4 O 158/01 – Arzneimittelherstellung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 46

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 19. März 2002, Az. 4 O 158/01

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III.

Das Urteil ist für die Beklagten wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, sofern die Beklagten 1., 3. und die Beklagten 2., 4. Sicherheit in Höhe von 15.000,00 € leisten.

Die Sicherheiten können jeweils auch durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.

IV.

Der Streitwert wird auf 500.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand :

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des – mit Wirkung u.a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten – europäischen Patents 0 621 777, das auf einer am 2. November 1994 veröffentlichten Anmeldung vom 18. Januar 1993 beruht und dessen Erteilung am 11. September 1996 bekannt gemacht worden ist. Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „Wirkstoff enthaltende Festkörper mit einem Gerüst aus hydrophilen Makromolekülen und Verfahren zu ihrer Herstellung“. Die im vorliegenden Rechtsstreit interessierenden Patentansprüche 1 und 11 haben in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut:

1. Verfahren zur Herstellung von wenigstens einen Wirkstoff mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit enthaltenden Pellets, dadurch gekennzeichnet ,

dass man

a) einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus: Kollagen, Gelantine, fraktionierte Gelantine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate, in einem wässrigen oder wässrig-organischen Lösungsmittel löst,

b) den Wirkstoff dispergiert und

c) die erhaltene Mischung aus gelöstem Gerüstbildner und dispergiertem Wirkstoff in ein tiefkaltes, inertes verflüssigtes Gas eintropft und so Pellets formt, und

d) die so geformten Pellets durch Verdampfen oder Sublimieren des Lösungsmittels auf übliche Weise trocknet.

11. Wirkstoff enthaltenes Pellet, gekennzeichnet durch ,

eine Dispersion wenigstens eines Wirkstoffs oder Wirkstoffgemisches mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit in einer Matrix, die im wesentlichen einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen umfaßt, welche ausgewählt wurden aus der Gruppe bestehend aus:

Kollagen, Gelatine, fraktionierte Gelatine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elstinhydrolysate, sowie deren Mischungen,

herstellbar durch das Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 10.

Die Beklagten zu 1. und 2. haben gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage erhoben, über die derzeit noch nicht entschieden ist.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung, Schadenersatz und Vernichtung in Anspruch.

Zur Begründung ihres Verletzungsvorwurfes stützt sie sich auf die als Anlagen K 7 und K 8 vorgelegten Werbeunterlagen, das als Anlage K 10 überreichte Vortragsmanuskript des Beklagten zu 4. sowie den als Anlage K 17 eingeführten Fachaufsatz, dessen Mitautor ebenfalls der Beklagte zu 4. ist.

Die Klägerin beantragt,

I.

die Beklagten zu verurteilen,

1.

es bei Meidung der (näher bezeichneten) gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,

im deutschen Geltungsbereich des europäischen Patents 0 621 777

Wirkstoff enthaltende Pellets

herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen eine Dispersion wenigstens eines Wirkstoffs oder Wirkstoffgemisches mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit in einer Matrix gegeben ist, die im wesentlichen einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen umfaßt, welche ausgewählt wurde aus der Gruppe bestehend aus:

Kollagen, Gelantine, fraktionierte Gelantine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate sowie deren Mischungen;

2.

ihr (der Klägerin) darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2. Dezember 1994 begangen haben, und zwar unter Angabe

a)

der Herstellungsmengen und – zeiten sowie der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b)

der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluß von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

c)

der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluß von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d)

der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Kalendervierteljahren und Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e)

der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei von dem Beklagten zu 3. sämtliche Angaben und von allen Beklagten die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 11. Oktober 1996 zu machen sind;

3.

die in ihrem (der Beklagten) unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, vorstehend unter 1. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten;

II.

festzustellen,

1.

dass die Beklagten zu 1. und 2. gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr (der Klägerin) für die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 2. Dezember 1994 bis 10. Oktober 1996 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2.

dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr (der Klägerin) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 11. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise,

den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen.

Die Beklagten zu 2. und 4 bitten außerdem, ihnen einen Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen.

Sie bestreiten den Vorwurf der Patentverletzung und machen hierzu geltend:

Die von ihnen beworbene „NanoMorph-Technologie“ entspreche dem Stand der Technik, wie er in der europäischen Patentanmeldung 0 230 949 (Anlage B 3) dokumentiert sei. Wie sich aus der nachfolgenden Abbildung

ergebe, werde in einem Gefäß (1) zunächst der Wirkstoff in einem mit Wasser mischbaren Lösungsmittel suspendiert. In einem weiteren Gefäß (2) werde weiteres Lösungsmittel bereitgestellt. Der Inhalt beider Gefäße (1, 2) werde über die Pumpen (3, 4) einer Mischkammer (7) zugeführt. Dabei werde das Lösungsmittel aus dem Gefäß (2) über den Wärmetauscher (6) auf eine Temperatur von 50 bis 200 °C aufgeheizt, während die Suspension aus dem Gefäß (1) unterhalb einer Temperatur von 50 °C gehalten werde. In der Mischkammer (7) vereinigten sich beide Ströme, wobei der Wirkstoff aufgrund der hohen Temperatur des aus dem Gefäß (2) kommenden Lösungsmittels vollständig gelöst werde. Die nach einer äußerst kurzen Verweilzeit aus der Mischkammer (7) austretende Lösung des Wirkstoffes werde in eine zweite Mischkammer (11) geführt. Über eine Pumpe (9) werde aus dem Gefäß (14) eine wässrige Lösung eines quellbaren Kolloids zugemischt. Da deren Temperatur im Vergleich zu der Temperatur der Wirkstofflösung wesentlich niedriger sei, trete eine rasche Ausfällung des Wirkstoffs in Form kolloidaler Kern-Schale-Partikel ein mit der Folge, dass der Wirkstoffkern von einer Kolloidhülle überzogen werde. Bei der gegebenen Sachlage – so meinen die Beklagten – scheide eine Benutzung des Klagepatents aus. Zumindest werde sich das Klagepatent im anhängigen Nichtigkeitsverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. In Anbetracht dessen sei der hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag gerechtfertigt.

Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten und dem Aussetzungsbegehren entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe :

Die Klage ist zulässig; in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung, Schadenersatz und Vernichtung nicht zu, weil sich nicht feststellen läßt, dass die Beklagten von der technischen Lehre des Klagepatents widerrechtlich Gebrauch gemacht haben oder dies für die Zukunft zumindest droht.

I.

Das Klagepatent betrifft Pellets aus hydrophilen Makromolekülen sowie Verfahren zu ihrer Herstellung.

Wie die Klagepatentschrift einleitend (Seite 2 Zeilen 8 ff) erläutert, dienen Granulate bzw. Pellets als Formkörper in der pharmazeutischen Industrie als Zwischenprodukt zur Tablettierung. Die Formgebung – so heißt es – solle zu einem frei fließenden, körnigen und staubfreien Produkt führen, das aufgrund seiner Gleichförmigkeit die technologische Verarbeitung und die Dosiergenauigkeit gewährleistet. Abgefüllt in Hartgelantinekapseln besitzen Pellets gegenüber Tabletten oder Dragees verschiedene Vorteile:

Sie verteilen sich gleichmäßig im Gastrointestinaltrakt, besitzen aufgrund ihrer geringen Größe kürzere Magenverweilzeiten und lösen sich schneller auf. Darüber hinaus können Pellets mit unterschiedlicher Wirkstoffabgabe in gemischter Form einzeldosiert werden. Die notwendige Verarbeitung der pulvrig-kristallinen Wirk- und Arzneimittelhilfsstoffe zu Granulaten (Pellets) als Formkörper geschieht herkömmlicherweise mit sogenannten auf- und abbauenden Verfahren. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere und aufwendigere Teilschritte erforderlich sind, um zu den Granulaten bzw. Pellets zu gelangen (Seite 2 Zeilen 23 ff). Außerdem werden bei den bekannten Granulations- und Pelletierverfahren eine ganze Reihe von Hilfsstoffen eingesetzt, z.B. Bindemittel oder Granulierflüssigkeiten, die dazu dienen, das pulverförmige Gut in eine feste, kompakte und verarbeitungsfähige Form zu bringen. Die Verwendung solcher Hilfsstoffe ist nicht zuletzt unter biopharmazeutischen Aspekten problematisch, weil der Arzneimittelwirkstoff dem Organismus erst nach erfolgter Desaggregation und anschließender Freisetzung zur Verfügung steht. Die Vielzahl unterschiedlicher Haft- und Bindungskräfte in Granulaten führen zu Feststoffbrücken, deren bindende Kräfte im Organismus überwunden werden müssen, um den Arzneistoff freizugeben. Jeder Herstellungsschritt der bekannten Granulierverfahren kann damit einen ungünstigen Einfluß auf die Freisetzung des Wirkstoffs und damit seine Bioverfügbarkeit nehmen (Seite 2, Zeilen 56 ff).

Der Erfindung des Klagepatents liegt ausgehend hiervon die Aufgabe zugrunde, neuartige Festkörper sowie Verfahren zu ihrer Herstellung vorzuschlagen, die zum einen aufgrund ihrer Struktur und Zusammensetzung die Bioverfügbarkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen verbessern, lagerstabil, exakt dosierbar, als single oder multibel unit vorliegen und zum anderen auf umweltschonende, einfache und wirtschaftliche Weise herzustellen sind, die Wirkstoffe auf schonende Weise verarbeiten und somit insgesamt die Nachteile des Standes der Technik überwinden (Seite 4 Zeilen 3 bis 7).

In seinem Sachanspruch 11, der als sogenannter Product-by-Process-Anspruch formuliert ist, sieht das Klagepatent hierzu die Kombination folgender Merkmale vor:

(1) Pellet, welches einen Wirkstoff enthält.

(2) Der Wirkstoff besitzt eine in vivo schlechte Resorbierbarkeit.

(3) Das Pellet weist eine Dispersion wenigstens eines Wirkstoffes in einer Matrix auf.

(4) Die Matrix umfaßt im wesentlichen einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen.

(5) Die hydrophilen Makromoleküle sind ausgewählt aus einer Gruppe bestehend aus Kollagen, Gelantine, fraktionierte Gelatine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate sowie deren Mischungen.

(6) Das Pellet ist herstellbar durch das Verfahren nach (u.a.) Patentanspruch 1, nämlich durch Anwendung folgender Verfahrensschritte:

(a)

Ein Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen, ausgewählt aus der Stoffgruppe nach Merkmal (5), wird in einem wässrigen oder wässrig-organischen Lösungsmittel gelöst.

(b)

In der Lösung wird der Wirkstoff dispergiert.

(c)

Die so erhaltene Mischung aus gelöstem Gerüstbildner und dispergiertem Wirkstoff wird in ein tiefkaltes inertes verflüssigtes Gas eingetropft und so Pellets geformt.

(d)

Die so geformten Pellets werden durch Verdampfen oder Sublimieren des Lösungsmittels auf übliche Weise getrocknet.

Ungeachtet der Product-by-Process-Fassung handelt es sich beim Patentanspruch 11 um einen Sachanspruch, welcher der Klägerin einen dementsprechend umfassenden Patentschutz gewährt. Die gewählte Formulierung („herstellbar durch das Verfahren nach Patentanspruch 1“) setzt auf der Verletzungsebene nicht notwendigerweise voraus, dass das angegriffene Erzeugnis nach dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellt worden ist. Vielmehr kommen ebensogut andere Fertigungsverfahren in Betracht; Voraussetzung ist allerdings, dass diese anderen Fertigungsverfahren dem Produkt (Pellet) dieselbe Struktur bzw. dieselben Eigenschaften verleihen, die nach der Lehre des Klagepatents aus dem erfindungsgemäßen Verfahren resultieren. Das von Patentanspruch 11 in Bezug genommene Herstellungsverfahren steht insoweit stellvertretend für die mit ihm verbundenen Wirkungen bzw. Eigenschaften, die mittelbar durch das für sie verantwortliche Herstellungsverfahren definiert sind.

Welche Eigenschaften dies sind, erschließt sich dem Fachmann anhand der Klagepatentschrift. Bereits die Ausführungen zum vorbekannten Stand der Technik belehren ihn darüber, dass es darum geht, pulvrig-kristalline Wirkstoffe (mit schlechter in vivo Resorbierbarkeit) zu dosiergenau verarbeitenden Granulaten als Formkörper aufzubereiten. Auf Seite 2, Zeilen 21 ff heißt es in diesem Sinne:

„Jedoch liegt allen Verfahren des Standes der Technik die grundsätzliche Problematik der notwendigen Formgebung von pulvrig-kristallinen Wirk- und Hilfsstoffen zu verarbeitbaren Granulaten (Pellets) als Formkörper zugrunde. … Allen Verfahren gemeinsam ist, dass man bisher nur über mehrere und aufwendige Teilschritte zu Granulaten bzw. Pellets als Formkörper gelangt.

Bei den abbauenden Verfahren werden … zunächst die Arznei- und Hilfsstoffe zerkleinert, durch Sieben auf eine einheitliche Korngröße gebracht und dann gemischt. Danach erfolgt das trockene oder feuchte Granulieren, bei dem die Pulvermischung aggregiert und anschließend zu Granulatkörnern zerkleinert wird. …

Bei den Aufbaugranulaten werden aus den pulverförmigen Arznei- und Hilfsstoffen unter kontinuierlicher Zugabe von Granulierflüssigkeit bei gleichzeitigem Trocknen Granulatkörner in einem kontrollierten Prozess gebildet. Durch anschließende spezielle Ausrundungsverfahren gelangt man zu runden, kugelförmigen Granulatteilchen (Pellets). …

Alle diese Herstellungsprozesse stellen technologisch aufwendige Mehrschrittverfahren dar. …

Weiterhin ist bei allen Granulations- und Pelletierverfahren der Einsatz einer ganzen Reihe von Hilfsstoffen notwendig. So müssen beispielsweise Bindemittel oder Granulierflüssigkeit eingesetzt werden, um das pulverförmige Gut in eine feste, kompakte und verarbeitungsfähige Form zu bringen. …

Betrachtet man nach dem Stand der Technik herstellte Pellets oder Granulate darüber hinaus unter biopharmazeutischen Aspekten, so läßt sich erkennen, dass der Arzneistoff aus diesen aggregierten Formkörpern erst nach Desaggregation und anschließender Freisetzung dem Organismus zur Verfügung gestellt werden kann. Die Vielzahl unterschiedlicher Haft- und Bindungskräfte in Granulaten verdeutlicht diese Problematik. Durch erhärtende Bindemittel beim Trocknen oder durch Sintern bzw. Schmelzhaftung unter Druckeinwirkung entstehen Feststoffbrücken, deren bindende Kräfte im Organismus überwunden werden müssen, um den Arzneistoff überhaupt erst aus der Arzneiform freizugeben. Jeder Herstellungsschritt bei den Verfahren des Standes der Technik kann somit einen ungünstigen Einfluß auf die Freisetzung des Wirkstoffs und damit auf seine Bioverfügbarkeit nehmen.“

Bereits im Rahmen der Erörterung des Standes der Technik verwendet die Klagepatentschrift – wie aufgezeigt – den Begriff „Pellet“ synonym zu „Granulaten“, welche den pulverförmigen Arzneimittelwirkstoff gebunden enthalten. Patentanspruch 11 geht von keinem anderen Verständnis aus. Er sieht nämlich vor, dass das Pellet eine Dispersion des Wirkstoffs in einer Matrix aufweist, wobei die Matrix im wesentlichen einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen umfaßt. Schon die genannten Anspruchsmerkmale machen deutlich, dass der Wirkstoff in einem Makromolekulargerüst eingebettet sein soll. Unterstrichen wird die genannten Interpretation durch die Bezugnahme auf das Herstellungsverfahren, welches sich nach Patentanspruch 1 dadurch auszeichnet, dass die Pellets dadurch erhalten werden, dass zunächst der Gerüstbildner gelöst, in die so erhaltene Lösung der Wirkstoff dispergiert und die daraus resultierende Lösung aus Gerüstbildner und dispergiertem Wirkstoff in ein tiefkaltes inertes verflüssigtes Gas eingetropft wird. Das Resultat einer solchen Verfahrensweise ist ein Formkörper, in dem das Wirkstoffpulver in der Lösung verteilt (eingebettet) ist.

Der übrige Beschreibungstext der Klagepatentschrift bestätigt diese Auslegung. Zu verweisen ist diesbezüglich auf folgende Beschreibungsstellen:

– Seite 4 Zeilen 43 bis 59:

„Die erfindungsgemäßen festen bis halbfesten oder gelartigen Pellets stellen runde, einheitliche Formkörper im Bereich von 0,2 bis 12 mm dar. Pellets im Bereich von 0,2 bis 2 mm eigenen sich für multiple unit dosage forms, Pellets im Bereich von 2 bis 12 mm sind als single unit dosage forms verwendbar. … Die einheitliche Korngrößenverteilung der beanspruchten Pellets, verbunden mit einer homogenen Verteilung des Arzneistoffes (sic. im Pellet) verbessern gegenüber dem Stand der Technik die Dosiergenauigkeit deutlich. Weiterhin werden die in der Pelletmatrix eingebetteten Wirkstoffe in eine lagerstabile Form gebracht. … Die erfindungsgemäßen Pellets als Formkörper, die sich durch ihre einheitlich runde und gleichmäßige Gestalt auszeichnen, sind aufgrund ihres harmonischen Gesamteindrucks optisch sehr ansprechend und können die Akzeptanz beim Patienten steigern. … Durch die vorteilhafte Schutzkolloidfunktion der beanspruchten Makromoleküle und gleichzeitige Einbettung der Wirkstoffe in dem polymeren Matrixgerüst wird … die Verträglichkeit deutlich erhöht.“

– Seite 5 Zeilen 27 – 24:

„Unter technologischen und biopharmazeutischen Aspekten erfüllen die beschriebenen Pellets alle prinzipiellen Anforderungen, die an diese Dosierungsform zu stellen sind:

– sie sind in Form und Farbe gleichmäßig,

– besitzen eine enge Korngrößenverteilung,

– sind leicht dosier- und abfüllbar,

– weisen eine hohe mechanische Festigkeit und Haltbarkeit

auf,

– setzen den Arzneistoff schnell oder moduliert frei.“

Insbesondere der letztgenannte Effekt beruht – für den Fachmann erkennbar – darauf, dass der Wirkstoff nicht mehr unter Einsatz von Bindemitteln oder dergleichen zu Granulaten verarbeitet wird, sondern Pelletes (Granulate) mit eingelagertem Wirkstoffpulver dadurch erhalten werden, dass der in ein Matrixgerüst dispergierte Wirkstoff in ein tiefkaltes verflüssigtes Gas eingetropft wird. Wegen des vollständigen Verzichts auf Bindemittel bei der Granulatherstellung hängt der Lösevorgang, d. h. die Freisetzung des Wirkstoff aus dem Pellet, allein von der Zusammensetzung des Matrixsystems ab. Je nach der Wahl des Gerüstbildners läßt sich daher die Auflösungsgeschwindigkeit bestimmen und gezielt einstellen (Seite 5 Zeilen 5 – 13, Zeilen 39 – 41).

– Seite 9 Zeilen 37 – 47:

„Im zweiten Schritt wird das Dihydropyridinderivat (sic: Wirkstoff) in möglichst feinteiliger Form in der Lösung des hydrophilen Makromoleküls dispergiert. Das im zweiten Schritt beschriebene System wird nun im dritten Schritt zur Formgebung über ein geeignetes Dosiersystem in eine tiefkalte, leicht verdampfbare Flüssigkeit eingetropft … . Jeder diskrete Tropfen nimmt dabei einerseits bereits während des freien Falls, andererseits im Tauchbad … Kugelgestalt an, bevor ein vollständiges Ausfrieren erfolgt. Gerade dieses schnelle, aber dennoch kontrolliert steuerbare Gefrieren fixiert den gegebenen Zustand des Systems augenblicklich, d. h. es kann kein Arzneistoff in das umgebende Medium diffundieren, gelöster Arzneistoff kann nicht mehr auskristalisieren, Suspensionen können nicht mehr sedimentieren, Emulsionen können nicht mehr brechen, … das Trägergerüst kann nicht zusammenschrumpfen.“

– Ergänzend heißt es auf Seite 10 Zeilen 35 – 37:

„Das Herstellungsverfahren mit einem inerten Flüssiggas hat also keine nachteilige Beeinflussung oder Veränderung des Wirkstoffs oder der Matrixmasse zur Folge.“

Dementsprechend – und folgerichtig – definiert die Klagepatentschrift den Begriff „Pellets“ auf Seite 4 Zeilen 31 – 32 nicht allgemein als Festkörper, Aggregate oder Mikropellets, sondern als „im wesentlichen symmetrisch ausgebildete Festkörper, Aggregate oder Mikropellets“.

Dass das Klagepatent einen Formkörper voraussetzt, der den Wirkstoff eingebettet in den Gerüstbildner enthält, belegt auch der Gang des Erteilungsverfahrens, der für das Verständnis der Anspruchsmerkmale jedenfalls indiziell heranzuziehen ist. In der Ursprungsanmeldung hatte die Klägerin noch – umfassend – „Wirkstoff enthaltende Festkörper“ beansprucht, zu denen nach Maßgabe des Unteranspruchs 7 „Pulver, Granulate, Pellets, Mikropellets und Aggregate, die im wesentlichen symmetrisch ausgebildet sind“, gehören sollten. In seinem Bescheid vom 19.04.1994 (Anlage B 7) hat der Prüfer darauf hingewiesen, dass unklar sei, wie angesichts des erfindungsgemäßen Verfahrens Pulver oder Granulate hergestellt werden könnten. Im vorläufigen Prüfungsbericht heißt es: „Durch den Verfahrensschritt (c) müssten an sich zwangsläufig annähernd kugelförmige Gebilde entstehen, die sich deutlich von herkömmlichen Pulvern bzw. Granulaten unterscheiden dürften. Die Ansprüche wurden unter der Annahme geprüft, dass bei dem Verfahren nach Anspruch 1 Arzneiformen in Form von Pellets entstehen. Granulate und Pulver sollten daher von Anspruch 1 gestrichen werden.“ Die Klägerin hat daraufhin ihre Ansprüche neu gefaßt und die Patentbeschreibung vollständig überarbeitet, indem sie im gesamten Text die ursprünglich mitbeanspruchten „Pulver und Granulate“ gestrichen hat. Dies zeigt, dass auch nach dem fachmännischen Verständnis der Klägerin in einem Wirkstoff enthaltenden Pulver oder Granulat kein „Pellet“ gesehen werden kann, wie es von der erteilten Fassung des Klagepatents allein beansprucht wird.

Dem vorerwähnten Auslegungsergebnis stehen die von der Klägerin herangezogenen Textstellen der Klagepatentschrift nicht entgegen: Soweit die Klägerin auf Patentanspruch 9 verweist, übersieht sie, dass dort eine Verfahrensvariante beansprucht wird, bei der der Wirkstoff in z.B. mikroverkapselter oder nanoverkapselter Form vorliegt. Hieraus läßt sich nach den Gesetzen der Logik kein Anhaltspunkt dafür finden, dass auch als endgültiges Verfahrensprodukt (Formkörper) ein mikroverkapselter oder nanoverkapselter Wirkstoff gegeben sein kann.

Dieselben Erwägungen gelten im Hinblick auf die Beschreibungsstelle auf Seite 8 Zeilen 32 bis 38, die sich gleichfalls mit der Verwendung von mikronesierten Pulvern befaßt, welche in einer erfindungsgemäßen Pelletmatrix dispergiert sind.

Lediglich an vier Stellen der Patentbeschreibung findet sich ein Hinweis, dass als Formkörper auch „Pulver“ verwendet werden kann:

– Seite 4, Zeilen 37 – 39:

„Jedoch kann der Fachmann auch andere Festkörper aus der Gruppe bestehend aus: Pulver, Granulate, im wesentlichen symmetrisch ausgebildete Aggregate, vorteilhaft zur Herstellung insbesondere von Arzneiformen einsetzen.“

– Seite 10, Zeilen 41 – 42:

„Verwendet man z.B. ungeregelte Tropfeinrichtungen, so erhält man Granulate, bei Verwendung von geeigneten Sprüh- oder Zerstäubungsdüsen mit Dosierpumpen erhält man bevorzugt Pulver als Formkörper.“

– Seite 15, Zeilen 18 – 19:

„Die Verwendung der erfindungsgemäßen Pulver, Granulate oder Pellets als Formkörper kann z.B. über übliche Dosiersysteme in Hartgelantinekapseln oder als Granulat in Beuteln erfolgen.“

– Seite 15, Zeilen 28 – 30:

„Pulver, Granulate oder Pellets – als Formkörper – aus Matrixmassen, die sich in kaltem Wasser schnell und vollständig auflösen, können – in Beuteln abgefüllt – als Instantzubereitung für den pharmazeutischen oder diätetischen Bereich verwendet werden.“

Aus den besagten Formulierungen könnte der Fachmann – isoliert betrachtet – zwar den Eindruck gewinnen, dass Klagepatent schütze auch ein Pulver als Formkörper. Bereits der Umstand, dass „Pulver“ – jedenfalls zum Teil – neben „Pellets“ genannt ist, spricht jedoch dafür, dass es sich um jeweils eigenständige Gruppen von Formkörpern handelt. Nachdem Patentanspruch 11 nur auf „Pellets“ und nicht auch auf „Pulver“ gerichtet ist, führt den Fachmann schon diese Betrachtung zu der Annahme, dass Pulver zwar in der Beschreibung erwähnt, aber nicht vom Patentschutz umfaßt sind. Abgesehen davon – und vor allem – ist aber entscheidend, dass das in Bezug genommene Herstellungsverfahren als Formkörper nur Pellets und kein Pulver hervorbringen kann. Spätestens diese Überlegung führt den Fachmann zu der Gewißheit, dass es sich bei den erwähnten Beschreibungsstellen nur um redaktionelle Versehen handeln kann, wie sie insbesondere bei umfangreichen Patentschriften (wie der vorliegenden) nie auszuschließen sind.

II.

Die Klägerin hat keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich eine Benutzung des Klagepatents durch die Beklagten ergibt.

1.

Was zunächst etwaige Angebotshandlungen der Beklagten betrifft, so bezieht sich die Klägerin ausschließlich auf die als Anlagen K 7 und K 8 vorgelegten Werbeprospekte. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das beworbene (Arznzeimittel-)Produkt (noch) nicht auf dem Markt erhältlich ist. Unter den gegebenen Umständen müssen sich deshalb, damit ein patentverletzendes Angebot bejaht werden kann, sämtliche Merkmale von Patentanspruch 11 aus den Angebotsunterlagen selbst ergeben. Daran fehlt es vorliegend. Weder der Anlage K 7 noch der Anlage K 8 ist zu entnehmen, dass eines der anspruchsgemäßen Makromoleküle (Kollagen, Gelantine etc.) verwendet wird.

2.

Soweit etwaige Herstellungshandlungen in Rede stehen, ist das Vorbringen der Beklagten unwiderlegt, dass bei der Anwendung ihres Mischkammerverfahrens ein Pulver erhalten wird, dessen einzelne Partikel kleiner als 500 nm und jeweils mit einem Schutzkolloid überzogen sind. Das Pulver bildet – wie unter I. dargelegt – keine „Pellets“; schon deswegen kommt eine Patentverletzung im Hinblick auf Anspruch 11 nicht in Betracht. Da die einzelnen Wirkstoff-Nanopartikel zu größeren Einheiten aggregieren und alsdann mit dem Schutzkolloid überzogen werden, kann desweiteren keine Rede davon sein, dass der Wirkstoff in einer Matrix dispergiert ist.

Hinsichtlich der Beklagten zu 1. und 3. kommt hinzu, dass diese ausdrücklich bestritten haben, einen der beanspruchten Makromoleküle, insbesondere Gelantine, verwendet zu haben. Für das Gegenteil hat die Klägerin keine stichhaltigen Anhaltspunkte geliefert. Soweit sie auf die als Anlagen K 10 und K 17 vorgelegten Fachaufsätze verweist, ist bereits zweifelhaft, ob aus diesen Verlautbarungen überhaupt Rückschlüsse darauf gezogen werden können, in welcher Weise die Beklagten ihr Herstellungsverfahren handhaben. Ausdrückliche Darlegungen dazu finden sich in der Veröffentlichung nicht. Die dort geschilderte Vorgehensweise kann ebensogut auf theoretischen Erkenntnissen des Beklagten zu 4) beruhen, denen keine praktischen Anwendungen im Geschäftsbetrieb der Beklagten zu 2) zugrunde liegen. In jedem Fall ist keiner der jeweiligen Autoren im Unternehmen der Beklagten zu 1. beschäftigt. Allein die Tatsache, dass die Beklagte zu 1. Lizenznehmerin an dem Mischkammerverfahren der Beklagten zu 2. ist, läßt ebenfalls noch keine tatrichterlichen Feststellungen dahingehend zu, dass die Beklagte zu 1. bei der Herstellung ihrer Arzneimittel entsprechend der Nanomorph-Technik in exakt derselben Weise verfährt wie die Beklagte zu 2.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 709 Satz 1, 108 Abs. 1 ZPO.

Dr. K2xxxx Dr. T1xxxxx Dr. C3xxxxxxxx