eMuseum

Themen


Sandan: Ein Gott zwischen den Kulturen

Das Spektrum antiker Götter war umfangreich und vielseitig. Neben olympischen Gottheiten wie Zeus, Athena und Poseidon lassen sich regional spezifische Kulte finden. Diese haben zum Teil eine lange Tradition und unterliegen häufig Veränderungen aus dem Zusammentreffen verschiedener Kulturen.

In der kleinasiatischen Stadt Tarsos findet sich ein solcher Kult. Der aus dem hethitischen Raum belegte Gott Sandan wird auf einem gehörnten und geflügelten Löwen mit verschiedenen Attributen wie Pflanze, Kranz, Pfeil und Bogen, Axt und Schwert dargestellt (Abb. 1), zum Teil steht die ganze Gestalt auf einem pyramidalen Altar (Abb. 2).

 

  

Abb. 1 (links): Städtische Bronzemünze aus Tarsos (2./1. Jahrhundert v. Chr.) mit der Büste der Stadttyche mit Schleier und Mauerkrone auf der Vs. und auf der Rs. Sandan auf einem geflügelten und gehörnten Löwen (© Fritz Rudolf Künker GmbH, Auktion 333, 2020-03-16, Nr. 579, Foto: Lübke & Wiedemann)

Abb. 2 (rechts): Städtische Bronzemünze aus Tarsos (2./1. Jahrhundert v. Chr.) mit der Büste der Stadttyche mit Schleier und Mauerkrone auf der Vs. und auf der Rs. Sandan auf einem geflügelten und gehörnten Löwen nach r. stehend, auf einem pyramidalen Altar, der mit Girlanden geschmückt ist (© Leu Numismatik AG, Web-Auktion 9, 2019-09-07, Nr. 451)

 

Einmal im Jahr wurde der Kult des Gottes in einem großen Fest zelebriert, dabei wurde ein riesiger Scheiterhaufen errichtet und der gealterte Gott darauf symbolisch verbrannt, um danach wieder auferstehen zu können. Wegen des Löwen und der Feuerbestattungen wurde Sandan seit hellenistischer Zeit mit Herakles assoziiert.

Auch in Tarsos ausgegebene Münzen der seleukidischen Könige thematisieren den lokalen Gott: So zeigen die Tetradrachmen das Sandanmonument (Abb. 3), die Drachmen den Gott auf dem Tier (Abb. 4). In der städtischen Prägung findet sich Sandan über die Jahrhunderte hinweg bis in die Kaiserzeit auf dem Revers der städtischen Prägungen von Tarsos, mal mit Monument, mal nur der Gott selbst. Dazu kommen provinziale Tridrachmen aus hadrianischer Zeit (Abb. 5), also kaiserlich initiierte, vor Ort geprägte und in der Region umlaufende Silbermünzen.

Abb. 3 (links): Königlich-seleukidische Drachme des Antiochos VII. aus Tarsos (121/120-114/113 v. Chr.) mit Sandan auf dem geflügelten und gehörnten Löwen auf der Rs. (SCO II Nr. 2058; © Münzen & Medaillen GmbH, Auktion 46, 2018-02-15, Nr. 289)

Abb. 4 (Mitte): Königlich-seleukidische Tetradrachme des Antiochos VIII. aus Tarsos (121/120-114/113 v. Chr.) mit dem Sandanmonument auf der Rs. (SCO II Nr. 2286; © Numismatik Lanz, Auktion 158, 2014-06-05, Nr. 325)

Abb. 5 (rechts): Provinziale Tridrachme des Hadrian (117-138 n. Chr.) aus Tarsos mit Sandan auf dem geflügelten und gehörnten Löwen auf der Rs. (© Leu Numismatik AG, Web-Auktion 9, 2019-09-07, Nr. 827)

 

Für Tarsos scheint er also über lange Zeit große Bedeutung gehabt zu haben und wird auch mit dessen mythologischen Ursprüngen in Verbindung gebracht. In seinem orientalischen Ursprung war Sandan möglicherweise ein luwisch-hethitischer Wetter- und Vegetationsgott, sein Name bedeutet aber auch "der Erregte" oder "der Wütende". In Tarsos baute sich diese Funktion weiter aus, sodass er als kriegerischer Gott der Fruchtbarkeit angebetet wurde. Sandan ist ein interessantes Beispiel der Assimilation, aber auch Konstanz lokaler Kulte in Kilikien. Der indigene und traditionsreiche Kult blieb bestehen und wurde um Aspekte des klassischen Heros Herakles ergänzt, ohne die luwischen Wurzeln zu verdrängen. [APK]

 

Weiterführende Literatur

H. Böhlig, Die Geisteskultur von Tarsos im augusteischen Zeitalter mit Berücksichtigung der paulinischen Schriften, Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 19, N. F. 2 (Göttingen 1913)

M. K. Nollé – J. Nollé, Götter, Städte, Feste. Begleitheft zu einer Ausstellung von Münzen der Pfälzer Privatsammlungen (München 1994)

D. Pohl, Sandan, in: M. Meyer – R. Ziegler (Hrsg.), Kulturbegegnung in einem Brückenland: Gottheiten und Kulte als Indikatoren von Akkulturationsprozessen im Ebenen Kilikien (Bonn 2004) S. 73-93