4c O 10/21 – Schleifvorrichtung

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3225

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 02. Juni 2022, Az. 4c O 10/21

  1. I. Die Beklagte wird verurteilt,
  2. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft am Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  3. eine Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren eines Schneidwerkzeuges, vorzugsweise eines Haushaltsmessers, umfassend:
  4. – einen zylindrischen Vorrichtungskörper;
    – eine erste und eine zweite im Wesentlichen kreisrunde Scheibe, die an unterschiedlichen axialen Enden des Vorrichtungskörpers angeordnet sind und wobei jede Scheibe mit einem Achszapfen fest verbunden ist, welcher über ein Kugellager drehbar innerhalb des Vorrichtungskörpers gelagert ist, sodass, wenn der Vorrichtungskörper entlang einer Oberfläche, vorzugsweise einer Tischoberfläche, gezogen wird, sich die zwei Scheiben relativ zu dem Vorrichtungskörper drehen bzw. rotieren und wobei zumindest die erste Scheibe zum Schleifen ausgebildet und derartig beschaffen ist, dass, wenn eine Schneide des Schneidwerkzeuges an die erste Scheibe angelegt ist und der Vorrichtungskörper, vorzugsweise händisch, über die Oberfläche gezogen wird, die erste Scheibe aufgrund der Drehung bzw. Rotation die Schneide schleift, wobei die erste Scheibe an der Stirnseite eine Schleiffläche aufweist, wobei die zweite Scheibe zum Schleifen oder Polieren des Schneidewerkzeuges ausgebildet ist und an der Stirnseite eine Schleif- oder Polierfläche aufweist, wobei sich die zwei Scheiben jeweils zur Stirnseite hin verjüngen,
  5. in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  6. 2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 17. Februar 2021 begangen hat, und zwar unter Angabe
  7. a. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen und/oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
  8. wobei die Auskünfte in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln sind,
  9. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, höchst hilfsweise Zollpapiere) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  10. 3. der Klägerin in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 07. März 2018 begangen hat, und zwar unter Angabe
  11. a. der Herstellungsmenge und -zeiten,
    b. der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzern, wobei die entsprechenden Einkaufsbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) vorzulegen sind,
    c. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Abnehmer, wobei die entsprechenden Einkaufsbelege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) vorzulegen sind,
    d. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    e. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    f. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
  12. wobei die Angaben gemäß Ziffer I.3.f. ab dem 17. März 2021 zu erbringen sind,
  13. die Aufstellung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu übermitteln ist und
  14. wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  15. 4. die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten;
  16. 5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 17. Februar 2021 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse den gewerblichen Abnehmern gegenüber unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom …, Aktenzeichen …) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  17. II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,
  18. 1. der Klägerin
  19. a. für die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 07. März 2018 bis zum 23. Dezember 2020 begangenen Handlungen einen Betrag zu zahlen, der dem Anspruch von A auf eine angemessene Entschädigung entspricht,
    b. für die unter Ziffer I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 24. Dezember 2020 bis zum 17. März 2021 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
  20. 2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 18. März 2021 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  21. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  22. IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  23. V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; hinsichtlich Ziff. I.1, I.4. und I.5 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 225.000,- Euro, hinsichtlich Ziff. I.2. und I.3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,- Euro und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  24. Tatbestand
  25. Die Klägerin verfolgt aus Patentrecht gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzverpflichtung.
  26. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Europäischen Patents EP 3 XXX 928 B1 (Anlage KA 1, im Folgenden: Klagepatent). Das Klagepatent wurde am 31. Juli 2017 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 05. August 2016 (DE XXX) angemeldet und als Anmeldung am 07. Februar 2018 offengelegt. Anmelder war Herr A. Dieser übertrug sein Recht an der Anmeldung sowie sämtliche damit zusammenhängende Ansprüche mit Wirkung zum 23. Dezember 2020 auf die Klägerin(Anlage KA 8). Der Hinweis auf die Erteilung zugunsten der Klägerin wurde am 17. Februar 2021 bekannt gemacht. Das Klagepatent steht auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Über den seitens der Beklagten mit Schriftsatz vom 31. Mai 2021 erhobenen Einspruch (Anlage B1) ist bisher nicht entschieden worden. Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren eines Schneidwerkzeugs.
  27. Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
  28. „Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren eines Schneidwerkzeuges, vorzugsweise eines Haushaltsmessers umfassend:
    – einen zylindrischen Vorrichtungskörper (2); gekennzeichnet durch – eine erste und eine zweite im Wesentlichen kreisrunde Scheibe (4, 5), die an unterschiedlichen axialen Enden des Vorrichtungskörpers (2) angeordnet und jeweils mit einer in dem Vorrichtungskörper (2) drehbar gelagerten Achse (3) verbunden sind, sodass wenn der Vorrichtungskörper (2) entlang einer Oberfläche, vorzugsweise einer Tischoberfläche, gezogen wird, sich die zwei Scheiben (4, 5) relativ zu dem Vorrichtungskörper (2) drehen bzw. rotieren und wobei zumindest die erste Scheibe (4) zum Schleifen ausgebildet und derartig beschaffen ist, dass wenn eine Schneide des Schneidwerkzeuges an die erste Scheibe (4) angelegt ist und der Vorrichtungskörper (2), vorzugsweise händisch, über die Oberfläche gezogen wird, die erste Scheibe (4) aufgrund der Drehung bzw. Rotation die Schneide schleift, wobei die erste Scheibe (4) an der Stirnseite eine Schleiffläche aufweist, wobei die zweite Scheibe (5) zum Schleifen oder Polieren des Schneidwerkzeuges ausgebildet ist und an der Stirnseite eine Schleif- oder Polierfläche aufweist, wobei sich die zwei Scheiben (4, 5) jeweils zur Stirnseite hin verjüngen.“
  29. Folgende Figuren 1 und 2 sind der Klagepatentschrift entnommen und erläutern die Erfindung. Figur 1 zeigt dabei eine Seitenansicht der erfindungsgemäßen Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren und Figur 2 eine perspektivische Ansicht der in Fig. 1 dargestellten erfindungsgemäßen Vorrichtung:
  30. Bei der Klägerin handelt es sich um einen Familienbetrieb, der auf die Entwicklung und Herstellung von Schleifgeräten für Schneidwerkzeuge und entsprechendes Zubehör spezialisiert ist. Gegenstand des Produktportfolios ist insbesondere ein Rollschleifer, der eine einfache und zuverlässige Möglichkeit zum Schleifen von beispielsweise Küchenmessern bietet.
  31. Das Unternehmen der Beklagten importiert Produkte, welche anschließend im Versandhandel und über das Teleshopping vertrieben werden. Eines der durch die Beklagte vertriebenen Produkte ist ein Schleifer mit der Bezeichnung „B“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Zur Veranschaulichung wird nachfolgend ein Lichtbild der angegriffenen Ausführungsform eingeblendet (entnommen der Klageschrift):
  32. Die Beklagte bewirbt und bietet die angegriffene Ausführungsform auf ihrer Website unter www.XXX.net an (vgl. Anlage KA 4). Anhand eines Videos wird dort auch deren Funktionsweise gezeigt.
  33. Im Rahmen einer Messepräsentation auf der XXX im September 2019 stellte die Klägerin fest, dass die Beklagte ein Produkt präsentierte, welches ihrem eigenen Rollschleifer, insbesondere in der technischen Funktionsweise, sehr ähnlich war. Im Sommer 2020 war die angegriffene Ausführungsform auf dem deutschen Markt erhältlich und die Klägerin führte im November 2020 einen Testkauf durch (vgl. Anlage KA 6). Diesem Testkauf lag eine Anleitung zur Benutzung der angegriffenen Ausführungsform bei (vgl. Anlage KA 7). Auszugsweise enthält sie nachfolgende Zeichnung (entnommen der Klageschrift):
  34. Zwischen den Parteien ist vor der Kammer außerdem ein Parallelverfahren anhängig, welches unter dem Az. 4c O 21/21 geführt wird und auf das Deutsche Gebrauchsmuster DE 20 2017 XXX 377 U1 der Klägerin gestützt ist.
  35. Die Klägerin meint, die angegriffene Ausführungsform würde wortsinngemäßen unmittelbaren Gebrauch von der Lehre des Klagepatents machen. Das Klagepatent verlange nicht, dass eine erfindungsgemäße Vorrichtung nur eine durch den Vorrichtungskörper verlaufende Achse aufweise. Es lasse die numerische Anzahl möglicher Achsen vielmehr offen. Maßgeblich sei nur die Anordnung der Scheiben an je einem der beiden axialen Enden der Vorrichtung drehbar gelagert und dadurch relativ zum Vorrichtungskörper beweglich. Hierfür sei eine gemeinsame durchgehende Achse für beide Scheiben nicht erforderlich.
  36. Jedenfalls, hilfsweise, würde die angegriffene Ausführungsform mit äquivalenten Mitteln das Klagepatent verletzen. Die Austauschmittel (jeweils mit einem Achszapfen fest verbundene und über ein Kugellager drehbare Scheiben) seien gleichwirkend und würden problemlos das Ziel der Erfindung erreichen; bei der angegriffenen Ausführungsform sei eine Drehbewegung der Scheibe relativ zum Vorrichtungskörper möglich. Für den Fachmann habe es zudem nahegelegen, statt einer Achse zwei einzelne Achsen zur Lagerung der Scheiben vorzusehen. Diese Konstruktionsweise stehe der erfindungsgemäßen Lehre auch gleichwertig gegenüber. Bei der Verwirklichung der angestrebten Relativbewegung lasse sich kein Unterschied feststellen.
  37. Der Rechtsstreit sei schließlich auch nicht auszusetzen, weil sich das Klagepatent im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen werde.
  38. Die Klägerin beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen,

  39. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft am Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
    eine Vorrichtung zum Schleifen und / oder Polieren eines Schneidwerkzeuges, vorzugsweise eines Haushaltsmessers, umfassend:
    – einen zylindrischen Vorrichtungskörper;
    – eine erste und eine zweite im Wesentlichen kreisrunde Scheibe, die an unterschiedlichen axialen Enden des Vorrichtungskörpers angeordnet und jeweils mit einer in dem Vorrichtungskörper drehbar gelagerten Achse verbunden sind, sodass, wenn der Vorrichtungskörper entlang einer Oberfläche, vorzugsweise einer Tischoberfläche, gezogen wird, sich die zwei Scheiben relativ zu dem Vorrichtungskörper drehen bzw. rotieren und wobei zumindest die erste Scheibe zum Schleifen ausgebildet und derartig beschaffen ist, dass, wenn eine Schneide des Schneidwerkzeuges an die erste Scheibe angelegt ist und der Vorrichtungskörper, vorzugsweise händisch, über die Oberfläche gezogen wird, die erste Scheibe aufgrund der Drehung bzw. Rotation die Schneide schleift, wobei die erste Scheibe an der Stirnseite eine Schleiffläche aufweist, wobei die zweite Scheibe zum Schleifen oder Polieren des Schneidewerkzeuges ausgebildet ist und an der Stirnseite eine Schleif- oder Polierfläche aufweist, wobei sich die zwei Scheiben jeweils zur Stirnseite hin verjüngen
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
  40. 2. an die Klägerin EUR 99,95 zzgl. Zinsen in Höhe von 9 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
  41. und hilfsweise zu Ziff. 1 Ziff. I.1. wie erkannt sowie im Übrigen zu erkennen, wie geschehen, wobei die Schadensersatzfeststellung erst ab dem 18.03.2021 begehrt wird.
  42. Die Beklagte beantragt,
  43. die Klage abzuweisen,
    den Rechtsstreit bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Einspruch auszusetzen.
  44. Sie ist der Ansicht, dass die angegriffene Ausführungsform die erfindungsgemäße Lehre nicht verwirkliche. Das Klagepatent erfordere eine den Vorrichtungskörper durchsetzende Achse, an deren einen Ende die eine und an dem anderen Ende die andere Scheibe angebracht seien. Die angegriffene Ausführungsform sei dagegen so konstruiert, dass sie an jeder Stirnseite einen Hohlraum aufweise, in welchem drehfest ein Kugellager eingesetzt sei. Wiederum in dessen drehbaren Innenring sei drehfest ein Zapfen eingebracht, der einstückig mit der anliegenden Scheibe ausgebildet sei. Eine den Vorrichtungskörper durchsetzende Achse gebe es nicht. Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform ermögliche zugleich, die beiden Kugellager und mit ihnen die Scheiben unabhängig voneinander zu drehen.
  45. Eine äquivalente Verletzung des Klagepatents liege ebenso wenig vor. Die vom Klagepatent beanspruchte eine Achse solle den Gleichlauf der beiden Scheiben sicherstellen. Derlei könnten zwei Achsen indes nicht bewirken; es könne zu einem „Eiern“ sowie zu „Schleifkurven“ kommen.
  46. Der Rechtsstreit sei bei einem anderen Verständnis der einen Achse jedenfalls mangels Rechtsbeständigkeit des Klagepatents auszusetzen. Es sei gegenüber der Anmeldeschrift EP 3 XXX 928 A2 (Anlage B3) unzulässig erweitert worden.
  47. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlage Bezug genommen.
  48. Entscheidungsgründe
  49. A.
    Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
  50. I.
    Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren sowie dem Entgraten und/oder Abziehen eines Schneidwerkzeuges, vorzugsweise eines Haushaltsmessers (Abs. [0001]).
  51. Aus dem Stand der Technik ist, wie das Klagepatent unter Bezugnahme auf die US 1 XXX 882 A in Abs. [0002] erläutert, eine Vorrichtung zum Schleifen eines Schneidwerkzeuges bekannt geworden, bei der das Schneidwerkzeug zwischen einer Schleifscheibe und einer Führungsscheibe zum Schleifen eingespannt wird. In Abs. [0003] beschreibt das Klagepatent weitere Vorrichtungen als vorbekannt, die zum Schleifen und/oder Polieren sowie dem Entgraten und/oder Abziehen eingesetzt werden konnten. Dabei musste zum Schleifen eines Schneidwerkzeuges der Bediener dieses in einer Hand halten und in der anderen Hand das zu schleifende bzw. polierende Schneidwerkzeug. Die Vorrichtung muss dann von dem Bediener über die Schneide des zu schleifenden bzw. polierenden Schneidwerkzeuges gezogen werden.
  52. Hieran kritisiert es das Klagepatent als nachteilig (vgl. Abs. [0004]), dass möglichst immer der gleiche Winkel zwischen der Schneide und dem Schneidwerkzeug gehalten werden musste, um ein gutes Schleifergebnis zu erzielen. Genau dies ist aber schwierig, wenn sowohl das Schneidwerkzeug als auch das Schleifwerkzeug von dem Bediener quasi frei in der Luft gehalten werden müssen und somit eine hohe Geschicklichkeit des Bedieners gefragt ist.
  53. Das Klagepatent stellt sich daher die Aufgabe, eine Vorrichtung vorzuschlagen, die einfach zu bedienen ist und darüber hinaus eine erhöhte Schleifwirkung aufweist (Abs. [0005]).
  54. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung nach Anspruch 1 mit nachfolgenden Merkmalen vor:
  55. 1. Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren eines Schneidwerkzeuges, vorzugsweise eines Haushaltsmessers.
    2. Die Vorrichtung umfasst:
    2.1 einen zylindrischen Vorrichtungskörper (2),
    2.2 eine erste und eine zweite Scheibe (4, 5).
    3. Die eine erste und die eine zweite Scheibe (4, 5)
    3.1 sind im Wesentlichen kreisrund,
    3.2 sind an unterschiedlichen axialen Enden des Vorrichtungskörpers (2) angeordnet und jeweils mit einer in dem Vorrichtungskörper (2) drehbar gelagerten Achse (3) verbunden, sodass,
    3.2.1 wenn der Vorrichtungskörper (2) entlang einer Oberfläche, vorzugsweise einer Tischoberfläche, gezogen wird, sich die zwei Scheiben (4, 5) relativ zu dem Vorrichtungskörper (2) drehen bzw. rotieren.
    4. Zumindest die erste Scheibe (4) ist zum Schleifen ausgebildet und derartig beschaffen, dass, wenn eine Schneide des Schneidwerkzeuges an die erste Scheibe (4) angelegt ist und der Vorrichtungskörper (2), vorzugsweise händisch, über die Oberfläche gezogen wird, die erste Scheibe (4) aufgrund der Drehung bzw. Rotation die Schneide schleift.
    5. Die erste Scheibe (4) 5.1 verjüngt sich zur Stirnseite hin, 5.2 und weist an der Stirnseite eine Schleiffläche auf.
    6. Die zweite Scheibe (5)
    6.1 verjüngt sich zur Stirnseite hin,
    6.2 ist zum Schleifen oder Polieren des Schneidwerkzeuges ausgebildet und weist an der Stirnseite eine Schleif- oder Polierfläche auf.
  56. II.
    Zu recht steht zwischen den Parteien allein die Verwirklichung des Merkmals 3.2 in Streit, weshalb es keiner weiteren Ausführungen zu den übrigen Merkmalen bedarf. Die Verwirklichung dieses Merkmals mit äquivalenten Mitteln vermag die Kammer festzustellen, indes keine wortsinngemäße Verletzung.
  57. 1.
    Eine wortsinngemäße Verwirklichung des Klagepatents liegt nicht vor.
  58. a.
    Das Klagepatent stellt eine Vorrichtung unter Schutz, mithilfe derer Schneidwerkzeuge wie Haushaltsmesser geschliffen und/oder poliert werden können (Merkmal 1). Die einzelnen Vorrichtungsbestandteile werden in den Merkmalen 2 bis 6 näher beschrieben. Danach setzt sich die Vorrichtung aus einem zylindrischen Vorrichtungskörper sowie einer ersten und einer zweiten Scheibe zusammen. Dabei erläutert die Merkmalsgruppe 3 sowohl Ausgestaltung (kreisrund) als auch Anordnung der ersten und zweiten Scheibe im Verhältnis zum Vorrichtungskörper. Merkmal 3.2.1 konkretisiert in der Folge, dass durch diese Anordnung eine Rotation/Drehung der zwei Scheiben relativ zum Vorrichtungskörper ermöglicht werden soll, wenn der Vorrichtungskörper bewegt wird.
  59. Dabei versteht das Klagepatent unter der Verbindung der ersten und zweiten Scheibe jeweils mit einer in dem Vorrichtungskörper drehbar gelagerten Achse, dass von einer zur anderen Stirnseite im Inneren des Vorrichtungskörpers ein durchgehendes Element verläuft, mit dem beide Scheiben verbunden sind, und welches eine Rotation der Scheiben unabhängig von dem Vorrichtungskörper im Übrigen ermöglicht.
  60. Der Wortlaut lässt hinsichtlich der Ausgestaltung einer Achse, also einem seiner rein-philologischen Bedeutung nach stabförmigem Bauteil, im Vorrichtungskörper keinen eindeutigen Schluss zu. Zum einen spricht er von „einer Achse“, was durch die Benutzung der Singularform als numerische Angabe zu verstehen sein kann. Zum anderen kann die Verwendung des Wortes „jeweils“ einen Anhaltspunkt auf zwei Achsen darstellen, indem jeder Scheibe auch je eine Achse im Vorrichtungskörper zugeordnet wird. Dieses Verständnis findet allerdings keine weitere Stütze in der Klagepatentbeschreibung.
  61. Vielmehr unterstützt die Klagepatentbeschreibung ein Verständnis, wonach eine erfindungsgemäße Vorrichtung eine durchgehende Achse im Körperinneren aufweist. Zudem macht sie deutlich, dass der Begriff „jeweils“ auf die Scheiben bezogen ist und danach jede der beiden Scheiben mit einer Achse verbunden sein soll. Dass jeder Scheibe auch je eine Achse zugewiesen werden sollte, ist indes nicht zu erkennen.

    So formuliert zunächst Abs. [0XXX] als Teil der allgemeinen Beschreibung:

  62. „Erfindungsgemäß wird also eine Vorrichtung vorgeschlagen, die jeweils eine Scheibe rechts und links eines im Wesentlichen zylinderförmigen Vorrichtungskörpers aufweist, wobei die beiden Scheiben über eine im Inneren des Vorrichtungskörpers gelagerte Achse lösbar verbunden sind und die Achse relativ zu dem Vorrichtungskörper rotierbar ist […]“.
  63. Dieser Beschreibungsstelle ist durch Verwendung des bestimmten Artikels und der Singularform ein Hinweis auf eine einzige durchgehende Achse zu entnehmen. Demgemäß spricht auch Abs. [0011] an mehreren Stellen nur von einer Achse:
  64. „Eine vorteilhafte Weiterbildung der Erfindung sieht vor, dass die erste und/oder die zweite Scheibe lösbar mit der Achse verbunden sind, so dass diese austauschbar ist bzw. sind.
    […]
    so dass die erste und/oder die zweite Scheibe mit der Achse lösbar verschraubbar ist bzw. sind.“
  65. Unterstützung in dem Verständnis findet der Fachmann ferner in den besonderen Beschreibungsstellen. Abs. [0017] formuliert:
  66. „In dem Vorrichtungskörper 2 ist eine relativ zu dem Vorrichtungskörper 2 drehbar gelagerte Achse 3 ausgebildet. Die Achse 3 verläuft von der Stirnseite zu einer der Stirnseite abgewandten Seite im Inneren des Vorrichtungskörpers 2 und ist in ihren beiden Enden so ausgebildet, dass jeweils eine Scheibe 4, 5 lösbar anbringbar ist.“
  67. Durch die Formulierung am Ende „dass jeweils eine Scheibe lösbar anbringbar ist“ wird zugleich deutlich, dass „jeweils“ auf die Scheiben und nicht auf die Achse bezogen ist und das Verhältnis der Scheiben zu der Achse beschrieben wird.
  68. Die folgenden Beschreibungsstellen in Abs. [0018] und [0019] greifen diese Formulierung am Ende auf:
  69. „[…] wobei eine Scheibe 4 an der ersten Stirnseite und die andere Scheibe 5 an der der Stirnseite abgewandten Seite des Vorrichtungskörpers 2 mit der Achse 3 lösbar verbunden sind.“
  70. „[…] Um einen besonders schnellen und einfachen Austausch der Scheiben zu ermöglichen, ist vorzugsweise an jeder Scheibe ein angedrehter Gewindebolzen 11, 12 ausgebildet, über den sich die jeweilige Scheibe 4, 5 an der Achse 3 lösbar anbringen lässt. Die Erfindung ist dabei nicht darauf beschränkt, dass beide Scheiben 4, 5 lösbar mit der Achse 3, bspw. über den jeweiligen Gewindebolzen 11, 12, verbindbar sind. So ist es ebenfalls denkbar, dass eine der beiden Scheiben fest und lediglich die andere der beiden Scheiben lösbar mit der Achse verbunden ist.“
  71. Die Ausführungsbeispiele lassen zwar Abwandlungen einer erfindungsgemäßen Vorrichtung zu und vermögen daher nicht, den Anspruchsgegenstand einzuschränken. Sie geben allerdings sämtlich nur Änderungen an den Scheiben bzw. deren Befestigung zu erkennen und nicht an der Achse selbst, sodass auch diese Beschreibungsstellen das erläuterte Verständnis unterstützen.
  72. Schließlich folgt aus der Beschreibung der Drehung/Rotation der Scheibe(n), dass eine durchgehende Achse für beide Scheiben beansprucht ist. Insbesondere Abs. [0024] erläutert dazu:
  73. „Um eine einfache und leise Laufbewegung der beiden Scheiben beim Ziehen des Vorrichtungskörpers 2 über die Oberfläche zu erhalten, umfassen die beiden Scheiben jeweils einen umlaufenden Gummiring 6, 7.“
  74. Das Klagepatent beschreibt hier eine einheitliche Bewegung der ersten und der zweiten Scheibe und führt daneben immer zu einer Relativbewegung der Scheiben zum Vorrichtungskörper aus. Erläutert wird lediglich ihre gemeinsame relative Drehung zum Vorrichtungskörper. Derlei ist aber nur bei einer durchgängigen Achse möglich. Das Klagepatent gibt so auch an keiner anderen Stelle zu erkennen, dass sich die Scheiben relativ zueinander bewegen könnten, was aber die unmittelbare Folge von separaten Achsen wäre. Der Fachmann erkennt zudem, dass die Achse dem Bestreben der erfindungsgemäßen Lehre Rechnung trägt, eine einfach zu bedienende Vorrichtung bereitzustellen. Der Benutzer der Vorrichtung hält nur den Vorrichtungskörper (gestützt auf einer Oberfläche) in den Händen und muss kein besonderes Geschick für den Schleifvorgang mehr aufbringen, da die durchgehende Achse für einen gleichmäßigen Lauf der Scheibe sorgt.
  75. Ein anderes Verständnis der Achse, wonach jeweils eine am rechten bzw. linken Ende des Vorrichtungskörpers angeordnet sein könnte, folgt ebenso wenig aus der Anspruchssystematik. Merkmal 3.2.1 beschreibt dabei diejenige Folge („sodass“), die mit der in Merkmal 3.2 geschützten Anordnung von Scheiben und Achse bewirkt werden soll. Es soll eine Drehung/Rotation der zwei Scheiben relativ zu dem Vorrichtungskörper erfolgen. Dies lässt jedoch keinen Schluss auf mehrere im Körperinneren verlaufende Achsen zu, sondern ist gerade durch eine sich durchgehend erstreckende Achse realisierbar.
  76. Die Figuren 1 und 2 wiederum bekräftigen das erläuterte Verständnis, weil ihnen beiden eine durchgängig ausgestaltete Achse zu entnehmen ist.
  77. Technisch-funktionale Erwägungen unterstützen das erörterte Verständnis schließlich außerdem. Die Achse im Körperinneren sorgt dafür, dass sich die Scheiben relativ zum Vorrichtungskörper drehen können. Der Benutzer kann die Vorrichtung in der Hand halten und bewegen, ohne auf eine bestimmte Positionierung des Schleifwerkzeugs oder der Vorrichtung achten zu müssen. Die Relativbewegung der Scheiben stellt ein gutes Schleifergebnis sicher.
  78. b.
    Ausgehend von vorstehendem Verständnis verwirklicht die angegriffene Ausführungsform die Lehre des Klagepatents nicht. Denn ihrem unstreitigen Aufbau nach verfügt die angegriffene Ausführungsform an jeder Stirnseite über ein Kugellager, welches im Inneren drehfest mit der ersten bzw. zweiten Scheibe verbunden ist. Die beiden Kugellager sind nicht miteinander verbunden und stellen damit keine Achse im Sinne des Klagepatents dar. Nachstehende Abbildung aus der Replik nebst Beschriftungen der Klägerin veranschaulicht diesen Aufbau der angegriffenen Ausführungsform für eine axiale Seite:
  79. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Lehre des Klagepatents aber mit äquivalenten Mitteln.
  80. a.
    Bei einer vom Sinngehalt der Patentansprüche abweichenden Ausführung kann eine Benutzung dann vorliegen, wenn der Fachmann auf Grund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse als für die Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems gleichwirkend auffinden konnte (BGH, GRUR 1988, 896 – Ionenanalyse; BGH, GRUR 1989, 903, 904 – Batteriekastenschnur; BGH, GRUR 2000, 1005, 1006 – Bratgeschirr). Dabei fordert es das gleichgewichtig neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot der Rechtssicherheit, dass der durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs bildet; diese hat sich an den Patentansprüchen auszurichten (BGH, GRUR 1989, 205 – Schwermetalloxidationskatalysator; BGH, GRUR 1989, 903, 904 – Batteriekastenschnur; BGH, GRUR 1993, 886, 889 – Weichvorrichtung I). Für die Zugehörigkeit einer vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichenden Ausführung zum Schutzbereich genügt es hiernach nicht, dass sie (1.) das der Erfindung zugrundeliegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln löst und (2.) seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden. Ebenso wie die Gleichwirkung nicht ohne Orientierung am Patentanspruch festgestellt werden kann (Einzelheiten hierzu BGH, GRUR 2000, 1005, 1006 – Bratgeschirr), müssen (3.) darüber hinaus die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht (BGH, GRUR 2002, 519 –Schneidmesser II, Rn. 35; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 14. Aufl., Kap. A., Rn. 120 ff.).
  81. b.
    Diese Voraussetzungen sind durch die beiden mit Achszapfen in Kugellagern an den axialen Enden der angegriffenen Ausführungsform befestigten Scheiben erfüllt.
  82. aa.
    Gleichwirkung meint, dass das abgewandelte Mittel die gleiche vom Schutzrecht erstrebte Wirkung zur Lösung des technischen Problems entfaltet. Dabei ist die geschützte Vorrichtung als Ganzes zu betrachten. Entscheidend ist, welche Wirkung das Merkmal im Gesamtzusammenhang der Erfindung hat (Kühnen, a.a.O., Kap. A, Rn. 147 ff). Diese Wirkungen müssen in der angegriffenen Ausführungsform durch andere Mittel erzielt werden. Danach ist es erforderlich, den Patentanspruch darauf zu untersuchen, welche der Wirkungen, die mit seinen Merkmalen erzielt werden können, zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe patentgemäß zusammenkommen müssen. Diese Gesamtheit repräsentiert die patentierte Lösung und stellt deshalb die für den anzustellenden Vergleich maßgebliche Wirkung dar. Nur so ist gewährleistet, dass trotz Abwandlung bei einem oder mehreren Merkmalen lediglich solche Ausgestaltungen vom Schutzbereich des Patentanspruchs umfasst werden, bei denen der mit der geschützten Erfindung verfolgte Sinn beibehalten ist. Als gleichwirkend kann eine Ausführungsform dann angesehen werden, wenn sie nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt, die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 6714 – Hubsäule m.w.N.).
  83. Die erfindungsgemäße Lehre will sowohl eine einfache Bedienung als auch eine erhöhte Schleifwirkung zur Verfügung stellen. In Abgrenzung zu vorbekannten Vorrichtungen sollte dies insbesondere dadurch ermöglicht werden, dass die Vorrichtung statt in der Luft gehalten werden zu müssen, über eine Oberfläche geführt werden kann, wobei das zu schleifende Schneidwerkzeug konstant und in einem gleichmäßigen Winkel an dem Schleifmittel anliegt. Dieser Vorteil wird insbesondere erzielt, indem die Scheiben als Schleifmittel drehbar gelagert sind und deren Bewegung unabhängig vom Vorrichtungskörper ausgestaltet ist. Dies bewirkt, dass der Benutzer während des gesamten Schleifvorgangs den Vorrichtungskörper, der auf eine Oberfläche abgestützt ist, festhalten kann, ohne zwischendurch die Position seiner Hand verändern zu müssen. Die Handhabe einer erfindungsgemäßen Vorrichtung ist damit gelingsicher und einfach.
  84. Diese Vorteile werden durch die angegriffene Ausführungsform und deren seitliche Ausgestaltung mit je einem Kugellager, mit welchem über einen Achszapfen pro Seite je eine Scheibe verbunden ist, realisiert. Denn die Kugellager machen eine Relativbewegung der Scheiben zum Vorrichtungskörper möglich und dienen zugleich als Befestigungsmöglichkeit der Scheiben. Für den Benutzer macht es in der Handhabe der Vorrichtung keinen Unterschied, ob im Inneren des Vorrichtungskörpers eine Achse verläuft oder seitlich je ein Kugellager montiert ist. Ohne Relevanz für die Frage der Gleichwirkung ist schließlich, ob es bei der angegriffenen Ausführungsform zu einem „Eiern“ kommen kann. Denn das Erzielen einer zu 100% gleichen Wirkung eines Merkmals ist schon nicht erforderlich. Ausreichend ist, dass insgesamt die von der Erfindung als obligatorisch angestrebten Vorteile erreicht werden. Jede einzelne Wirkung muss nur im praktisch noch erheblichen Maße festzustellen sein (vgl. BGH, GRUR 2015, 361 – Kochgefäß). Derlei vermag die Kammer für die angegriffene Ausführungsform festzustellen, da die Beklagte keine tatsächlichen Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht hat, wonach ein Schleifergebnis mit der angegriffenen Ausführungsform nicht zufriedenstellend wäre. Vielmehr stellt sie in ihrer Bewerbung der angegriffenen Ausführungsform sogar „ein gleichermaßen perfektes Ergebnis“ heraus (vgl. Replik S. 8, Bl. 104 GA).
  85. bb.
    Der Fachmann konnte das bei der angegriffenen Ausführungsform angewendete abgewandelte Mittel auch ohne erfinderisches Zutun auffinden.
  86. Bei der Würdigung des Klagepatents erkennt der Fachmann, dass die drehbar gelagerte Achse der Verbindung der Scheiben mit dem Vorrichtungskörper dient. Wie im Detail diese Verbindung hergestellt wird, ist in das Belieben des Fachmanns gestellt, weil keine konkreten Verbindungsmittel aufgeführt werden. Der erste und zweite Gewindebolzen sind erst Gegenstand eines Unteranspruchs. Hierzu erhält der Fachmann zudem etwa aus Abs. [0019] den Hinweis, dass unterschiedliche Verbindungsarten (lösbar bzw. fest) denkbar sind. In diesem Zuge eine Achse gewissermaßen aufzuspalten und an/in je an einem axialen Ende einen Mechanismus vorzusehen, der der Befestigung der Scheiben sowie der relativen Rotation dient, ist Teil seines Fachwissens. Es bedarf daher keiner Aufklärung, ob der Fachmann Kenntnisse aus dem Bereich des Fahrzeugbaus heranziehen würde bei der Frage, wie eine Schleifvorrichtung ausgestaltet werden könnte. Jedenfalls dürften überhaupt einem Maschinenbauer Achsen und Kugellager bekannt sein und auch, dass sie gegeneinander ausgetauscht werden könnten.
  87. cc.
    Nach dem Gleichwertigkeitserfordernis ist notwendig, dass diejenigen Überlegungen, die der Fachmann anzustellen hat, um zu der gleichwirkenden Abwandlung zu gelangen, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein müssen, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen Lehre gleichwertige Lösung in Betracht zieht. Es ist mithin nicht ausreichend, dass der Fachmann auf Grund seines Fachwissens eine Lehre als technisch sinnvoll und gleichwirkend zu der in den Patentansprüchen formulierten Lehre erkennt. Vielmehr müssen sich seine Überlegungen am Patentanspruch orientieren. Die notwendige Orientierung am Patentanspruch setzt voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185 – WC-Sitzgelenk). Insoweit ist zwischen solchen Merkmalen zu unterscheiden, die aus Sicht des Fachmanns „stellvertretend“ für ein bestimmtes Wirkprinzip stehen und solchen, die sich überhaupt nur auf die dem Wortsinn entsprechende Weise umsetzen lassen, weil jede Abweichung sich in diametralen Widerspruch zu der technischen Lehre des Klagepatents setzt. Eine Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre kommt nur in erstgenannter Fallgruppe in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2021, 7737 – Abstreifeinheit). Diese Unterscheidung trägt der einem Klagepatent zugrunde liegenden Erfindung in besonderer Weise Rechnung, weil dessen Anweisungen und die einzusetzenden Mittel unmittelbar berücksichtigt werden und nicht abstrahiert werden, wodurch der Fokus nicht mehr auf der eigentlichen Erfindung läge.
  88. Die Austauschmittel in der angegriffenen Ausführungsform sind danach gleichwertig zu der erfindungsgemäß vorgesehenen Achse. Die Lehre des Klagepatents weist den Fachmann an, seitlich am Vorrichtungskörper und im Verhältnis zu diesem rotierbare Scheiben zum Schleifen vorzusehen. Indem das Klagepatent dabei auf eine im Vorrichtungskörper angeordnete Achse abstellt, wird indes kein exklusives Wirkprinzip beschrieben, welches nur unter Verwendung dieses Vorrichtungsteils realisiert werden kann. Vielmehr steht die Achse stellvertretend für ein Vorrichtungsteil, welches eine unabhängige Relativbewegung der axialen Scheiben ermöglicht. Die technische Lehre ist indes nicht auf eine Achse beschränkt.
    Etwas anderes ergibt sich auch hier nicht aus dem Umstand, dass bei separat gelagerten Scheiben ein „Eiern“ einer Scheibe oder das Fahren von Schleifkurven eintreten könnte. Das Klagepatent hat diese Aspekte bei der Auswahl der Achse überhaupt nicht zugrunde gelegt. Die Klagepatentbeschreibung gibt für diese Annahme keine Anhaltspunkte. Auch aus technischen Erwägungen kommt es auf den möglicherweise durch eine Achse sichergestellten Gleichlauf der Schleifscheiben nicht an. Denn an keiner Stelle beschreibt das Klagepatent, dass zeitgleich sowohl die erste als auch die zweite Scheibe benutzt werden sollen. Vielmehr sollen die beiden Scheiben nacheinander zur Anwendung kommen (vgl. Abs. [0026] f.). Dass sich hierbei ein ungleichmäßiger Lauf auf ein Schleif-/Polierergebnis nachteilig auswirken könnte, ist indes nicht zu erkennen.
  89. Schließlich ist ohne Belang, ob die Kugellager als Austauschmittel eventuell aufwändiger als die erfindungsgemäße Achse sind und sogar Vorteile gegenüber der erfindungsgemäßen Vorrichtung bieten (vgl. BGH, GRUR 2006, 399 – Rangierkatze), weil es im Belieben des Fachmanns steht, wie er eine gleichwertige Lösung ausgestaltet, solange diese den Anweisungen der technischen Lehre Rechnung trägt.
  90. III.
    Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ergeben sich die folgenden Rechtsfolgen:
  91. 1.
    Da die Beklagte das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.
  92. 2.
    Die Beklagte trifft auch ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Denn die Beklagte als Fachunternehmen hätte bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
  93. Der Entschädigungsanspruch der Klägerin folgt aus Art. II § 1 IntPatÜG. Es ist seitens der Beklagten unwidersprochen geblieben, dass der Anspruch zunächst zugunsten des A als ursprünglichem Anmelder des Klagepatents entstanden ist; dieser hat die Anmeldung nebst dem Entschädigungsanspruch aber auf die Klägerin übertragen.
  94. Da die genaue Entschädigungs-/Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
  95. Die angefallenen Testkaufkosten in Höhe von 99,95 Euro sind dagegen eine zwar schon jetzt bezifferbare Schadensersatzposition. Indes werden sie im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens und nicht im Wege eines eigenen materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs erstattet (vgl. Kühnen, a.a.O., Kap. B, Rn. 455).
  96. 3.
    Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungshandlungen Auskunft zu erteilen, Art. 64 EPÜ, § 140b PatG, und Rechnung zu legen, §§ 242, 259 BGB.
  97. Die Klägerin kann die geschuldeten Angaben in elektronischer Form verlangen.
  98. Angesichts der weitgehenden Digitalisierung der Geschäftswelt kann der Gläubiger des Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs regelmäßig vom Schuldner verlangen, die Auskunft und Rechnungslegung in elektronisch auswertbarer Form zu erhalten. Als elektronisch auswertbare Form ist hierbei eine Form zu verstehen, bei der die Daten von einem Computer unmittelbar ausgewertet werden können. Es entspricht den heutigen Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr, dass die entsprechenden Daten beim Schuldner bereits digital verfügbar sind. Dementsprechend ist es ihm regelmäßig möglich und zumutbar, dem Gläubiger dasjenige elektronische Element zu überlassen, das ohnehin die Basis einer Auskunftserteilung und Rechnungslegung in Papierform bildet. Der Schuldner wird hierdurch nicht belastet und dem Gläubiger wird die Verwertung der Auskünfte zum Zwecke der weiteren Rechtsverfolgung entscheidend erleichtert (OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 52268, Rn. 108; Kühnen, a.a.O., Kap. D, Rn. 884; BeckOK PatR/Voß, PatG, § 140b, Rn. 26).
  99. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn die Daten beim Schuldner tatsächlich nicht in elektronischer Form vorhanden sind und er solche elektronischen Daten erst anfertigen müsste und deshalb durch eine solche Verurteilung zusätzlich belastet wäre. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Bereits mit der Klageschrift hat die Klägerin beantragt, die Aufstellung in einer mittels EDV auswertbaren, elektronischen Form zu erhalten. Hiergegen hat sich die Beklagte nicht gewandt. Die Kammer hat daher keinen Anlass für die Annahme, dass die streitigen Auskunftsdaten nicht auch in elektronischer Form bei der Beklagten verfügbar sind.
  100. Lediglich nicht verpflichtet ist die Beklagte, die unter Ziff. I.2. tenorierten Auskünfte neben einem Nachweis mit entsprechenden Belegen auch in Form eines geordneten Verzeichnisses zusammenzustellen. Derlei ist für den Auskunftsanspruch gem. § 140b PatG nicht vorgesehen.
  101. 4.
    Die Beklagte ist nach Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 1 und 3 PatG in der zuerkannten Weise auch zur Vernichtung und zum Rückruf der das Klagepatent verletzenden Gegenstände verpflichtet.
  102. V.
    Der Rechtsstreit war nicht auszusetzen. Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass die im Wege der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Einwände gegen den Rechtsbestand des Klagepatents hinreichend wahrscheinlich erfolgreich verlaufen würden.
  103. 1.
    Nach Auffassung der Kammern (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt. 1997, 257, 258 – Steinknacker) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; GRUR 2014, 1237 ff. – Kurznachrichten) bestätigt wurde, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen.
  104. Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist, verurteilt das Verletzungsgericht, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung, wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls hat es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Nichtigkeitsklage entschieden ist (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten). Denn eine – vorläufig vollstreckbare – Verpflichtung des Beklagten zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch gebietet, dem Verletzungsbeklagten wirkungs-vollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff gegen den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen An-griff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung führen zu können auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein – und gegebenenfalls das einzige – Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten).
  105. 2.
    Das Klagepatent ist gegenüber seiner ursprünglich angemeldeten Fassung im Anspruch 1 nicht unzulässig erweitert worden.
  106. Eine unzulässige Erweiterung ist gegeben bei einer Änderung des Gegenstandes der Patentanmeldung, so dass dieser über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Eine Änderung der Ansprüche ist nur dann eine unzulässige Erweiterung, wenn dadurch nicht nur der Schutzbereich entsprechend der ursprünglichen Offenbarung, sondern auch der Gegenstand der Anmeldung erweitert wird. Dies ist der Fall, wenn mit der Anspruchsänderung erstmals ein Gegenstand offenbart wird, der nicht Inhalt der ursprünglichen Anmeldung war (Schulte/Moufang, PatG, 10. Auflage, § 38, Rn. 14ff.). Eine identische Offenbarung liegt nach der Rechtsprechung des BGH dagegen vor, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist. Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln. Dabei ist die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.
  107. Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGH, GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal, Rn. 20 ff., mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen „unmittelbar und eindeutig“ als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt. Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung. Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet.
  108. Die Anspruchsfassung der in der Anmeldung hatte nachfolgenden Wortlaut:
    „Vorrichtung zum Schleifen und/oder Polieren eines Schneidwerkzeuges, vorzugsweise eines Haushaltsmessers umfassend:
    – einen Vorrichtungskörper (2);
    – eine in dem Vorrichtungskörper (2) drehbar gelagerte Achse (3);
    – eine erste und eine zweite im Wesentlichen kreisrunde Scheibe (4, 5), die derartig mit der drehbaren Achse (3) verbunden sind, dass wenn der Vorrichtungskörper (2) entlang einer Oberfläche, vorzugsweise einer Tischoberfläche, gezogen wird, sich die zwei Scheiben (4, 5) relativ zu dem Vorrichtungskörper (3) drehen bzw. rotieren und wobei zumindest die erste Scheibe (4) zum Schleifen ausgebildet und derartig beschaffen ist, dass wenn eine Schneide des Schneidwerkzeuges an die erste Scheibe (4) angelegt ist und der Vorrichtungskörper (2), vorzugsweise händisch, über die Oberfläche gezogen wird, die erste Scheibe (4) aufgrund der Drehung bzw. Rotation die Schneide schleift.“
  109. Bereits dieser Anspruchswortlaut macht durch die Aufzählung der einzelnen Vorrichtungsbestandteile deutlich, dass eine drehbar gelagerte Achse vorgesehen ist, mit welcher eine erste und eine zweite Scheibe zu verbinden sind. Demgemäß finden sich in der Klagepatentbeschreibung viele Passagen, die das Vorhandensein einer Achse im Vorrichtungskörper offenbaren, z.B. Spalte 2, Z. 1 ff. und Z. 47 ff.:
  110. „wobei die beiden Scheiben über eine im Inneren des Vorrichtungskörpers gelagerte Achse lösbar verbunden sind und die Achse relativ zu dem Vorrichtungskörper rotierbar ist,
  111. dass die erste und/oder zweite Scheibe lösbar mit der Achse verbunden sind, […],
    dass sowohl die erste als auch die zweite Scheibe lösbar mit der Achse verbunden sind.“
  112. Im Vergleich zu diesem Verständnis ist die Lehre des Klagepatents nicht allein deshalb unzulässig erweitert, weil Merkmal 3.2 von Scheiben spricht, die „jeweils“ mit einer in dem Vorrichtungskörper drehbar gelagerten Achse verbunden sind. Dies ist – wie gezeigt – dahin zu verstehen, dass eine Achse zu implementieren ist, mit der die beiden Scheiben in Verbindung stehen. Es handelt sich gegenüber dem Anspruch in seiner ursprünglichen Fassung zwar um eine Umformulierung, mit welcher indes keine unzulässige Erweiterung des Schutzgegenstandes einhergeht.
  113. B.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
  114. Streitwert: 250.000,- Euro

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