4b O 51/21 – Hydraulikaggregat

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3222

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 30. Juni 2022, Az. 4b O 51/21

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin macht als im Patentregister eingetragene Inhaberin gegen die Beklagte auf die Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 3 XXX 378 (im Folgenden: Klagepatent) gestützte Ansprüche auf Unterlassen, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung sowie Feststellung einer Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht dem Grunde nach geltend.
  6. Das am 07.06.2018 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 17.06.2017 (AT XXX) angemeldete Klagepatent hat ein Hydraulikaggregat für hydraulische Rettungswerkzeuge sowie ein damit ausgestattetes Rettungswerkzeug zum Gegenstand. Die Offenlegung der Anmeldung des Klagepatents datiert vom 22.04.2020, die Veröffentlichung des Hinweises auf die Patenterteilung vom 07.04.2021.
  7. Die hier maßgeblichen Ansprüche 1, 2 und 12 lauten in der erteilten Fassung wie folgt:
  8. „1. Tragbares, akkubetriebenes Hydraulikaggregat (2) für hydraulische Rettungswerkzeuge (1), insbesondere für Spreiz- oder Scherenwerkzeuge, mit wenigstens einer Hydraulikpumpe (18), einem Hydrauliktank (25), einer Ausgleichsvorrichtung (26) für Hydraulikflüssigkeit, einem manuell zu bedienenden, hydraulischen Steuerventil (28), einer elektromechanischen Schnittstelle (15) zur bedarfsweisen An- und Abkopplung von wenigstens einem Ackupack (16), einer mechanisch-hydraulischen Schnittstelle (4) zur Anbindung eines hydraulischen Werkzeuges (3), und mit einem durch die elektrische Energie des Akkupacks (16) betreibbaren Elektromotor (17) zum Antreiben der Hydraulikpumpe (18), dadurch gekennzeichnet, dass der Elektromotor (17) durch einen Scheibenläufermotor (19) gebildet ist, dessen parallel zur Längsachse seiner Abtriebswelle (21) verlaufenden axiale Länge (22) kürzer bemessen ist, als dessen Außendurchmesser (23).“
  9. „2. Hydraulikaggregat nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Scheibenläufermotor (19) als Außenläufermotor mit innenliegendem, feststehenden Stator (31) und außenliegendem, drehbeweglichen Rotor (32) ausgeführt ist, wobei die am Rotor (32) ausgeführte Abtriebswelle (21) den Stator (31) in Axialrichtung der Abtriebswelle (21) durchsetzt.“
  10. „12. Hydraulisches Rettungswerkzeug (1), insbesondere tragbares Spreiz- oder Scherenwerkzeug, welches für eine Bedienung durch nur eine Rettungsperson geeignet ist, mit einem tragbaren, akkubetriebenen Hydraulikaggregat (2) und einem daran angebrachten hydraulischen Werkzeug (3), dadurch gekennzeichnet, dass das Hydraulikaggregat (2) nach einem oder mehreren der vorhergehenden Ansprüche ausgeführt ist.“
  11. Nachfolgend werden zur Verdeutlichung ein erfindungsgemäßes Hydraulikaggregat in teilweiser Schnittansicht gemäß Figur 3 (verkleinert) sowie eine Ausführungsform eines Scheibenläufermotors (als Außenläufermotor) gemäß Figur 4d (verkleinert) wiedergegeben:
  12. Gegen das Klagepatent ist ein von der Beklagten am 3.11.2021 eingeleitetes Einspruchsverfahren anhängig. Die Einspruchsschrift liegt als Anlage OC46 vor.
  13. Das Klagepatent steht in Kraft.
  14. Zwischen den Parteien des hiesigen Rechtsstreits ist ein weiteres auf das hiesige europäische Patent gestütztes Verletzungsverfahren vor dem Handelsgericht Wien (Az.: GZ 49Cg45/21s) anhängig, das derzeit wegen des laufenden Rechtsbestandsverfahrens ausgesetzt ist.
  15. Die Beklagte stellt her, bietet an und vertreibt Rettungsgeräte der Geräteserie „A“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Hierzu gehören insbesondere Schneidegeräte, Kombigeräte und Rettungszylinder. Die zu der Geräteserie gehörigen Rettungsgeräte unterscheiden sich im Wesentlichen lediglich durch das an der hydraulisch-mechanischen Schnittstelle angeschlossene Werkzeug. Mit Blick auf die für die technische Lehre des Klagepatents maßgebliche Ausgestaltung liegen Unterschiede nicht vor.
  16. Das Hydraulikaggregat der angegriffenen Ausführungsform sieht wie folgt aus:
  17. Die angegriffene Ausführungsform ist mit einem bürstenlosen Motor ausgestattet. Dieser sieht in ausgebautem (linke Abbildung) und zerlegtem (rechte Abbildung) Zustand wie folgt aus:
  18. .
  19. Im August 2021 brachte die Beklagte zudem eine neue als „B“ bezeichnete Serie von Rettungsgeräten (Schneidgeräte, Spreizer, Kombigeräte und Rettungszylinder) mit akkubetriebenem Hydraulikaggregat auf den Markt.
  20. Bei der angegriffenen „A“-Produktreihe handelt es sich um die im Jahre 2020 eingeführte dritte Generation der von der Beklagten vertriebenen elektrischen Rettungswerkzeuge. Im Jahre 2010 brachte die Beklagte zunächst die erste Generation ihrer elektrischen Rettungsgeräte (im Folgenden auch: C-Serie) auf den Markt und verkaufte diese in dem Zeitraum 2010 bis 2014. Im Jahre 2014 gelangte die zweite Generation elektrischer Rettungsgeräte (im Folgenden auch: D-Serie) auf den Markt, die die Beklagte bis in das Jahr 2021 vertrieb. Bei dieser kam – anders als bei der angegriffenen Ausführungsform – noch ein Bürstenmotor zum Einsatz.
  21. Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform sowie die Produkte der B-Serie würden von der Lehre des Klagepatents unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch machen.
  22. In diesem Zusammenhang behauptet die Klägerin unter Bezugnahme auf nachfolgend wiedergegebene Abbildung,
  23. der Tank der angegriffenen Ausführungsform werde durch einen zylindrischen Metallkörper gebildet, daran angebunden sei das als Ausgleichsvorrichtung zu qualifizierende elastische Bauteil. Technisch müsse der zylindrische Metallkörper zwingend als Hydrauliktank zur Bevorratung von Hydrauliköl dienen, weil das Gerät andernfalls nicht funktionieren würde.
  24. Jedenfalls aber liege ein Hydrauliktank in Form des soeben in Bezug genommenen und von der Beklagten als flexibler Gummi-Tank qualifizierten Bauteils vor.
  25. Weiter handele es sich bei dem „bürstenlosen Motor“ der angegriffenen Ausführungsform um einen Scheibenläufermotor im Sinne der Lehre des Klagepatents.
  26. Aus der Beschreibung des Klagepatents folge, dass auch Außenläufermotoren mit einem im Wesentlichen U-förmigen Querschnitt (wie Figur 2 der Klagepatentschrift) Scheibenläufermotoren im Sinne der Lehre des Klagepatents seien. Der Scheibenläufermotor solle danach „wie ein Außenläufermotor“ ausgebildet sein.
  27. Im Hinblick auf die B-Produktserie behauptet die Klägerin, diese unterscheide sich von der angegriffenen Ausführungsform („A“-Produktserie) lediglich durch ein – für die Verwirklichung der Lehre des Klagepatents nicht bedeutsames – Anzeige- und Bedienfeld, das vor dem manuell zu bedienenden, hydraulischen Steuerventil angebracht sei und von der Beklagten als „XXX“ beworben werde.
  28. Hiervon ausgehend würden auch die Geräte der B-Produkterie – mit denselben Erwägungen wie für die angegriffene Ausführungsform – das Klagepatent verletzen.
  29. Die Beklagte könne sich auch nicht auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen.
  30. Die technische Lehre sei zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (12.06.2017) noch nicht objektiv fertig gewesen, vielmehr habe die Beklagte erst im Herbst 2018 Erfindungsbesitz gehabt, wie eine PCT-Anmeldung aus November 2018 zeige.
  31. Bei den von der Beklagten vorgelegten CAD-Skizzen handele es sich zudem lediglich um unfertige Integrationsstudien, diese bloß vorbereitenden Tätigkeiten hätten dazu gedient, die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der darin niedergelegten Ausgestaltung zu erforschen.
  32. Zudem sei der Vorbenutzungsgegenstand im Vergleich zur angegriffenen Ausführungsform noch wesentlich verändert worden, weil – insoweit unstreitig – bei dem vorbenutzten Gegenstand die Leistungselektronik zur Steuerung des Motors („Kommutierungsschaltung“) direkt an dem Motor angebracht werden sollte, während sie bei der angegriffenen Ausführungsform räumlich getrennt von dem Motor angebracht sei. Daraus ergebe sich – insoweit unstreitig – ein Vorteil insoweit, dass aufgrund der räumlichen Trennung von Kommutierungsschaltung und Motor eine wechselseitig thermische Belastung dieser Komponenten deutlich reduziert werden könne.
  33. Unbeschadet dessen könne ein Vorbenutzungsrecht allenfalls im Hinblick auf ein Schneidgerät, nicht im Hinblick auf die anderen streitgegenständlichen Rettungswerkzeuge (Kombigerät, Spreizer und Rettungszylinder) bestehen.
  34. Die Verhandlung sei schließlich auch nicht auszusetzen. Denn die Vernichtung des Klagepatents sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
  35. Die Klägerin beantragt,
  36. I. die Beklagte zu verurteilen,

    1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,

  37. a) tragbare, akkubetriebene Hydraulikaggregate für hydraulische Rettungswerkzeuge, insbesondere für Spreiz- oder Scherenwerkzeuge,
  38. mit wenigstens einer Hydraulikpumpe, einem Hydrauliktank, einer Ausgleichsvorrichtung für Hydraulikflüssigkeit, einem manuell zu bedienenden, hydraulischen Steuerventil, einer elektromechanischen Schnittstelle zur bedarfsweisen An- und Abkopplung von wenigstens einem Akkupack, einer mechanisch-hydraulischen Schnittstelle zur Anbindung eines hydraulischen Werkzeuges, und mit einem durch die elektrische Energie des Akkupacks betreibbaren Elektromotor zum Antreiben der Hydraulikpumpe,
  39. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  40. bei denen der Elektromotor durch einen Scheibenläufermotor gebildet ist, dessen parallel zur Längsachse seiner Abtriebswelle verlaufende axiale Länge kürzer bemessen ist, als dessen Außendurchmesser,
  41. wobei der Scheibenläufermotor als Außenläufermotor mit innenliegende, feststehenden Stator und außenliegendem, drehbeweglichen Rotor ausgeführt ist, wobei die am Rotor ausgeführte Abtriebswelle den Stator in Axialrichtung der Abtriebswelle durchsetzt,
  42. Anspruch 2,
  43. b) hydraulische Rettungswerkzeuge, insbesondere tragbare Spreiz- oder Scherenwerkzeuge, welche für eine Bedienung durch nur eine Rettungsperson geeignet sind, mit einem tragbaren, akkubetriebenen Hydraulikaggregat und einem daran angebrachten hydraulischen Werkzeug,
  44. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  45. bei denen das Hydraulikaggregat gemäß Ziffer I. 1. Lit. a) ausgeführt ist,
  46. Unteranspruch 2;
  47. 2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten und nach Typen gegliederten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 07.04.2021 begangen hat, und zwar unter Angabe
  48. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
  49. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  50. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  51. wobei die Beklagte Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine in Kopie vorzulegen hat,
  52. wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  53. 3. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten und nach Typen gegliederten Verzeichnisses in elektronischer Form vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22.05.2020 begangen hat, und zwar unter Angabe
  54. a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
  55. b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
  56. c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  57. d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  58. e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  59. wobei die Angaben unter lit. e) nur für die Zeit seit dem 07.05.2021 zu machen sind,
  60. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist,
  61. wobei (freiwillige) Feuerwehren als gewerbliche Abnehmer gelten;
  62. 4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/ oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I. 1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;
  63. II. festzustellen,
  64. 1. dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 22.05.2020 bis zum 06.05.2021 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen,
  65. 2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 07.05.2021 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  66. Die Beklagte beantragt,
  67. die Klage abzuweisen;
  68. hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbestand des Klagepatents im Einspruchsverfahren auszusetzen.
  69. Die Beklagte ist der Auffassung, die angegriffene „A“-Produktserie verletze das Klagepatent nicht. Eine Verletzung der angegriffenen Geräte der Produktserie B sei schon nicht substantiiert vorgetragen, zudem willige sie, die Beklagte, in die sich dadurch ergebende Änderung des Streitgegenstandes nicht ein.
  70. Der von der Klägerin in Bezug genommene als Pumpgehäuse fungierende Metallkörper der angegriffenen Ausführungsform könne nicht als Hydrauliktank verstanden werden. Nur weil sich zwangsläufig etwas Hydraulikflüssigkeit in der Pumpe absetzen könne, werde diese nicht zu einem als Hydraulikflüssigkeit bevorratenden Tank. Würde man zudem den Metallkörper als Pumpgehäuse qualifizieren, würde es der angegriffenen Ausführungsform an einer Pumpe fehlen.
  71. Der angegriffenen Ausführungsform fehle es aber auch an einem Scheibenläufermotor im Sinne der Lehre des Klagepatents. Bei dem Elektromotor der angegriffenen Ausführungsformen handele es sich vielmehr um einen herkömmlichen Gleichstrommotor. Weder aus der Dimensionierung des Motors der angegriffenen Ausführungsformen noch aus der Eigenschaft als „bürstenloser Motor“ könne zwingend auf einen Scheibenläufermotor geschlossen werden.
  72. Das Klagepatent sehe die Dimensionierung des Scheibenläufermotors zusätzlich zu weiteren spezifischen Eigenschaften, die der Fachmann einem Scheibenläufermotor seinem allgemeinen Fachverständnis nach beimesse, vor. Dieses Fachverständnis lege er auch im Hinblick auf die Lehre des Klagepatents zugrunde.
  73. Hiervon ausgehend unterscheide sich der Motor der angegriffenen Ausführungsform im Hinblick auf die folgenden Eigenschaften von einem Scheibenläufermotor: Der Rotor der angegriffenen Ausführungsform sei – insoweit unstreitig – hohlzylinderförmig, nicht scheibenförmig, ausgestaltet. Des Weiteren weise der Motor – insoweit ebenfalls unstreitig – keinen ebenen, sondern einen zylindrischen Luftspalt auf und letztlich seien die Dauermagnete – ebenfalls unstreitig – nicht in einer Ebene gegenüber einer Läuferscheibe angeordnet, vielmehr seien diese in radialer Richtung nebeneinander angeordnet.
  74. Selbst dann, wenn die Lehre des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht werde, könne sie, die Beklagte, sich auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen.
  75. Sie, die Beklagte, habe bereits im April 2017 Erfindungsbesitz gehabt.
  76. In diesem Zusammenhang behauptet sie, man habe ab dem Jahre 2016 die Entwicklung einer neuen Serie („B-Serie“) angestrebt, wobei insbesondere der Bürstenmotor der D-Produktserie durch einen bürstenlosen Motor habe ersetzt werden sollen, um die Geräte insgesamt kompakter gestalten zu können. Im Dezember 2016 habe man sich auf die Suche nach einem geeigneten Motor begeben und sei in diesem Zusammenhang auf den Motor „XXX“ (im Folgenden: XXX) der Firma E GmbH aus Unterföhring, mittlerweile ein Konzernunternehmen der in der Schweiz ansässigen F (im Folgenden: F), gestoßen.
  77. Am 20.01.2017 habe F bei einem Besuch der Beklagten den XXX präsentiert (PowerPoint Präsentation vorgelegt als Anlage OC11; deutsche Übersetzung: Anlage OC11d) und ihr, der Beklagten, am 24.01.2017 ein 3D-Modell der Rotor-Stator-Einheit zur Einbauuntersuchung (Anlage OC15) zukommen lassen. Am 09.03.2017 habe sie dann eine Prototypenleihgabe des XXX erhalten, um damit in dem Zeitraum vom 24.03. – 28.03.2017 Tests durchzuführen (Abbildungen der Testungen vorgelegt als Anlage OC20). Bereits der Test-Aufbau habe alle Merkmale der erfindungsgemäßen Lehre aufgewiesen.
  78. Am 04.04.2017 sei ein Zeitplan für die Verbindung des XXX mit der Hydraulikpumpe der Beklagten festgelegt worden und es sei eine Geheimhaltungsvereinbarung mit F geschlossen worden, um einen Elektromotor mit elektrischer Steuerung für Rettungsgeräte zu entwickeln (Anlage OC24).
  79. Am 11.05.2017 habe Herr G, Vice Presidnet Engineering der H GmbH, der Muttergesellschaft der Beklagten, die Verwendung des XXX für die dritte Generation der Rettungsgeräte der Beklagten bestätigt. Am 17.05.2017 sei die erste Prototypenzeichnung des Gehäuses der Hydraulikpumpe (Anlage OC32) entstanden, die vorgesehen habe, dass der Hydrauliktank mit dem Pumpengehäuse verklebt werden könne. Sodann, am 19.05.2017, sei an der Konzeption des Motorschafts zur Einpassung des XXX in das Pumpengehäuse gearbeitet worden.
  80. Jedenfalls aber sei die Aussetzung der Verhandlung geboten, weil die Vernichtung des Klagepatents wahrscheinlich sei.
  81. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 24.05.2022 verwiesen.
  82. Entscheidungsgründe
  83. Die zulässige Klage ist unbegründet.
    Das Klagepatent verletzt die angegriffene Ausführungsform (dazu unter Ziff. III.), zu der auch durch die Geräte der Produktserie B gehören (dazu unter Ziff. I.). Jedoch ist die Beklagte aufgrund eines ihr zustehenden privaten Vorbenutzungsrechts befugt, die klagepatentgemäße Erfindung für die Bedürfnisse ihres eigenen Betriebs zu nutzen (dazu unter Ziff. IV.).
  84. I.
    Die Klägerin hat mit ihrer Replik in prozessual zulässiger Weise die Geräte der Produktserie B eingeführt. Insoweit liegt schon keine Änderung des Streitgegenstandes in Form einer objektiven Klageerweiterung vor, die an der Vorschrift des § 263 ZPO zu messen wäre.
  85. Bei den Geräten der Produktserie B handelt es sich um keinen zusätzlichen, mithin neuen, Streitgegenstand.
  86. Der Streitgegenstand der Patentverletzungsklage wird regelmäßig im Wesentlichen durch die üblicherweise als angegriffene Ausführungsform bezeichnete tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs bestimmt (BGH, GRUR 2012, 485, Rn. 19 – Rohrreinigungsdüse II). Entscheidend für die Bestimmung der angegriffenen Ausführungsform ist damit die technische Ausgestaltung, nicht die Versions- oder Produktnummer (Zigann/ Werner, in: Cepl/ Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, 2018, § 253, Rn. 121). Die Identität des Klagegrundes wird erst aufgehoben, wenn dieser Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts durch neue Tatsachen verändert wird (BGH; ebd., Rn. 19).
  87. Orientiert an dieser Maßgabe liegt hier kein neuer Streitgegenstand vor.
  88. Der Vortrag der Klägerin ist vielmehr darauf gestützt, dass die B-Geräte hinsichtlich der für die Merkmalsverwirklichung maßgeblichen technischen Ausgestaltung mit derjenigen der ursprünglich eingeführten Produktserie mit der Bezeichnung „A“ identisch sind. Die demgegenüber veränderte Konstruktion des Anzeige- und Bedienfeldes hat für die Frage der Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre keine Relevanz. Anderes trägt auch die Beklagte nicht vor. Sofern in dem Vortrag der Beklagten anklingt, dass sich die „A Serie“ noch in anderer Hinsicht von der B-Serie unterscheide, lässt sich dem eine mit Blick auf die Merkmalsverwirklichung abgeänderte Ausgestaltung, die die Einordnung als neuen Streitgegenstand rechtfertigen würde, nicht entnehmen.
  89. II.
    Das Klagepatent hat ausweislich seines einleitenden Beschreibungsteils ein tragbares, akkubetriebenes Hydraulikaggregat für hydraulische Rettungswerkzeuge, insbesondere Spreiz- oder Scherenwerkzeuge, sowie ein mit einem solchen Hydraulikaggregat ausgestattetes Rettungswerkzeug zum Gegenstand (Abs. [0001] des Klagepatents; Abschnitte ohne Bezeichnung sind im Folgenden solche des Klagepatents).
  90. Im Hinblick auf die Rettungswerkzeuge, die häufig von der Feuerwehr, dem technischen Hilfsdienst oder Sondereinsatzkommandos verwendet würden, sei eine rasche Einsatzbereitschaft wichtig, weshalb angestrebt werde, die Hilfsmittel portabel bzw. tragbar auszuführen und möglichst leichtgewichtig umzusetzen (Abs. [0002]). Des Weiteren seien vorbekannte Hydraulikaggregate zum Aktivieren der hydraulischen Rettungswerkzeuge vermehrt mit elektrochemischen Energiespeichern, insbesondere Akkumulatoren, betreibbar, um diese von Stromgeneratoren bzw. Stromversorgungsnetzen autark zu handhaben (Abs. [0002]). Es seien tragbare, akkubetriebene Hydraulikaggregate bekannt, die mit dem jeweiligen hydraulisch betätigbaren Werkzeug dauerhaft befestigt bzw. montiert seien (Abs. [0002]). Durch möglichst ergonomisch angebrachte Handgriffe bzw. Griffabschnitte könne ein solches Rettungswerkzeug von nur einer Person bedient und zweckmäßig eingesetzt werden (Abs. [0002]). Der grundsätzlich technische Aufbau eines gattungsgemäßen, vorbekannten Rettungswerkzeugs sei beispielsweise in der WO 2016/XXX A1 offenbart (Abs. [0003]; Schrift hier vorgelegt als Anlage OC1).
  91. Ausgehend von dem dargestellten Stand der Technik macht es sich das Klagepatent zur Aufgabe (technisches Problem), ein verbessertes, hydraulisches Rettungswerkzeug zu schaffen, insbesondere dessen Handhabung weiter zu optimieren und trotzdem eine möglichst hohe Leistungsfähigkeit zu erzielen (Abs. [0004]).
  92. Diese Aufgabe wird durch ein Hydraulikaggregat gemäß der hier geltend gemachten Kombination der Ansprüche 1 und 2, deren Merkmale sich gegliedert wie folgt darstellen lassen, umgesetzt:
  93. 1.1 Tragbares, akkubetriebenes Hydraulikaggregat (2) für hydraulische Rettungswerkzeuge (1), insbesondere für Spreiz- oder Scherenwerkzeuge, mit
  94. 1.2 wenigstens einer Hydraulikpumpe (18),
  95. 1.3 einem Hydrauliktank (25),
  96. 1.4 einer Ausgleichsvorrichtung (26) für Hydraulikflüssigkeit,
  97. 1.5 einem manuell zu bedienenden, hydraulischen Steuerventil (28),
  98. 1.6 einer elektromechanischen Schnittstelle (15) zur bedarfsweisen An- und Abkopplung von wenigstens einem Akkupack (16),
  99. 1.7 einer mechanisch-hydraulischen Schnittstelle (4) zur Anbindung eines hydraulischen Werkzeugs (3), und
  100. 1.8 mit einem durch die elektrische Energie des Akkupacks (16) betreibbaren Elektromotor (17) zum Antreiben der Hydraulikpumpe (18),
  101. dadurch gekennzeichnet, dass
  102. 1.9 der Elektromotor (17) durch einen Scheibenläufermotor (19) gebildet ist,
  103. 1.10 dessen parallel zur Längsachse seiner Abtriebswelle (21) verlaufende axiale Länge (22) kürzer bemessen ist, als dessen Außendurchmesser (23).
  104. 2.1 Der Scheibenläufermotor (19) ist als Außenläufermotor mit innenliegendem, feststehenden Stator (31) und außenliegendem, drehbeweglichen Rotor (32) ausgeführt, wobei die am Rotor (32) ausgeführte Abtriebswelle (21) den Stator (31) in Axialrichtung der Abtriebswelle (21) durchsetzt.
  105. Anspruch 12 kann wie folgt gegliedert werden:
  106. 12.1 Hydraulisches Rettungswerkzeug (1), insbesondere tragbares Spreiz- oder Scherenwerkzeug,
  107. 12.2 welches für eine Bedingung durch nur eine Person geeignet ist,
  108. 12.3 mit einem tragbaren, akkubetriebenen Hydraulikaggregat (2), mit
  109. 12.3.1 wenigstens einer Hydraulikpumpe (18),
  110. 12.3.2 einem Hydrauliktank (25),
  111. 12.3.3. einer Ausgleichvorrichtung (26) für Hydraulikflüssigkeit,
  112. 12.3.4 einem manuell zu bedienenden, hydraulischen Steuerventil (28),
  113. 12.3.5 einer elektromechanischen Schnittstelle (15) zur bedarfsweisen An- und Abkopplung von wenigstens einem Akkupack (16),
  114. 12.3.6 einer mechanisch-hydraulischen Schnittstelle (4) zur Anbindung eines hydraulischen Werkzeugs (3), und
  115. 12.3.7 mit einem durch die elektrische Energie des Akkupacks (16) betreibbaren Elektromotor (17) zum Antreiben der Hydraulikpumpe (18), wobei
  116. 12.3.7.1 der Elektromotor (17) durch einen Scheibenläufermotor (19) gebildet ist,
  117. 12.3.7.2 dessen parallel zur Längsachse seiner Abtriebswelle (21) verlaufende axiale Länge (22) kürzer bemessen ist, als dessen Außendurchmesser (23), und
  118. 12.3.7.3. der Scheibenläufermotor (19) als Außenläufermotor mit innenliegendem, feststehenden Stator (31) und außenliegendem, drehbeweglichen Rotor (32) ausgeführt ist,
  119. 13.3.7.4 und die am Rotor (32) ausgeführte Abtriebswelle (21) den Stator (31) in Axialrichtung der Abtriebswelle (21) durchsetzt,
  120. 12.4 und einem daran angebrachten hydraulischen Werkzeug (3).
  121. III.
    Die angegriffenen Produktserien „A“ und „B“ machen von der Lehre des Klagepatents (Anspruch 2 und Anspruch 12) unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  122. 1.
    Die nachfolgenden Ausführungen zur Verletzung beziehen sich sowohl auf die Geräte der Produktserie „A“ als auch auf diejenigen der B-Produktserie (nachfolgend zusammenfassend als angegriffene Ausführungsform bezeichnet).
  123. Die Darlegung der Verletzung des Klagepatents durch eine bestimmte, von dem Beklagten benutzte Ausgestaltung obliegt im Patentverletzungsprozess nach den allgemeinen Grundsätzen dem Kläger, der Rechte aus der Verletzung seines Schutzrechts herzuleiten gedenkt. In diesem Zusammenhang genügt zunächst – ohne Gegenvortrag des vermeintlichen Verletzers – die konkrete Behauptung, die angegriffene Ausführungsform mache von jedem Merkmal des Patentanspruchs Gebrauch (OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.01.2017, Az.: I-2 U 41/12, GRUR-RS 2017, 102029, Rn.104). Bestreitet der Beklagte daraufhin die Verwirklichung einzelner Merkmale – wofür zunächst spiegelbildlich zu dem klägerischen Vortrag pauschaler Vortrag genügt – ist der Kläger gehalten, seinen Verletzungsvorwurf weiter auszuführen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Tut er dies, erhöhen sich auch für den Beklagten die Anforderungen an sein Bestreiten. Das bedeutet aber nicht, dass der Beklagte dann, wenn es an substantiiertem Klägervortrag fehlt, das Gericht und den Kläger über den wirklichen Verletzungstatbestand unterrichten muss (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  124. Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich der Vortrag der Klägerin, die Geräte der Serie „B“ würden sich von denjenigen der Produktserie „A“ in den für die Lehre des Klagepatents maßgeblichen Gestaltungsmerkmalen nicht unterscheiden, sondern würden lediglich ein abweichendes Anzeige- und Bedienfeld aufweisen, als ausreichend. Die Beklagte ist diesem Vorbringen nicht in prozessual erheblicher Weise entgegengetreten, indem sie lediglich den Vortrag der Klägerin als unzureichend qualifiziert. Die Beklagte stellt damit insbesondere Vortrag der Klägerin, wonach die konstruktiven Details, die für die Merkmalsverwirklichung bedeutsam sind, übereinstimmen, nicht in Abrede.
  125. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform ist mit einem Hydrauliktank (Merkmal 1.3 bzw. Merkmal 12.3.2) und einer Ausgleichsvorrichtung (Merkmal 1.4 bzw. Merkmal 12.3.2) ausgestattet.
  126. Die tatsächliche Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ist zwischen den Parteien jedenfalls insoweit unstreitig als diese mit einem voluminösen flexiblen (aus Gummi bestehenden) Bauteil ausgestattet ist, der Hydraulikflüssigkeit beinhaltet (vgl. nachfolgende Abbildung):
  127. .
  128. Dieses Bauteil fungiert mithin als Hydrauliktank im Sinne der Lehre des Klagepatents, das heißt als Hohlkörper (Abs. [0012], S. 3, Z. 27: „Gehäuse“), der der Bevorratung bzw. Aufnahme einer ausreichenden Menge an Hydraulikflüssigkeit und der Versorgung der hydraulischen Werkzeuge mit dem Arbeitsmedium dient (Abs. [0028], S. 5, Z. 53f.).
  129. In diesem Bauteil ist zugleich die klagepatentgemäße Ausgleichsvorrichtung zu erblicken. Dem steht nicht entgegen, dass Hydrauliktank und Ausgleichsvorrichtung durch ein- und dasselbe Bauteil gebildet werden. Dies lässt die Lehre des Klagepatents zu.
  130. Zwar benennt der Anspruchswortlaut den „Hydrauliktank“ und die „Ausgleichsvorrichtung“ als Vorrichtungsbestandteile gesondert, sieht darüber hinaus aber keine räumlich-körperlichen Vorgaben im Hinblick auf diese Bestandteile vor, die eine separate Ausgestaltung dieser verlangen. Zwar heißt es in der Beschreibung, dass die Ausgleichsmembran der Ausgleichsvorrichtung „innerhalb“ des Hydrauliktanks angeordnet sei (Abs. [0016], S. 4, Z. 16), im Hinblick auf eine solche Ausgestaltung ist jedoch zu beachten, dass es sich um eine bevorzugte Ausführungsform handelt, die gerade keinen Eingang in den Anspruchswortlaut gefunden hat. Der Anspruchswortlaut benennt die einzelnen Bestandteile des geschützten Aggregats vielmehr lediglich aufzählungsartig.
  131. Auch die gebotene technisch-funktionale Betrachtung zwingt zu keinem Verständnis, wonach die in Rede stehenden Elemente durch unterschiedliche Bauteile gebildet werden. Der Hydrauliktank dient der Aufbewahrung (Speicherung) der Hydraulikflüssigkeit (Abs. [0016], S. 4, Z. 14f. „im Hydrauliktank vorliegende Menge Hydraulikflüssigkeit“). Die Ausgleichsvorrichtung dient dazu, Volumenveränderungen dieser im Tank befindlichen Hydraulikflüssigkeit auszugleichen (Abs. [0016], S. 4, Z. 14f. und Abs. [0029], S. 6, Z. 9f.), so dass ein lageunabhängiger Betrieb des Hydraulikaggregats gewährleistet ist (Abs. [0029], S. 6, Z. 4f.). Zudem erfüllt sie eine Dichtungsfunktion für die Hydraulikflüssigkeit (Abs. [0029], S. 6, Z. 10f. und Abs. [0039], S. 7, Z. 27 – Z. 29). Dem Fachmann erschließt sich dabei, dass der Hydrauliktank und die Ausgleichsvorrichtung grundsätzlich voneinander unterscheidbare Funktionen erfüllen, wobei sich die Funktionen auch dort überschneiden, wo der Ausgleichsvorrichtung eine Dichtungsfunktion zukommt. Denn insoweit leistet auch sie einen Beitrag dazu, die Hydraulikflüssigkeit zu halten. Gleichzeitig erkennt der Fachmann aber auch, dass insbesondere die Ausgleichsvorrichtung ihre Funktion nur dann erfüllen kann, wenn sie sich in unmittelbarer räumlich-körperlicher Nähe zu dem Hydrauliktank befindet. In der Klagepatentbeschreibung heißt es deshalb, wenn auch nur im Zusammenhang mit einem Ausführungsbeispiel, die Ausgleichsvorrichtung sei dem Hydrauliktank „zugeordnet“ (Abs. [0029], S. 6, Z. 5). Die Ausgestaltung der beiden Vorrichtungsbestandteile durch ein Bauteil stellt sich dann als die intensivste Form der räumlich-körperlichen Zuordnung der beiden zueinander dar.
  132. In diesem Zusammenhang ist weiter hervorzuheben, dass das Klagepatent den Gedanken einer – zumindest teilweisen – baueinheitlichen Ausgestaltung einzelner Vorrichtungsbestandteile ausdrücklich kennt und als vorzugswürdig offenbart. In Abschnitt [0017] wird etwa eine Ausführungsform geschildert, bei welcher ein Teilabschnitt des Scheibenläufermotors zugleich einen baulichen Begrenzungsabschnitt des Hydrauliktanks bzw. der Ausgleichsvorrichtung bildet (Abs. [0017], S. 4, Z. 23 – Z. 26). Hiermit verbindet das Klagepatent – vor dem Hintergrund der angestrebten vereinfachten Handhabung – die zusätzlichen Vorteile einer Gewichtseinsparung bzw. einer Reduzierung der erforderlichen Komponenten des Hydraulikaggregats (Abs. [0017], S. 4, Z. 28f.). Dieser Aspekt findet auch im Folgenden noch im Zusammenhang mit anderen, für das hiesige Auslegungsproblem nicht relevanten Ausgestaltungen Erwähnung (Abs. [0034], S. 6, Z. 49f.). Ein solcher Vorteil scheint gerade auch dann verwirklicht, wenn Hydrauliktank und Ausgleichsvorrichtung durch ein- und denselben Vorrichtungsbestandteil gebildet sind.
  133. Schließlich ist zu beachten, dass ein elastisch nachgiebiges oder elastisch verstellbares Material als für die Ausgestaltung der Ausgleichsvorrichtung vorzugswürdig beschrieben wird (Abs. [0029], S. 6, Z. 7). Auch eine Vorrichtung, die die Hydraulikflüssigkeit bevorratet, kann aus einem derartigen Material, etwa Gummi, bestehen. Dann aber spricht aus Sicht der geschützten Lehre nichts dagegen, die beiden Vorrichtungsbestandteile auch materialeinheitlich als ein Bauteil auszugestalten.
  134. 3.
    Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.9 bzw. Merkmal 12.3.7.1 unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch, das heißt, sie weist einen Scheibenläufermotor auf.
  135. a)
    Merkmal 1.9 sieht vor, dass der Elektromotor des geschützten Hydraulikaggregats als Scheibenläufermotor ausgestaltet ist.
  136. Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass der Fachmann bei der Auslegung der geschützten Lehre sein allgemeines Verständnis von dem Begriff „Scheibenläufermotor“ zugrunde legt, weshalb ein unauflösbarer Widerspruch zur Ausgestaltung eines solchen Motors als Außenläufermotor bestehe, fehlt es in dem für die Auslegung heranzuziehenden Material (Anspruchswortlaut, Beschreibung, Zeichnungen) dafür nicht nur an Anhaltspunkten, sondern enthält die Klagepatentschrift einen dem entgegenstehenden Inhalt.
  137. aa)
    In der Klagepatentschrift offenbarte Ausführungsbeispiele weisen den Fachmann darauf hin, dass es – anders als nach dem allgemeinen Verständnis – auf eine scheibenförmige Ausgestaltung des Läufers, der als Rotor fungiert, ebenso wenig ankommt, wie darauf, dass einem so konzipierten Läufer Dauermagnete gegenüber liegen, wodurch ein charakteristischer ebener – anstelle eines zylindrischen – Luftspalts entsteht.
  138. Das Klagepatent gibt mit Unteranspruch 2, der nunmehr sogar den hier zugrundeliegenden Anspruchswortlaut mitbestimmt, und den Abschnitten [0008] und [0032] zu erkennen, dass ein Scheibenläufermotor als Außenläufermotor mit einem innenliegenden, feststehenden Stator und einem außenliegendem, drehbeweglichen Rotor ausgeführt sein kann (Abs. [0008], S. 2, Z. 44f.; Abs. [0032], S. 6, Z. 22f.). Eine solche Ausführungsform ist auch in den Figuren 4a – 4d des Klagepatents illustriert. Weiter, so heißt es in Unteranspruch 3 und Abschnitt [0009], könne der Scheibenläufermotor auch als sog. Glockenläufermotor „mit glockenförmigem Rotor bzw. im Querschnitt im Wesentlichen U-förmigen Rotor“ ausgestaltet sein (Abs. [0009], S. 2, Z. 56f.). Bei einer solchen Ausführungsform umgebe der „im Wesentlichen hohlzylindrische Mantelabschnitt des Rotors die zylindrische Mantelfläche des Stators (Abs. [0032], S. 6, Z. 28f.).
  139. Diese konkreten Ausgestaltungen nehmen so gerade Abstand von einem streng scheibenförmigen Rotor.
  140. bb)
    Auch die Aufgabenstellung deutet nicht darauf hin, dass es der geschützten Lehre auf die in den dem allgemeinen Fachverständnis verankerten Konstruktionsdetails (scheibenförmiger Rotor, ebener Luftspalt) ankommt.
  141. Die Beklagte trägt vor, dass mit den soeben in Bezug genommenen Eigenschaften eines Scheibenläufermotors im Sinne des allgemeinen Fachverständnisses eine gute Wärmeabfuhr einhergeht.
  142. Auf eine solche aber kommt es dem Klagepatent nicht erfindungswesentlich an. In der subjektiven Aufgabenbeschreibung in Abschnitt [0004] findet ein solcher Vorteil eines Scheibenläufermotors keine Erwähnung. Es deutet auch im Übrigen nichts darauf hin, dass die geschützte Lehre dies objektiv zu leisten im Stande ist. Eine gute Wärmeabfuhr wird in der Klagepatentschrift schließlich auch nicht als zusätzlicher Vorteil gewürdigt.
  143. Ausgehend davon, dass das Klagepatent anstrebt, die Handhabung des hydraulischen Rettungswerkzeugs bei möglichst hoher Leistungsfähigkeit zu verbessern (Abs. [0004]), kann noch erwogen werden, ob der Fachmann aus seinem allgemeinen Fachverständnis von einem Scheibenläufermotor die Vorstellung übernimmt, dass dieser ohne einen Metallkern ausgestaltet ist. Einer abschließenden Entscheidung bedarf dies aber für die Beurteilung der Verletzungsfrage im Hinblick auf die hier angegriffene Ausführungsform nicht (dazu nachfolgend unter lit. b)).
  144. Für ein solches Verständnis spricht, dass die Beschreibung offenlegt, dass die Lehre mit dem Einsatz eines Scheibenläufermotors ein günstiges Leistungsgewicht verbindet, das heißt dieser bei einer bestimmten Antriebsleistung eine relativ niedrige Masse aufweist (Abs. [0006], S. 2, Z. 34 – Z. 36). Diese Eigenschaft korrespondiert damit, dass das geschützte Hydraulikaggregat (und in der Folge auch das von diesem betriebene Rettungswerkzeug) erfindungsgemäß „tragbar“ ist (vgl. Merkmal 1.) und erfindungswesentlich eine Verbesserung der Handhabung erzielt werden soll (Abs. [0004]). Ein solches günstiges Leistungsgewicht ergibt sich nach dem von der Beklagten vorgelegten Unterlagen, die das allgemeine Fachverständnis in dem hier maßgeblichen Prioritätszeitpunkt widerspiegeln, zuvorderst daraus, dass herkömmliche Elektromotoren (so die Terminologie des Klagepatents auf Seite 5, Zeile 44; die Beklagte spricht insoweit von „herkömmlichem Gleichstrommotor“) üblicherweise einen Eisenkern aufweisen, während der Scheibenläufermotor, der jedenfalls regelmäßig mit einem scheibenförmigen Rotor ausgestaltet ist, auf einen solchen verzichtet und ohne ferromagnetische Werkstoffe auskommt. Durch diese konstruktiven Maßnahmen, so ergibt es sich aus dem von der Beklagten vorgelegten Fachbüchern „XXX“ von I aus dem Jahre 2011 (vorgelegt als Anlage OC5) und „XXX“ von J aus dem Jahre 2017 (vorgelegt als Anlage OC6) weiter, sei das Trägheitsmoment gering (Anlage OC6, S. 53), was zu einem guten Leistungsgewicht führe (Anlage OC5, S. 116, 1. Abs. unter lit. a)). Dieser Vorteil wird nach dem Inhalt der Patentschrift durch eine Ausgestaltung als Außen- oder Glockenläufermotor nicht unterlaufen. Vielmehr wird etwa einer Ausgestaltung als Glockenläufermotor eine weitergehende Optimierung im Hinblick auf das Leistungsgewicht zugeschrieben (Abs. [000], S. 3, Z. 1 – Z. 4), wozu wiederum passen könnte, dass auch ein solcher hohlzylindrisch, mithin ohne Eisenkern, ausgestaltet ist.
  145. cc)
    Geht man – wie dargelegt – davon aus, dass das Klagepatent im Sinne eines eigenen Lexikons festlegt, dass ein Scheibenläufermotor als Außenläufermotor ausgestaltet sein kann, ergibt sich auch innerhalb der Lehre des Klagepatents kein Widerspruch. Der Inhalt des Klagepatents lässt sich vielmehr widerspruchsfrei derart deuten, dass das Klagepatent von dem fachmännischen Verständnis eines typischen Scheibenläufermotors – jedenfalls in gewisser Hinsicht – Abstand nimmt. Ausgehend von diesem Verständnis lassen sich auch sämtliche in der Beschreibung des Patents enthaltenen Ausführungsbeispiele auf den Wortlaut des Patentanspruchs lesen. Es besteht auch deshalb kein Raum dafür, einen unauflösbaren Widerspruch zwischen der Beschreibung und dem Anspruchswortlaut, dadurch aufzulösen, dass etwaige Beschreibungsteile zur Bestimmung des Gegenstandes des Patents nicht herangezogen werden (BGH, GRUR 2015, 972, Rn. 22 – Kreuzgestänge).
  146. dd)
    Mit dem hier vertretenen Verständnis steht schließlich auch die Erteilungshistorie im Einklang, die ohnehin bei der Auslegung eine allenfalls indizielle Bedeutung entfalten kann (BGH, NJW 1997, 3377 (3380) – Weichvorrichtung II; ders., GRUR 2016, 921, Rn. 39f. – Permetrexed).
  147. Die Internationale Recherchebehörde stellt im Beiblatt des schriftlichen Bescheids vom 2. November 2018 (Anlage OC2) ausdrücklich auf die Ausgestaltung eines Scheibenläufermotors im Sinne eines aus Kunststoff gefertigten Motors, bestehend aus einer dünnen Scheibe, sowie die sich daraus ergebende sehr leichte und kompakte Bauform ab (Anlage OC2). Ein die Wärmeabfuhr begünstigender ebener (im Vergleich zu einem zylindrischen) Luftspalt findet in der Stellungnahme hingegen keine ausdrückliche Erwähnung, weshalb die Kammer den Ausführungen auch nichts entnimmt, was gegen das hier vertretene Verständnis spricht.
  148. Auch die Klägerin hat in ihrer Stellungnahme vom 11. April 2019 zuvorderst auf das geringe Trägheitsmoment hingewiesen, da die Scheibe – gemeint sei der Rotor – dünn sei und aus Kunststoff gefertigt sei (Anlage OC7, S. 2, Ziff. 1.2). Mit dem Scheibenläufermotor seien aufgrund des geringen Trägheitsmoments des Rotors hohe Beschleunigungswerte bzw. kurze Anlaufzeiten bis zur Erreichung seiner Leerlaufdrehzahl erreichbar (a.a.O. und ebd., S. 7, letzter Abs.). Richtig ist, dass die Klägerin auch den Aspekt einer guten Wärmeabfuhr in ihrer Stellungnahme erwähnt (Anlage OC7, S. 6, 3. Abs.). Zum einen erscheint es jedoch nicht zwingend, dass sie damit einen erfindungswesentlich angestrebten Vorteil in Bezug nimmt und zum anderen führt sie eine solche Wärmeabfuhr auf relativ große Rotorquerschnitte bzw. auf die vergleichsweise großen Dimensionen in Querrichtung zur Abtriebsachse des Scheibenläufermotors zurück, stellt mithin einen technischen Zusammenhang zu der in Merkmal 1.10 vorgesehenen Ausgestaltung des Scheibenläufermotors her.
  149. b)
    Die angegriffene Ausführungsform ist mit einem Scheibenläufermotor im Sinne des Merkmals 1.9 bzw. des Merkmals 12.3.7.1 ausgestattet.
  150. Wie die Abbildung des Motors der angegriffenen Ausführungsform im unstreitigen Teil des Tatbestandes zeigen (auszugsweise nachfolgend erneut wiedergegeben),
  151. ist der außenliegende Rotor des Motors hohlzylindrisch/ ringförmig ausgestaltet. Wie im Klagepatent beschrieben (Abs. [0032]), umgibt der im Querschnitt im Wesentlichen U-förmige Rotor den Stator.
  152. Die Nichtverletzungsargumente der Beklagten beziehen sich darauf, dass der Rotor nicht – im strengen Sinne – scheibenförmig ausgestaltet sei, keinen ebenen Luftspalt aufweise und die Dauermagneten nicht entlang einer Ebene gegenüber der Läuferscheibe angeordnet seien. Darauf aber kommt es nach dem hier vertretenen Auslegungsergebnis nicht an.
  153. Eine Verletzung liegt selbst dann vor, wenn man verlangt, dass ein klagepatentgemäßer Scheibenläufermotor ohne einen Eisenkern auskommen muss. Denn aufgrund der hohlzylindrischen Ausgestaltung ist der Motor der angegriffenen Ausführungsform ohne einen solchen Eisenkern aufgebaut.
  154. III.
    Der Beklagten ist die Benutzung der technischen Lehre jedoch vorliegend aufgrund eines privaten Vorbenutzungsrechts gestattet (dazu unter Ziff. 1.). Die Benutzung der angegriffenen Ausführungsform bewegt sich auch innerhalb dieses privaten Vorbenutzungsrechts (dazu unter Ziff. 2.).
  155. 1.
    Die Voraussetzungen für ein in der Person der Beklagten entstandenes privates Vorbenutzungsrechts liegen vor.
  156. Gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG tritt die Wirkung des Patents gegenüber demjenigen nicht ein, der die Erfindung zur Zeit der Anmeldung – oder gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 PatG im Prioritätszeitpunkt – bereits im Inland in Benutzung genommen oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat. Unter den genannten Bedingungen ist der Vorbenutzer berechtigt, die Erfindung – ungeachtet des bestehenden Patents – für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs weiterhin zu benutzen (OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, Rn. 89 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen).
  157. Die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehungstatsachen und den Umfang des Vorbenutzungsrechts hat derjenige, der sich darauf beruft (OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 90), mithin vorliegend die Beklagte. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass an den Nachweis einer Vorbenutzung strenge Anforderungen zu stellen sind (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Auflage, 2022, Kap. E., Rn. 603). Denn der maßgebliche Sachverhalt liegt typischerweise außerhalb der Einsichtssphäre des Patentinhabers, so dass diesem die Möglichkeit zu einem Gegenbeweis weitestgehend versagt ist (a.a.O.). Weiter ist dem Erfahrungssatz Rechnung zu tragen, dass nach der Offenlegung brauchbarer Erfindungen häufig andere Personen behaupten, Entsprechendes schon vorher gemacht zu haben (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.10.2006, Az.: 2 U 109/03, Rn. 32, zitiert nach BeckRS 2008, 5802). Gleichermaßen zu beachten ist aber auch, dass die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis nicht so hoch gespannt werden dürfen, dass der Nachweis eines privaten Vorbenutzungsrechts praktisch unmöglich gemacht wird (OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.01.2007, Az.: 2 U 65/05, Rn. 42, zitiert nach BeckRS 2008, 5814).
  158. Der Erwerb des Vorbenutzungsrechts setzt zunächst – über den Wortlaut des § 12 PatG hinaus – voraus, dass der Handelnde selbstständig Erfindungsbesitz erlangt und diesen redlich erworben hat (BGH, GRUR 1960, 546 (548) – Bierhahn; OLG Düsseldorf, GRUR 2018, 814, Rn. 91 – Schutzverkleidung für funktechnische Anlagen). Das Entstehen eines Erfindungsbesitzes verlangt – wie der Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG vorgibt – weiter eine Betätigung des Erfindungsbesitzes.
  159. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
  160. Für die nachfolgenden Ausführungen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem gem. § 12 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 PatG maßgeblichen Zeitpunkt um den 12.06.2017 handelt.
  161. a)
    Die Beklagte hatte jedenfalls Anfang April 2017 Erfindungsbesitz begründet.
  162. Erfindungsbesitz hat, wer auf Grund eigener Erkenntnis oder die eines für ihn handelnden Gehilfen weiß, welche Maßnahmen er treffen muss, um zum erfindungsgemäßen Erfolg zu gelangen. Dieses Wissen ist gegeben, wenn die sich aus Aufgabe und Lösung ergebende technische Lehre objektiv fertig und subjektiv erkannt worden ist, dass und wie eine tatsächliche Ausführung möglich ist (BGH, GRUR 2012, 895, Rn. 18 – Desmopressin).
  163. Das ist vorliegend der Fall.
  164. aa)
    Die Kammer geht davon aus, dass die technische Lehre des Klagepatents in der hier geltend gemachten Fassung vorprioritär objektiv fertig und subjektiv erkannt war.
  165. Die Beklagte stützt sich in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf in dem Zeitraum vom 24.03. – 28.03.2017 mit dem XXX durchgeführte Tests (vgl. Abbildung nach Anlage OC20) sowie Konzeptionsdateien, wie sie Gegenstand einer PowerPoint Präsentation von F vom 06.04.2017 (Anlage OC43; deutsche Übersetzung: Anlage OC43d) sind bzw. wie sie in E-Mails in der Zeit vom 04.04.2017 (Anlagen OC25 – OC27) bis zum 11.05.2017 (Anlage OC30) zwischen einem Mitarbeiter der Beklagten und F ausgetauscht worden sind.
  166. Dieses Vorbringen lässt den Erfindungsbesitz hinreichend erkennen.
  167. (1)
    Sowohl die PowerPoint Präsentation vom 06.04.2017 (Anlage OC43, Folie 9) als auch eine E-Mail vom 04. April 2017 (Anlage OC27, Abbildung 1),
  168. zeigen die Abbildung eines tragbaren, akkubetriebenen Hydraulikgeräts mit einem hydraulischen Werkzeug (Merkmal 1.1), das an eine mechanisch-hydraulische Schnittstelle angeschlossen ist (Merkmal 1.7). Zu erkennen ist weiter ein Hydrauliktank (Merkmal 1.3), ein manuell zu bedienendes, hydraulisches Steuerventil (Merkmal 1.5), eine elektromechanische Schnittstelle, an dem ein Akkupack angeschlossen ist (Merkmal 1.6). Das Rettungswerkzeug ist weiter mit einem Elektromotor in Form des XXX ausgestattet (Merkmal 1.8), von dem die Beklagte vorgetragen hat, dass es sich um dasselbe Motorenmodell handelt, wie es in der angegriffenen Ausführungsform zum Einsatz kommt (Merkmale 1.9, 1.10, 2.1 und 2.2). Des Weiteren ergeben sich diese Eigenschaften des XXX auch aus dem als Anlage OC8 vorgelegten Artikel, der sich mit diesem befasst.
  169. In der PowertPoint Präsentation vom 06.04.2017 (Anlage OC43, Folie 13) und einer E-Mail vom 11.05.2017 (Anlage OC30),
  170. .
  171. ist die Abbildung eines Pumpengehäuses mit Hydraulikpumpe (Merkmal 1.2) zu erkennen.
  172. Mit Ausnahme eines pauschalen Bestreitens der „für das Frühjahr 2017 behaupteten Veranstaltungen“ ist die Klägerin auch weder den hier in Bezug genommenen Unterlagen noch dem Vortrag der Beklagten im Hinblick auf die Offenbarung der hier in Bezug genommenen klagepatentgemäßen Merkmale erheblich entgegengetreten. Die Beklagte hat mit den in Bezug genommenen E-Mails sowie der PowerPoint Präsentation Unterlagen vorgelegt, die einen in sich plausiblen und geschlossenen Eindruck machen. Dafür, dass diese allesamt im Nachhinein konstruiert oder fehlerhaft interpretiert worden sind, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Klägerin führt auch solche nicht konkret an, weshalb die Kammer den Vortrag der Beklagten insoweit als hinreichend bewertet.
  173. (2)
    Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung lediglich die Vorwegnahme einer Ausgleichsvorrichtung (Merkmal 1.4) in vorprioritärer Zeit in Abrede gestellt. Aber auch insoweit nimmt die Kammer an, dass eine solche Teil der Ende März/ Anfang April entwickelten Lehre war.
  174. Zutreffend ist der Einwand der Klägerin, dass die in Rede stehende Abbildung nach Anlage OC27 bzw. aus der PowerPoint Präsentation (Anlage OC43, Folie 7) jedenfalls eine gummiartige Ausgestaltung des Tanks, wie bei der angegriffenen Ausführungsform, nicht erkennen lässt. Denn während ein so ausgestalteter Tank eine etwas unförmige Gestalt einnimmt, in gewisser Weise eingedellt ist (vgl. nachfolgende Abbildungen, linke Abbildung angegriffene Ausführungsform, rechte Abbildung D-Vorgängermodell mit nur einer Gehäusehälfte; der Tank ist jeweils mit orangefarbenem Pfeil markiert):
  175. macht der in der Anlage OC27 abgebildete Tank (Abbildung zu Vergleichszwecken nachfolgend erneut wiedergegeben),
  176. den Eindruck eines starren Gebildes. Insoweit ist jedoch zunächst zu beachten, dass es sich um eine CAD-Zeichnung handelt, die die einzelnen Bauteile nicht zwingend streng wirklichkeitsgetreu wiedergeben muss. Das führt selbstverständlich noch nicht zum Nachweis eines Tanks, der aus einem elastischen Material beschaffen ist und so gleichzeitig als Ausgleichsvorrichtung fungiert. Jedenfalls aber steht die CAD-Zeichnung auch nicht gegen eine solche Ausgestaltung. Weiter ist zu beachten, dass die CAD-Zeichnungen bzw. der Testaufbau (Anlage OC20) auch einen solchen Tank nicht erkennen lassen müssen. Jedenfalls war bei der Beklagten bekannt, dass der Tank mit einem elastischen Material ausgestaltet sein konnte, wodurch dieser zugleich eine Ausgleichsfunktion, wie vom Klagepatent vorgesehen, übernimmt. Denn ein so ausgeführter Tank gelangte unstreitig bereits bei der Vorgängerversion (D-Produktserie) zum Einsatz, deren konstruktive Ausgestaltung jedenfalls in Teilen auch als Grundlage für die neue Generation von Rettungsgeräten dienen sollte. So wurden die Tests für die Eignung des XXX als neuem Motor im März 2017 nach dem Vortrag der Beklagten auch mittels eines hydraulischen Rettungsgeräts aus der Produktion der D-Serie durchgeführt (vgl. auch E-Mail vom 03.04.2017, Anlage OC21, S. 2, wo es heißt: „Vorversuch für B mit XXX mit neuem Motor“, wobei es sich bei dem „XXX“ unstreitig um ein Modell der Vorgängerserie handelt). Letztlich erschließt sich auch der Kammer nicht, wie ein Hydraulikaggregat für ein Rettungswerkzeug ohne eine solche Ausgleichsvorrichtung technisch sinnvoll Verwendung finden kann, was zusätzlich dafür spricht, dass die Beklagte an einer solchen auch für die neue Gerätegeneration festhalten wollte.
  177. bb)
    Der Annahme von Erfindungsbesitz steht auch nicht entgegen, dass aus den in Bezug genommenen CAD-Zeichnungen noch kein marktgängiges Produkt erkennbar wird.
  178. Erfindungsbesitz setzt voraus, dass ein technisch ausführbares Produkt (mit den Merkmalen der geschützten Lehre) vorliegt (BGH, GRUR 2012, 895, Rn. 18 – Desmopressin; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 14. Auflage, 2022, Kap. E., Rn. 593). Ist ein solches gegeben, steht es dem Erfindungsbesitz nicht entgegen, wenn weitergehende Versuche erforderlich sind, um das Produkt technisch weiter auszugestalten bzw. zu optimieren.
  179. Die im Anschluss an die im April 2017 ausgetauschten E-Mails noch erforderlichen Anpassungsmaßnahmen sind als solche weitergehenden Versuche zur Optimierung des Produkts zu werten, stehen aber nicht der Annahme entgegen, dass der Beklagten bereits Anfang April 2017 eine technisch ausführbare Lehre vorlag.
  180. Die Beklagte hat auf den gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass die Tests Ende März 2017 dazu dienten, festzustellen, ob der XXX in die bisherige Gerätekonstruktion eingebunden werden kann. Nachdem die Tests sie zu der Erkenntnis geführt hatten, dass dies möglich sei, waren zwar noch Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen – wie auch die PowerPoint Präsentation aufgrund der dort mit roter Schriftfarbe formulierten Fragen (Anlage OC43; deutsche Übersetzung: Anlage OC43d, Folien 12 und 13) erkennen lassen –, diese stellten aber aus Sicht der Beklagten die technische Ausführbarkeit eines Hydraulikgeräts mit dem neuen Motor nicht mehr in Frage. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagten die Entwicklung von Rettungswerkzeugen mit einem Hydraulikaggregat aufgrund der beiden Vorgängermodelle bereits bekannt war. Letztlich ging es, nachdem man den neuen Motor für sich fruchtbar machen wollte, „lediglich“ noch darum, einzelne, für sich bekannte und funktionsfähige Bauteile zusammenzusetzen, so dass der Beklagten klar war, dass es für die dafür erforderlichen konstruktiven Einzelheiten Lösungen geben würde. Schließlich hat auch die Klägerin keine konkreten „Hürden“ aufgezeigt, aufgrund derer die Beklagte Zweifel daran haben musste, dass die angestrebte Neuentwicklung gelingen würde. Die Klägerin hat zwar auf technische Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit den CAD-Zeichnungen hingewiesen, wie etwa einem zu großem Hohlraum im Gehäuse, eine kreisrunde Ausgestaltung der Platine oder ein kreisrundes Loch in dieser, daraus aber folgt nach ihren eigenen Ausführungen lediglich eine weniger kompakte Bauweise oder eine kompliziertere Herstellungsweise, nicht aber steht die Ausführbarkeit bzw. die Funktionstauglichkeit des Produkts in Frage.
  181. cc)
    Schließlich hat die Kammer auch an dem Erfindungsbesitz der Beklagten vor dem 12.06.2017 nicht deshalb Zweifel, weil die Beklagte erst ca. 1 ½ Jahre später, nämlich am 26.11.2018, eine PCT-Anmeldung mit dem Titel „XXX“ vorgenommen hat.
  182. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Anmeldung einer technischen Lehre zum Patent nicht zwingend in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Fertigstellung dieser Lehre und dem subjektiven Erkennen derselben stehen muss. Hier kommt hinzu, dass die Beklagte eine plausible Erklärung für die verhältnismäßig späte PCT-Anmeldung derart vorgebracht hat, dass der Grund für die Anmeldung nicht die Entwicklung des Rettungsgeräts wie im Frühjahr 2017 gewesen sei, sondern dass diese vielmehr dadurch veranlasst worden sei, dass man eine Möglichkeit entwickelt habe, Rettungsgeräte auch unter Wasser einzusetzen („Unterwasserfunktion“). Die entsprechenden technischen Voraussetzungen dafür seien erst nach dem hier maßgeblichen Prioritätszeitpunkt geschaffen worden.
  183. b)
    Die Beklagte hat ihren Erfindungsbesitz auch bereits vor dem 12.06.2017 in der Form betätigt, dass sie Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzung aufgenommen hat.
  184. Die Betätigung des Erfindungsbesitzes kann entweder dadurch geschehen, dass der Verletzer in vorprioritärer Zeit Benutzungshandlungen vorgenommen hat, oder aber – wenn es im Prioritätszeitpunkt zu solchen Benutzungshandlungen noch nicht gekommen ist – subsidiär (vgl. etwa OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 95) jedenfalls Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung getroffen hat.
  185. Vorliegend behauptet die Beklagte selbst nicht, die Erfindung vor dem 12.06.2017 im Inland in Benutzung genommen zu haben, weshalb es allein darauf ankommt, ob diese Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung getroffen hat, was zu bejahen ist.
  186. Veranstaltungen zur alsbaldigen Aufnahme der Benutzung setzen voraus, dass der Verletzer – erstens – den festen und endgültigen Entschluss gefasst hat, die Erfindung gewerblich zu benutzen, und dass er – zweitens – solche Vorkehrungen (technischer oder kaufmännischer Art) getroffen hat, die die alsbaldige Umsetzung dieses Entschlusses in die Tat vorbereiten (BGH, GRUR 1969, 35 (36) – Europareise; OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 95). Handlungen, die eine noch ungewisse zukünftige Benutzung vorbereiten und die erst Klarheit darüber schaffen sollen, ob die gemachte Erfindung im Inland gewerblich benutzt werden kann und/ oder soll, die also dazu dienen, den auf die gewerbliche Benutzung der Erfindung im Inland gerichteten Willen erst zu bilden, sind keine Veranstaltungen im Sinne von § 12 PatG (BGH, GRUR 1969, 35 (36f.) – Europareise). Maßgeblich ist, ob die gesamten Umstände für einen unbefangenen Betrachter erkennen lassen, dass die Benutzungsaufnahme bevorsteht (Kühnen, ebd., Kap. E., Rn. 571). Das Gesamtverhalten vor der Anmeldung (bzw. vor dem Prioritätstag) ist für die Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob im Anmeldezeitpunkt der ernstliche Wille zur alsbaldigen Benutzung der Erfindung erkennbar war (Scharen, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 12, Rn. 13).
  187. Nach dieser Maßgabe kommt die Kammer vorliegend auf der Grundlage des Parteivorbringens analog § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu dem Ergebnis, dass die Beklagte Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzung vorgenommen hat.
  188. Nachdem ergänzenden Vorbringen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung stellt es sich für die Kammer so dar, dass der Entschluss auf Seiten der Beklagten zur gewerblichen Benutzung eines Rettungswerkzeugs mit dem neuen XXX-Motor, das heißt mit den erfindungsgemäßen Merkmalen, bereits vor dem Prioritätszeitpunkt endgültig getroffen war und dass die vor dem Prioritätszeitpunkt vorgenommenen Maßnahmen dazu dienten, diesen bereits gefassten Entschluss umzusetzen. Bei den Maßnahmen ging es hingegen nicht mehr darum, die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der gewerblichen Benutzung erst noch zu erforschen und so die Willensbildung zur gewerblichen Benutzung vorzubereiten.
  189. Die Kammer hat bereits dazu ausgeführt, dass sie den schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten zu den von ihr getroffenen Veranstaltungen im Jahre 2016 und 2017 aufgrund des nur pauschalen Bestreitens der Klägerin als unstreitig wertet (dazu näher zuvor unter lit. a), aa)). Soweit ergänzender Vortrag der Beklagten aus der mündlichen Verhandlung erheblich ist, wird dieser nachfolgend im Zusammenhang mit den konkreten Ausführungen gewürdigt. Dies vorangestellt gilt hier Folgendes:
  190. a)
    Ausgangspunkt für die hier vorgenommene Würdigung ist, dass der Anlass der Beklagten zur Entwicklung einer neuen Geräteserie darin lag, den Bürstenmotor der D-Produktserie gegen einen bürstenlosen, kompakteren Motor auszutauschen. Das Auffinden eines für die Rettungsgeräte der Beklagten passenden bürstenlosen Motors stellte sich mithin als zentral für die Entwicklung einer neuen Geräteserie und somit auch für die Entscheidung zur gewerblichen Einführung einer solchen Serie dar.
  191. Nachdem die Beklagte Ende des Jahres 2016 den XXX als bürstenlosen Motor anvisiert hatte, ging sie im Anschluss an die Ende März 2017 durchgeführten Tests, spätestens mit dem Erstellen der Konzeptionsdateien in den E-Mails vom 04.04.2017 bis zum 11.05.2017 jedenfalls davon aus, dass ein technisch ausführbares Rettungsgerät mit dem XXX geschaffen werden konnte. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte Erfindungsbesitz (dazu zuvor unter Ziff. 1.), was der Kammer grundsätzlich notwendig für einen Entschluss zur gewerblichen Benutzung eines erfindungsgemäßen Gegenstandes erscheint.
  192. b)
    Am 11.05.2017 teilte Herr G dann auf Nachfrage des Hard-/ Software-Ingenieurs K, angestellt bei der zur Muttergesellschaft der Beklagten gehörigen L, Inc., per E-Mail (Anlage OC31; deutsche Übersetzung: Anlage OC31d) mit, dass die Entscheidung für den XXX als Motor der neuen Gerätegeneration gefallen sei. Aus Sicht der Kammer markiert dies die endgültig feste Entschließung zur gewerblichen Benutzung eines erfindungsgemäßen Gegenstandes.
  193. aa)
    Der Umstand, dass Herr G kein Organ der Beklagten ist, steht dieser Annahme nicht entgegen. Die Beklagte hat auf einen entsprechenden Einwand der Klägerin vorgetragen, dass Herr G einerseits als Vice President M der XXX-Gruppe und andererseits als Leiter der Entwicklungsabteilung der Beklagten fungierte. Typischerweise habe er deshalb Entscheidungen für Produktentwicklungen der gesamten XXX-Gruppe getroffen. Es ist nachvollziehbar, dass Herr G in dieser Doppelfunktion eine entsprechende Entscheidung treffen konnte, weil er als Vice President M grundsätzlich eine gewisse hierarchische Nähe zur Geschäftsführungsebene hat und weil er als Leiter der Entwicklungsabteilung über das für eine entsprechende Entscheidung nötige Know-how verfügt. Die Klägerin ist diesem Vorbringen der Beklagten auch nicht mehr entgegengetreten.
  194. Das soeben Ausgeführte gilt umso mehr als der Entschluss des Herrn G auch nicht ohne jede Anbindung an eine geschäftsführende Entscheidung erfolgt ist. So hat die Beklagte auf Nachfrage des Gerichts ausgeführt, dass die grundsätzliche Entscheidung über einen Markteintritt mit einem gegenüber der D-Serie fortentwickelten Produkt, insbesondere mit einer Serie von Rettungsgeräten, die mit einem bürstenlosen Motor ausgestattet sind, bereits zuvor, im Jahre 2016, getroffen wurde. Auch dieser Vortrag der Beklagten ist unstreitig geblieben. Er korrespondiert zudem mit ihrem schriftsätzlichen Vorbringen, dass man sich bereits im Dezember des Jahres 2016 auf die Suche nach einem passenden bürstenlosen Motor begeben habe. Dass die Auswahl eines konkreten Motors dann – abgekoppelt von der Geschäftsführungsebene der Beklagten – durch denjenigen getroffen werden sollte, der mit dem für eine solche Entscheidung erforderlichen technischen Sachverstand ausgestattet ist, ist nachvollziehbar. Das gilt insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, dass der Beklagten der Markt aufgrund der beiden Vorgängerversionen von Rettungsgeräten im Grunde bereits bekannt war und die Kosten einer auf den Motor gerichteten Neuentwicklung bereits in Grundzügen abgeschätzt werden konnten, ohne dass die Entscheidung bereits auf einen konkreten Motor gefallen sein musste.
  195. bb)
    Schließlich spricht auch der Inhalt einer E-Mail der Beklagten vom 16.05.2017 (Anlage OC39; deutsche Übersetzung: Anlage OC39d) nicht dagegen, dass mit der Entscheidung für den XXX die gewerbliche Benutzung eines erfindungsgemäßen Gegenstandes feststand. Zwar heißt es in der von einem Mitarbeiter der Beklagten verfassten E-Mail:
  196. „Auch ihr Konstruktionsvorschlag mit 80k Fr erscheint mir sehr hoch für einen Motor von der Stange. Bitte lassen Sie mich wissen, ob Sie noch interessiert sind oder ob wir unsere Suche wieder aufnehmen müssen.“ (Anlage OC39d, S. 1, unten),
  197. woraus zu entnehmen sein könnte, dass bei der Beklagten die Vorstellung vorherrschte, von der Entscheidung über den Motor XXX jederzeit abweichen zu können, so dass der hier in Rede stehenden Entscheidung ein Moment des Einstweiligen anhaftet. Der Inhalt der E-Mail kann aber ohne weiteres auch als Stilmittel verstanden werden, um gegenüber F im Rahmen von Preisverhandlungen ein gewisses Drohpotenzial aufzubauen, ohne dass man intern tatsächlich von dem einmal gefassten Entschluss abrücken wollte. Dies hält die Kammer hier angesichts des bereits dargestellten Gesamtkontextes und der noch folgenden Ausführungen zu den technischen Anpassungsmaßnahmen (unter lit. c)) für naheliegender. So hat im Übrigen auch die Beklagte die in Rede stehende E-Mail auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung eingeordnet.
  198. c)
    Ausgehend von den vorherigen Ausführungen stellen sich die technischen Anpassungsmaßnahmen, die die Beklagte vorprioritär anstrengte, nicht als bloß vorbereitende Tätigkeiten dar, mit denen die Möglichkeiten einer gewerblichen Benutzung erst ausgelotet werden sollten, in ihnen manifestiert sich vielmehr der bereits gebildete Wille zur gewerblichen Benutzung eines erfindungsgemäßen Gegenstandes.
  199. Die Beklagte hat als solche sich an die Entscheidung zur Verwendung des XXX als Motor anschließenden konkreten Anpassungsmaßnahmen insbesondere vorgetragen: Anpassung der Elektronik, Anpassung des Motorschafts zur Einpassung des XXX in das Pumpengehäuse, spezifische Konzeption des Akkus, Anpassen des Hydrauliktanks, Anpassen der Abtriebswelle des XXX, Anpassung des XXX bezüglich der elektrischen Anschlüsse.
  200. aa)
    Zunächst ist festzustellen, dass diese Anpassungsmaßnahmen, insbesondere die Elektronikentwicklung, aus Sicht der Beklagten, wie diese in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin unbestritten vorgetragen hat, die Entscheidung darüber, dass man mit einem mit dem XXX ausgestatteten Rettungsgerät auf den Markt treten wollte, nicht mehr in Frage stellen konnten. Die Kammer entnimmt dem, dass die Beklagte nicht in Zweifel darüber war, dass die Anpassungsmaßnahmen gelingen würden, wenn sie auch über deren konkrete Ausgestaltung noch im Unklaren war. Dafür spricht auch, dass die Beklagte – wie noch weiter auszuführen sein wird – insoweit einen ungefähren Zeitrahmen vor Augen hatte, den diese technischen Maßnahmen in Anspruch nehmen würden. Auch ist nicht ersichtlich, dass aufgrund der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen noch Einfluss auf die Merkmale der hier streitgegenständlichen Lehre und den insoweit bei der Beklagten vorprioritär vorhandenen Erfindungsbesitz genommen werden sollte.
  201. bb)
    Weiter sind die Anpassungsmaßnahmen, da sie bereits auf den konkreten Einsatz des XXX als Motor der neuen Geräteserie gerichtet waren, als Ausdruck des fortschreitenden, auf die gewerbliche Benutzung gerichteten Entwicklungsprozesses zu werten.
  202. Zunächst zeigt die hier bereits in Bezug genommene E-Mail-Anfrage des Herrn K vom 11.05.2017 (Anlage OC31; deutsche Übersetzung: Anlage OC31d), dass ohne die Entschließung für einen konkreten Motor nicht mit der Konstruktion des Rettungsgeräts im Übrigen begonnen werden sollte,
  203. „Ist die offizielle Motorauswahl bereits abgeschlossen? Wenn wir uns offiziell für N entschieden haben, werde ich mich mit den Konstrukteuren in Verbindung setzen und mit der Konstruktion fortfahren.“
  204. Weitere konstruktive Details des neuen Rettungsgeräts bauen mithin auf der Auswahl des Motors auf, was zusätzlich nahelegt, dass eine Abstandnahme von der einmal getroffenen Entscheidung über den konkreten Motor nicht ohne weiteres erfolgen konnte und sollte.
  205. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang insbesondere E-Mail Verkehr zwischen ihr und F aus Anfang Mai 2017 (Anlage O45; deutsche Übersetzung: Anlage OC45d) in das Verfahren eingeführt, aus dem sich ergibt, dass Absprachen dahingehend erfolgten, in welchem Umfang F als Motorhersteller seine Herstellungsstraße und Produktionslinie anpassen kann und welche Designwünsche für die Beklagte vor diesem Hintergrund möglich sind. Daraus resultierte etwa eine konkrete Designanpassung für den Überstand der Welle mit einer gewissen Länge, wie die als Anlage OC35 vorgelegten Skizzen vom 23.05.2017 zeigen.
  206. Weitere auf den Motor XXX gerichtete Anpassungsmaßnahmen hat die Beklagte im Zusammenhang mit dem Pumpengehäuse bezugnehmend auf die Prototypenzeichnungen nach Anlage OC32 vom 17.05.2017 dargetan. Diese zeigen, wie die Beklagte erläutert hat, dass die Bohrungen des Pumpengehäuses an den Bohrlochpositionen des Stators des XXX ausgerichtet sind und die Schraubverbindung des Pumpengehäuses fluchtend zu der Konstruktion des XXX ist. Des Weiteren lässt die Zeichnung den Klebespalt erkennen, der später für die Befestigung des Hydrauliktanks notwendig ist (die Beschriftung in schwarzer Schrift in der nachfolgenden Abbildung ist durch die Klägerin im Rahmen des hiesigen Verfahrens ergänzt worden):
  207. d)
    Die Beklagte traf zudem kaufmännische Maßnahmen, die bei einer Gesamtbetrachtung mit den hier bereits dargestellten technischen Maßnahmen dazu dienten, die Benutzung eines erfindungsgemäßen Gegenstandes entsprechend dem von ihr, der Beklagten, gefassten Beschluss vorzubereiten.
  208. In einer E-Mail vom 16.05.2017 (Anlage OC39; deutsche Übersetzung: Anlage OC39d) wurden die Verkaufspreise für die Motorlieferung besprochen, in einer weiteren E-Mail vom 19.05.2017 (Anlage OC38; deutsche Übersetzung: Anlage OC38d, S. 2) wurden dann Eckpunkte des Vertragsverhältnisses mit F für die Lieferung des XXX erörtert. Dadurch verdichtete sich die geplante Lieferbeziehung mit F weiter und konkretisierte sich der Markteintritt mit einem erfindungsgemäßen Gegenstand.
  209. e)
    Die Entscheidung über der Markteintritt mit einem neuen Produkt und die Vornahme hierfür noch erforderlicher technischer Maßnahmen waren auch nicht auf einen beliebigen unbestimmten Zeitpunkt in die Zukunft gerichtet, vielmehr lag ihnen eine konkrete Zeitplanung zugrunde.
  210. Die Beklagte hat vorgetragen, man habe mit einem Entwicklungszeitraum von ca. zwei Jahren gerechnet. Da der Entschluss, eine Geräteserie mit einem bürstenlosen Motor bereitzustellen, im Jahre 2016 gefallen sei, habe man einen Markteintritt für das Jahr 2018 angestrebt. So geht es etwa auch aus der PowerPoint Präsentation von F vom 06.04.2017 (Anlage OC43; deutsche Übersetzung: Anlage OC43d) hervor, in der als „SOP“ (= Start of Production“) Februar 2018 und als „Meilenstein“ eine Präsentation auf der XXX (XXX) im April 2018 (Anlage OC43, Folie 7) angegeben sind, und weiter auch aus einer E-Mail der Beklagten an F vom 16.05.2017, in der als „launch“ April 2018 vermerkt ist (Anlage OC39; deutsche Übersetzung: Anlage OC39d, S. 1). Der Entschluss über die Verwendung des XXX als Motor fügt sich in diesen Zeitplan ein. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich, dass sie für die Anpassungsmaßnahmen, die im Hinblick auf den neuen Motor erforderlich wurden, einen zeitlichen Rahmen von etwas mehr als einem halben Jahr angenommen hat. Denn ausgehend davon, dass die Anpassungsmaßnahmen ab Anfang Mai gezielt auf den XXX gerichtet werden konnten, war bis zum Ende des Jahres 2017 mit dem Abschluss der erforderlichen technischen Maßnahmen zu rechnen, so dass ein Markteintritt im Jahre 2018 realistisch geplant werden konnte.
  211. Dieser Zeitraum zwischen dem Entschluss zur gewerblichen Benutzung eines erfindungsgemäßen Produkts und der Vornahme der technischen Anpassungsmaßnahmen bis zur beabsichtigten gewerblichen Benutzung erweist sich auch nicht unter dem Aspekt als zu weit in der Zukunft liegend, als der Erfindungsbesitz durch Veranstaltungen zur „alsbaldigen“ Benutzungsaufnahme betätigt werden muss.
  212. Das mit „alsbald“ umschriebene Zeitmoment lässt gerade Raum für eine Beurteilung, die den Notwendigkeiten der Entwicklung technischer Neuerungen zur Marktreife und deren Einführung auf dem Markt Rechnung trägt (Scharen, ebd., § 12, Rn. 13 unter Verweis auf BGH, GRUR 1969, 35 (37) – Europareise). Wenn die Beklagte also vorliegend davon ausging, für die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen sowie den dann anstehenden Markteintritt noch einen zeitlich bestimmten Zeitraum zu benötigen, ohne aber das Gelingen des Markteintritts in Frage zu stellen, ist ihr dies zuzugestehen und begründet keine Zweifel daran, dass eine gewerbliche Benutzung sicher zu erwarten war (zu dem Problem, dass der tatsächliche Markteintritt erst zu einem noch späteren Zeitpunkt erfolgte nachfolgend unter lit. f)). Auch die Klägerin, die selbst mit der Entwicklung von hydraulischen Rettungsgeräten befasst ist, hat keine konkreten Gesichtspunkte vorgebracht, aufgrund derer ihrer Meinung nach damit zu rechnen war, dass die technischen Anpassungsmaßnahmen scheitern mussten.
  213. f)
    Auch der Umstand, dass die tatsächliche Benutzungsaufnahme mit der Präsentation des neuen Hydraulikgeräts im April 2019 durch die Firma O erst ein Jahr später als geplant erfolgte und es zu einer Markteinführung der „A“-Produktreihe sogar erst im Jahre 2020 kam, führen vorliegend zu keiner anderen Würdigung.
  214. Insofern ist zu beachten, dass es für die Annahme von Veranstaltungen zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme zuvorderst darauf ankommt, ob Veranstaltungen initiiert worden sind, die alsbald nach dem Prioritätstag eine gewerbliche Benutzung der Erfindung sicher erwarten lassen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.05.2019, Az.: 2 U 66/18, zitiert nach BeckRS 2019, 10841, Rn. 44). Damit wird das subjektive Element betont (BGH, GRUR 1969, 35 (37) – Europareise). Es kommt hingegen nicht darauf an, dass eine alsbaldige Benutzungsaufnahme nach dem Prioritätszeitpunkt tatsächlich auch erfolgt, obgleich dies eine gewisse Indizwirkung für Vorkehrungen zur alsbaldigen Benutzungsaufnahme entfalten kann (OLG Düsseldorf, ebd., Rn. 93).
  215. Die Beklagte hat hier vorgetragen, dass sich der Markteintritt aufgrund von Verzögerungen bei der Fertigstellung der Elektronik verschoben habe. So habe die Elektronik von der in den USA ansässigen und – wie die Beklagte – zur XXX Corp. gehörigen Firma P entwickelt werden sollen. Hierbei sei es dann zu fehlerhaften Arbeiten durch P gekommen, die Firma habe auch teilweise von der Beklagten zur Verfügung gestellte Datenblätter nicht hinreichend berücksichtigt. Deshalb habe man Anfang August 2018 ein anderes Elektronik-Unternehmen (Q) mit der Entwicklung der Elektronik beauftragt. Tatsächlich konnte dann die Beklagte im April 2019 ein Produkt zur Präsentation bringen.
  216. Die damit beschriebenen Komplikationen sind solche, die die Beklagte bei ihrer Entscheidung über den Markteintritt mit einem erfindungsgemäßen Produkt nicht absehen konnte und aus denen auch keine Fehleinschätzung im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen der noch vorzunehmenden technischen Maßnahmen zu Tage tritt – was möglicherweise Zweifel daran hätte aufbringen können, dass die Beklagte den Markteintritt sicher anvisierte. Im Gegenteil der Zeitraum von ca. 9 Monaten, der zwischen der Beauftragung des neuen Elektronik-Unternehmens im August 2018 und der Präsentation im April 2019 liegt, nähert sich demjenigen an, den die Beklagte im Mai 2017 im Hinblick auf eine Markteinführung Anfang des Jahres 2018 anvisierte, was ein weiteres Mal dafür spricht, dass insoweit auf ihrer Seite eine realistische Einschätzung über den zeitlichen Rahmen der Produktentwicklung sowie die ernsthafte Absicht des Markteintritts vorlagen.
  217. Die Kammer hält nach alledem auch den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt nicht mit der Fallkonstellation für vergleichbar, über die das OLG München in der von der Klägerin zitierten Entscheidung zu befinden hatte. Der dort entschiedene Streitkomplex war nicht nur dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den als Veranstaltungen vorgetragenen Handlungen und der tatsächlichen Markteinführung ein Zeitraum von 2 ¾ Jahren lag, sondern auch dadurch, dass zunächst substantiierter Vortrag zu den für das Vorbenutzungsrecht erforderlichen Veranstaltungen erfolgte, dieser jedoch ab einem bestimmten Zeitpunkt „abriss“ (OLG München, BeckRS 2014, 14755, Gründe Ziff. I. a. E.). Es falle auf, so heißt es in den Entscheidungsgründen, dass die Entwicklung zunächst bis ins Detail geschildert werde, während die weitere Entwicklung sehr pauschal dargestellt werde (a.a.O.). Die dortige Beklagte legte auch im Übrigen keine Protokolle oder sonstigen Aufzeichnungen vor, die ihren Vortrag hätten stützen können. Diese Umstände veranlassten das OLG München in einer Gesamtbetrachtung, einen Zeitraum von 2 ¾ als eindeutig zu lang zu erachten (a.a.O.). So aber stellt sich der hiesige Fall – wie aufgezeigt – nicht dar.
  218. 2.
    Die Beklagte bewegt sich auch mit der angegriffenen Ausführungsform innerhalb des durch den vorbenutzten Gegenstand geschaffenen Vorbenutzungsrechts.
  219. Das Vorbenutzungsrecht umfasst diejenige Benutzungsweise oder Ausführungsform, die der Begünstigte tatsächlich benutzt hat oder zu deren alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen Veranstaltungen getroffen hat (Scharen, in: Benkard, PatG, Kommentar, 11. Auflage, 2015, § 12, Rn. 22). Weiterentwicklungen, die über den Umfang der bisherigen Benutzung hinausgehend unterfallen dem Vorbenutzungsrecht nicht, wenn sie in den Gegenstand der im Patent unter Schutz gestellten Erfindung eingreifen (BGH, GRUR 2002, 231 (234) – Biegevorrichtung). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn durch die nicht vorbenutzte Fortentwicklung erstmals die Gesamtheit aller Anspruchsmerkmale des Klagepatents verwirklicht wird (BGH, GRUR 2019, 1171, Rn. 28 – Schutzverkleidung), oder dann, wenn zwar die vorbenutzte und die nachprioritär abgewandelte Ausführungsform die technische Lehre des Klagepatents umsetzen, letztere jedoch in einer anderen Ausgestaltung oder Verfahrensweise (BGH, ebd., Rn. 29).
  220. a)
    In den CAD-Zeichnungen aus Anfang April war vorgesehen, dass die Kommutierungsschaltung zur Steuerung des Motors direkt an dem Motor angebracht werden sollte, während diese bei der angegriffenen Ausführungsform von dem Motor räumlich getrennt ist. Dadurch wird eine wechselseitige thermische Belastung dieser Komponenten deutlich reduziert.
  221. Dabei handelt es sich um keine Ausführungsform, mit welcher die Lehre des Klagepatents erstmalig verwirklicht wird. Dies ist vielmehr bereits im Hinblick auf die vorbenutzte Ausführungsform der Fall. Es liegt aber auch keine Ausgestaltung vor, die die Lehre des Klagepatents in qualitativ oder quantitativ abweichender Art und Weise umsetzt. Die Anbringung der Kommutierungsschaltung im Verhältnis zum Motor ist kein Aspekt, welcher Einfluss auf die Verwirklichung der Merkmale der geschützten Lehre hat. Diese befasst sich auch weder erfindungswesentlich noch im Sinne eines zusätzlichen Vorteils damit, eine wechselseitige thermische Belastung für die genannten Komponenten zu reduzieren.
  222. b)
    Auch erstreckt sich das Vorbenutzungsrecht nicht nur auf Schneidgeräte, sondern auch auf die angegriffenen Spreizer, Kombinationsgeräte und Rettungszylinder.
  223. Weder Anspruch 2 noch Anspruch 12 legen das Rettungswerkzeug beschränkend fest. Ein Austausch des Werkzeugs führt auch nicht erkennbar zu einem weiteren Vorteil, geschweige denn zu einem solchen, durch den die Lehre des Klagepatents vertieft wird. Es handelt sich letztlich um eine Konstellation, die mit derjenigen vergleichbar ist, in der in einem Patentanspruch für ein Merkmal zwei vollständig gleichwertige Alternativen genannt sind. Auch hier führt die Benutzung nur einer Alternative regelmäßig nicht zu einer Beschränkung der Benutzungsbefugnis des Vorbenutzungsberechtigten (BGH, ebd., Rn. 32).
  224. c)
    Schließlich umfasst das Vorbenutzungsrecht auch die B-Serie, im Hinblick auf die im Vergleich zu der „A“-Serie lediglich ein verändertes Anzeige- und Bedienfeld vorgetragen ist, was zu keiner in dem oben beschriebenen Sinne erheblichen qualitativen oder quantitativen Abweichung von der streitgegenständlichen Lehre führt.
  225. IV.
    Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.
  226. V.
    Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eine Schriftsatzfrist auf den dort erteilten gerichtlichen Hinweis begehrt hat, war eine solche nicht mehr zu gewähren, nachdem die Kammer ein privates Vorbenutzungsrecht bereits auf der Grundlage der ergänzenden Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung feststellen konnte.
  227. VI.
    Der Streitwert wird gem. § 51 Abs. 1 GKG auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt.

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