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Romanisierung – Eine Problematik der Altertumswissenschaften

Der moderne Begriff "Romanisierung" wird seit dem 19. Jahrhundert häufig verwendet, vornehmlich um Veränderungsprozesse zu beschreiben, die durch die Ausweitung des römischen Reiches und damit dem Zusammentreffen der römisch-italischen Lebensart mit anderen Kulturen entstanden. Dabei ist der Begriff selbst schon ein Problem, denn so häufig er seit fast 200 Jahren verwendet wurde, so häufig hat sich auch seine Bedeutung gewandelt. Während Romanisierung früher zeitweise gebraucht wurde, um eine Art "Zivilisation bringende Kolonialisierung" zu beschreiben, werden heute eher identitätsstiftende Aspekte des Zusammentreffens von Römern auf die Bevölkerung ihrer Provinzen und an ihren Grenzen untersucht.

Nun tut sich hier das nächste Problem auf: Weder die Kulturen, auf die die Römer trafen, noch die der Eroberer selbst waren kongruent innerhalb ihre Gefüges oder stagnierten. So nahmen verschiedene Gruppen die verschiedenen Ausformungen der römischen Kultur unterschiedlich an, lehnten sie aus unterschiedlichen Gründen ab und behielten gleichzeitig große Teile ihrer eigenen Traditionen.

Verschiedene Modelle der Romanisierung versuchen den veränderten Strukturen Herr zu werden und sie zu erklären, dabei ist vor allem entscheidend, was die Römer für die und in den einzelnen Regionen getan haben, um zu beurteilen, wie die römische Herrschaft aufgenommen wurde. Dabei kristallisieren sich der infrastrukturelle Ausbau und die kultische Verehrung für den Kaiser als wichtige Faktoren heraus, um Romanisierung nachzuvollziehen. Beides wurde von den Bewohnern des Reiches täglich wahrgenommen und genutzt, letzteres konnte in östlichen mit älteren Traditionen in Verbindung gebracht werden. Den nach der Eroberung Alexanders des Großen hellenistisch geprägten Regionen des späteren Römischen Reiches war eine Verehrung für den Herrscher nicht unbekannt. So wurde dieser Aspekt der römischen Präsenz auch in Teilen Kilikiens schnell aufgenommen.

Trotz der vermeintlichen Zugehörigkeit Kilikiens zum hellenistischen und damit, in den Augen der Römer, bereits zivilisierten Osten, wurde Kilikien und seine Bewohner von griechischen und römischen Autoren vornehmlich als barbarisch wahrgenommen. Den Römern dienten die Kilikier bisweilen sogar als Synonym für Piraten. An dieser Landschaft, die spätestens 72 n. Chr. zur Provinz Cilicia wurde, zeigt sich die Vermischung verschiedener Einflüsse. Neben altorientalischen und indigenen Traditionen wurden hellenistische Elemente, so wie römische Lebensweisen aufgenommen, ohne dass das Alte gänzlich verschwand. Neuinterpretationen und Vermischungen traten unterschiedlich intensiv und schnell auf. So zeigt sich auch am Beispiel Kilikien, wie komplex und undefinierbar der Begriff "Romanisierung" ist. [APK]

 

Weiterführende Literatur

S. Pilhofer, Romanisierung in Kilikien? Das Zeugnis der Inschriften, Quellen und Forschungen zur Antiken Welt 60 ²(München 2015)

R. Syme, Observations on the Province of Cilicia [Erstdruck 1939], in: R. Syme – E. Badian (Hrsg.), Roman Papers (Oxford 1979) S. 120-148

G. D. Woolf, Becoming Roman, Staying Greek. Culture, Identity and the Civilizing Process in the Roman East, in: Proceedings of the Cambridge Philological Society 40, 1994, S. 116-143