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Die "Stadttyche": Abbild, Personifikation und Schutzmacht der Stadt

Tyche war eine griechische Schutz-, Glücks- und Schicksalsgöttin, mit der römischen Fortuna vergleichbar. Die "Stadttyche" war eine besondere Art der Tyche. Denn sie war zusätzlich die Personifikation einer Stadt und somit wichtig für das Selbstverständnis ihrer Bewohner, da sie die wünschenswerten Eigenschaften der Stadt repräsentierte. Dargestellt wurde sie als Frau, da die Stadt in der griechischen Antike als weiblich empfunden wurde, erkennbar daran, dass das grammatische Geschlecht des griechischen Wortes für "Stadt" (ἡ πόλις) weiblich war.

Die erste bekannte "Stadttyche" (und Vorbild für viele weitere) ist die "Tyche von Antiocheia", die der Bildhauer Eutychides im Jahre 300 v. Chr. geschaffen hatte (Abb. 1): Dargestellt ist eine Frau, die auf einen Felsen sitzt und sich mit einer Hand auf diesem abstützt, während sie einen Fuß auf einen Flussgott stellt, welcher sich schwimmend unter dem Stein befindet. Diese Statue wurde dann in kleinen Details variiert vielfach auf Münzen abgebildet (Abb. 2). Ihr Habitus, das Abstützen auf Felsen und Flussgott symbolisieren, dass die Stadt die Naturgewalten unter Kontrolle hat und durch Naturkatastrophen keinen Schaden nimmt.

Vielerorts ersetzt nun ihr Kopf (Abb. 3) die zuvor üblichen Bildnisse stadtrelevanter Gottheiten auf Münzvorderseiten.

 



Abb. 1 (oben rechts): "Stadttyche" von Antiocheia am Orontes (römische Kopie im Vatikan, nach dem Original des Eutychides (nach Wikipedia, Stichwort Eutychides, Foto: Janmad, Lizenz CC-BY-3.0)

Abb. 2 (Mitte): Silberne Tetradrachme des Augustus, ausgegeben 5/4 v. Chr. in Antiocheia am Orontes. Die Rs. zeigt die "Stadttyche" mit Mauerkrone, Palmzweig und dem Flussgott Orontes zu ihren Füßen (= RPC I Nr. 4152, © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18257536, Foto: Bernhard Weisser)

Abb. 3 (unten): Silberne Tetradrachme aus Seleukeia in Pierien (Syrien) aus dem Jahrr 97/96 v. Chr. mit dem Bildnis der "Stadttyche" mit Mauerkrone auf der Vs. (© Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18258289, Foto: Bernhard Weisser)

 

Erkennbar ist die "Stadttyche" an ihren Attributen, zum Beispiel der Mauerkrone (als Zeichen für ihren stadtschützenden Charakter) oder Pflanzen, wie Ähren, Mohn und Trauben. In manchen Darstellungen ist die "Stadttyche" mit anderen Attributen zu sehen, welche meist Wohlstand repräsentierten, wie zum Beispiel dem Füllhorn.

Mit der Zeit verbreitete sich das Motiv der "Stadttyche" auch in anderen Regionen, wobei sie sich am stärksten in Vorderasien und Kilikien etablierte, wo sie erstmalig im 1. Jahrhundert v. Chr. erschien. Zuerst wurden Vorlagen aus Antiocheia benutzt, später auch eigene verwendet. Bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. war die "Stadttyche" (auf dem Felsblock sitzend mit Flussgott oder ihr Kopf mit Mauerkrone) ein viel geprägtes Motiv. [LMS]

 

Weiterführende Literatur:

M. Meyer, Die Personifikation der Stadt Antiocheia: Ein neues Bild für eine neue Gottheit, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts, Ergh. 33 (Berlin 2006)

M. Meyer, Die Stadt als Souverän – Städtische Tetradrachmen in der Levante, in: A. Lichtenberger u. a. (Hrsg.), BildWert. Nominalspezifische Kommunikationsstrategien in der Münzprägung hellenistischer Herrscher, EUROS 2 (Bonn 2014) S. 209-224

M. Meyer, Frauen mit Mauerkrone. Stadtpersonifikationen und Stadtgöttinnen, in: K. Ehling – G. Weber (Hrsg.), Hellenistiche Königreiche (Darmstadt 2014) S. 94-98