garns, weshalb bewusst unerwünschte (Faden-)Gestaltungen ausgeschlossen sind. Andere konkrete Anforderungen an die Zusammensetzung und Verarbeitung der einzelnen Filamente innerhalb eines Fadens, wie etwa parallel aufgespult oder miteinander verzwirnt, finden sich in der Klagepatentschrift nicht. Derlei Anforderungen an die Beschaffenheit des Garns stellt auch Abs. [0010] nicht auf. Es heißt auszugsweise:
  64. „[…] Darüber hinaus soll dabei das erfindungsgemäße Klebeband auch weitere Anforderungen der vorstehend genannten Prüfrichtlinie LV 312 erfüllen, eine Schmiegsamkeit wie ein Polyestergewebeklebeband aufweisen und sowohl manuell als auch maschinell verarbeitbar sein.“
  65. Entgegen der Auffassung der Beklagten dient der Verweis auf die gewünschte manuelle und maschinelle Verarbeitbarkeit nicht dazu, die Nutzung bestimmter Garnarten, wie etwa gefachter Garne, für die Bildung des Gewebes auszuschließen. Denn, selbst wenn gefachte Garne in ihrer Herstellung tatsächlich aufwändig sind, kommt es darauf nicht an, weil sich die vorgenannte Beschreibung auf die Herstellung des Klebebandes als solches bezieht und nicht auf die Herstellung dessen einzelner Bestandteile.
  66. Zudem spricht Abs. [0XXX] gegen das Erfordernis einer speziellen Struktur des Garns/der Kett- und Schussfäden:
    „[…] Hierbei kommt offenbar eine synergistische Wirkung der Kombination des Polyamidwerkstoffes des Garns mit dessen Fadenfeinheit und mit dessen Fadenaufbau zum Tragen.“
  67. Das Klagepatent stellt für das Erreichen der synergistischen Wirkung die Kombination des Werkstoffs, der Fadenfeinheit und des Fadenaufbaus heraus, wobei die jeweiligen Komponenten in den einzelnen Klagepatentansprüchen eine Konkretisierung erfahren. Weiteren Bedarf an einer Klarstellung etwa zum Fadenaufbau hat die erfindungsgemäße Lehre allerdings nicht gesehen, sodass andere Eigenschaften des Garns abgesehen von den beanspruchten Spannbreiten in das Belieben des Fachmanns gestellt sind.
  68. Die abhängigen Ansprüche 4 und 5 sprechen ferner für das erläuterte Verständnis, wonach das Klagepatent mit „Garn“ den Bestandteil des Gewebes überhaupt meint und dazu im Einzelnen mehrere Garnfäden herangezogen werden dürfen, ohne dass sie identisch sind. Denn Unteranspruch 4 stellt eine Anzahl der Kettfäden im Gewebe des Trägers im Bereich von 18 bis 60 je cm, vorzugsweise 21 bis 22 je cm unter Schutz und Unteranspruch 5 sieht eine ähnliche Regelung bezüglich der Schussfäden vor, wobei deren Anzahl im Bereich von 10 bis 30 je cm, vorzugsweise 15 bis 16 je cm liegen soll. Auch nach diesen Unteransprüchen verbleibt es dabei, dass jeweils für die andere Fadenart keine konkreten Vorgaben getroffen werden und es danach ausreicht, wenn dessen Eigenschaften in der vom Anspruch 1 offenbarten Spannbreite liegen. Hätte das Klagepatent den Gleichlauf der beiden Fadenarten beabsichtigt, um ein durchgängig identisches Gewebe zu erhalten, wären derlei konkrete Vorgaben möglich gewesen. In Kenntnis der unterschiedlichen Fäden ist dies indes nicht geschehen. Ferner sind es die Unteransprüche 6 und 7, die hinsichtlich mancher Parameter die identische Ausbildung des Garns verlangen. Denn einerseits wird die Garnstärke mit 470dtex konkret vorgegeben, andererseits soll das Garn aus 48 bis 80 Filamenten, vorzugweise 68 Filamenten gebildet sein. Diese Unteransprüche schränken den jeweiligen Stärke-/Filamentbereich aus Anspruch 1 ein und führen dazu, dass zumindest insoweit jegliches Garn im Gewebe diese Eigenschaften aufweist. Solange derlei bestimmte Einzelwerte nicht vorausgesetzt werden, genügt es, wenn das Garn für die Kettfäden und dasjenige für die Schussfäden innerhalb der Bereiche liegt.
  69. Technisch-funktionale Gesichtspunkte bekräftigen das ausgezeigte Verständnis. Für den (nicht beanspruchten) Herstellungsprozess eines Gewebes ist es erforderlich, mehrere Fäden miteinander zu verarbeiten. Denklogisch kann hier nicht ein Garn im Sinne eines zusammenhängenden Fadens verstanden werden. Um die technische Funktion der erfindungsgemäßen Lehre zu erreichen, die – wie die Beklagte richtigerweise erkennt – in dem Zusammenspiel von Werkstoff, Fadenfeinheit und Fadenaufbau liegt, ist es nur entscheidend, aber auch ausreichend, dass das benutzte Garn im Bereich der zulässigen Materialeigenschaften liegt. Diese sind so gewählt, dass eine geringe Klebebanddicke bei gleichzeitig hoher Abriebfestigkeit erzielt wird. Die technische Notwendigkeit, nur Garn mit innerhalb dieser Spannbreite liegenden identischen Angaben zu wählen, ist nicht zu erkennen.
  70. Auch der Aspekt, dass ein erfindungsgemäßes Klebeband mit geringem Aufwand herstell- und verarbeitbar sein soll, erfordert technisch-funktional nicht, dass nicht unterschiedliche Garne (in der anspruchsgemäßen Spannbreite) benutzt werden dürfen. Insbesondere vermag die seitens der Beklagten vorgelegte Anlage KR3, die eine Internetrecherche zum Stichwort „gefachten Garnen“ dokumentiert, nichts gegenteiliges zu belegen. Sie mag die unter Umständen schwierigere Verarbeitung gefachter Garne aufzeigen, indes kommt ihr keine Aussagekraft zu, da es sich nicht um eine sachkundige Äußerung mit Bezug zum hier relevanten Technikgebiet handelt.
  71. III.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von der Merkmalsgruppe 4 Gebrauch.
  72. 1.
    Die Darlegungs- und nötigenfalls Beweislast für den Aufbau und die Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform trifft hier gemäß der allgemeinen zivilprozessualen Regeln im Sinne des § 138 ZPO die Klägerin, weil sie aus diesen Tatsachen die Verletzung des Anspruchs, als für sie günstigen Umstand aufzeigen will. Sie muss daher entsprechenden Vortrag in schlüssiger Weise präsentieren. Die Beklagtenseite ist sodann gehalten, zu den einzelnen relevanten Behauptungen in der Klageschrift Stellung zu nehmen und sich über die diesbezüglichen tatsächlichen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären. Dies bedeutet zwar nicht, dass der Beklagte von sich aus das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand zu unterrichten hätte. Er kann sich auf das Bestreiten bestimmter vom Kläger behaupteter technischer Merkmals beschränken. Allerdings darf dieses Bestreiten nicht pauschal bleiben, sondern muss im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten in der gleichen Weise substantiiert sein, wie es das Vorbringen des Klägers ist. Prinzipiell gilt der Grundsatz, dass je substantiierter der Sachvortrag des Klägers ist, desto strenger auch die Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten des Beklagten sind (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 13. Aufl., Kap. E, Rn. 147 m.w.N.).
  73. Diesen Voraussetzungen genügt das klägerische Vorbringen. Zunächst ist die grundsätzliche Struktur der angegriffenen Ausführungsform zwischen den Parteien unstreitig. Diese besteht aus Schussfäden (Querrichtung) und Kettfäden (Längsrichtung), welche sich in lichtmikroskopischen Aufnahmen breiter aufgefächert darstellen als die Schussfäden. Nachfolgend eingeblendete Abbildungen entstammen von den Seiten 6 und 12 des Prüfberichts und veranschaulichen den Aufbau des Garns:
    2.
    Die Garnstärke (Merkmal 4.1.2) sowie insbesondere den Umstand, dass die Anzahl an Filamenten für die Kett- und Schussfäden im benutzten Garn in der Spannbreite des Merkmals 4.1.3 liegt, hat die Klägerin substantiiert aufgezeigt. Sofern die Beklagte meint, dass die angegriffene Ausführungsform nicht aus einem, sondern aus zwei Garnen bestehe, unterliegt sie einem Fehlverständnis; Merkmal 4.1 ist verwirklicht.
  74. a.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Merkmal 4.1, weil das Gewebe aus einem Garn bzw. Kett- und Schussfäden besteht, die jeweils den erfindungsgemäßen Anforderungen entsprechen (vgl. folgende lit. b, lit. c). Unerheblich ist, ob es sich bei Kett- und Schussfäden um gefachtes Garn handelt, weil das Klagepatent dazu keine Vorgaben macht. Die Schussfäden in der angegriffenen Ausführungsform sind dabei nicht als zwei getrennte Garne anzusehen, auch wenn sie aus zwei Filamentbündeln bestehen. Denn jedenfalls bei deren Einbringen in das Gewebe handelt es sich nur noch um einen nach außen ersichtlichen Garnfaden.
  75. b.
    Merkmal 4.1.2 wird von der angegriffenen Ausführungsform verletzt. Das benutzte Garn weist eine Garnstärke von 480 dtex (Kettfäden) bzw. 462/513 dtex (Schussfäden) auf und liegt somit oberhalb der mindestens verlangten 280 dtex. Davon ist die Kammer aufgrund des substantiierten Vorbringens der Klägerin überzeugt.
    Im Prüfbericht wurde die Stärke der Kettfäden mit 48 tex beziffert, was umgerechnet 480 dtex sind. Die Bestimmung der Feinheit von Garnen und Zwirnen wurde nach der DIN XXX-3 vorgenommen (vgl. Anlage 8a, S. 11). Der Messung zugrunde lag eine 50cm lange Messprobe der angegriffenen Ausführungsform. Tex ist die vereinheitlichte Maßeinheit, welche die Feinheit von Textilfasern angibt. Sie knüpft an die Dicke, den Durchmesser oder die Stärke der Fasern an und kann die längenbezogene Masse oder die massebezogene Länge angeben. Tex betrifft das Verhältnis von Gramm/Meter. 1tex entspricht 1Gramm pro 1000 Meter, 1dtex ist 1 Gramm pro 10.000 Meter.
  76. Für die Querrichtung dagegen konnte in dem Prüfbericht kein Ergebnis festgestellt werden, was mit der zu kurzen Messstrecke erläutert wurde. Nachdem die Klägerin in der Klageschrift noch pauschal und ohne nähere Erläuterung auch für die Schussfäden dennoch von einer Garnstärke von 480 dtex ausgegangen ist, hat sie in der Replik diese fehlenden Angaben auf nachvollziehbare Weise hergeleitet und mit 513 dtex bzw. bei Berücksichtigung einer Toleranz von +/- 10 % mit 462 dtex angegeben. Diese Werte wurden mithilfe der Gleichung für die Titererrechnung und der anderen bekannten Größen wie das Flächengewicht und die breitenbezogene Feinheit der Längsfäden ermittelt werden, wobei sich diese Werte jeweils aus dem Prüfbericht ergeben.
  77. Zur Veranschaulichung der im Prüfbericht festgestellten Ergebnisse wird nachfolgend die von der Klägerin erstellte Tabelle eingeblendet:
  78. Der technische Prüfbericht konnte hierzu als qualifizierter Parteivortrag umfänglich in die rechtliche Würdigung eingestellt werden. Denn die von der Beklagten zunächst erhobenen methodischen Zweifel an dem klägerischen Prüfbericht vermochte die Klägerin auf plausible Weise auszuräumen. Sie hat erläutert, mit der Klageschrift versehentlich eine nicht finalisierte Fassung des Berichts eingereicht zu haben. Der fertiggestellte und mit der Replik zur Akte gereichte Prüfbericht räumt die formalen Beanstandungen der Beklagten dagegen vollständig aus. An der nunmehr vorliegenden Fassung des Prüfberichts hat die Beklagte keine Kritik mehr geübt.
  79. Hinsichtlich der von der Klägerin für die Merkmalsverwirklichung angeführten Messergebnisse hat die Beklagte zunächst schon nicht den Messwert der Kettfäden in Abrede gestellt und im weiteren auch nicht auf erhebliche Weise die Berechnungen für die Schussfäden zu entkräften vermocht. In der Duplik hat sie insbesondere nicht die Richtigkeit der Gleichung in Abrede gestellt.
  80. Zwar hat die Beklagte in der Duplik unter Bezugnahme auf eine eigene Untersuchung des Deutschen Textilforschungszentrums Nordwest öffentliche Prüfstelle GmbH behauptet, dass die Garnfeinheit der Schussfäden 242 dtex betrage (vgl. Anlage KR 4), womit sie außerhalb der anspruchsgemäßen Vorgabe von „mindestens 280 dtex“ liege. Dies vermag im Lichte des substantiierten Vorbringens der Klägerin aber nicht durchzudringen und zu einem anderen Ergebnis zu führen. Denn die Beklagte trägt zu diesen Untersuchungen vor, dass diesen ein Schussfaden, bestehend aus zwei „Garnen“, zugrunde lag und pro Faden die Garnfeinheit gemessen wurde. Der in das Gewebe des Klebebandes eingebrachte Schussfaden besteht dabei unstreitig aus beiden dieser Garne. Deshalb muss die Garnfeinheit von 242 dtex des einen Fadens mit derjenigen des anderen Fadens addiert werden, was zu einer Garnstärke von 484 dtex entspricht. Dieses Ergebnis deckt sich mit demjenigen der Klägerin aus dem Prüfbericht nahezu vollständig. Bestätigt wird diese tatsächliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform im Schussfaden aus zwei Fadenbündeln weiterhin durch den Prüfbericht, Anlage B13. Dessen Richtigkeit stellt die Beklagte nicht in Abrede. Auch nach diesem Prüfbericht kommt einem der Stränge eine Garnfeinheit von 24,73 dtex zu. In Addition mit dem Wert des zweiten Filamentstrangs liegt damit die Stärke des Garns insgesamt bei 494 dtex und damit näherungsweise im Bereich von 480 dtex.
  81. b.
    Die Klägerin hat, ebenfalls belegt durch ihr vorgerichtlich beauftragtes Privatgutachten, substantiiert dargelegt, dass sowohl die Anzahl der Filamente in den Kettfäden als auch diejenige in den Schussfäden zwischen 24 und 80 liegt. Zwei durchgeführte Messungen haben für die Längsrichtung (also die Kettfäden) eine Anzahl von je 67 ergeben, für die Querrichtung wurden Werte von 65 bzw. 71 erreicht.
  82. Sofern die Beklagte bemängelt, dass unter Punkt 9 das Messverfahren zur Bestimmung der Filamente nicht angegeben worden und deshalb nicht nachvollziehbar ist, verfängt dies letztlich nicht. Es handelt sich trotz der Kritik der Beklagten um plausibles Vorbringen. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten soll in der angegriffenen Ausführungsform die Filamentanzahl für Schussfäden 36 betragen. Wie die Beklagte zu diesen Werten gelangt ist, hat sich nicht detaillierter erläutert. Zwar hat die Beklagte auf Messergebnisse des Deutschen Textilforschungszentrums Nord-West (vgl. Anlage KR1) verwiesen. Indes wird zu diesen Messwerten kein Messverfahren angegeben. Für eine ähnliche Herangehensweise wie in den Prüfungen der Klägerin sprechen ferner die ermittelten Ergebnisse für die Kettfäden, welche in einer ähnlichen Größenordnung wie diejenigen des IFAM liegen. Zu den von der Beklagten ermittelten abweichenden Werten für die Querrichtung (Schussfäden) kommt außerdem hinzu, dass die Klägerin nachvollziehbar erläutert hat, wie es zu den etwa halb so hohen Messwerten wie im Prüfbericht des IFAM kommen konnte; nämlich indem für die Schussfäden nicht die Summe aller Filamente angegeben wurde, sondern nur ein von insgesamt zwei Filamentbündeln im „Doppelschuss“ berücksichtigt wurde. Dieses Vorbringen hat die Beklagte nicht bestritten. Vielmehr belegen ihre eigenen Untersuchungen zur Feinheit des Schussfadens gerade diese Schilderungen. Denn bei 36 Filamenten für ein Filamentbündel liegen insgesamt 72 Filamente für den Schussfaden vor. Dies steht im Einklang mit dem Messergebnis der Klägerin.
  83. IV.
    Aufgrund der vorstehenden Ausführungen resultieren die folgenden Rechtsfolgen:
  84. 1.
    Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.
  85. 2.
    Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, § 139 Abs. 2 PatG.
  86. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
  87. Der Anspruch auf die Feststellung der Entschädigungsverpflichtung folgt aus § 1 Abs. 2 IntPatÜG. Da auch hier die genaue Höhe dieses Anspruchs derzeit noch nicht beziffert werden kann, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse an der Feststellung dieser Verpflichtung.
  88. 3.
    Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen, § 140b PatG i.V.m. § 242 BGB. Der Auskunftsanspruch ergibt sich aus § 140b Abs. 3 PatG.
  89. Die Angaben zu einzelnen Kostenfaktoren, aufgeschlüsselt nach Gestehungskosten und dem erzielten Gewinn, waren dagegen nur ab dem Erteilungstag des Klagepatents zuzüglich einem Monat Karenzzeit geschuldet.
  90. 4.
    Die Beklagte ist nach § 140a Abs. 1 und 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zur Vernichtung und zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände verpflichtet.
  91. 5.
    Die Klägerin hat dagegen keinen Anspruch auf Urteilsveröffentlichung gegen die Beklagte aus § 140e PatG, da das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht hinreichend dargelegt wurde.
  92. a.
    Gemäß § 140e PatG kann der obsiegenden Partei einer auf das PatG gestützten Klage im Urteil die Befugnis zugesprochen werden, das Urteil auf Kosten der unterliegenden Partei öffentlich bekannt zu machen, wenn sie ein berechtigtes Interesse darlegt. Die Art und der Umfang der Bekanntmachung müssen im Urteil bestimmt werden, § 140e S. 2 PatG.
  93. Voraussetzung für den Anspruch auf Urteilsbekanntmachung ist maßgeblich, dass der Obsiegende ein berechtigtes Interesse darlegt und die für sein Interesse maßgeblichen Umstände beweist. Das Obsiegen als solches rechtfertigt die Urteilsbekanntmachung auf Kosten des Unterlegenen also für sich genommen nicht (vgl. Schulte/Mes, PatG, 10. Aufl., § 140e, Rn. 5 ff.). Es geht nicht allein um die Bestrafung durch öffentliche Bloßstellung, sondern genauso um die Beseitigung eines fortdauernden Störungszustandes (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rn. 581). Entscheidend ist daher, ob die Bekanntmachung auch zur Abschreckung und Störungsbeseitigung beitragen kann. Erforderlich ist dabei eine umfassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls wie etwa: Umfang und Schwere der Rechtsverletzung, Grad des Verschuldens, öffentliche Darstellung des Konflikts, insbesondere durch den Unterliegenden, und Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Gegen die Veröffentlichung können ein längerer Zeitablauf seit der (beendeten) Verletzungshandlung, eine etwaige außergewöhnliche Beeinträchtigung des Betriebs des Unterlegenen oder der Wegfall des Schutzrechts sprechen (vgl. Schulte/Mes, a.a.O., Rn. 11; Kühnen, a.a.O., Rn. 593 ff.).
  94. Die Umstände, die das berechtigte Interesse begründen, sind vom Kläger darzutun und zu beweisen; die gegenläufigen Belange, die einer Veröffentlichung oder einer bestimmten Art/einem bestimmten Umfang der Bekanntmachung entgegenstehen, stehen in der Darlegungs- und Beweislast des Schuldners (vgl. Kühnen, a.a.O., Rn. 600).
  95. b.
    Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil die Klägerin nur pauschal behauptet hat, ihr Interesse an der Urteilsbekanntmachung folge aus ihrer Stellung als Wettbewerberin der Beklagten und aus den infolge der Patentverletzung erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen. Zudem sei es im Bereich der Automobilherstellung üblich, dass die Hersteller die Zulieferer freigeben und in entsprechenden Datenbanken listen.
  96. Da die Klägerin keinerlei weiteren Angaben zu den behaupteten Umsatz- und Gewinneinbußen gemacht hat, vermochte die Kammer das Ausmaß der durch die Schutzrechtsverletzung verursachten Beeinträchtigungen nicht zu beurteilen.
  97. Weiter war zu berücksichtigen, dass diejenigen Hersteller, die mit der Beklagten mit Blick auf die streitgegenständlichen Klebebänder in einer Geschäftsbeziehung stehen, bereits durch den ebenfalls geltend gemachten und austenorierten Rückrufanspruch über das Urteil informiert werden. Weder vorgetragen, noch zu erkennen ist, inwieweit der Klägerin über diese Automobilhersteller hinaus ein berechtigtes Interesse an der Informierung der Öffentlichkeit über die Patentverletzung zustehen sollte. Bei den angegriffenen Ausführungsformen handelt es sich – was sich insbesondere auch an der von der Klägerin selbst angeführten Freigabe durch die die Klebebänder einsetzenden Automobilhersteller zeigt – um einen Spezialbedarf, der nicht von jedermann gekauft wird.
  98. V.
    Der Rechtsstreit war nicht auszusetzen. Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass die im Wege der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Einwände gegen den Rechtsbestand des Klagepatents überwiegend wahrscheinlich erfolgreich verlaufen würden.
    Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen.
  99. Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet, dem Verletzungsbeklagten wirkungs-vollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff gegen den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen An-griff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung führen zu können auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten).
  100. Die Lehre des Klagepatents beruht auf erfinderischer Tätigkeit.
  101. 1.
    Nach § 4 PatG gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es – abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist – in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH, GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH, GRUR 2010, 407 – einteilige Öse). Daraus kann man entnehmen, dass es positive Anregungen im Stand der Technik geben muss, in Richtung des Klagepatents weiter zu denken. Der Fachmann muss auf die Problemstellung kommen, die dem Klagepatent zugrunde liegt und er muss Hinweise bekommen, dass man dieses Problem mit Mitteln des Klagepatents löst.
  102. 2.
    Diese Voraussetzungen sind auf Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes im vorliegenden Fall nicht feststellbar. Die Kombination der NK7 mit Fachwissen, veranschaulicht durch die NK8 und NK9, legt die erfindungsgemäße Lehre nicht nahe.
  103. Die NK7 betrifft eine Vorrichtung zum Schutz eines Gegenstandes vor Beschädigungen und/oder zur Minderung von Vibrationsgeräuschen (Abs. [0001]). Es war bekannt, dass besonders hohe Anforderungen an derlei Vorrichtungen zu stellen waren, wenn sie im Bereich des Maschinenbaus eingesetzt werden sollten, weil es dort zu hohen Temperatur(schwankungen), schwierigen Verlegungen und starker Belastung kommen konnte. Im Stand der Technik kamen insbesondere Wellrohre oder dick aufgebaute Wickelbänder mit komplexem Innenaufbau zur Anwendung, um Klappergeräusche zu mindern. Aufgrund der sich verändernden Motorenräume sind diese Vorrichtungen allerdings nur noch bedingt einsetzbar. Es bestand Bedarf an Schutzmaterialien, die im immer kleiner werdenden Bauraum verwendet werden können und dabei eine verbesserte Flexibilität, hohe Abriebfestigkeit und geringen Platzbedarf aufweisen (vgl. Abs. [0004] f.). Die NK7 will dazu eine Vorrichtung bereitstellen, die einen zweiteiligen Schichtaufbau aufweist und über eine textile Schicht und eine darauf aufkalandrierte Folie verfügt. Zusätzlich ergänzt wird eine solche Vorrichtung durch eine Schicht Selbstkleber, welche auf der Folie aufgebracht wird (vgl. Abs. [0029]).
  104. a.
    Hinsichtlich des Offenbarungsgehalts der NK7 geht die Beklagte davon aus, dass die Merkmale 4.1.2 und 5 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart werden. Nach Ansicht der Kammer ergibt sich aber auch das Merkmal 4 nicht aus dieser Druckschrift. Denn das Klagepatent betrifft ausschließlich einschichtige Träger/Kabelwickelbänder. Dass Merkmal 4.1 insoweit die Bildung des Trägers aus einer einzigen Gewebeschicht verlangt, steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Ein anderes Verständnis, wonach zu dieser Gewebeschicht auch andere Schichten hinzutreten könnten, ergibt sich aus der Lehre des Klagepatents jedoch nicht. Insbesondere kann ein solches Verständnis nicht aus Merkmal 2 hergeleitet werden („mit einem bandförmigen Träger“). Der Wortlaut mit der Formulierung Kabelwickelband „mit“ einem bandförmigen Träger offenbart dieses Verständnis nicht. Das Wort „mit“ ist nämlich im Sinne von „bestehend aus“ zu verstehen und soll angeben, wie das Kabelwickelband zusammengesetzt ist. Es handelt sich nicht um eine Angabe der Mindestbestandteile eines Kabelwickelbandes, die das Hinzufügen weiterer Materialien zulassen würde. Dies veranschaulicht vor allem auch die maßgebliche englischsprachige Anspruchsfassung, wo es „comprising a strip-type substrate“ heißt und dort somit kein Spielraum für das Hinzufügen einer anderen Schicht ist. Die Klagepatentbeschreibung lehrt zudem keine Ausführungsformen, die aus einem mehrschichtigen bandförmigen Träger bestehen würden. Entgegen der Ansicht der Beklagten gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent nur auf weitere Schichten aus bestimmten Materialien wie z.B. Velours oder Vlies verzichten will. Vielmehr will das Klagepatent überhaupt eine Vorrichtung bereitstellen, die eine nur geringe Stärke hat und dennoch einer hohen Abriebklasse unterfällt. Aufgrund dieser Unterschiede im Aufbau des Gewebebandes lehrt die NK7 sogar eher von der Lehre des Klagepatents weg.
  105. b.
    Abgesehen davon hatte der Fachmann ausgehend von der NK7 jedenfalls keinen Anlass diese Vorrichtung in Richtung auf ein erfindungsgemäßes Klebeband weiterzudenken. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die NK7 ihrerseits schon eine in sich geschlossene Lösung bereitstellen will, die sich durch eine hohe Abriebfestigkeit auszeichnet (Abs. [0008]).
  106. Die Beklagte hat nicht näher erläutert, weshalb es für den Fachmann naheliegend gewesen sein sollte, den für das Schussgarn vorgesehenen Maximalwert von 280dtex auf das Kettgarn zu übertragen, für das die Lehre der NK7 eigens Stärkewerte vorgegeben hat. Hinzukommt, dass es sich bei dem Wert von 280dtex in der NK7 um einen Maximalwert handelt, wohingegen die erfindungsgemäße Lehre diese Angabe als Minimalwert vorsieht. Demnach stellen das Klagepatent und die NK7 unterschiedliche Anforderungen an die Materialbeschaffenheit. Bestärkt werden diese Unterschiede weiterhin dadurch, dass die NK7 auch konkrete (Bereichs-)Angaben zur Anzahl der Filamente sowie zum Flächengewicht macht, welche sich alle am unteren Rand bzw. sogar außerhalb der vom Klagepatent vorgesehenen Spannbreite bewegen.
  107. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass bei unterstelltem Anlass die fehlenden Merkmale aus der NK8 bzw. NK9 folgen würden.
  108. aa.
    Die Anlage NK8 liegt (im hiesigen Verfahren) schon nur unvollständig vor, was die Beurteilung dessen, was Gegenstand des Fachwissens ist, unmöglich macht. Schriftsätzlicher Vortrag der Beklagten zur NK8 ist erst in der Duplik erfolgt. Eine deutsche Übersetzung des Dokuments fehlt weiterhin, weshalb es schon aus formellen Gründen unberücksichtigt bleiben müsste. Unbeschadet dessen ist aber auch in materieller Hinsicht nicht zu ersehen, weshalb der Fachmann dieses Lehrbuch zum Anlass nehmen sollte, auch für Kettfäden eine Garnstärke von mindestens 280 dtex vorzusehen. Denn es beschreibt keinerlei konkrete Werte oder Spannbreiten an Werten, innerhalb derer sich die Garnstärke bewegen müsste. Zwar mag es sein, dass die NK8 offenbart, dass unter bestimmten Bedingungen eine höhere Abriebfestigkeit bereitgestellt werden könnte. Der Fadendurchmesser kann dabei ein relevanter Faktor sein. Eine betragsmäßige Annäherung an diesen Parameter erfolgt jedoch nicht. Insoweit ist auch nicht zu ersehen, dass der Fachmann allein aufgrund der Kenntnis etwaiger anderer Faktoren zu einer Mindestgarnstärke gelangt.
  109. Ferner weist die NK8 unstreitig keinen konkreten Bezug zur Automobilbranche auf und damit auch nicht auf eine gerade in dieser Branche entwickelten Norm zur Bemessung der Abriebklasse.
  110. Dass der Fachmann eine Bemessung nach diesen Grundsätzen und speziell für die Abriebklasse E (Merkmal 5) mitlesen würde, im Sinne einer impliziten Offenbarung, vermag die Kammer nicht festzustellen. Eine solche scheitert schon an der Offenbarung einer Mindestgarnstärke, die jedenfalls einen wesentlichen Faktor bei der Abriebbeständigkeit bildet, neben Werkstoff und der Anzahl an Filamenten.
  111. bb.
    Letztlich bietet auch die (ohne deutsche Übersetzung vorgelegte) NK9 keine Anregung, zur anspruchsgemäßen Mindestgarnstärke auch für die Kettfäden zu gelangen. Die Druckschrift der NK9 betrifft Materialverschleißprüfgeräte und -techniken. Ein unmittelbarer Zusammenhang zu auch in der Automobilbranche einsetzbaren Textilien/Geweben ist nicht zu erkennen. Außerdem lehrt die NK9 keine bestimmten zu erfüllenden Garnstärkewerte, sondern befasst sich allenfalls allgemein mit unterschiedlichen Textileigenschaften, die zu unterschiedlicher Abriebfestigkeit führen könnten.
  112. B.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.
  113. Streitwert: 2.000.000,- Euro

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