4a O 110/19 – Rapamycin-Derivat 3

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3192

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 7. Dezember 2021, Az. 4a O 110/19

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung, hilfsweise Ordnungshaft bis 6 Monate, oder Ordnungshaft bis 6 Monate, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu vollziehen an einem aktuellen Geschäftsführer der Beklagten,
    zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland Arzneimittel enthaltend
    40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin sinnfällig hergerichtet zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff bei der Behandlung eines soliden Tumors, wobei es sich bei dem soliden Tumor um einen Pankreastumor handelt und 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägern verabreicht wird,
  3. anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  4. 2. den Klägerinnen zu 1) und zu 3) unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses vollständig Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die im Tenor zu I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 21.08.2019 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden, wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  5. 3. den Klägerinnen zu 1) und zu 3) unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die im Tenor zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.09.2019 begangen hat, insbesondere unter Angabe:
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, und
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei
    es der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger und ihrer nicht gewerblichen Abnehmer statt den Klägerinnen zu 1) und zu 3) einem von den Klägerinnen zu 1) und zu 3) zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten, für die Bundesrepublik Deutschland vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, den Klägerinnen zu 1) und zu 3) auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu erteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
    die Auskunft und Rechnungslegung von der Beklagten in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln sind;
    4. die jeweils in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, im Tenor zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben, wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, allein die Packungsbeilage der Arzneimittel „A XXX 2,5 mg“, „A XXX 5 mg“ und „A XXX 10 mg“ zu vernichten;
    5. die bereits an Abnehmer seit dem 21.08.2019 in Verkehr gebrachten, im Tenor zu I.1. bezeichneten Erzeugnisse unter Hinweis auf die gerichtlich festgestellte Verletzung des Klagepatents und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Komponenten wieder an sich zu nehmen.
  6. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
  7. 1.
    den Klägerinnen zu 1) und zu 3) allen Schaden zu ersetzen, der diesen durch die im Tenor zu I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 21.09.2019 bereits entstanden ist und/oder noch entstehen wird,
  8. 2.
    der Klägerin zu 1) weiterhin auch allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin zu 2) durch die im Tenor zu zu I. 1. bezeichneten Handlungen vom 21.09.2019 bis zum 08.05.2020 entstanden ist.
  9. III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
  10. IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000.000,00 vorläufig vollstreckbar.
  11. Die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf (Ziffern I. 1., I. 4, I. 5 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 750.000,00. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziffern I. 2. und I. 3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 100.000,00. Die Kostenentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
  12. Tatbestand
  13. Die Klägerinnen nehmen die Beklagte wegen Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung einer Schadenersatzpflicht in Anspruch.
  14. Die Klägerinnen zu 1) und 2) sind als Inhaberinnen des deutschen Teils des Europäischen Patents EP 3 XXX 411 B1 (Anlagen FBD 5, 5a; nachfolgend als Klagepatent bezeichnet) in das Register des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragen. Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent wurde mit Anmeldedatum der Stammanmeldung vom 18.02.2002 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der britischen Patentanmeldungen GB XXX vom 19.02.2001 und GB XXX vom 17.10.2001 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 04.07.2018, die Bekanntgabe der Erteilung am 21.08.2019. Das Klagepatent steht in Kraft.
    Die Beklagte legte gegen das Klagepatent vor der Einspruchsabteilung des EPA am 29.04.2020 den als Anlage B 1 vorgelegten Einspruch ein. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung steht noch aus. Die Einspruchsabteilung teilte im Schreiben vom 13.04.2021 ihre vorläufige Einschätzung mit (vgl. Anlage B 8, deutsche Übersetzung im Parallelverfahren 4a O 54/20 als Anlage BK 13b vorgelegt).
  15. Die Klägerin zu 2) ist durch eine Verschmelzung mit der Klägerin zu 1) mit Wirkung vom 08.05.2020 vollständig in der Klägerin zu 1) aufgegangen. Die Klägerin zu 2) ist erloschen. Als Datum des Erlöschens ist im als Anlage FBD 11 vorgelegten Handelsregisterauszug der 08.05.2020 angegeben. Die Klägerin zu 3) ist die alleinige Lizenznehmerin der Klägerin zu 1) und vormals der Klägerin zu 2).
  16. Die Klägerin zu 3) wird insbesondere durch eine (bestätigende) Lizenzvereinbarung (Anlage FBD 2) als alleinige Lizenznehmerin ausgewiesen.
  17. Das Klagepatent betrifft ein Rapamycin-Derivat zur Behandlung von Pankreas-Krebs.
  18. Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache:
  19. XXX
  20. In deutscher Übersetzung:
  21. XXX
  22. Wegen des Wortlauts des insbesondere geltend gemachten Anspruchs 2 des Klagepatents wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
  23. Die unten verkleinert dargestellte Formel 1 zeigt nach Abschnitt [0002] des Klagepatents beispielhafte Verbindungen der Rapamycin-Derivate.
  24. Die Beklagte erhielt am 17.10.2018 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Marktzulassung für das A-Generikum „A XXX“ (nachfolgend als angegriffene Ausführungsform bezeichnet) unter den folgenden Bezeichnungen und Wirkstoffstärken:
    – A XXX 2,5 mg Tabletten
    – A XXX 5 mg Tabletten
    – A XXX 10 mg Tabletten
  25. Die Marktzulassung erstreckt sich auf die folgende Indikation (vgl. den Auszug aus der AMS Datenbank zu den Marktzulassungen der angegriffenen Ausführungsform, vorgelegt als Anlage FBD 7):
    XXX
    In der Lauer-Taxe war die angegriffene Ausführungsform unter ausdrücklicher Auf-nahme der Pankreastumor-Indikation
  26. XXX
  27. in das Label gelistet.
  28. Die Klägerinnen sind der Ansicht, das Klagepatent werde sich im Einspruchsverfahren als vollumfänglich rechtsbeständig erweisen.
  29. Ausgehend von der Entgegenhaltung WO 97/XXX (Anlage B 3-D17, in deutscher Übersetzung vorgelegt als Anlage BB 6-D 17Ü, nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 17 bezeichnet) mangele es der klagepatentgemäßen Erfindung nicht an Erfindungshöhe.
  30. Die Entgegenhaltung D 17 sei im Rahmen der Aussetzungsentscheidung schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens gewesen sei. Hierzu legen die Klägerinnen als Anlage FBD 17 den internationalen Recherchebericht vom 06.06.2018 vor. Auch sei die Entgegenhaltung D 17 im Rahmen von Einwendungen Dritter durch den Prüfer berücksichtigt worden.
  31. Die Entgegenhaltung D 17 offenbare Somatostatin-Verbindungen wie Octreotid. Bei dieser Wirkstoffklasse handele es sich um eine andere Wirkstoffklasse als die von A. Die D 17 offenbare Versuche, die zeigten, dass Octreotid und Rapamycin (sowohl einzeln als auch in Kombination) die wirksamsten Verbindungen zur zielgerichteten Krebstherapie seien, während sich A in den dargestellten Versuchen in der Monotherapie als nicht vergleichbar wirksam erwiesen habe. Der Fachmann hätte der D 17 daher entnommen, für die Behandlung von Tumoren, Octreotid, gegebenenfalls noch Rapamycin zu verwenden, aber gerade nicht A. Darüber hinaus stehe die Kombinationstherapie unter Verwendung von mindestens Octreotid bei der D 17 im Vordergrund. Die D 17 hätte den Fachmann damit von der klagepatentgemäßen Lehre weggeführt.
  32. Die auf den Seiten 14 bis 15 der D 17 offenbarten in vitro-Experimente zeigten zwar eine Wirkung von A auf Zellen eines Pankreas-Karzinoms. Zum einen werde dort aber lediglich eine geringe Wirkung offenbart. Darüber hinaus sei diese Offenbarung für den Fachmann von untergeordneter Relevanz, da in vivo-Daten als relevanter erachtet würden. Die in vitro-Versuche fänden immer in einem künstlichen System statt und seien daher im Hinblick auf Erfolg oder Misserfolg einer Therapie im Organismus weniger aussagekräftig. Tatsächlich würde sich der Fachmann an in vivo- Ergebnissen orientieren, sofern diese nicht im Einklang mit in-vitro-Ergebnissen stünden.
    Der Fachmann würde sich bei der D 17 also an den auf den Seiten 16 und 17 dargestellten in vivo-Ergebnissen orientieren. Aus diesen Ergebnissen gehe hervor, dass A in der Monotherapie keinen signifikanten Einfluss auf das Tumorwachstum habe. Aus den dargestellten Ergebnissen sei für den Fachmann ersichtlich, dass ein Somatostatinanaloga wie Octreotid für die primäre Anti-Tumor-Wirkung verantwortlich sei und gerade nicht A. Die gesamte Entgegenhaltung D 17 sei von der Kernlehre getragen, dass jede Zusammensetzung Somatostatinanaloga wie Octreotid enthalten müsse.
  33. Tatsächlich müsse der Fachmann auf Grund der offenbarten Ergebnisse sogar davon ausgehen, dass A selbst gar keine Wirkung habe. Denn die verhältnismäßig geringfügigen Abweichungen in der Tumorgröße im Vergleich zur Kontrollgruppe in vivo müssten unter Berücksichtigung des Standardfehlers („SE“) betrachtet werden, der in der Kontrollgruppe im Vergleich zu den Versuchsgruppen etwa doppelt so groß sei. Hieraus müsse man schließen, dass die Tumorgrößen in einigen A-Mäusen auf die gleiche Größe gewachsen seien wie die der Kontrollgruppe und dass einige Tumore in den Kontrollmäusen viel kleiner gewesen seien als die mittlere Tumorgröße der A-Mäuse.
  34. Die Tatsache, dass in der D 17 die Kontrollmäuse eine Woche vor den A-Mäusen getötet worden seien (im in-vivo-Experiment werden die Tumorgrößen der A-Mäuse nach vier Wochen und die der Kontrollmäuse nach drei Wochen vergleichen), lasse keine anderweitigen Rückschlüsse zu. Der Schluss, dass die Tumore in den Kontrollmäusen in der vierten Woche exponentiell gewachsen wären und dass die Tumorgrößen in den A-Mäusen damit erheblich kleiner gewesen seien als in den Kontrollmäusen, stelle eine unzulässige ex-post-facto-Analyse dar.
  35. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der D 17 in Kombination mit der Entgegenhaltung US 6,XXX,721 B1 (Anlagen B 4-D 18, B 7- D 18 Ü; nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 18 bezeichnet). Es habe für den Fachmann ausgehend von der D 17 kein Anlass bestanden, sich in Bezug auf ein hypothetisches Tumorwachstum in Zusammenhang mit A mit der Entgegenhaltung D 18 zu beschäftigen. Selbst wenn die D 18 unter bestimmten Umständen ein exponentielles Tumorwachstum in der Kontrollgruppe offenbare, so sei eine pauschale Aussage zu einem derartigen Tumorwachstum irrelevant. Sie lasse den Zeitfaktor außer Acht. Denn auch ein exponentielles Tumorwachstum habe im Hinblick auf die räumliche Ausdehnung ein Ende. Es würde uneingeschränkte Ressourcen (wie Nährstoffe oder Sauerstoff) sowie die Möglichkeit einer unbegrenzten räumlichen Ausdehnung voraussetzen. Diese Voraussetzungen seien in lebenden Organismen (wie der Ratte in der D 17) nicht gegeben. Selbst wenn der Wachstumsprozess also zu Beginn exponentiell verlaufe, verlangsame er sich in vielen Fällen schnell (Plateaueffekt).
    Darüber hinaus sei die Tatsache der früheren Tötung der Kontrollmäuse auch deshalb nicht relevant, weil die Autoren der D 17 die beiden Gruppen im Einklang mit wissenschaftlichen Standards als vergleichbar angesehen hätten. Die Argumente der Beklagten zur Kontrollgruppe seien bloße Spekulation über einen hypothetischen Verlauf.
  36. Ausgehend von der D 17 habe der Fachmann jedenfalls keine begründete Aussicht auf Erfolg gehabt, dass A in der Monotherapie eine wirksame Behandlung von Pankreaskrebs bieten könne.
  37. Im Übrigen lege die D 17 eine Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 mg bis 10 mg nicht nahe. Das Abstellen auf eine vermeintliche Differenzierung zwischen Einzel- bzw. Einheitsdosen und Tagesdosen gehe an der Sache vorbei. Unabhängig von der Frage, ob der Begriff der Einheitsdosis in Anspruch 1 des Klagepatents (auch) eine Tagesdosis bedeute, stehe für den Fachmann fest, dass abzustellen sei auf die in z.B. einer Tablette enthaltene Adosis und dass diese Einheitsdosis auch für sich genommen bereits wirksam sein solle.
  38. Auch die in der D 17 genannten Dosen bezögen sich auf Einheitsdosen. Diese in der D 17 offenbarten Einheitsdosen führten den Fachmann aber weg von der klagepatentgemäßen Einheitsdosis. Die auf Seite 19 der D 17 vorgeschlagene Einheitsdosis für A beträgt 20 mg. Der Fachmann hätte also eine solche Dosis von A gewählt, hätte er sich für A in der Monotherapie entschieden. Eine Dosis von 0,25 bis 10 mg wäre für ihn nicht als niedrigste mögliche Dosis in Betracht gekommen.
  39. Eine hinreichende Offenbarung der klagepatentgemäßen Lehre sei ebenfalls gegeben. Das Klagepatent offenbare die erstrebte Wirkung von A in der beanspruchten Dosierung bei der Behandlung von Pankreastumoren und mache sie hinreichend plausibel.
  40. Die wichtigsten Erkenntnisse fänden sich in den Absätzen [0024] bis [0031] des Klagepatents in den Beispielen B1 bis B7. Die Ergebnisse dieser in vivo-Versuche zeigten, dass die Verabreichung von A allein oder in Kombination das Tumorwachstum aller in der Klagepatentschrift benannten Tumore reduziere. Die experimentellen Daten zeigten eine Anti-Tumor-Wirkung von A auch gegen bestimmte Pankreastumore. Das Beispiel B3, welches die Behandlung von humanen soliden Pankreas-Tumorimplantaten in Ratten betrifft, zeige eine signifikante Anti-Tumor-Wirkung von A.
  41. Die offenbarten Testergebnisse belegten zudem die Wirkung von A auf einen bei soliden Tumoren involvierten Stoffwechselmechanismus und machten daher zumindest plausibel, dass A jede Art der im Klagepatent genannten soliden Tumore zu behandeln vermöge.
  42. Das Beispiel B 4 zeige, dass A keine negativen Wechselwirkungen mit einem zweiten Anti-Tumor-Mittel aufweise.
  43. Schließlich zeigten die im Klagepatent vorhandenen Daten, dass A neben dem Wachstum solider Tumore auch den komplexen Angiogeneseprozess und die VECF-indizierte Proliferation beeinflusse, also das Wachstum von Blutgefäßen, die für die Versorgung des Tumors mit Nährstoffen verantwortlich sind.
  44. Die nachträglich durchgeführten Studien, die – insoweit unstreitig – zeigen, dass A bei der Behandlung von soliden Pankreastumoren besonders wirksam ist, dürften angesichts der dargestellten Plausibilität berücksichtigt werden.
  45. Auch die beanspruchte Einheitsdosis sei ausgehend von der Klagepatentschrift plausibel. Der Fachmann verstehe ohne Weiteres, dass die in den Beispielen (z.B. B 3) offenbarten Dosen in Mäusen- und Rattenmodellen nicht diejenigen seien, die auch zur Behandlung von Menschen verwendet werden. Er hätte somit auf die Dosierungen zurückgegriffen, die in Absatz [0042] des Klagepatents für die Behandlung von Menschen offenbart seien.
  46. Die Klägerinnen beantragen,
  47. – wie erkannt –.
  48. Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen,
    hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Einspruchsverfahren vor dem EPA betreffend das Klagepatent auszusetzen.
  49. Die Beklagte ist der Ansicht, den Ansprüchen des Klagepatents lasse sich keine tägliche Dosierung entnehmen.
  50. Das Klagepatent werde im Einspruchsverfahren wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit sowie unzureichender Offenbarung vernichtet werden.
  51. Die klagepatentgemäße Erfindung sei in der Stammanmeldung WO 02/066019 A2 (vorgelegt als Anlage B 2-D 1, in deutscher Übersetzung als Anlage B 5 – D 1-Ü, nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 1 bezeichnet) nicht hinreichend offenbart. Pankreastumore seien in der D 1 lediglich in einer langen Liste verschiedener Tumorarten offenbart. Die in der D 1 in Absatz [0042] offenbarte und nunmehr beanspruchte Darreichungsform (0,25 bis 10 mg) sei weder mit der Behandlung eines spezifischen Tumors noch mit einer Dosierungsfrequenz bei dieser Behandlung verknüpft. Die Daten in der D 1 könnten daher die beanspruchte Verwendung nicht plausibel machen.
  52. Ferner sei die klagepatentgemäße Erfindung schon ausgehend von der D 17 naheliegend. Dies gelte erst recht, wenn man von einer hinreichenden Plausibilität der klagepatentgemäßen Erfindung ausgehe. Die Erteilung des Klagepatents beruhe auf einem Missverständnis der Prüfungsabteilung des EPA im Hinblick auf den Offenbarungsgehalt der D 17.
  53. Schon die in vitro-Versuche, dargestellt auf Seite 15 der D 17 zeigten eine Anti-Tumor-Wirkung bei Pankreastumoren in der Monotherapie mit A (dort als Compound B bezeichnet).
  54. Ähnliche Ergebnisse zeigten die in vivo-Versuche auf Seite 16 der D 17. Aus den Ausführungen über der Tabelle auf Seite 16 der D 17, wonach die Kontrollmäuse nach drei Wochen getötet worden waren, weil die Tumore exzessiv riesig geworden waren, werde klar, dass die Werte der Kontrolltiere und die Werte der anderen Tiere nicht direkt miteinander verglichen werden dürften. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Tumore in den Kontrolltieren nach vier Wochen viel größer gewesen wären. Der Fachmann habe annehmen müssen, dass am Ende der vierten Woche die Tumore der Kontrolltiere einen viel höheren Wert als 4020 mm3 erreicht hätten. Der Fachmann hätte logischerweise ein exponentielles Tumorwachstum in der Kontrollgruppe erwartet. Hierbei handele es sich gerade nicht um eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise, da die D 17 ausdrücklich ausführt, dass die Tumore der Kontrollgruppe exzessiv riesig wurden. Darüber hinaus sei ein solches exponentielles Tumorwachstum für das in der D 17 betrachtete AR42J Pankreastumor-Rattenmodells beschrieben worden, und zwar in der D 18 (Anlage B4- D 18).
    Somit zeigten auch die in vivo-Ergebnisse der D 17 eine Wirksamkeit von A gegen Pankreaskrebs.
  55. Wenn überhaupt, weise Anspruch 1 des Klagepatents als nicht in der D 17 offenbartes Merkmal einzig die Dosierungsform von 0,25 bis 10 mg auf. Das Klagepatent zeige jedoch keinen Effekt, den die Verabreichung einer solchen Dosierungsform haben könnte, zumal die Patentansprüche keine zeitliche Frequenz der Verabreichung und insbesondere keine Tagesdosis angeben. Der Fachmann könne der Klagepatentschrift nicht entnehmen, dass die Verabreichung einer Dosierungsform von 0,25 bis 10 mg bereits wirksam sei. Es handele sich bei der anspruchsgemäßen Dosierungsangabe insbesondere auch nicht um eine Maximaldosis.
  56. Die von der angeblichen Erfindung gelöste Aufgabe könne allenfalls darin gesehen werden, eine alternative oder irgendwie geringere Dosierung von A bei der Behandlung eines Pankreastumors zu finden. Dosisfindungsstudien gehörten aber zur üblichen Herangehensweise und Routine des Fachmanns bei jeder Medikamentenentwicklung, wobei der Fachmann immer anstrebe, die niedrigste mögliche Dosis zu finden.
    Die Prüfungsabteilung habe zu einer mündlichen Verhandlung im Prüfungsverfahren zu einem ähnlichen Patent EP 3 XXX 602 (nachfolgend EP 602) geladen und in seinem Schreiben vom 09.07.2021 (Anlage B 11) Ausführungen gemacht, welche die Argumentation der Beklagten in hiesigem Verfahren bestätigten.
  57. Das Gericht hat den Parteien und den Prozessbevollmächtigten von Amts wegen gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzu-halten und dort Verfahrenshandlungen über den von der Justiz des Landes NRW zur Verfügung gestellten Virtuellen Meetingraum (VMR) vorzunehmen. Davon haben insbesondere die Prozessbevollmächtigten Gebrauch gemacht.
  58. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetausch-ten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2021 verwiesen.
  59. Entscheidungsgründe
  60. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerinnen haben daher Ansprüche gegen die Be-klagte auf Unterlassung, Auskunft- und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht nach Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, 3, 140a Abs. 1, 3, 140b Abs. 1, §§ 242, 259 BGB.
  61. Die Beklagte verletzt das Klagepatent unmittelbar und wortsinngemäß durch sinnfälliges hergerichtetes Anbieten der angegriffenen Ausführungsform (hierzu unter I., II. und III.). Aus der Klagepatentverletzung resultieren die zuerkannten Rechtsfolgen (hierzu unter IV.). Eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst (hierzu unter V.).
  62. I.
    Das Klagepatent betrifft die Verwendung von 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin (nachfolgend unter seinem Handelsnamen „A“ bezeichnet) zur Behandlung von Pankreastumoren.
  63. Laut dem Klagepatent handelt es sich bei Rapamycin um ein bekanntes Makrolidantibiotikum, welches von bestimmten Bakterien produziert wird. Es existieren diverse Rapamycinderivate, die unter anderem in den Verbindungen nach der in Absatz [0002] des Klagepatents (nachfolgend sind Absätze ohne nähere Beschreibung solche des Klagepatents) dargestellten Formel I bestehen.
  64. Nach dem Klagepatent ist aus dem Stand der Technik – der streitgegenständlichen D 17 – eine Arzneimittelkombination bekannt, die eine Somatostatinklasse und ein Rapamycin-Makrolid umfasst, zur Verwendung bei der Prävention oder Behandlung der Zell-Hyperproliferation (Abs. [0004]). Ferner beschreibe unter anderem die WO 94/09010 immunsuppressive Wirkungen von Rapamycin-Derivaten der Formel I (Abs. [0006]). Es sei nunmehr festgestellt worden, dass Verbindungen der Formel I starke antiproliferative Eigenschaften haben, wodurch sie sich für die Chemotherapie gegen Krebs eignen, insbesondere bei festen Tumoren, vor allem bei fortgeschrittenen festen Tumoren (Abs. [0006]).
  65. Das Klagepatent beschreibt es als Notwendigkeit, das Instrumentarium der Krebsbehandlung von festen Tumoren zu erweitern, insbesondere in Fällen, in denen die Behandlung mit krebsbekämpfenden Verbindungen nicht mit einer Regression oder Stabilisierung der Erkrankung verbunden ist.
  66. Zur Lösung der insoweit indirekt formulierten Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Verwendung nach Anspruch 1 vor, der sich wie folgt gliedern lässt:
  67. 1. 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff bei der Behandlung eines soliden Tumors,
  68. 2. Bei dem soliden Tumor handelt es sich um einen Pankreastumor.
  69. 3. 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin wird in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägern verabreicht.
  70. II.
    Im Hinblick auf die Einwendungen im Rechtsbestand bedarf es der Auslegung des Begriffes der Einzeldosisform nach Merkmal 3 des Anspruchs.
  71. Das Klagepatent beansprucht eine Einzeldosisform für die orale Verabreichung, wobei der Wirkstoff A in einer Menge von bis zu 0,25 mg bis 10 mg enthalten ist. Hierbei handelt es sich nicht um eine Tagesdosenangabe. Vielmehr handelt es sich um eine Einzeldosenform für die orale Verabreichung, mit welcher eine wirksame Tagesdosierung in für die Krebstherapie geeigneter Form verabreicht werden kann. Dies folgt aus Abschnitt [0042] des Klagepatents. Dort werden zunächst geeignete Tagesdosen offenbart, nämlich von 0,1 bis 25 mg. Diese können als Einzeldosen oder in geteilten Dosen verabreicht werden. Sodann wird auf die Art und Weise der Verabreichung von A eingegangen und beschrieben, dass der Wirkstoff sowohl oral als auch per Injektion verabreicht werden kann. Daraufhin wird eine übliche Einzeldarreichungsform in oraler Form von 0,1 mg bis 10 mg offenbart. Damit wird also der Wirkstoffgehalt einer Einzeldosis von A unterhalb der als bevorzugt angegebenen Tagesdosis von bis zu 25 mg explizit als „geeignet“ angesehen. Der Fachmann entnimmt der Beschreibung, dass die Gabe einer Dosis von 25 mg (höchste Tagesdosis) jedenfalls in oraler Form nicht mehr geeignet erscheint. Der Fachmann erkennt, dass die Eignung die Wirksamkeit mit einschließt.
  72. III.
    Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein klagepatentgemäßes Erzeugnis nach § 9 S. 2 Nr. 1 PatG.
  73. Bei einem auf eine bestimmte Verwendung gerichteten Patent – so liegt der Fall hier – ist eine unmittelbare Verletzung dann zu bejahen, wenn der Patentverletzende den geschützten Stoff für die geschützte Verwendung sinnfällig hergerichtet hat (BGH, GRUR 2001, 730 – Trigonelitin). Eine solche sinnfällige Herrichtung liegt vor, wenn das Arzneimittel so aufbereitet wird, dass es mit ihm absehbar zu dem geschützten therapeutischen Gebrauch kommt. Solches kann durch eine auf den speziellen Verwendungszweck abgestellte Formulierung und Konfektionierung des Arzneimittels sowie durch seine Dosierung, aber auch z.B. durch Beifügung einer Gebrauchsanleitung in Form eines Beipackzettels oder einen Hinweis auf der Umverpackung geschehen (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 2017, 1107; vgl. auch OLG Düsseldorf, BeckRS 2013, 11782; OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 21947 m. w. Nachw.).
  74. Dies ist hier der Fall.
  75. Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um den Wirkstoff 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin (A) nach Merkmal 1 des Klagepatents, welcher zur Verwendung als alleiniger Wirkstoff zur Behandlung solider Pankreas-Tumore in einer Einzeldosisform für die orale Verabreichung umfassend 0,25 bis 10 mg 40-O-(2-Hydroxyethyl)rapamycin zusammen mit einem oder mehreren pharmazeutisch unbedenklichen Verdünnungsmitteln oder Trägern (Merkmal 3) sinnfällig hergerichtet ist. Dies wird von der Beklagten zu Recht nicht in Abrede gestellt, so dass es insoweit keiner weiteren Erörterung bedarf.
  76. IV.
    Aus der festgestellten Klagepatentverletzung folgen die zuerkannten Rechtsfolgen.
  77. 1.
    Der Unterlassungsanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V. § 139 Abs. 1 PatG. Er ist entsprechend der Antragskonkretisierung der Klägerinnen auf die sinnfällige Herrichtung der klagepatentgemäßen Kombination gerichtet.
  78. 2.
    Die Klägerinnen zu 1) und zu 3) haben ferner gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (§ 139 Abs. 2 PatG) für patentverletzende Handlungen. Die Tenorierung berücksichtigt hierbei die Rechtsnachfolge der Klägerin zu 1) in Bezug auf die Ansprüche der Klägerin zu 2) vor dem Verschmelzungszeitpunkt.
  79. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung durch die angegriffene Ausführungsform bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.
  80. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass den Klägerinnen durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von den Klägerinnen noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen sind, ist ein rechtliches Interesse der Klägerinnen an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
  81. 3.
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG.
  82. Damit die Klägerinnen zu 1) und 3) in die Lage versetzt werden, ihre Schadensersatzansprüche zu beziffern, steht ihnen gegen die Beklagte ferner ein Anspruch auf Rechnungslegung im zuerkannten Umfang aus §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerinnen sind auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügen; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  83. 4.
    Der Vernichtungsanspruch folgt aus § 140a Abs. 1 S. 1 PatG. Eine Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG ist angesichts dessen, dass der Beklagten vorbehalten bleibt, allein die Packungsbelege zu vernichten, nicht ersichtlich.
  84. 5.
    Ein Anspruch auf Rückruf besteht ebenfalls nach § 140a Abs. 3 PatG. Auch insoweit lässt sich keine Unverhältnismäßigkeit gemäß § 140a Abs. 4 PatG ersehen.
  85. IV.
    Das Verfahren ist nicht nach § 148 ZPO auszusetzen.
  86. Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Einspruchsverfahrens gegeben. Die Durchführung eines Rechtsbestandsverfahrens stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass jedem Angriff auf den Rechtsbestand jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (vgl. BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. I-2 U 64/14, S. 29 f.).
  87. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es bereits einen ausführlichen qualifizierten Hinweis der Einspruchsabteilung gibt, nach dem das Klagepatent derzeit als rechtsbeständig angesehen wird. Vorliegend handelt es sich um eine komplexe technische Materie aus dem Bereich Chemie/Pharmazie. Da die Mitglieder der Einspruchsabteilung sich – aufgrund ihrer technischen Vorbildung und der auf dem speziellen Fachgebiet gegebenen beruflichen Erfahrung im Vergleich zur hiesigen Patentstreitkammer, die als Verletzungsgericht lediglich mit juristisch vorgebildeten Fachleuten besetzt ist – für die Beantwortung der hier interessierenden Streitfragen, welche technische Information im Einspruchsverfahren gewürdigten Texten aus fachmännischer Sicht zu entnehmen ist und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann hieraus aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zu ziehen imstande gewesen ist, freilich in der besseren Position befinden, ist es grundsätzlich ausgeschlossen, dass sich die Kammer mit ihren eigenen (notwendigerweise laienhaften) Erwägungen über das Votum der technischen Fachleute hinwegsetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.11.2020, Az. I-15 U 4/19; BeckRS 2018, 43555 m.w.N.). Der hiesige Fall ist auch nicht deswegen anders gelagert, weil mehrere Entscheidungen der Beschwerdekammer als ebenfalls sachkundige, höherrangige Rechtsbestandsinstanz zu parallelen Schutzrechten – insbesondere dem EP 604 – existieren, welche die Schutzrechte widerrufen haben. Denn die Sachverhalte erscheinen zwar im Hinblick auf den Stand der Technik und die relevanten Entgegenhaltungen identisch zu sein, sind es jedoch nicht im Hinblick auf die geschützte technische Lehre. Das Klagepatent betrifft die Verwendung von A als alleinigen Wirkstoff für die Indikation des Pankreastumors. Das EP XXX beschäftigt sich mit A als alleinigen Wirkstoff für die Indikation des Nierentumors.
  88. Auch wenn die Ausführungen der Einspruchsabteilung insbesondere zur Erfin-dungshöhe offen formuliert sind, kann die Kammer dem Hinweis nicht entnehmen, dass ein Widerruf hinreichend wahrscheinlich ist.
  89. 1.
    Das EPA sieht keine wirksame Inanspruchnahme der Priorität, weil die beanspruch-te Menge an A nicht in den Prioritätsdokumenten offenbart wird, so dass der maßgebliche Tag der Anmeldetag (14. Februar 2002) ist (vgl. qualifizierter Hinweis der Einspruchsabteilung des EPA, Anlage (im Verfahren 4a O 110/19) FBD 19, S. 13; nachfolgend bezeichnet als EPA). Dem ist die Klägerin im Rahmen der Aussetzungsfrage nicht mehr entgegengetreten, so dass die Kammer den Anmeldetag ebenfalls als maßgeblichen Veröffentlichungstag zugrunde legt.
  90. 2.
    Für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ist nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass die Einspruchsabteilung des EPA das Klagepatent wegen mangelnder Ausführbarkeit auf Grund unzureichender Offenbarung nach Art 83 EPÜ vernichten wird.
  91. a)
    Für die Ausführbarkeit einer Erfindung ist es nach Auffassung der Technischen Beschwerdekammern des EPA notwendig, dass in der Anmeldung zumindest glaubhaft gemacht wird, dass die in ihr enthaltene Lehre die angeblich gelöste Aufgabe auch tatsächlich löst. Nachträglich veröffentlichte Beweisstücke dafür, dass der beanspruchte Gegenstand die Aufgabe tatsächlich löst, werden berücksichtigt, wenn an Hand der im Patent enthaltenen Offenbarung bereits glaubhaft erscheint, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wird (Rechtsprechung der Beschwerdekammern 2019, Abschnitt I.D.4.6). Es ist also die Ausführbarkeit der Erfindung durch den Fachmann an Hand des Informationsgehalts der Anmeldung in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen unter Berücksichtigung eines dargestellten Ausführungswegs und der gegebenen Ausführungsbeispiele glaubhaft zu machen (Schäfers/Wieser/Kinkeldey in Benkard, EPÜ/, 3. Aufl. 2019, Art. 83, Rn. 90). Im Einspruchsverfahren liegt die Darlegungslast für den Einwand unzureichender Offenbarung und damit auch die für die Ausführbarkeit durch einen Fachmann ausreichende Beschreibung beim Einsprechenden. Ebenso trägt dieser grundsätzlich auch die Beweislast für sein Vorbringen, das bedeutet, Zweifel hinsichtlich des Beweisergebnisses gehen zu seinen Lasten (Benkard, a.a.O.).
  92. b)
    Vor diesem Hintergrund erscheint sowohl die Verwendung von A in der Monotherapie zur Behandlung von Pankreastumoren als auch die anspruchsgemäße Dosierungsform hinreichend ausführbar offenbart zu sein.
  93. aa)
    Zur Behandlung von Pankreas-Tumoren mit A (dort Verbindung A genannt) in der Monotherapie offenbart Absatz [0023] des Klagepatents ein in vivo-Experiment, bei dem Ratten eine Pankreas-Tumorzellsuspension von XXX-Ratten injiziert wird. Absatz [0023] offenbart insoweit, dass die Verabreichung von A in der Monotherapie kontinuierlich das Tumorwachstum der Pankreastumore im Vergleich zur Kontrollgruppe verringert. Aus Absatz [0024] ergibt sich, dass die Verabreichung einer dort konkret benannten Tagesdosis A das Wachstum von humanen AR42J Pankreastumormodellen verringert. Es wurde nach Abschnitt [0024] bei derartigen humanen Tumoren, die Mäusen implantiert wurden, eine gut krebsbekämpfende Wirkung von A gezeigt.
  94. Die in vivo-Experimente in den Absätzen [0021] (Lungentumore) und [0022] (Hauttumore) zeigen eine tumorhemmende Wirkung von A in der Monotherapie für weitere solide Tumore.
  95. Das in Absatz [0025] offenbarte in vivo-Experiment B 4 zeigt, dass die durch die Gabe von Doxorubicin verursachten Körpergewichtsverluste, wenn die Behandlung mit A hinzukommt, nicht verschlimmert werden. Hieraus folgert der Fachmann, dass es zumindest plausibel erscheint, dass es bei der Gabe von A und weiteren bekannten Chemotherapeutika zu keinen unerwünschten Wechselwirkungen kommt. Das in Absatz [0027] offenbarte in vivo-Experiment B 6 zeigt eine deutliche Verringerung der Gefäßdichte und der Gefäßgrößenverteilung bei der Gabe von A im Vergleich zur Kontrollgruppe und zeigt dem Fachmann damit, dass A einen signifikanten Einfluss auf die Nährstoffversorgung von soliden Tumoren hat. Das in Absatz [0028] beschriebene in vivo-Experiment B 7 offenbart wiederum, dass A in Kombination mit einem antiangiogenen Wirkstoff synergetische Effekte auf das Wachstum der Lymphknotenmetastasen hat.
  96. Die genannten Stellen offenbaren ein Konzept, dass in seiner Gesamtheit die therapeutische Wirksamkeit von A bei der Behandlung von Pankreastumoren zumindest plausibel erscheinen lässt.
  97. Zu diesem Schluss kommt ebenfalls die Einspruchsabteilung des EPA. So führt die Einspruchsabteilung unter anderem aus, dass die Beispiele A.2 in vitro und B 6 in vivo eine antiangiogenese Wirksamkeit von A zeigten und dass die Anti-Tumor-Wirkung in verschiedenen soliden Tumoren in vivo getestet worden sei (EPA, S.12). Insofern liege jedenfalls eine Plausibilität vor. Die Einsprechenden hätten keine entsprechenden Daten vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass A nicht wirken würde. Die Einspruchsabteilung macht damit deutlich, dass sie keine hohen Anforderungen an die Plausibilität stellt, sondern hier die Plausibilität ebenfalls aus einer Zusammenschau der verschiedenen offenbarten Experimente herleitet. Eine solche Herangehensweise erscheint der technisch nicht fachkundig besetzten Kammer nicht unvertretbar.
  98. Aus der vorgelegten Entscheidung D 31 der Technischen Beschwerdekammer zum Patent EP 103 lässt sich nicht erkennen, dass bei ihrer Berücksichtigung die Einspruchsabteilung die Ausführbarkeit des Klagepatents verneinen wird. Denn mangels einer Vergleichbarkeit der offenbarten Datenlage kann die Kammer nicht erkennen, welch ein Rückschluss auf das Klagepatent gezogen werden sollte. Die Technische Beschwerdekammer stößt sich ausweislich Rn 4.4.1 der D 31 primär daran, dass im EP 103 keine Daten vorgelegt würden, sondern lediglich ihrer Auffassung nach hypothetische Studien offenbart seien. Dies ist beim hiesigen Klagepatent nicht der Fall. Denn dort sind in den Beispielen (insbesondere B 3) mehrere in vivo-Experimente mit konkreten Ergebnissen nach der Verabreichung von A offenbart.
  99. bb)
    Die im Klagepatent beanspruchte Dosierungsform erscheint ebenfalls ausführbar offenbart zu sein.
  100. Wie oben bereits dargestellt, offenbart das Klagepatent in den Beispielen B 1 bis B 7 mehrere in vitro-Experimente an Mäusen bzw. Ratten mit konkreten Dosierungsangaben zum Wirkstoff A. Im Beispiel B 3 ist beispielsweise eine Verabreichung einer Tagesdosis A zwischen 0,5 mg und 2,5 mg pro kg Körpergewicht offenbart (Abschnitt [0023]). Der Fachmann erkennt insoweit, dass bereits eine solche Dosis eine Wirksamkeit entfaltet, sieht aber auch, dass nicht unmittelbar von der Dosierung bei Ratten auf die Dosierung bei Menschen geschlossen werden kann.
  101. In Abschnitt [0042] des Klagepatents (ebenfalls so in der D1 offenbart) wird sodann die beanspruchte Einheitsdosis als übliche Dosierungsform offenbart. Außerdem offenbart Abschnitt C.1 des Klagepatents (Abschnitte [0029] bis [0039]) abstrakt den Ablauf einer klinischen Studie zur Untersuchung des klinischen Nutzens von A in der Monotherapie bei soliden Tumoren, wobei zwei Alternativen (Eskalierung Wirkstoff (a) und Wirkstoff (b) in fester Dosis; Wirkstoff (a) in fester Dosis und Wirkstoff (b) eskaliert) beschrieben werden. Mit der Offenbarung der Dosierung scheint plausibel dargelegt zu sein, dass diese spezifische Dosis effektiv für die Behandlung von Pankreastumoren ist.
  102. Schließlich wurde dies später durch klinische Studien bestätigt, aus denen eine Zulassung – insbesondere auch für (neuro-)endokrine Pankreastumore folgte. Die Klägerin hat vorgetragen, dass A in der klagepatentgemäßen Beanspruchung wirksam ist, was zur Zulassung eines entsprechenden Medikaments in diversen Ländern auch in Europa geführt hat. Eine Nacharbeit der klinischen Studien hat damit notwendigerweise stattgefunden, denn ohne solche klinischen Studien wäre das entsprechende Medikament nicht zugelassen worden. Dem sind die Beklagten nicht mehr substantiiert entgegengetreten. So stellt auch das EPA (Seite 12) fest, dass seitens der Einsprechenden keine experimentellen Daten vorgelegt worden sind, die zeigen, dass A nicht wirken würde.
  103. 3.
  104. Ein Widerruf des Klagepatents wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Entgegenhaltung D 17 ist für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ebenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit zu erkennen.
  105. a)
    Die Einspruchsabteilung sieht die von den Parteien im hiesigen Verfahren primär behandelte Entgegenhaltung D 17 als tauglichen Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an (vgl. EPA, Seite 20). Die Kammer kann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Fachmann ausgehend von der D17 zu der beanspruchten Erfindung hingeführt wird und insofern nicht erfinderisch tätig ist, nicht erkennen.
  106. Die D 17 betrifft die Kombination aus einem Somatostatinanalogon und Rapamycin bzw. dessen Derivaten. Die D 17 offenbart ein in vitro-Experiment mit Pankreastumorzellen (Seite 15 unten, Abschnitt B). Ferner benennt sie als Rapamycinderivat ausdrücklich A und verwendet hierfür die Bezeichnung Verbindung B. Unter Abschnitt A (Seite 14 f.) werden die Ergebnisse eines in vitro – Tests offenbart, unter Abschnitt B (Seite 15 f.) die Ergebnisse eines in vivo – Experiments.
  107. Bei dem in-vitro-Experiment wurde nach Gabe der einzelnen Wirkstoffe das Zellvolumen der Tumore mit einer Kontrollgruppe verglichen. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle offenbart:
  108. Aus der oben eingeblendeten Tabelle ist ersichtlich, dass die in vitro-Experimente der D 17 zwar eine Anti-Tumor-Wirkung von A (dort Verbindung B) zeigen, diese aber im Vergleich zu den weiteren getesteten Wirkstoffen bzw. Kombinationen am schlechtesten abschneidet.
  109. Bei dem für den Fachmann aussagekräftigerem in vivo – Experiment wurden die Tumorvolumina einer Kontrollgruppe mit den Tumorvolumina bei der Gabe von Octreotidpamoat allein, A allein, Rapamycin allein, A in Kombination mit Octreotidpamoat sowie Rapamycin in Kombination mit Octreotidpamoat miteinander verglichen. Dabei sind die Wirkstoffwerte nach 4 Wochen abgenommen worden. Die D 17 offenbart die folgende tabellarische Ergebnisübersicht:
  110. Oberhalb dieser tabellarischen Aufstellung heißt es in der D 17 (Seite 16 Mitte):
  111. XXX
  112. aa)
    Nach dem Problem-Solution-Approach, der vom EPA im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit angewendet wird, ist zunächst nach der klagepatentgemäßen Aufgabe und ihrer Lösung zu fragen. In einer Gesamtbetrachtung der Klagepatentschrift stellt sich das Klagepatent die Aufgabe einer wirksamen Therapie von Pankreastumoren und löst diese Aufgabe durch die Gabe von A in der Monotherapie in der Dosierungsform 0,25 bis 10 mg (vgl. auch EPA, S. 20).
  113. Ausgehend hiervon erscheint zweifelhaft, ob der Fachmann ausgehend von der D 17 A als wirksames Anti-Tumor-Mittel in Betracht zöge.
  114. (1)
    Sowohl in dem in vitro- als auch in dem in vivo-Experiment schneidet A in der Monotherapie am schlechtesten ab. Gerade der Unterschied zwischen Einzeldosierung und Kombinationstherapie (A allein Volumen 3685, in Kombination mit Occtreotid Volumen 130) spricht dafür, dass der Fachmann davon weggeführt wird, A in der Monotherapie überhaupt als alternativ wirksames Tumormittel in Betracht zu ziehen. Hierfür ist der Unterschied in den offenbarten Wirkungsgraden zu erheblich. Die D 17 stellt als ihren Kern die Kombination des Somatostatin-Analogon mit einem Rapamycin-Derivat heraus, wenn es auf S. 13 heißt, dass in überraschenderweise festgestellt wurde, dass eine Kombination von zwei Wirkstoffen, von denen angenommen wird, dass sie durch grundverschiedene Mechanismen wirken wie z.B. ein Somatostatin-Analogon und Rapamycin oder ein Derivat davon, kombiniert werden können und synergistisch die Zellhyperproliferation hemmen. Angesichts des Offenbarungsgehalts der D 17 erscheint es der Kammer nachvollziehbar, dass der Fachmann sich im Bereich der Arzneimittelforschung für Indikationen, die in hohem Maße letale Auswirkungen bei den Betroffenen haben, dem vielversprechendsten Wirkstoff zuwenden wird und diesen zu einem klinischen Einsatz bringen möchte. Insofern scheint das Ziel einer effektiven Pankreaskrebsbehandlung die maximale Tumorreduzierung darzustellen. Eine solche offenbart die D 17 mit dem Wirkstoff A in der Monotherapie jedoch nicht. Dass der Fachmann dennoch diesen zum alleinigen Einsatz auswählt, lässt eher auf eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise schließen.
  115. (2)
    Etwas anderes dürfte auch nicht aus dem Umstand folgen, dass die Kontrollmäuse in der D 17 bereits nach 3 Wochen getötet worden waren.
  116. Für die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer ist nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass der Fachmann unter Berücksichtigung des früheren Todes der Kontrollmäuse in dieser Gruppe nicht den in der Tabelle angegebenen Wert von 4020 als Tumorvolumen berücksichtigt hätte, sondern diesen Wert verdoppelt (also 8040) und deshalb aus dem Tumorvolumen von 3685 bei den A-Mäusen auf eine erhebliche Anti-Tumor-Wirkung von A geschlossen und daraufhin die Verbindung als Mono-Wirkstoff in Betracht gezogen hätte.
  117. Aus der Entgegenhaltung D 17 selbst lässt sich eine solche Folgerung nicht ableiten. Zwar wird auf den Umstand hingewiesen, da aber keine weiteren Werte wie z.B. die Tumorgrößen nach einer oder zwei Wochen angegeben sind, fehlen dem Fachmann Daten, aus welchen er ein wöchentliches Tumorwachstum ableiten kann. In diesem Zusammenhang erscheint der Einwand der Klägerinnen plausibel, dass eine hypothetische Verdopplung gerade nicht zwingend ist, sondern der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens ebenso in seine Überlegungen miteinbezieht, dass sich ein sog. Plateaueffekt einstellen kann, der seine Ursache in begrenzten Nährstoffen oder begrenztem Raum haben kann. Die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Kontrollüberlegung, bei einer Verdopplung des Tumors in 7 Tagen sei der D 17 eine signifikante Anti-Tumor-Wirkung mit einem T/C-Wert von 45% bei der Monotherapie mit A zu entnehmen, überzeugt daher nicht, weil der Fachmann eine Verdopplung des Tumors weder aus der D 17 noch zwingend aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zugrunde legt.
  118. Schließlich zieht er einen solchen zwingenden Rückschluss auch nicht aus einer Kombination mit der Entgegenhaltung US 6,XXX,721 B1 (Anlagen B 4-D 18, B 7- D 18 Ü im Verfahren 4a O 110/19; nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 18 bezeichnet). Zwar wird dort im letzten Absatz von Spalte 3 und im ersten Absatz von Spalte 4 ein Experiment beschrieben, bei welchem ebenfalls AR42J Pankreastumorzellen in Mäuse injiziert werden, was dem in vitro-Experiment der D 17 entspricht. In Spalte 4 in den Zeilen 5 ff. heißt es:
  119. XXX
  120. Allerdings heißt es in dem vorherigen Satz:
  121. XXX
  122. Hinsichtlich der Wirkstoffmäuse sind also Beobachtungen in einem Zeitraum von lediglich drei Wochen (eine Woche Verringerung, zwei Wochen Verzögerung) gezeigt. Zum Beobachtungszeitraum der Kontrollmäuse fehlt indes jegliche Zeitangabe. Insofern ist auch hier nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, dass der Pankreastumor auch nach einer Zeitspanne von drei Wochen sein Tumorwachstum weiterhin alle sieben Tage verdoppelt.
  123. (3)
    Schließlich vermögen die teilweise widersprüchlichen Aussagen des EPA zu parallelen Patenten in Bezug auf die D 17 die Kammer nicht zu der Annahme bewegen, dass eine mangelnde Erfindungshöhe ausgehend von der D 17 wahrscheinlich ist. So hat die Prüfungsabteilung zu dem EP XXX (Anlage BK 24b im Verfahren 4a O 54/20) zwar formuliert, dass unter Berücksichtigung des Weiterwachsens der Tumore der Unterschied der Tumorvolumina in der Kontroll- und Substanz-B Gruppe noch größer gewesen wäre und gleiches gelte, wenn beide Werte nach 3 Wochen bestimmt worden wären, wobei daher die D 17 (dort als D 3 bezeichnet) eine signifikante Wirkung auf das Tumorwachstum zeige. Dem steht aber die Entscheidung der Einspruchsabteilung zum EP 3 XXX 995 (Anlage FBD-C 25 im Verfahren 4a O 54/20) entgegen, dass aus der D 17 nicht abgeleitet werden könne, dass A bei der Behandlung von festen Tumoren auf der Grundlage des Xenograft-Modells wirksam ist, da der Effekt auf das Tumorvolumen geringer als der Standardfehler und im Vergleich zur Behandlung mit Rapamycin und Octreotidpamoat am wenigsten wirksam ist und die schlechtesten Ergebnisse liefert.
  124. (4)
    Da die D17 von einem Einsatz des Wirkstoff A eher wegführt, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Fachmann ausgehend von der D 17 als Routinemaßnahme das beanspruchte Dosis-Wirkungsverhältnis ermittelt. Es erscheint zudem fraglich, ob der Fachmann angesichts des Offenbarungsgehalts der D 17 die dort angegebene Tagesdosis noch verringert hätte.
  125. Die D 17 offenbart in Abschnitt C eine Tagesdosis von Rapamycin oder einem Derivat zwischen 0,5 bis 500 mg (D 17, S. 18). In Beispiel B auf Seite 19 wird für eine Formulierung von A z.B. eine Kapsel mit einer Menge von 20 mg A offenbart. Hinsichtlich der offenbarten Tagesdosen weichen Klagepatent und D 17 erheblich voneinander ab (bis zu 25 mg/bis zu 500 mg). Angesichts der in der D 17 offenbarten Tagedosis erscheint fraglich, ob der Fachmann die dort angegebene Einzeldosis, die im Vergleich zur offenbarten maximalen Tagesdosis schon recht niedrig erscheint (bei 500 mg Tagesdosis wären das 25 Tabletten am Tag) überhaupt noch verringert hätte. Die D 17 zeigt darüber hinaus eine Kapseldosierung, welche die beanspruchte maximale Einzeldosis um das Doppelte überschreitet.
  126. Eine Vergleichbarkeit mit dem der Entscheidung „Tadalafil“ zugrundeliegenden Fall (BGH, GRUR 2020, 603) drängt sich schon deswegen nicht auf, weil aufgrund der D 17 keine hinreichende Erfolgsaussicht ersichtlich ist, klinische Studien mit A als Mono-Wirkstoff durchzuführen und dabei routinemäßig ein entsprechendes Dosis-Wirk-Verhältnis zu bestimmen.
  127. b)
    Da die D 17 von der Lehre des Klagepatents weg lehrt, ist einerseits kein Anlass des Fachmanns ersichtlich, diese mit der D 19 (Anlage BK 18 im Verfahren 4a O 54/20) zu kombinieren. Anderseits offenbart auch eine Kombination der D 17 mit der D 19 keine Monotherapie mit A zur Behandlung eines soliden Pankreas-Tumors. Gegenstand der D 19 ist die Verwendung von A zur Linderung und Hemmung von lymphoproliferativen Erkrankungen, vornehmlich Lymphknotenkrebs.
  128. c)
    Auch eine Kombination der D 17 mit dem allgemeinen Fachwissen führt nicht zu einer Vorwegnahme der erfindungsgemäßen Lehre. So kann die technisch nicht fachkundig besetzte Kammer nicht erkennen, dass der Fachmann allein mit dem Wissen der D 17 und Hinweisen, dass Rapamycin und seine Derivate wirksam bei der Behandlung verschiedener Tumorarten sein können und A mTOR durch Bindung an das gleiche Enzym (FKBP-12) wie Rapamycin hemme zur klagepatentgemäßen Lehre gelangen konnte. So hat die Klägerin plausibel eingewendet, dass der Fachmann nicht ohne erfinderisches Zutun A zur Behandlung eines Pankreastumors hätte einsetzen können, da A bis dahin nur als Immunrepressivum bekannt war und sich in Struktur und Funktion von Rapamycin und seinen Derivaten wie z.B. Temsirolimus unterschied.
  129. d)
    Schließlich ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ersichtlich, dass eine Kombination der Entgegenhaltung Shah et al., Journal of Surgical Research 97:123-130 (vorgelegt im Anlagenkonvolut MW 5, D 20, D 20-DE im Verfahren 4a O 111/19, nachfolgend parallel zum Einspruchsverfahren als D 20 bezeichnet) mit der D 17 eine mangende Erfindungshöhe begründen kann. Dies schon deshalb nicht, weil kein Anlass ersichtlich ist, wieso sich der Fachmann ausgehend von D 17 der D 20 zuwenden sollte. Insoweit wird auf die Ausführungen zum Offenbarungsgehalt der D 17 Bezug genommen. Abgesehen davon handelt es sich um bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigten Stand der Technik.
  130. 4.
    Ausgehend von der D 20 ist ebenfalls nicht ersichtlich, wie der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit A als Mono-Wirkstoff zur Verwendung gegen solide Pankreastumore im beanspruchten Dosierungsschema eingesetzt hätte. Die D 20 beschäftigt sich mit der mTOR-Hemmung (dort FRAP genannt, vgl. Abbildung 1 der D 20) von Rapamycin und offenbart, dass Rapamycin das Wachstum von Pankreastumorzellen blockiert (vgl. D 20 DE, S. 128 unten). Auch wenn fraglich ist, ob die D 20 angesichts der D 17 der nächstliegende Stand der Technik ist, man dies aber mit dem EPA (vgl. EPA, S. 20) annimmt, müsste der Fachmann das in der D 20 verwendete Rapamycin durch A ersetzen und in der beanspruchten Dosierung verwenden. Es ist nicht ersichtlich, wie er dies ohne weitergehende erfinderische Überlegungen anstellen sollte.
  131. V.
    Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 Abs. 1 ZPO. Hierbei ist die Klägerin zu 1) im Wege der Gesamtrechtsnachfolge aufgrund der vollzogenen Verschmelzung berechtigt, etwaige Kosten der Klägerin zu 2), die bis zum Verschmelzungszeitpunkt (08.05.2020) entstanden sind, geltend zu machen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO, wobei auf Antrag Teilsicherheiten auszusprechen waren (vgl. § 108 ZPO).
  132. VI.
    Der Streitwert wird auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt.

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