4c O 90/18 – Hämostase-Vorrichtung 2 II

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3115

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 17. Juni 2021, Az. 4c O 90/18

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,

    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

  2. medizinische Vorrichtungen zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop
  3. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zur bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  4. wobei die medizinische Vorrichtung aufweist: eine Klemme, wobei die Klemme mindestens zwei Klemmenschenkel aufweist; einen Steuerdraht, wobei der Steuerdraht mit der Klemme gekoppelt ist; eine nachgiebige Verbindung, welche den Steuerdraht mit der Klemme koppelt; eine axial steife Hülle, die den Steuerdraht umhüllt, wobei die Hülle im Stande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt; einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist; und ein mit dem Steuerdraht gekoppeltes Bedienteil, wobei der Steuerdraht durch das Bedienteil in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen, und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln; wobei der Steuerdraht reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen; wobei die nachgiebige Verbindung dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht ausgeübt wird, zerbrochen zu werden, wobei, wenn die nachgiebige Verbindung zerbrochen wird, der Steuerdraht von der Klemme abgekoppelt wird;
  5. 2. der Klägerin in einer chronologisch geordneten und nach Jahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. Juni 2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
  6. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen (wie z.B. Vertriebscenter), für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Vorrichtungen sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  7. wobei
  8. – zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind,
    – geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
    – die Aufstellung mit den Daten der Auskunft zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist, soweit die Daten in elektronischer Form bei der Beklagten vorhanden sind
  9. 3. der Klägerin in einer chronologisch geordneten und nach Jahren und Typen gegliederten Aufstellung darüber Rechnung zu legen in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. Juli 2018 begangen hat, und zwar unter der Angabe
  10. a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für die die medizinischen Vorrichtungen bestimmt waren,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, den Namen und Anschriften der Empfänger,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  11. wobei
  12. – die Aufstellung mit den Daten der Rechnungslegung zusätzlich in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist, soweit die Daten in elektronischer Form bei der Beklagten vorhanden sind,
    – es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegen-über zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschafts-prüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, so-fern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.
  13. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. Juli 2018 entstanden ist und noch entstehen wird.
  14. III. Die Beklagte wird verurteilt, die oben unter Ziff. I 1. fallenden, nach dem 6. Juni 2018 in Verkehr gebrachten medizinischen Vorrichtungen gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit ihrem Urteil eine Verletzung des Klagepatents ausgesprochen hat, schriftlich und ernsthaft mit der verbindlichen Zusage aus den Vertriebswegen zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe der Vorrichtungen verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Vorrichtungen wieder an sich zu nehmen.
  15. IV. Die Beklagte wird verurteilt, die unter Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 6. Juni 2018 in Verkehr gebrachten medizinischen Vorrichtungen endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen, wobei insbesondere die folgenden Maßnahmen zu ergreifen sind:

    a) die Beklagte hat alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Standorte und die Besitzer über die unter Ziff. I.1. bezeichneten medizinischen Vorrichtungen zu ermitteln,
    b) soweit die Beklagte selbst rechtliche oder tatsächliche Verfügungsgewalt über die unter Ziff. I.1. bezeichneten medizinischen Vorrichtungen inne hat, müssen die rechtlich zulässigen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen werden, damit diese Vorrichtungen in den unmittelbaren Besitz der Beklagten gelangen und dort verbleiben,
    c) soweit die Beklagte weder rechtliche noch tatsächliche Verfügungsgewalt über die unter Ziff. I.1. bezeichneten medizinischen Vorrichtungen inne hat, muss sie alle rechtlich zulässigen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Personen, die Ansprüche auf Herausgabe oder Vernichtung gegen die Inhaber der Verfügungsgewalt der Vorrichtungen inne haben, zur Geltendmachung dieser Ansprüche zu veranlassen und/oder diese Personen bei der Geltendmachung dieser Ansprüche zu unterstützen.

  16. V. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
  17. VI. Das Urteil ist im Hinblick auf die Ziffern I.1., III. und IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 400.000,-, im Hinblick auf die Ziffern I.2. und I.3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,- und im Hinblick auf die Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  18. VII. Der Streitwert wird auf EUR 500.000,- festgesetzt.
  19. Tatbestand
  20. Die Klägerin macht – als eingetragene und allein verfügungsberechtigte Inhaberin – Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen EP 1 328 XXX B1 (DE 602.49.XXX.6, vorgelegt als Anlage KAP 2, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage KAP 2a; im Folgenden: Klagepatent) geltend, das unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 5. Oktober 2001 (US XXX) am 20. September 2002 angemeldet und als Anmeldung am 23. Juli 2003 offengelegt wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 6. Juni 2018 bekanntgemacht. Das Klagepatent steht mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft.
  21. Die deutsche Tochtergesellschaft der Beklagten, die A GmbH, hat am 6. März 2019 Einspruch gegen das Klagepatent erhoben (vgl. Anlagenkonvolut HRM 8) erhoben, dem die Beklagte mit Schriftsatz vom 27. August 2020 beigetreten ist (vgl. Anlage HRM 7). Über den Einspruch ist noch nicht entschieden. Mit Bescheid vom 27. Januar 2020 (vgl. Anlage HRM 10) teilte die Einspruchsabteilung erstmals ihre vorläufige Auffassung den Parteien mit. Das Europäische Patentamt hat mittlerweile Termin zur mündlichen Verhandlung über die Einspruch der Beklagten und ihrer deutschen Tochtergesellschaft auf den 7. Dezember 2021 bestimmt und den Parteien mit der Ladung vom 21. Januar 2021 eine ergänzte vorläufige Einschätzung übermittelt. Wegen deren Inhalt wird auf die Anlage KAP 23 Bezug genommen.
  22. Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren für endoskopische hämostatische Klemmen. Der Anspruch 1 des – in englischer Sprache angemeldeten und erteilten – Klagepatents lautet:
  23. „1. A medical device for causing the hemostasis of a blood vessel for use through an endoscope, said medical device comprising:
    a clip (2101), the clip having at least two clip legs (1801);
    a control wire (1006; 1803; 2104), the control wire (1006; 1803; 2104) being coupled to the clip;
    a frangible link (1005; 1804; 2105) coupling the control wire (1006; 1803; 2104) to the clip;
    an axially rigid sheath (1806; 2103) enclosing the control wire, the sheath able to communicate a first force opposing a second force of the control wire;
    a handle coupled to the axially rigid sheath; and an actuator coupled to the control wire, the control wire engageable by the actuator to open the at least two clip legs, to close the at least two clip legs, and to uncouple the control wire from the clip;
    characterized in that
    the control wire (1006; 1803; 2104) is reversibly operable both to open the at least two clip legs and to close the at least two clip legs;
    the frangible link (1005; 1804; 2105) is adapted to be broken by a first predetermined tensile force applied by the control wire (1006; 1803; 2104), wherein when the frangible link (1005 1804; 2105) is broken, the control wire (1006 1803; 2104) uncouples from the clip.”
  24. Übersetzt lautet der Anspruch 1:
  25. „1. Medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop, wobei die medizinische Vorrichtung aufweist:
    eine Klemme (2101), wobei die Klemme mindestens zwei Klemmenschenkel (1801) aufweist;
    einen Steuerdraht (1006; 1803; 2104), wobei der Steuerdraht (1006; 1803; 2104) mit der Klemme gekoppelt ist;
    eine nachgiebige Verbindung (1005; 1804; 2105), welche den Steuerdraht (1006; 1803; 2104) mit der Klemme koppelt;
    eine axial steife Hülle (1806; 2103), die den Steuerdraht umhüllt, wobei die Hülle imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt;
    einen Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist; und
    ein mit dem Steuerdraht gekoppeltes Bedienteil, wobei der Steuerdraht durch das Bedienten in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen, die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen, und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln;
    dadurch gekennzeichnet, dass
    der Steuerdraht (1006; 1803; 2104) reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen;
    die nachgiebige Verbindung (1005; 1804; 2105) dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht (1006; 1803; 2104) ausgeübt wird, zerbrochen zu werden, wobei, wenn die nachgiebige Verbindung (1005; 1804; 2105) zerbrochen wird, der Steuerdraht (1006; 1803; 2104) von der Klemme abgekoppelt wird.“
  26. Die nachstehend verkleinert wiedergegebene Figur 21 ist der Klagepatentschrift entnommen und erläutert deren technische Lehre anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels:
  27. Figur 21 zeigt eine vergrößerte Teilansicht des distalen Endes einer nach der Lehre des Klagepatents ausgestalteten Vorrichtung. Nachfolgend wiedergegeben ist die Figur 21 mit seitens der Klägerin versehenen Einfärbungen und Erläuterungen (vgl. Anlage KAP 5):
  28. Die Klägerin gehört zur US-amerikanischen B Gruppe, die schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Medizinprodukten tätig ist, insbesondere auch im Bereich der Endoskopie.
  29. Bei der Beklagten handelt es sich um die chinesische Muttergesellschaft der zur C-Gruppe gehörenden und in Deutschland ansässigen A GmbH. Die C-Gruppe wurde im Jahr 2000 als Anbieter von Stents und endoskopischem Zubehör in D gegründet und deren Produkte werden in XXX entwickelt und produziert.
  30. Die Klägerin hat im Wege eines Testkaufs mehrere Gewebeklemmen des Modells E erworben. Ausweislich des Aufdrucks auf der Verpackung wurden die Klemmen von der Beklagten hergestellt, wobei als Inhaberin der CE-Kennzeichnung die F GmbH (XXX) angegeben ist (vgl. Anlage KAP 7/1). Im Impressum des deutschen Internetauftritts der C-Gruppe wird die A GmbH als Verantwortliche benannt. Über die Internetseite ist auch die als Anlage KAP 10 zur Akte gereichte Produktbroschüre zu den unter der Produktebezeichnung G angebotenen Klemmen abrufbar (im Folgenden: angegriffene Ausführungsformen), wobei sich dort auf Seite 3 die gleiche Referenzbezeichnung findet, wie sie auch auf der Verpackung der seitens der Klägerin erworbenen Klemmen E zu finden ist („XXX“). Auf der letzten Seite der Broschüre findet sich zudem sowohl ein Hinweis auf die Herstellerin (Beklagte) wie auch auf die A GmbH. Schließlich lässt sich dem englischsprachigen Internetauftritt der Beklagten unter den FAQ entnehmen (vgl. Screenshot der Anlage KAP 8), dass die Beklagte Lieferungen nach Deutschland unterstützt.
  31. Der Aufbau der angegriffenen Ausführungsformen ist anhand der nachfolgend wiedergegebenen, seitens der Klägerin erstellten und als Anlage KAP 11 zur Akte gereichten Explosionszeichnung ersichtlich:
  32. Die Klägerin hat vor der hiesigen Kammer wegen der Verletzung des Klagepatents durch die angegriffenen Ausführungsformen bereits die A GmbH sowie die F GmbH (Europe) in Anspruch genommen (Az. 4c O 89/18). Im Zuge dieses Rechtsstreits hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. Hammer mit Beweisbeschluss vom 16. Januar 2020 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt (vgl. Gutachten v. 7. August 2020, Anlage KAP 16) und den Sachverständigen am 27. April 2021 auf Antrag der Beklagtenseite angehört (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2021, Anlage HRM 14). Verkündungstermin in diesem Verfahren hat die Kammer bestimmt auf den 17. Juni 2021.
  33. Die Klägerin meint, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
  34. Der Fachmann könne dem Klagepatent weder einen Hinweis darauf entnehmen, dass die Klemme eine bauliche Einheit darstellen, noch dass eine Vorspannung anliegen müsse. Auch in den angegriffenen Ausführungsformen seien zwei Klemmarme vorhanden, die über einen Pin (Proximal Pin) als bauliche Einheit miteinander verbunden seien. Im Übrigen sei ein zusätzlicher Distal Pin vorhanden, der sicherstelle, dass die Klemmarme nicht ohne Krafteinwirkung zusammengedrückt werden könnten, was einer Vorspannung entspreche. Soweit der Anspruch 1 eine axial steife Hülle fordere, könne diese auch teilweise flexibel ausgestaltet sein, solange sie jedenfalls der Druck-/Zugkraft des Steuerdrahts standhielte, was auch bei einer Hülle aus gewickeltem Draht der Fall sei. Eine entsprechende Flexibilität sei auch vor dem Hintergrund des Einsatzgebietes geboten. Schließlich hätten die Untersuchungen der Klägerin, insbesondere der als Anlage KAP 19 / 19a zur Akte gereichte Testbericht des Unternehmens Exponent, gezeigt, dass regelmäßig mindestens einer der beiden J-Haken zer- und/oder anbrechen würde, wobei es ausreichend sei, dass die Haken mit einer gewissen Regelmäßigkeit zerstört würden. Das Klagepatent setze nicht zwingend ein vollständiges Zerbrechen der J-Haken voraus, sondern es sei – auch unter Berücksichtigung technisch-funktionaler Gesichtspunkte – ausreichend, wenn die Haken nur anbrechen würden und dies (mit-)ursächlich für das Lösen vom Steuerdraht sei. Der Fachmann sei zudem bemüht, ein vollständiges Zerbrechen zu verhindern, da anderenfalls Teile im Körper des Patienten verblieben, die dort nicht gewollt seien.
  35. Ferner ist die Klägerin der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über den Einspruch der Beklagten und ihrer deutschen Tochtergesellschaft als rechtsbeständig erweisen.
  36. Die Klägerin beantragt,
  37. wie erkannt.
  38. Die Beklagte beantragt,
  39. die Klage abzuweisen;
  40. hilfsweise
    das Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem gegen das Klagepatent EP 1 328 XXX B1 beim Europäischen Patentamt geführten Einspruchsverfahren auszusetzen.
  41. Die Beklagte meint, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten die technische Lehre des Klagepatents nicht.
  42. Soweit das Klagepatent eine Klemme (im Englischen „Clip“) voraussetze, seien unter einer Klemme nur solche Vorrichtungen zu verstehen, die (feder-)vorgespannt seien. Die erforderliche Vorspannung könne sich dabei aus der Formgebung der Klemme oder durch den Einsatz eines oder mehrerer Federelemente ergeben, wobei der Fachmann auf Grund seines Fachwissens und der Ausführungsbeispiele im Klagepatent die Vorspannung als wesentlich für die Funktionalität erkenne. Darüber hinaus müsse eine erfindungsgemäße Klemme über ein Bauteil verfügen, welches durch seine Ausgestaltung und/oder materielle Zusammensetzung spezifisch dazu ausgestaltet sei, bei einer vorgegebenen Zugkraft zu zerbrechen. Vor dem Hintergrund der konkreten Vorgaben im Klagepatent sei es nicht ausreichend, wenn die Trennung der Klemme vom Rest der Vorrichtung nur durch eine Verformung von Bauteilen oder einen Anbruch erfolge, vielmehr müssten der oder die J-Haken in mindestens zwei Teile zerlegt werden. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten auf die Figuren des Klagepatents Bezug nehme, habe er verkannt, dass nicht alle gezeigten bzw. beschriebenen Ausführungsbeispiele erfindungsgemäß seien, da die Beschreibung in Absatz [0046] einige Beispiele explizit als nicht erfindungsgemäß bezeichne. Alle erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele würde demgegenüber ein Zerbrechen im eigentlichen Sinne, insbesondere an einer Sollbruchstelle, zeigen. Schließlich müsse eine erfindungsgemäße Klemme über eine axial steife Hülle verfügen, mithin über eine Hülle, die sich weder zusammendrücken noch auseinanderziehen lasse.
  43. Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen demgegenüber weder eine Klemme/Clip im Sinne des Klagepatents auf, da sie nur über zwei voneinander unabhängige Klemmarme verfügten, die zudem nicht federvorgespannt seien. Jeder der Klemmarme würde über eine eigene Kulissenführung verfügen, die für die Bewegung der Arme sorge. Zudem fehle es an einem Bauteil, welches bestimmungsgemäß zerbreche, da sich die J-Haken konstruktionsbedingt nur verbiegen würden. Die Klägerin habe ein vermeintliches Zerbrechen der J-Haken zunächst nur an einem einzigen Beispiel zu belegen versucht, wobei es bereits an substantiiertem Vortrag fehle, ob es sich bei der untersuchten Klemme um eine in der Bundesrepublik Deutschland erhältliche Klemme handele. Auch die weiteren Untersuchungen der Klägerin in Anlage KAP 19 seien untauglich, da die Klägerin die Klemmen bearbeitet habe, bevor sie sie zur mikroskopischen Untersuchung durch ein externes Unternehmen geschickt habe. Demgegenüber hätten Untersuchungen der Beklagten ergeben (Anlage HRM 6), dass bei keiner einzigen der 60 getesteten Klemmen die J-Haken zerbrochen seien und nur ganz ausnahmsweise einer der beiden Haken abgerissen sei, wohingegen der andere sich nur verbogen habe.
  44. Die Beklagte meint ferner, die Klägerin könne Auskunft und Rechnungslegung in elektronischer Form nicht verlangen, wenn sich der Aufwand der Beklagten dadurch erhöhe.
  45. Die Beklagte ist der Auffassung, das Klagepatent werde sich in der Entscheidung über den beim Europäischen Patentamt anhängigen Einspruch als nicht rechtsbeständig erweisen. Insbesondere sei die von ihm beanspruchte technische Lehre nicht neu, habe für den Fachmann aber jedenfalls nahegelegen.
  46. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
  47. Entscheidungsgründe
  48. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
  49. I.
    Die Klage ist begründet, da die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen und der Klägerin daher die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Entfernung aus den Vertriebswegen sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach gemäß den §§ 139ff. PatG zustehen.
  50. 1.
    Das Klagepatent betrifft Kompressionsclips bzw. -klemmen und insbesondere Kompressionsklemmen, die dazu dienen, Hämostase von Blutgefäßen entlang des Magen-Darm-Trakts zu bewirken, und die durch ein Endoskop hindurch zu einer Zielstelle abgegeben werden.
  51. Wie das Klagepatent einleitend ausführt (Absätze [0002]f.), stellen Magen-Darm-Blutungen (Gastrointestinal-Blutungen) eine erhebliche Gefahr für Patienten dar, wobei die Behandlung einer solchen Blutung äußerst zeitkritisch ist. Insoweit sind solch innere Blutungen auch das gefährlichste Anwendungsgebiet, mit der sich ein Gastroenterologe beschäftigen muss. Der Arzt kann eine solche Blutung chirurgisch oder endoskopisch diagnostizieren und behandeln, wobei die Chirurgie höhere Kosten verursacht und eine höhere Morbiditäts- und Sterblichkeitsrate zur Folge hat. Daher seien endoskopische Behandlungen – soweit möglich – der Vorzug zu gewähren.
  52. Aus dem Stand der Technik waren zum Prioritätszeitpunkt, wie das Klagepatent weiter einleitend in dem Absatz [0004] darstellt, dem Endoskopiker zwei gängige Behandlungsmöglichkeiten sowie einige seltener angewandte Therapien bekannt.
  53. Bei der Thermotherapie wird ein Katheter mit einer steifen Heizelementspitze durch den Arbeitskanal eines Endoskops geführt, nachdem die Blutung visualisiert und diagnostiziert worden ist. Nach Austritt der steifen Katheterspitze aus dem Endoskop wird das Endoskop so manipuliert, dass die Spitze gegen die Blutungsstelle drückt. Dann wird Wärme ausgeübt, entweder über ein Widerstandselement in der Spitze oder durch Einwirkung von HF-Energie über das Gewebe, wodurch das Gewebe ausgetrocknet und kauterisiert wird. Die Kombination aus der Spitze, die das Gewebe/Gefäß zusammendrückt, und der Einwirkung von Wärme schweißt theoretisch das Gefäß zu (Absatz [0005]). Obwohl Thermobehandlung zur Blutstillung recht erfolgreich ist, muss oft mehr als ein Versuch unternommen werden und häufig treten Nachblutungen auf. Von Nachteil ist ferner, dass beide Arten der Thermotherapie einen spezialisierten Energieerzeuger erfordern und die Ausrüstung teuer sein kann (Absatz [0006]).
  54. Bei der zweiten gängigen Therapie – der Injektionstherapie – wird nach Visualisierung und Diagnose der Blutung ein Katheter mit einer distal ausfahrbaren Injektionsnadel durch den Arbeitskanal des Endoskops geführt. Sobald die Katheterspitze das Endoskop verlassen hat, wird das Endoskop zur Blutungsstelle manipuliert, die Nadel wird ferngesteuert ausgefahren und in die Blutungsstelle eingeführt. Anschließend wird ein vasokonstriktives (gefäßverengendes) oder sklerosierendes (Gewebeverhärtung bewirkendes) Medikament über die Nadel injiziert. Oft sind zahlreiche Injektionen in und um die Blutungsstelle nötig, bis es zur Blutstillung kommt (Absatz [0007]). Eine Kombination der Thermo- und Injektionstherapie ist möglich und wird in einigen Regionen der Welt, wie den USA, eingesetzt, vgl. Absatz [0008].
  55. Wie das Klagepatent in Absatz [0009] weiter ausführt, liegt die primäre Erfolgsrate der endoskopischen Behandlung bei etwa 90 %, wobei die Nachblutungsrate für endoskopisch behandelte aktive Blutungen und ein sichtbares Gefäß 10 % bis 30 % beträgt. Trotz Einführung neuer Behandlungen und Vorrichtungen seien diese Quoten seit Jahrzehnten nicht deutlich besser geworden. In der Chirurgie beträgt der Kurz- und Langzeiterfolg für permanente Hämostase praktisch 100 %. Chirurgisch liegt die Erfolgsrate höher, da die Blutungsstelle mechanisch zusammengedrückt wird, was eine bessere Hämostase bewirkt. Mit Hilfe solcher Vorrichtungen wie Klemmen, Clips, Klammern, Nahtmaterialien (d. h. Vorrichtungen, die ausreichende konstriktive Kräfte auf Blutgefäße ausüben können, um den Blutfluss zu begrenzen oder zu unterbrechen) wird das blutende Gefäß ligiert, oder das Gewebe um die Blutungsstelle wird zusammengedrückt, was alle umliegenden Gefäße unterbindet (Absatz [0010]).
  56. Dem Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt – wie das Klagepatent in Absatz [0011] ausführt – auch bereits eine Vorrichtung bekannt, die die Vorteile der Chirurgie mit einer weniger invasiven endoskopischen Prozedur vereint, nämlich der H-Clip. Mit dieser Vorrichtung wird das blutende Gefäß zusammengerückt, um die Blutung zu stillen. Problematisch ist bei dieser Vorrichtung, dass sie nach Beginn des Backenverschlusses nicht wieder geöffnet werden kann und der Arzt somit gezwungen ist, den Clip abzuschießen. Da die betroffenen Gefäße häufig schwer zu erkennen sind, müssen oft mehrere Clips gesetzt werden, um das Gefäß erfolgreich zusammenzudrücken und eine Blutstillung zu erreichen. Darüber hinaus ist der H-Clip eine teils wiederverwendbare Vorrichtung, wodurch die Leistung der Vorrichtung mit dem Gebrauch leidet.
  57. Das Klagepatent nimmt darüber hinaus noch Bezug auf die EP 0 738 XXX A1, die ein endoskopisches Operationsinstrument mit einer rohrförmigen Hülle offenbart, das in den Kanal eines Endoskops eingesetzt werden kann, das drehbare Manipulationsmittel aufweist, die auf einem Manipulationsabschnitt zum Drehen dienen, und das zudem über einen Manipulationsdraht, der durch die Hülle eingeführt wird, verfügt.
  58. Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Klagepatent in Absatz [0013] als (technische) Aufgabe, eine medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase von entlang des Magen-Darm-Trakts liegenden Blutgefäßen bereitzustellen, die eine Erfolgsrate entsprechend der chirurgischen Therapie hat sowie leichter als der H-Clip vorzubereiten und zu setzen ist, so dass Operationen vermieden sowie die Mortalität und Morbidität beseitigt werden kann.
  59. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  60. 1. Medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes zur Verwendung durch ein Endoskop.
    2. Eine Klemme, die mindestens zwei Klemmenschenkel aufweist.
    3. Ein Steuerdraht
    (a) der mit der Klemme gekoppelt ist;
    (b) der reversibel betätigbar ist, um sowohl die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen als auch um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen.
    4. Eine nachgiebige Verbindung
    (a) welche den Steuerdraht mit der Klemme koppelt;
    (b) die dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht ausgeübt wird, zerbrochen zu werden;
    (c) wobei, wenn die nachgiebige Verbindung zerbrochen wird, der Steuerdraht von der Klemme abgekoppelt wird.
    5. Eine axial steife Hülle,
    (a) die den Steuerdraht umhüllt;
    (b) die imstande ist, eine erste Kraft zu übertragen, die einer zweiten Kraft des Steuerdrahts entgegenwirkt.
    6. Ein Bedienteil
    (a) das mit dem Steuerdraht gekoppelt ist;
    (b) wobei der Steuerdraht durch das Bedienteil in Eingriff nehmbar ist, um die mindestens zwei Klemmenschenkel zu öffnen und die mindestens zwei Klemmenschenkel zu schließen, und den Steuerdraht von der Klemme abzukoppeln.
    7. Ein Handgriff, der mit der axial steifen Hülle gekoppelt ist.
  61. 2.
    Zwischen den Parteien steht – zu Recht – die Verwirklichung der Merkmale bzw. Merkmalsgruppen 1, 3, 5, 6 und 7 nicht bzw. nicht mehr im Streit. Auch die übrigen streitigen Merkmale 2 und 4 sind indes durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
  62. a)
    Die von der Klägerin angegriffenen Klemmen der Beklagten verwirklichen das Merkmal 2 unmittelbar wortsinngemäß, gemäß dem die beanspruchte medizinische Vorrichtung eine Klemme mit mindestens zwei Klemmschenkeln aufweist.
  63. i)
    Nach der klagepatentgemäßen Lehre setzt sich die beanspruchte medizinische Vorrichtung zum Bewirken der Hämostase eines Blutgefäßes aus einer Klemme, einem Steuerdraht, einer nachgiebigen Verbindung, einer axial steifen Hülle, einem Bedienteil und einem Handgriff zusammen, wobei die einzelnen Bestandteile von den Merkmalen bzw. Merkmalsgruppen 2 bis 7 näher beschrieben werden.
  64. Gemäß Merkmal 2 umfasst die erfindungsgemäße Vorrichtung eine Klemme, die mindestens zwei Klemmschenkel aufweist. Außer der Vorgabe, dass die Klemme über mindestens zwei Klemmschenkel verfügt, kann der Fachmann weder dem Anspruch noch der Klagepatentschrift weitere Angaben zur Ausgestaltung der Klemme entnehmen. Daraus folgt, dass es das Klagepatent in das Belieben des Fachmanns stellt, wie er die Klemme ausgestaltet, solange jedenfalls mindestens zwei Klemmschenkel vorhanden sind.
  65. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann der Fachmann dem Klagepatent insbesondere nicht entnehmen, dass die Klemme als eine bauliche Einheit ausgestaltet sein muss, d.h. die beiden Klemmschenkel stets abhängig voneinander geöffnet und geschlossen werden können. Gleiches gilt für das Verständnis der Beklagten, dass eine Klemme im Sinne von Merkmal 2 nur dann vorliege, wenn die beiden Klemmschenkel (feder-)vorgespannt seien, mithin diese beiden Schenkel durch eine Feder oder ein ähnliches Vorspannmittel entweder in eine geöffnete und/oder in eine geschlossene Position gebracht werden können.
  66. Entsprechendes kann der Fachmann zunächst nicht dem vom Anspruchswortlaut verwendeten Begriff der „Klemme“, im maßgeblichen englischen Wortlaut „clip“, entnehmen. Denn aus dem Begriff der Klemme/Clip schließt der Fachmann nur, dass die Vorrichtung zum Klemmen geeignet sein muss, indes nicht, wie bzw. auf welche Art die Klemmfunktion gewährleistet wird, ob durch eine Vorspannung in eine Richtung oder auf eine andere Weise. Entsprechend lässt sich auch anhand der von den Parteien vorgelegten Auszüge aus Wörterbüchern nicht feststellen, dass der Fachmann einem Clip eine bestimmte Funktionsweise und/oder Ausgestaltung zuordnet, er insbesondere Clip mit Federklemme übersetzt.
  67. Zu einer mit dem Verständnis der Beklagten übereinstimmenden Auslegung gelangt der Fachmann auch nicht unter Berücksichtigung der Anspruchssystematik und unter Zugrundelegung einer technisch-funktionalen Betrachtungsweise. Denn die Erfindung zielt auf eine Klemme, die – anders als die vorbekannten Klemmen im Stand der Technik – jedenfalls teilweise reversibel betätigbar ist, d.h. deren Sitz an der Blutung ggf. durch den Arzt korrigiert werden kann, so dass bessere Ergebnisse bei weniger Materialeinsatz erzielt werden können. Insoweit erkennt der Fachmann auch mit Blick auf die Merkmale 3(b), 4(c) und 6(b), dass die beiden Klemmschenkel nicht nur geschlossen, sondern auch – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – wieder geöffnet und erst am Ende des Setzvorgangs gesichert werden sollen, wenn keine Korrektur mehr erforderlich ist und das Endoskop wieder entfernt wird. Der Fachmann erkennt aber auch, dass es das Klagepatent offenlässt, auf welchem Weg die Schenkel wiederholt geöffnet und geschlossen werden sollen, da es insoweit nur darauf ankommt, dass die Reversibilität gewahrt bleibt.
  68. Dem einschränkenden Verständnis der Beklagten hat sich auch das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 27. April 2021 (Az. I-15 U 4/20; Vorinstanz: LG Düsseldorf, Az. 4c O 94/18) nicht angeschlossen, in welchem es mit Blick auf die gleichen angegriffenen Ausführungsformen über die Verletzung des parallelen europäischen Patentes 3 XXX XXX B1, dessen technische Lehre eng mit dem hiesigen Klagepatent verwandt ist, entschieden hat. Das OLG hat auf den Seiten 21ff. seines Urteils umfassend begründet, dass der Fachmann weder dem Wortlaut noch der Beschreibung und/oder den Ausführungsbeispielen einen hinreichenden Hinweis dahingehend entnehmen kann, dass eine Klemme im Sinne der Lehre des Klagepatents zwingend über eine Vorspannung verfügen muss. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteilsbegründung des OLG, der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, Bezug genommen.
  69. Schließlich wird das von der Kammer und dem OLG Düsseldorf gefundene Auslegungsergebnis auch durch die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Hammer in seinem Gutachten im parallelen Verletzungsverfahren gegen die deutschen Tochtergesellschaften der Beklagten gestützt. So führt der gerichtliche Sachverständige auf Seite 7 unter lit C. (KAP 16) aus, dass der Fachmann unter einer Klemme/Clip verbundene Teile verstehe, die kraftschlüssig gekoppelt seien. Unerheblich sei dabei, wie viele Einzelkomponenten zur Funktion der Klemme erforderlich seien, um den Kraftschluss zu realisieren, und wie dieser realisiert werde. So kenne der Fachmann unter anderem auch Klemmzwingen, bei denen keine Vorspannung vorliege.
  70. Dem steht auch nicht das seitens der Beklagten als Anlage HRM 13 vorgelegte Privatgutachten von Prof. K entgegen, der mit Blick auf das Klagepatent ausführt, dass der Fachmann unter einer Klemme im Sinne des Klagepatents eine federvorgespannte Klemme verstehe. Zum einen handelt es sich – anders als bei dem Gutachten des Prof. Hammer – um entsprechend zu würdigenden Parteivortrag. Zum anderen begründet der Privatsachverständige sein enges Verständnis damit, dass der Fachmann unter einer Klemme/Clip eine bestimmte Form eines Spannmittels verstehe, nämlich ein unter Vorspannung stehendes Spannmittel. Dabei verkennt Prof. K, dass das Klagepatent den vermeintlichen (Ober-)Begriff Spannmittel nicht verwendet. Vielmehr hat – wie auch das OLG Düsseldorf in seinem Berufungsurteil im parallelen Rechtsstreit bestätigt hat – die Auslegung der einzelnen Begriffe/Merkmale zunächst aus der Patentschrift heraus zu erfolgen, wobei dem allgemeinen fachmännischen Verständnis des Fachmanns von einem bestimmten Begriff grundsätzlich das vom Klagepatent intendierte Begriffsverständnis vorgeht. Selbst wenn der Fachmann unter einem Clip regelmäßig eine unter Vorspannung stehende Klemme verstehen sollte, so ergibt sich ein solch eingeschränktes Verständnis – wie auch das OLG Düsseldorf festgestellt hat – jedenfalls nicht aus dem Klagepatent.
  71. ii)
    Demnach ist eine Verwirklichung des Merkmals 2 durch die angegriffenen Ausführungsformen vorliegend schlüssig vorgetragen.
  72. Die Parteien nehmen übereinstimmend auf die seitens der Klägerin vorgelegte Explosionszeichnung (Anlage KAP 11) Bezug, so dass für den Aufbau der angegriffenen Vorrichtungen auf deren Inhalt Bezug genommen werden kann.
  73. Die beiden Klemmarme (Clip Arm[s]) werden durch zwei Pins miteinander verbunden, wobei der Proximal Pin dazu dient, von den J-Haken umgriffen zu werden. Demgegenüber sorgt der Distal Pin dafür, dass sich die beiden Arme über ihre Kulissenführung aufeinander zubewegen, wenn der Steuerdraht gezogen wird. Unabhängig davon, dass das Klagepatent – wie zuvor ausgeführt – nicht voraussetzt, dass die Klemme als einheitliches Bauteil ausgestaltet ist, d.h. die beiden Klemmschenkel sich stets zeitgleich bewegen, so führt die Verbindung über den Distal Pin und den Proximal Pin jedenfalls dazu, dass vorliegend ein einheitliches Bauteil bestehend aus mehreren Elementen vorliegt. Da das Klagepatent auch keine Vorspannung und insbesondere keine Vorspannung mittels einer Feder voraussetzt, ist für die Verletzung unschädlich, dass die beiden Klemmschenkel in den angegriffenen Ausführungsformen nicht (feder-)vorgespannt sind.
  74. b)
    Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch die Merkmalsgruppe 4 unmittelbar wortsinngemäß. Danach setzt eine klagepatentgemäße Vorrichtung eine nachgiebige Verbindung voraus, welche den Steuerdraht mit der Klemme koppelt, die dazu vorgesehen ist, durch eine erste vorgegebene Zugkraft, welche vom Steuerdraht ausgeübt wird, zerbrochen zu werden und wobei, wenn die nachgiebige Verbindung zerbrochen wird, der Steuerdraht von der Klemme abgekoppelt wird.
  75. i)
    Das Klagepatent setzt somit nach der Merkmalsgruppe 4 eine Verbindung von Steuerdraht und Klemme voraus, die bestimmte Anforderungen erfüllen muss. So muss diese Verbindung – wie der Fachmann dem Wort gekoppelt in Merkmal 4(a) entnehmen kann – zunächst geeignet sein, den Steuerdraht und die Klemme derart miteinander zu verbinden, dass der die Vorrichtung verwendende Arzt über das Bedienteil und den Steuerdraht die Klemme bzw. die Klemmschenkel derart beeinflussen kann, dass sich die Schenkel je nach Bedarf öffnen und schließen, ggf. auch mehrfach hintereinander. Sobald die Klemme ihre endgültige Position eingenommen hat, kann der Arzt eine vorbestimmte Zugkraft auf den Steuerdraht aufbringen, um dessen Lösung von der Klemme zu bewirken und die Vorrichtung (ohne Klemme) wieder aus dem Patienten entfernen zu können. Insoweit geben die Merkmale 4(b) und 4(c) dem Fachmann konkrete Anweisungen zur räumlich-körperlichen Ausgestaltung der Vorrichtung. Diese soll über eine nachgiebige Verbindung (in der englischen Verfahrenssprache „frangible link“) verfügen, die dafür ausgelegt ist, zer- bzw. jedenfalls angebrochen zu werden („adapted to be broken“).
  76. Dies bedeutet, dass das Klagepatent nicht jedwede Lösungsmöglichkeit der Klemme vom Steuerdraht zulässt, sondern explizit vorgibt, dass die Verbindung mittels Brechen (Zer- oder Anbrechen; „broken“) der nachgiebigen Verbindung bei Erreichen einer vorbestimmten (Zug-)Kraft erfolgen soll. Denn der Fachmann erkennt, dass der Anspruch keine Vorgaben dazu macht, in welchem Umfang die nachgiebige Verbindung gebrochen/zerstört werden muss, ob sie mithin an einer Stelle in zwei Teile zerbricht, in mehr als zwei Teile zerfällt oder ggf. auch nur an mindestens einer Stelle anbricht. Indes als nicht ausreichend erkennt der Fachmann es, wenn die Verbindung lediglich derart ihre ursprüngliche Form verliert, dass die Lösung der Klemme vom Steuerdraht gelingt, etwa weil sich die Verbindung durch die Zugkraft verbiegt (aufbiegt) oder nur anderweitig plastisch verformt, sie aber jedenfalls nicht an- oder zerbricht.
  77. Entsprechendes folgt bereits aus dem Wortlaut des Merkmals, das lediglich ein Brechen und nicht zwingend ein Zerbrechen fordert. Zwar kommt dem englischen Wortstamm „break“ nach dem allgemeinen philologischen Verständnis auch die Bedeutung des Auf- oder Zerbrechens zu, so dass sich der Terminus „adapted to be broken“ – wie die Beklagten meinen – grundsätzlich auch mit geeignet zum Zerbrechen übersetzen lässt. Indes lässt sich der Begriff „to break“, wie den einschlägigen Wörterbüchern entnommen werden kann, auch mit brechen, lösen oder trennen übersetzen. Der Begriff des Brechens bildet dabei den Oberbegriff und umfasst daher sowohl das Zerbrechen in zwei oder mehr Teile wie auch das Anbrechen. Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent von diesem allgemeinen Begriffsverständnis abweichen will und unter „adapted to be broken“ nur den Fall des Zerbrechens fassen will, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
  78. Das vorgenannte Verständnis teilt auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Hammer, wie seinen Ausführungen im Gutachten und im Anhörungstermin im parallelen Verletzungsverfahren entnommen werden kann. Zwar obliegt die Bestimmung des Schutzbereichs als Rechtsfrage originär dem Verletzungsgericht, so dass die Auslegung des Klagepatents nicht einem (gerichtlichen) Sachverständigen überlassen werden kann (vgl. BGH GRUR 2008, 779, 782f. – Mehrgangnabe). Die primäre Aufgabe des Sachverständigen ist – im Patentverletzungsverfahren nicht anders als sonst im Zivilprozess – die Vermittlung von Fachwissen zur richterlichen Beurteilung von Tatsachen. Der Sachverständige wird deshalb im Patentverletzungsprozess hinzugezogen, um dem Gericht, diejenigen fachlichen Kenntnisse zu verschaffen, die es benötigt, um die geschützte technische Lehre zu verstehen und den diese Lehre – als Grundlage der Verletzungsprüfung und der Schutzbereichsbestimmung – definierenden Patentanspruch unter Ausschöpfung seines Sinngehalts selbst auslegen zu können. Das Gericht ist deswegen gehindert, die Schlüsse, die ein Sachverständiger aus seinem Fachwissen auf den Inhalt der technischen Lehre des Klagepatents zieht, ohne Weiteres zu übernehmen (vgl. BGH GRUR 2008, 779, 782f. – Mehrgangnabe). Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Sachverständige vielfach geneigt sein wird, sich eher an den aus seiner fachlichen Sicht typischerweise aussagekräftigeren Ausführungsbeispielen der Erfindung als an den abstrakteren Formulierungen des Patentanspruchs zu orientieren. Sachverständige Äußerungen sind vom Tatrichter deshalb stets eigenverantwortlich daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein von dem erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (BGH GRUR 2001, 770, 772 – Kabeldurchführung II).
  79. Ausgehend von diesen Grundsätzen stützen die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu den fachmännischen Kenntnissen zum Prioritätszeitpunkt das Verständnis der Kammer von dem Begriff des Brechens. Der gerichtliche Sachverständige hat zunächst nachvollziehbar dargelegt, dass der einschlägige Fachmann, hier ein auf dem Gebiet der Konstruktion von Endoskopen und medizinischem Zubehör langjährig tätiger Ingenieur, unter einem Zerbrechen versteht, dass ein Gegenstand in mehrere, mindestens zwei einzelne Bestandteile zerfällt (S. 8f. des Protokolls vom 27. April 2021, HRM 14). Von einem Anbrechen geht der Fachmann demgegenüber aus, wenn es zu einer spröden (An-)Rissbildung im Material nebst plastischer Verformung kommt (S. 5 des Protokolls vom 27. April 2021, HRM 14). Der gerichtliche Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass der Fachmann die Vorgabe „adapted to be broken“ dergestalt versteht, dass es ausreichend ist, wenn sich die nachgiebige Verbindung im Zuge der Betätigung des Steuerdrahtes plastisch verformt und es (zumindest) zu einer spröden Anrissbildung kommt. Zwar hat er in seinem schriftlichen Gutachten (Seite 3f. Ziff. 3. und Seite 8f.; KAP 16) mit Blick auf das Merkmal 4(b) zunächst nur auf die Funktion der nachgiebigen Verbindung als Sollversagensstelle abgestellt, so dass es für das Versagen der Verbindung nach der Lehre des Klagepatents nicht darauf ankommen sollte, ob dies durch Zerbrechen oder durch rein plastische Verformung geschieht (Seite 8f. im Gutachten; KAP 16). Der gerichtliche Sachverständige zog aber in seiner Vernehmung auf den Vorhalt des Gerichts, dass die letzten beiden Alternativen der Ausgestaltung nach der Figur 18, die beide nur eine rein plastische Verformung der nachgiebigen Verbindung zeigten, explizit als nicht unter die Lehre des Klagepatents fallend offenbart seien, diese beiden Varianten nicht mehr zur Begründung seiner zunächst weiten Auslegung heran. Vielmehr stellte er den Zweck der nachgiebigen Verbindung, die Loslösung der Klemme vom Steuerdraht, in den Vordergrund des fachmännischen Verständnisses und gab an, dass es auf die Funktion der Baugruppen ankomme und dem Fachmann gewahr sei, dass es prinzipiell mehrere Wege gebe, eine Verbindung zu lösen, etwa durch Bruch aber auch bspw. durch eine nachgiebige Klebeverbindung (Bl. 4 des Protokolls vom 27. April 2021, HRM 14). Auf weitere Nachfrage gab der Sachverständige dann an, dass das Klagepatent zwar nicht jede bestimmte Art der Loslösung zuließe, ein Lösen durch eine plastische Deformation jedoch schon, jedenfalls dann, wenn sie mit einer spröden Anrissbildung einhergeht (Bl. 5 des Protokolls vom 27. April 2021, HRM 14). Schließlich ergänzte der gerichtliche Sachverständige zum fachmännischen Verständnis noch, dass es für die Frage, ob sich ein Material bei Belastung nur elastisch verformt oder es auch zur einer spröden Rissbildung neigt, nicht zuletzt auch auf die gewählte Oberflächenqualität ankomme (S. 10 des Protokolls vom 27. April 2021, HRM 14).
  80. Das vorstehende Verständnis des Merkmals 4(b), nach dem die nachgiebige Verbindung nicht zwingend zerbrochen werden muss, steht auch nicht im Widerspruch zu der Beschreibung und den bevorzugten Ausführungsbeispielen im Klagepatent.
  81. Die vom Klagepatent offenbarten Ausführungsbeispiele mögen zwar – worauf die Beklagte hingewiesen hat – sämtlich bzw. größtenteils nachgiebige Verbindungen zeigen, die bei Aufbringen einer vorbestimmten Zugkraft auf den Steuerdraht in mindestens zwei Bestandteile zerbrechen, indes sind Ausführungsbeispiele als lediglich bevorzugte Ausführungsformen nach den allgemein anerkannten Auslegungsregeln schon dem Grunde nach nicht geeignet, die Lehre des jeweiligen Patents zu beschränken (vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1024 – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; GRUR 2008, 779, 783 – Mehrgangnabe; OLG Düsseldorf, Urt. v. 6. Juni 2019, Az. 15 U 83/14).
  82. Unstreitig zeigen die in den Figuren 10A und 21 gezeigten Ausführungsbeispiele solch nachgiebige Verbindungen, die tatsächlich zerbrechen. Gleiches offenbaren die Figuren 18A bis 18F, welche nachfolgend wiedergegeben werden:
  83. Der Fachmann kann diesem Ausführungsbeispiel eine Klemmvorrichtung entnehmen, die u.a. über zwei Klemmschenken (1801), einen Steuerdraht (1803) sowie zwei elastische Bänder bzw. O-Ringe (1802 und 1804) verfügt, wobei sich das zweite elastische Band (1804) – wie in Absatz [0046] beschrieben – verformt, wenn der Steuerdraht zurückgezogen wird und sich dadurch die Klemmschenkel öffnen bzw. schließen. Weiter heißt es in Absatz [0046]: „Ist die gewünschte Klemmenlage erreicht, wird das zweite elastische Band 1804, das die nachgiebige Verbindung bildet, dadurch überwunden, dass der Steuerdraht 1803 in seine proximalste Position gezogen wird. Dies bewirkt, dass das zweite elastische Band 1804 bricht“. Somit wird ein Lösemechanismus offenbart, der mittels eines Brechens funktioniert. Zwar offenbart der Absatz [0046] im Anschluss noch zwei weitere alternative Ausgestaltungen, wie das zweite elastische Band zum Lösen der Klemme verwendet werden kann, indem entweder über die Ansätze (1807) „gezogen“ oder der Steuerdraht „enthakt“ wird, wobei beide Alternativen – anders als bei den vorstehenden bevorzugten Ausführungsformen – ohne ein Brechen auskommen. Indes ist im Absatz [0046] explizit aufgeführt, dass die letzten beiden Varianten nicht erfindungsgemäß sein sollen. Der Fachmann folgert aus diesen Stellen daher, dass das Klagepatent zwar andere Möglichkeiten der Lösung als ein Brechen kennt, diese aber explizit nicht unter die Lehre des Klagepatentes fallen und damit nicht beansprucht werden sollen. Der Fachmann findet indes keine Anhaltspunkte dafür, dass das Klagepatent ein Anbrechen nicht ausreichen lassen will.
  84. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung einer technisch-funktionalen Betrachtung. Es ist weder vorgetragen, noch ersichtlich, wieso es zur Erreichung des Ziels der Erfindung, eine leichter anzuwendende und weniger invasive Klemmvorrichtung bereitzustellen, darauf ankommen sollte, dass die nachgiebige Verbindung in mindestens zwei Teile zerbricht, wenn sie von dem Steuerdraht gelöst werden soll. Dem Klagepatent kommt es in erster Linie auf die Sicherstellung der Reversibilität der Klemme und die damit verbundenen Vorteile bei ihrem Einsatz im menschlichen Körper an. Der Fachmann erkennt insoweit auch, dass die sichere Loslösung der Klemme vom Rest der Vorrichtung am Ende des Setzvorgangs zwar ebenfalls von Bedeutung ist, allerdings spielt es für den erfolgreichen Einsatz der Klemmvorrichtung keine Rolle, ob die nachgiebige Verbindung zerbricht oder sich auf Grund einer plastischen Verformung mit Rissbildung löst. Der Fachmann dürfte zudem bemüht sein, möglichst wenige Fremdteile im Körper des Patienten zu belassen, so dass er sich nicht ausschließlich auf ein Zerbrechen der nachgiebigen Verbindung in mindestens zwei Teile beschränken wird.
  85. Auch der vom Klagepatent in Absatz [0012] in Bezug genommene Stand der Technik, das EP‘XXX, bietet keine Stütze für das von den Beklagten vertretene Verständnis, wonach die Lehre des Klagepatents auf ein Zerbrechen der nachgiebigen Verbindung beschränkt sein soll. Es ist allgemein anerkannt, dass auch der vom Klagepatent selbst zitierte Stand der Technik dem Fachmann Anhaltspunkte für ein bestimmtes fachmännisches Verständnis bieten kann (vgl. Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 13. Auflage 2021, Kapitel A., Rz. 69). Sofern ein Patent von einer bestimmten vorbekannten Konstruktion ausgeht, diese als durchaus vorteilhaft ansieht und für die Erfindung beibehalten will, wird im Zweifel die Annahme berechtigt sein, dass sich das Patent – in diesem Punkt – den Stand der Technik zu eigen macht, weshalb es zulässig und geboten ist, für das Verständnis dieses Merkmals auf den betreffenden Stand der Technik und eine hier etwa gegebene Legaldefinition oder dergleichen zurückzugreifen (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel A., Rz. 72). Da sich ein Patent mit seinen kennzeichnenden Merkmalen indes von eben diesem (in seinem Oberbegriff ggf. umrissenen) Stand der Technik abzugrenzen versucht, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Teils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen (BGH, Urt. v. 2 März 2021, Az. X ZR 17/19 – Schnellwechseldorn, zitiert nach juris; GRUR 2019, 491, 493 – Scheinwerferbelüftungssystem). Auch schließt der Fachmann aus dem Umstand, dass ein Patent bestimmte Schriften als fiktiven Stand der Technik abhandelt, dass die Erteilungsbehörde zwischen deren Offenbarungsgehalt und dem erteilten Hauptanspruch einen die Neuheit begründenden Unterschied gesehen hat. Es liegt daher auf der Hand, dass der Schutzbereich eines Patents – jenseits aller technisch-funktionalen Erwägungen – keinesfalls auf etwas erstreckt werden kann, was in dem von der Patentschrift gewürdigten Stand der Technik neuheitsschädlich offenbart ist. Eine Patentauslegung, die eben solche Ausführungsvarianten eliminiert, verstößt daher auch nicht gegen den Grundsatz, dass ein Patent nicht danach interpretiert werden darf, mit welchem Inhalt es sich als rechtsbeständig (neu, erfinderisch, nicht unzulässig erweitert) erweisen würde (OLG Düsseldorf, Urt. v. 8. April 2021, Az. I-2 U 41/20, GRUR-RS 2021, 6721). Die Kammer vermochte bereits schon nicht zu erkennen, dass der Fachmann dem EP‘XXX – wie die Beklagten meinen – eine Vorrichtung entnehmen kann, bei der es zum Brechen einer nachgiebigen Verbindung in Form eines Anbrechens mit Rissbildung kommt. Zwar ist in dem EP‘XXX an mehreren Stellen, u.a in Absatz [0046], von der Verwendung einer Kopplungsplatte aus rostfreiem Stahl / Edelstahl („stainless steel“) die Rede. Die Kammer vermochte aber nicht festzustellen, dass der Fachmann allein aus der Materialangabe stainless steel davon ausgeht, dass es im Rahmen einer plastischen Verformung einer solchen Kopplungsplatte immer auch zu einer Rissbildung im Material kommt. Solches scheidet bereits vor dem Hintergrund aus, dass es sich bei stainless steel nur um einen Oberbegriff handelt, der Edelstahl unterschiedlichster Eigenschaften umfasst. Entsprechendes hat auch der gerichtliche Sachverständige im Rahmen seiner Einvernahme bestätigt. Insoweit hat er ausgeführt, dass es die Materialeigenschaften der angegriffenen Ausführungsformen, hier hochlegierter Stahl mit schlechter Oberflächenqualität, seien, die zu einem Brechen der Haken führten (S. 11f des Protokolls vom 27. April 2021, HRM 14). Ferner stellt das Klagepatent an keiner Stelle einen Bezug zwischen dem Material stainless steel und der nachgiebigen Verbindung her. Soweit das Klagepatent in den Absätzen [0029] und [0049] bis [0052] von stainless steel spricht, so bezieht es sich überwiegend auf den Steuerdraht und an einer Stelle auch auf die Klemme, wobei stainless steel – entsprechend seiner Verwendung als Oberbegriff – nur als eines der möglichen Materialen benannt wird, aus dem die Klemme gefertigt werden kann.
  86. Schließlich vermögen auch die von der Beklagten in Bezug genommenen Aussagen der Klägerin im Erteilungsverfahren das von diesen vertretene eingeschränkte Verständnis, dass es stets zu einem Zerbrechen in mindestens zwei Teile kommen müsse, nicht zu begründen. Die Erteilungsakte ist grundsätzlich – wie auch Äußerungen der Patentinhaberin in einem parallelen Rechtsbestandsverfahren – kein zulässiges Auslegungsmaterial im Sinne von § 14 PatG / Art. 69 EPÜ (vgl. BGH GRUR 2002, 511, 513f. – Kunststoffrohrteil). Ausnahmsweise ist die Erteilungsgeschichte auch im Rahmen der Auslegung mit heranzuziehen, wenn unter Anwendung der anerkannten Auslegungsgrundsätze „zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen“ (vgl. BGH GRUR 2015, 875, 876 – Rotorelemente). Dies bedeutet indes nicht, dass Äußerungen des Anmelders im Erteilungsverfahren gänzlich unberücksichtigt zu bleiben haben, denn sie sind für das fachmännische Verständnis des Anspruchs jedenfalls von indizieller Bedeutung (vgl. Kühnen, a.a.O., Kapitel A., Rz. 96). Die Klägerin hat sich im Laufe des Erteilungsverfahrens – zur Abgrenzung von dem im Klagepatent selbst zitierten EP‘XXX – dahingehend geäußert, dass das EP‘XXX eine zerbrechliche Verbindung offenbare, bei der ein Haken begradigt werde, aber nicht breche. Im Unterschied dazu sei die vom Klagepatent offenbarte nachgiebige Verbindung („breakable link“) dazu ausgelegt, bei einer vorbestimmten Kraft zu zerbrechen. Dies steht aber nicht im Widerspruch zu dem vorstehenden Auslegungsergebnis, nach dem es dem Klagepatent zumindest auf ein Anbrechen der nachgiebigen Verbindung ankommt, da auch ein solches von der EP‘XXX nicht gezeigt wird.
  87. Gleiches gilt auch mit Blick auf die von der Beklagten in Bezug genommenen Äußerungen der Klägerin im laufenden Einspruchsverfahren. Soweit die Klägerin in ihrer Eingabe an das EPA vom 30. September 2019 unter Ziff. II. 1 zunächst davon gesprochen hat, dass dem Terminus „(zer-)brechen“ („to break“) die gleiche Bedeutung zukommen solle, wie er in der Fachwelt üblicherweise vorherrscht, nämlich den Bruch einer Verbindung in zwei oder mehr Teile, stellt sie im Folgenden klar (insb. Ziff. II.2.1 und II.2.1.5), dass das Klagepatent zwischen einer nachgiebigen Verbindung („frangible link“) und einer brechbaren Verbindung („breakable link“) differenziere. Während die nachgiebige Verbindung sowohl verformbar wie auch zerbrechlich sein könne, handele es sich bei der letztgenannten Verbindung um eine solche, die bricht. Auch hier unterscheidet die Klägerin aber nicht zwischen einem An- und einem Zerbrechen.
  88. ii)
    Unter Berücksichtigung dieses Verständnisses machen die angegriffenen Ausführungsformen auch Gebrauch von der Merkmalsgruppe 4.
  89. Dahingestellt bleiben kann zunächst, ob und in welchem Umfang die Bedenken der Parteien an den jeweiligen Untersuchungen der angegriffenen Ausführungsformen durch die Gegenseite durchzugreifen vermögen, insbesondere mit Blick auf die Ordnungsgemäßheit des jeweiligen Versuchsaufbaus. Denn die Kammer vermochte – wie auch der gerichtliche Sachverständige – in beiden Versuchsreihen (vgl. Anlagen HRM 6 und KAP 19) festzustellen, dass regelmäßig mindestens einer der beiden J-Haken (an-)bricht, wenn die vorgegebene Zugkraft erreicht wird und dieses Anbrechen auch für die Lösung der Klemme vom Steuerdraht sorgt.
  90. Bei dem als Anlage KAP 19 von der Klägerin vorgelegten Testbericht der Firma Exponent, die insgesamt 15 von der Klägerin abgefeuerte Klemmen der Beklagten mikroskopisch untersucht hat, ist bei einer Vielzahl der Klemmen zu erkennen, dass mindestens einer der beiden J-Haken einen spröden Anriss und Verformungen zeigt. Mit Blick auf die Abbildung 8 aus Seite 12 des Testberichts hat der gerichtliche Sachverständige auf Nachfrage der Klägervertreterin überzeugend angegeben, an der mit dem roten Pfeil markierten Stelle einen Riss/Fraktur zu erkennen, da dort die kritische Versagungsstelle sei. Da der Haken aber noch mit dem Rest der Vorrichtung verbunden sei, handele es sich um eine plastische Verformung mit spröder Anrissbildung (Seite 6 des Protokolls vom 27. August 2021, HRM 14). Entsprechendes ließe sich auch den rastermikroskopischen Aufnahmen des Hakens auf den Seiten 13 und 14 entnehmen (Seite 7 des Protokolls vom 27. August 2021, HRM 14). Auf die Frage der Klägervertreterin, was der Sachverständige auf den Abbildungen 17 und 18 der Seiten 21 und 22 erkennen könne, die eine andere Klemme zeigten, gab der Sachverständige an, dass er auch dort durch einen spröden Anriss und zahlreiche Sekundärrisse aufgebogene J-Haken erkennen könne, wobei der Haken zunächst gerissen sei und sich dann aufgebogen hätte (Seite 7f. des Protokolls vom 27. August 2021, HRM 14). Dem ist die Beklagte nicht entgegen getreten.
  91. Dem seitens der Beklagten als Anlage HRM 6 vorgelegten Testreport, bei dem insgesamt 60 Klemmen untersucht wurden, kann ebenfalls ein regelmäßiges Anbrechen mindestens eines der beiden J-Haken entnommen werden. Während der gerichtliche Sachverständige auf die Frage des Beklagtenvertreters zunächst angab, bei dem auf Seite 5 des Testreports unter der Ziff. 1 gezeigten Testmuster eine Anrissbildung nicht eindeutig feststellen zu können, da die Qualität der Ablichtungen nicht hinreichend sei (Seite 10 des Protokolls vom 27. August 2021, HRM 14), gab er mit Blick auf das auf Seite 8 unter der Ziff. 22 gezeigte Testmuster an, dort den Abriss (komplette Fraktur/Zerbrechen) des linken Hakens und einen Anriss des rechten Hakens zu erkennen. Der Anriss des rechten Hakens dürfe nach Ansicht des Sachverständigen auch der Beschädigung des Hakens des Testmusters 1 entsprechen (Seite 10 des Protokolls vom 27. August 2021, HRM 14). Auch diesen Ausführungen ist die Beklagte nicht entgegen getreten.
  92. 4.
    Aus der Verletzung des Klagepatentes ergeben sich nachstehende Rechtsfolgen:
  93. a)
    Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.
  94. b)
    Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätten bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststehen, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
  95. c)
    Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, § 140b PatG i.V.m. § 242 BGB. Nach der mittlerweile etablierten Rechtsprechung der Düsseldorf Kammern (vgl. LG Düsseldorf, Urteil v. 21. September 2017, Az. 4a O 18/16, Rz. 224, zitiert nach juris; Kühnen, a.a.O., Kapitel D., Rz. 826) kann die Klägerin – nach ihrer Wahl – Auskunft und Rechnungslegung nur dann auch in elektronischer Form, d.h. neben der grundsätzlich schriftlich geschuldeten Form, verlangen, soweit die entsprechenden Belege bei der Beklagten auch bereits elektronisch vorliegen. Die Klägerin hat demzufolge keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die bei ihr vorhandenen Dokumente in eine elektronische Form überführt.
  96. d)
    Die Beklagte ist nach § 140a Abs. 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände sowie zu deren Entfernung aus den Vertriebswegen verpflichtet.
  97. 5.
    Mit Blick auf die von der Beklagten gegen das Klageschutzrecht eingewandten Entgegenhaltungen war eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in dem Einspruchsverfahren nicht geboten.
  98. a)
    Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ XXX5, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. XXX7, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen.
  99. Wenn das Klagepatent mit einem Einspruch oder mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (hinreichend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf sowie zur Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet es, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff auf den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung bzw. durch Erhebung eines Einspruchs führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch/der anhängigen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014 1238 – Kurznachrichten).
  100. Wurde das Klagepatent bereits in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren bestätigt, so hat das Verletzungsgericht grundsätzlich die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Klagepatents hinzunehmen (so zuletzt zum Vorbescheid: OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. März 2021, Az. I-2 U 25/20, GRUR-RS 2021, 4420).
  101. b)
    Ausgehend von diesen Grundsätzen war eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Einspruchsverfahren nicht angezeigt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einspruchsabteilung in ihrem Vorbescheid vom 21. Januar 2021 (Anlage KAP 23) keine Bedenken an der Schutzfähigkeit des Klagepatents in der geltend gemachten Fassung geäußert hat.
  102. i)
    Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass der auf die fehlende Neuheit der klagepatentgemäßen Lehre gegenüber der prioritätsälteren deutschen Gebrauchsmusterschrift DE 295 05 XXX.3 U1 (vorgelegt als Anlage D 1 zum Anlagenkonvolut HRM 8; im Folgenden: D 1) zielende Rechtsbestandsangriff hinreichende Erfolgsaussichten hat.
  103. (1)
    Neuheitsschädlichkeit liegt vor, wenn die Entgegenhaltung objektiv den Stand der Technik offenbart; unrichtige Annahmen oder Festlegungen des Anmelders in der Patentschrift selbst sind unerheblich (BGH GRUR XXX9, 914, 917 – Kontaktfederblock). Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer als er auch sonst im Patentrecht zu Grunde gelegt wird (BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin; GRUR 2004, 407, 411 – Fahrzeugleitsystem). Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der von ihr gegebenen (allgemeinen) Lehre „unmittelbar und eindeutig“ entnimmt (BGH GRUR 2002, 146, 148 – Luftverteiler; GRUR 2004, 133, 135 – Elektronische Funktionseinheit; GRUR 2008, 597, 598 – Betonstraßenfertiger; GRUR 2011, 999, 1001 – Memantin; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2016 – I-2 U 55/15 –, Rn. 50, zitiert nach juris).
  104. (2)
    Die D 1 offenbart unstreitig alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme der Merkmale 3(b), 4(b), 4(c) und 6(b). Diese umstrittenen Merkmale werden indes nicht sämtlich von der D 1 offenbart.
  105. Die Merkmale 3(b) und 6(b) betreffen die Reversibilität der Vorrichtung, d.h. die Möglichkeit des mehrfachen Öffnens und Schließens der Klemme.
  106. Die D 1 offenbart ein chirurgisches Instrument, insbesondere für ein Endoskop, umfassend ein an einem patientennahen Ende mit chirurgischem Werkzeug zu verbindendes, langgestrecktes flexibles Betätigungskabel, welches einen schlauchförmigen Kabelmantel sowie eine in dem Kabelmantel verschiebbar geführte Kabelseele aufweist, eine an ein patientenfernes Ende des Betätigungskabels anschließende Handbetätigungseinheit zur manuellen Verschiebung der Kabelseele relativ zum Kabelmantel, eine das Betätigungskabel umschließende, über das patientennahe Ende des Betätigungskabels hinaus relativ zu diesem in mindestens eine vorgeschobene Stellung verschiebbare Ummantelungseinheit, die in einer zurückgezogenen, das chirurgische Werkzeug freigebenden Stellung in Verschieberichtung gegenüber dem Betätigungskabel festlegbar ist, und eine zwischen der Ummantelungseinheit und der Handbetätigungseinheit wirkende, die Ummantelungseinheit auf ihre vorgeschobene Stellung zu vorspannende Vorspannfeder.
  107. Nachfolgend wiedergegebene Figur 1 zeigt das chirurgische Instrument zum Legen von Hämostase- oder Markierungsclips, wobei die Handbetätigungseinheit und ein Teil der Ummantelungseinheit in Draufsicht und das patientennahe Ende des Instruments in vergrößertem Schnitt dargestellt sind, während die Figur 3 eine Explosionsdarstellung eines zur Verwendung mit dem Instrument der Figuren 1 geeigneten Markierungsclips zeigt:
  108. Entgegen der Auffassung der Beklagten offenbart die D 1 die Merkmale 3(b) und 6(b) nicht hinreichend unmittelbar und eindeutig. Mit Blick auf die Figur 1 führt die D 1 auf Seite 7 aus, dass der Steuerdraht zurückgezogen wird, wenn der Schiebegriff 17 an den Daumenring 11 angenähert wird. Dies führt dazu, dass der in Figur 3 gezeigte Markierungsclip geschlossen wird. So heißt es auf Seite 7 am Ende:
  109. „Wird der Schiebegriff 17 an den Daumenring angenähert, so zieht sich die Kabelseele 15 in den Kabelmantel 13 zurück, wodurch in noch zu beschreibender Weise ein eingehängter Markierungsclip geschlossen werden kann.“
  110. Der Fachmann kann der D 1 indes nicht unmittelbar entnehmen, dass der Vorgang auch umgekehrt werden kann. Zwar heißt es im folgenden Satz:
  111. „Ein in dem Schiebegriff 17 aufgenommenes, nicht dargestelltes Eingriffselement ist in den Eingriff mit einer Zahnfläche 19 des Führungsschafts 9 federvorgespannt und kann durch einen Druckknopf 21 aus der Zahnfläche 19 ausgehoben werden, so daß der Schiebegriff 17 entgegen der Zahnrichtung verschoben werden kann.“
  112. Wie der Fachmann dem ersten Satz im dritten Absatz auf Seite 10 noch entnehmen kann, verfügt die Zange des Markierungsclips über „federnd in ihre Öffnungsstellung vorgespannte Zangenarme“, daraus folgt aber nicht zwingend, dass sich die Zangenarme auch wieder öffnen, wenn der Schiebegriff entgegen der Zahnrichtung verschoben wird. Entsprechendes folgt auch nicht, jedenfalls nicht unmittelbar und eindeutig daraus, dass der D 1 auf der Seite 8 noch von einem Schlauch gesprochen wird, der flexibel verschoben werden kann, da es ausschließlich auf die Reversibilität der Klemme ankommt.
  113. Auch die Einspruchsabteilung geht in ihrer vorläufigen Einschätzung vom 21. Januar 2021 (Anlage KAP 23) unter Ziff. 20.1 davon aus, dass die D 1 (= E 18) die klagepatentgemäße Reversibilität nicht hinreichend offenbart. Die Beklagte hat auch nicht aufzuzeigen vermocht, aus welchem Grund die Auffassung des EPA offensichtlich unzutreffend sein sollte.
  114. Daher ist es für die Aussetzungsentscheidung ohne Belang, ob die D 1 auch eine nachgiebige Verbindung im Sinne der Merkmalsgruppe 4 hinreichend offenbart.
  115. ii)
    Schließlich vermochte die Kammer auch nicht festzustellen, dass der auf die fehlende Erfindungshöhe gestützte Nichtigkeitsangriff hinreichende Erfolgsaussichten hat.
  116. (1)
    Die Beantwortung der Frage, ob eine erfinderische Tätigkeit zu bejahen ist, bedarf einer wertenden Entscheidung (BGH, GRUR XXX5, 330 – Elektrische Steckverbindung) unter Berücksichtigung der Kriterien des Standes der Technik als Ausgangs-punkt für die Beurteilung sowie des Fachwissens des Durchschnittsfachmanns in der Frage des Nichtnaheliegens. Die Beurteilung stützt sich auf tatsächliche Umstände, nämlich die Feststellung der Erfindung, des Standes der Technik sowie des dem maßgeblichen Fachmann eigenen Wissens und Könnens. Eine erfinderische Tätigkeit liegt erst in derjenigen Leistung, die sich über die Norm dessen erhebt, was ein Fachmann mit durchschnittlicher Ausbildung, Kenntnissen und Fähigkeiten bei herkömmlicher Arbeitsweise erreichen kann.
  117. Eine Maßnahme kann als „naheliegend“ angesehen werden, wenn der Fachmann sie in der Erwartung einer gewissen Verbesserung oder eines Vorteils vorgenommen hätte. Maßgeblich ist eine angemessene (= realistische) Erfolgserwartung, so dass es nicht auf eine absolute Gewissheit im Hinblick auf das Eintreten vorteilhafter Effekte ankommt, andererseits aber auch nicht genügt, dass auf Seiten des Fachmanns die bloße Hoffnung auf ein gutes Gelingen besteht. Die angemessene Erfolgserwartung erfordert über den bloßen Wunsch nach Verbesserung hinaus eine vernünftige wissenschaftliche Bewertung der vorliegenden Tatsachen (OLG Düsseldorf, Urteil v. 14.12.2017 – I-2 U 18/17 –, Rn. 44 ff., zitiert nach juris m.w.N.).
  118. (2)
    Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermochte die Kammer nicht zu erkennen, dass die erfindungsgemäße Lehre für den Fachmann ausgehend von dem Artikel „XXX et al. (vorgelegt als Anlage HRM 12; nachfolgend: L) nahegelegen hat.
  119. Unabhängig davon, dass die Beklagte dem Vortrag der Klägerin, die von L offenbarte Klemmvorrichtung entspreche dem vom Klagepatent in Absatz [0011]f. als vorbekannt gewürdigten Olympus-Clip mit der Folge, dass es sich insoweit um bereits gewürdigten Stand der Technik handelt, nicht entgegengetreten ist, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2020 (dort auf S. 52) selbst ausgeführt, dass es L jedenfalls an der Offenbarung einer nachgiebigen Verbindung fehlt, die geeignet ist, gebrochen zu werden (Merkmalsgruppe 4). L zeige demgegenüber eine lösliche Verbindung von Steuerdraht und Klemme, die mittels Haken, Pin und Loch funktioniere.
  120. Dazu, welchen Anlass der Fachmann überhaupt gehabt haben sollte, die Vorrichtung nach L abzuwandeln und warum er – ein entsprechendes Bedürfnis unterstellt – dann auf eine zerbrechliche Verbindung gekommen wäre, schweigt die Beklagte. Es wäre aber an ihr gewesen, einen entsprechenden Anlass vorzutragen und nachvollziehbar aufzuzeigen, aus welchen Schriften bzw. auf Grund welchen Fachwissens der Fachmann eine zerbrechliche Verbindung im Sinne der Lehre des Klagepatents gewählt hätte. Der pauschale Verweis auf die D 1 (DE‘XXX) genügt dafür jedenfalls nicht.
  121. II.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
  122. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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